One up for Irland

Text von Helga Baumgärtel Foto von Dromquinna Manor

Frag nie in Irland nach dem Weg!

Kenmare? Kein Problem. Leute, ich sag’s euch gleich. An der Kreuzung … Aber es ist halb elf, das Pub hat gerade aufgemacht. Lasst uns erst mal einen trinken.“

Taten wir. Im Limping Jack.

„Also Kenmare ist leicht zu finden. Ihr fahrt einfach rechts und …“, sagte er.

„Quatsch! Ihr fahrt einfach links“, sagte der Mann hinter der Bar. „Ach was, lasst uns noch einen trinken. I’m buying.“

Wir tranken zwei Pint vom schokoladebraunen Guinness, das Glas ordentlich vollgeschenkt bis zum Rand, so, wie es sich gehört. Und unsere neu gewonnenen Freunde sagten jedes Mal, wenn sie das Glas hoben: „One up for Ireland.“

„Schön, dass ihr Deutsche seid und keine Engländer“, sagte mein Nachbar. Er hieß Peter.

„Wenn der blöde Brexit nicht wär’“, schimpfte er. „Die verdammten Engländer mit ihrem Brexit. Jetzt wollen sie auch wieder Nordirland von uns trennen.“

„Hallo Doc“, sagte der Wirt zu dem Mann, der jetzt ins Pub kam. „Sind aus Germany, die beiden. Wollen Irland kennenlernen. Dachte erst, sie seien Engländer. Sprachen gerade über den verdammten Brexit.“
„Seit Cromwell das Blödeste“, knurrte Doc. Und er erzählte von Oliver Cromwell, der um 1650 einen grausamen Rachefeldzug gegen die ­katholischen Iren geführt hatte.

Jetzt luden wir zu einer Runde des dunklen Guinness ein. Draußen war die Sonne verschwunden und der Wind hetzte Regenwolken über den Himmel.

Der Wirt kam von hinten mit einer Platte voller Räucherlachs-Sandwiches. Köstlich, mild geräuchert, auf hausgebackenem Schwarzbrot. „Werdet Hunger haben von dem vielen Diskutieren. Langt zu“, sagte er mit vollem Mund.

Und nun erzählten unsere neuen Freunde, was wir unbedingt sehen müssten, wo wir essen und wo wir schlafen sollten.

Kenmare verschwand in weite Ferne hinter einem Nebel von Guinness.

Am nächsten Morgen fuhren wir hinunter nach Kenmare, besuchten ein Ring Fort aus der Bronzezeit und aßen, wie es unsere Freunde im Limping Jack empfohlen hatten, im Boathouse Bistro im nahen Dromquinna Manor (dromquinnamanor.com), direkt am Wasser eine wunderbare Fischplatte.

Allein der herrlich frische Fisch und das Meeresgetier sind es wert, die Grüne Insel zu besuchen.

Und das war, weiß Gott, nicht immer so. Bis vor wenigen Jahren noch war Irlands Küche voll von altem Hammel, fetten Saucen und wässrigen Suppen.

Doch junge Köche und viele regionale Produkte haben die Küche der Insel gewaltig aufgewertet.
Heutzutage erlebt Irland eine kulinarische Renaissance. Der Guide Michelin verzeichnet inzwischen zwölf Restaurants in Irland, die sich mit den begehrten Sternen schmücken dürfen.

Wir fuhren weiter zum Park Hotel – einem der besten in Irland (parkkenmare.com). 46 Zimmer, ab 300 Euro die Nacht, inmitten einer riesigen Parklandschaft direkt an der Kenmare-Bucht. Luxus pur, vorzügliches Essen zu fairen Preisen plus eigenem 18-Loch-Golfplatz.

Wer seinen Urlaub nicht unbedingt in einem Grand Hotel verbringen will: Über die Insel verstreut gibt es Dutzende kleiner Landhotels und noch mehr Bed-and-Breakfast-­Unterkünfte.

Das Rathmullan House zum Beispiel. Oben in Letterkenny im County Donegal. Direkt am Lough Swilly, 13 Zimmer, beheizter Indoor-Swimmingpool und vorzügliche Küche (rathmullanhouse.com).

Zwei Meilen südlich von Donegal auf einer winzigen Halbinsel liegt das St. Ernan’s House Hotel. Früher im Besitz der katholischen Kirche, jetzt ein fein rausgeputztes Mini-Hotel mit zwölf Zimmern; Doppelzimmer ab 90 Euro.

Vom Edelsten ist der Mount Juliet Estate (mountjuliet.ie) in Thomastown im County Kilkenny. Ein 30-Zimmer-Hotel in einem Landsitz aus dem 18. Jahrhundert inmitten eines 18-Loch-Golfplatzes. Luxus pur mit Doppelzimmer (ab 300 Euro) plus dem Lady Helen Restaurant, einem 1-Michelin-Stern-Restaurant.

Irland ist voll von Geschichte und voller Geschichten. Den Ratschlägen unserer Freunde aus dem Limping Jack folgend, besuchten wir Newgrange, die imposante Grabkammer, die älter ist als die Pyramiden. Einmal im Jahr fallen die Strahlen der Sonne in die Grabkammer und erleuchten steinerne Muster, die auch heute noch Rätsel aufgeben.

Und wir sahen uns den Rock of Cashel an, der einsam aus der Ebene von Tipperary ragt. Eine Burgruine und Nationalheiligtum, einst die Krönungsstätte irischer Könige.

Natürlich besuchten wir nahe Cork das Blarney Castle und den Stein, der seit über 200 Jahren ungeahnte Sprachgewandtheit demjenigen ­verleiht, der ihn küsst. Dreimal im Jahr wird der Stein jetzt chemisch gereinigt, um die Lippenstiftspuren zu beseitigen, die Frauen auf der Suche nach der ersehnten Sprachgewalt hinterlassen haben.

Wunderschön ist die Stadt Galway. Im Mittelalter die reichste Stadt Irlands, das Einfallstor des Handels mit Spanien und Portugal.

Heute ist es die jüngste Stadt Irlands. 80.000 Einwohner, 20.000 ­davon Studenten. Dutzende bunt bemalte Pubs über die Innenstadt verstreut, Straßenmusikanten und einmal im Jahr, im September, das berühmte Galway International Oyster & Seafood Festival, das Tausende von Besuchern in die Stadt lockt. Seit über 60 Jahren gibt es das Austern-Fest. Und angeblich sind dabei seitdem schon 30 Millionen Austern verzehrt worden.

Austern gibt es in der Saison – allen Monaten mit einem „R“ – in und um Galway fast überall.
Die besten bekommt man bei Morans The Weir (moransoystercottage.com) in Clarinbridge, nur wenige Kilometer außerhalb von Galway. Das kleine reetgedeckte Restaurant besteht seit über 250 Jahren.

„Geht um Gotteswillen nicht am Sonntag hin“, hatten uns unsere Freunde aus dem Limping Jack gesagt. Wir hätten auf sie hören und einen Wochentag wählen sollen. Als wir am Sonntag eintrudelten, war das Morans gnadenlos überfüllt.

Auf den Rat der Einheimischen hätten wir auch in Dublin hören sollen.

Denn einen Platz bei Patrick Guilbaud ­(restaurantpatrickguilbaud.ie) bekamen wir nicht.

Bis auf den letzten Platz war das Restaurant, laut Michelin das beste in Irland, ausgebucht. Seit 1997 hält der geborene Franzose Guilbaud seine zwei ­Michelin-Sterne. 120 Euro kostet das einfachste 3-Gänge-Menü und im Weinkeller warten 30.000 Flaschen auf durstige Kehlen.

Wir beschlossen, im O’Donoghues Pub in der ­Merrion Row 15, dem traditionsreichsten der irischen Hauptstadt, unseren Abschiedsdrink zu nehmen. Seit 1789 gibt es die Kneipe. Und jeder berühmte Mensch in Dublin, in der Hauptsache Schriftsteller, Dichter und Musiker, nebst anderen fröhlichen Trinkern, ­bevölkerte, nein, übervölkerte das O’Donoghues (odonoghues.ie).

Die Menschenmenge wurde immer dichter, die irische Band fiedelte vergeblich gegen den Lärm im Pub an, eine Gruppe von Japanern reckte ihre Kameras an den Selfie-Sticks in die Höhe. Der Lärm war ohrenbetäubend.

Aber viel Spaß hat’s trotzdem gemacht!

Und darum: One up for Ireland, diesem Schatzkästlein zwischen Brexit-Süd und Brexit-Nord.