Sag alles, nur nicht Steckerlfisch

Bei einer Lechpartie am Altausseer See bekommt man Saibling wie er besser nicht sein kann. Um daran teilzunehmen, braucht es eine ordentliche Portion Glück und gute Freunde.

Text von Christian Grünwald · Fotos von Ingo Pertramer

Alles am Altausseer See ist Limited Edition: die seltenen Wochen mit durchgehendem Sonnenschein, die Badeplätze am See, die bebaubaren Grundstücke, die Sitzplätze in der formidablen „Wirtschaft“ (neuerdings „Kantine 191“ genannt), die maßgeschneiderten Lederhosen, die Saiblinge, die Freunde, die man sich als Städter hier machen kann. Noch limitierter, noch rarer, so selten, dass mancher gar nicht an die reale Existenz glaubt, ist die Altausseer Lechpartie. Alljährlich werden zwischen September und November gerade einmal 20 Lechpartien durchgeführt. Man verfügt sich dabei in eine Holzhütte am See, um in kleiner Runde bei Musik und einigen Getränken einen großartigen Fisch zu genießen: den Altausseer Seesaibling – natürlich wild aufgewachsen, ohne alle Zufütterung.

Das Laichen, im Ausseerland „Lechen“ genannt, gab den Lechpartien den Namen, die ursprünglich dann stattfanden, wenn die Fische laichten. Beim Lechfischen werden die Fische mit speziellen Netzen am Seegrund gefangen. Eine Maßnahme, die heute in aller Ruhe abseits der Lechpartien an genau definierten Stellen am See geschieht. Der Laich wird noch am Boot abgestreift und dann bis in den Frühsommer hinein in kleinen Seebecken großgezogen, um sie schließlich in die Freiheit des Altausseer Sees zu entlassen. So wird Jahr für Jahr ein gesunder Fischbestand gesichert.

Der Altausseer See ist ein 214 Hektar großes und bis zu 44 Meter tiefes Fischparadies, das zu 80 Prozent Saibling und zu 20 Prozent Forellen beherbergt. Die paar Aiteln, die es hier auch noch gibt, fallen kaum auf und sind mit ihren vielen Gräten vor gezielten Fangaktivitäten sicher. Natürliche Feinde wie Hecht, Huchen oder Wels müssen die Altausseer Fische hier nicht fürchten – es gibt keine; Resultat einer konsequenten Besatzpolitik über hunderte von Jahren. Dass sie trotzdem kein Fett ansetzen, hat wohl mit den erfrischend kühlen Wassertemperaturen und der Hauptnahrung zu tun: Plankton – und sonst gar nichts. Im Sommer begeben sich die Fische bei ihrer Nahrungssuche bis auf 16 Meter Tiefe und sind dann zugleich für die Fischer schwer erreichbar. Im Herbst schwimmen die Fische wieder in sechs bis acht Metern und sind ein guter Fang für die neun aktiven Fischer am See.

Seit der Zeit von Kaiserin Maria Theresia wird das Fischereirecht hier von einer Generation zur nächsten weitergegeben. Die Fischer dürfen den See, so wie die Bauern mit ihrem Servitut auf den Almen, nutzen.

Um die Netze nach dem Fischen wieder in Ordnung zu bringen und sich selbst in der Fangsaison zu wärmen und zu versorgen, bauten die Fischer am Ufer eine Holzhütte, die rasch den Namen Lechhütte erhielt. Am Feuer im Inneren wurden die fangfrischen Fische gebraten, was bald auch Seespaziergänger und Ortsbewohner anlockte. Man tauschte eine Flasche Selbstgebrannten oder auch Wein gegen eine Fischjause und genoss die magische Stimmung am schmalen Streifen zwischen dem See und den steil aufragenden Felswänden. An manchen Tagen dürften sich da rund um den See recht fröhliche Völkerwanderungen abgespielt haben, ehe ein Feuer die Hütte abbrennen ließ. Nach dem Wiederaufbau, das ist wohl knapp 100 Jahre her, ging man die Lechpartien etwas organisierter an. Die Fischer am See teilten die Termine selektiver ein, fungierten dabei als eine Art Wirt, der für die Saiblinge, die Beilagen und die Getränke sorgt. Bezahlt wird der Fischer vom jeweiligen Gastgeber der Lechpartie, wobei Letzterer rund 20 Personen einladen kann.

So wie die Fischereirechte werden auch die Lechpartie-Termine in den Ausseer Familien und unter sehr guten Freunden weitergegeben. Es ist also eher unwahrscheinlich, einen eigenen Termin zu bekommen. Fragen bei allen möglichen Menschen, die etwas mit Fischerei zu tun haben oder generell in der Gegend etwas zu sagen haben, kann keinesfalls schaden. Man lernt so die Leute im Ort besser kennen, weiß mehr über fallweise auftretende unbeirrbare Sturheit und erhält dann vielleicht Nachricht davon, wenn wider Erwarten jemand für ein Jahr aussetzen möchte.

Ernst Scholdan war recht beharrlich im allgemeinen Nachfragen, hat dabei stets einen guten Eindruck gemacht und darüber hinaus auch wacker die Brathühner im Kirtagszelt mitbetreut. Zudem qualifiziert ihn ein unermesslich großzügiges Gastgeber-Gen. Was auch immer es war, es verlieh ihm einen lechmäßigen Sonderstatus von nun schon drei Lechpartien, wobei er einer gar nicht selbst beiwohnen konnte.

Und dann gibt es Tage wie diesen Samstag im September 2013, die sind wettermäßig zu schön um wahr zu sein. Strahlend blauer Himmel und Sonnenschein schmücken den See, als sich insgesamt drei Plätten mit ausgewählten Freunden von Franz Pichlers Jausenstation „Kahlseneck“ aus auf den Weg quer über den See machen.

Durch die hochgezogene Spitze und den planen Boden kann man das traditionelle Holzboot praktisch überall anlanden. – Vorausgesetzt, man weiß mit dem Ruder richtig umzugehen: gerudert wird seitlich am Heck, nach Art der venezianischen Gondolieri – da fährt man leicht im Kreis statt vorwärts. Heutzutage wird die Plätte nur noch bei heiklen Manövern in Ufernähe gerudert, ansonsten sorgt ein E-Motor für die geradlinige treibende Kraft. Nur 25 Boote gibt es am See und theoretisch dürften auch mehr unterwegs sein, allerdings scheitert das an mangelnden Unterstellplätzen.

Ziel der Plätten ist die Seewiese am Nordostende des Altausseer Sees, wo vor 50 Jahren Emma Traubenreif eine florierende Jausenstation betrieb, die neben den Einheimischen auch viele Schauspieler und Künstler magisch anzog. Das Anwesen ist seit Jahrzehnten dem Verfall preisgegeben, könnte aber vom neuen Eigentümer, Red-Bull-Boss Dietrich Mateschitz, reaktiviert werden. Man verhandelt, so erzählt man sich am See, noch über Modalitäten und Kosten für den Wiederaufbau und die nötige Infrastruktur mit Gemeinde und den Bundesforsten. Eine Straße führt nicht zur Seewiese, die nur über den rund um den See führenden Gehweg oder eben mit Plätte zu erreichen ist. Den letzten Teil des Weges legen wir zu Fuß zurück. In der Lechhütte lodert bereits das Feuer.

Unser Fischer, der Danner Sepp, hat die Saiblinge, unterstützt von seinem Kollegen Rudi, am Tag davor gefangen, penibel ausgenommen und über Nacht in einer Sur aus 5 Liter Wasser und einem halben Kilo Salz eingelegt. Man kann die Fische nicht versalzen, sagt der erfahrene Fischer, ab einem gewissen Punkt nehmen sie einfach kein Salz mehr auf. Bevor sie auf den Spieß kommen, werden sie noch kurz mit Wasser abgespült. Das verhindert unschöne weiße Flecken auf der Haut.

Jeder Fisch wird mittig auf einen Holzstab aufgespießt, der in der Länge exakt auf das vorbereitete Eisengestell an der Feuerstelle in der Hütte passt. Beim Maul rein, durch den Bauchraum und beim Schwanz wieder raus. Ob der Spieß einen speziellen Namen hat? Nein, Spieß halt, sagt der Sepp und meint zart knurrend: „Kannst alles sagen, nur ja net Steckerlfisch …“

Ready to fire. Das Feuer kommt von Fichtenholzscheiten und wird, einmal lodernd in Gang gesetzt, vor allem durch den Durchzug in der Hütte gesteuert – kurz die Tür auf, wenn die Flammen zu klein werden.

Die Zubereitung der Saiblinge dauert zwei Stunden. Die Fische werden dabei nicht nur gegart, sondern auch geselcht. Direkter Kontakt mit den Flammen ist nicht, die Kunst liegt in der gleichmäßigen Verteilung der Hitze. Darum werden die Spieße etwa alle 20 Minuten umgesteckt, rotieren dabei auch in der Höhe. Oben ist es heißer als unten. Die Saiblinge, jeder rund 40 Deka schwer, garen mit der Bauchhöhle nach oben. Die Feuchtigkeit sorgt ebenso für die Garung, wie die unverletzte Fischhaut dafür sorgt, dass das Fischfleisch nicht austrocknet.

Anderswo auf den Salzkammergutseen braten sie auch frische Fische. Nur dauert das dort lediglich 10 bis 15 Minuten. Die direkte Hitze ergibt ein völlig anderes Ergebnis als das hier erwartete. Nicht schlecht, aber anders eben.

Zwischendurch verkürzt Rainer Haar mit einer kleinen Jause die Wartezeit auf den Fisch. Sein Wurzelspeck mit Wacholderkruste und die Wildwürstel sind eine willkommene Unterlage und stammen genauso aus eigener Produktion wie der dazu offerierte Senf. Rainer Haar hat bis vor kurzem in Bad Aussee die „AnnaMax“-Weinbar betrieben, ehe er nun ein paar Häuser weiter die „Senferei“ eröffnet hat. Er stellt 16 verschiedene Sorten her. Besonders im Gedächtnis bleiben ungewöhnliche und beeindruckend harmonische Sorten mit dem Geschmack nach Mohn, Lebkuchen oder auch Marille. Erstes Vorzeigeprodukt ist der Steirersenf, bei dem Kürbiskerne, Apfel, Honig und Kren drin sind. Für das gelungene Süß-Sauer-Spiel sorgen ausgesuchte Zutaten wie etwa Essig von Alois Gölles und eine klassische handwerkliche Herstellungsmethode. Die Senfkörner werden trocken gemahlen, dann eingemaischt und mit den jeweiligen Gewürzen vermischt. Vier Wochen Reife braucht es, ehe der Senf harmonisch-rund schmeckt.

Der Sepp betastet immer wieder die Fische an der Feuerstelle, versucht so den Gargrad zu erahnen. Ernst wird es, wenn nach etwa zwei Stunden die Augen weiß werden – ein sicheres Zeichen dafür, dass die Saiblinge fertig sind. Dann darf nicht gebrodelt werden, auch wenn die Gäste durch ausführliche Aperitifaufnahme schon recht lässig unterwegs sind.

In einem Zeitfenster von 10 bis 15 Minuten sollte jetzt der Fisch gegessen werden, jede Verzögerung lässt ihn unweigerlich trocken werden und die richtige Serviertemperatur verlieren. Der Sepp ist in dieser Hinsicht so streng wie ein 5-Sterne-Koch beim Steakbraten.

Der Fisch wird im Ganzen auf Holzbrettern serviert, dazu gibt es Schwarzbrot. Grundkenntnisse der Fischanatomie sind beim Zerteilen von Vorteil. Die ungenießbare Haut ist ledrig-hart, recht schwer zu durchschneiden. Darunter verbirgt sich großartiges Fischfleisch, das sich wie von selbst von den feinen Bauchgräten löst. Man isst pures Muskelfleisch ohne jede Spur von Fett, auch nicht an den Bauchlappen (wodurch man übrigens einen echten Altausseer Wildsaibling ganz leicht von den ungleich üppigeren Zuchtkollegen unterscheiden kann).

„Und? Tuat er?“, fragt der Sepp in die Runde, ehe er sich als Letzter selbst einen Saibling gönnt. Und wie er tut! Die Kommentare reichen von „grandios“ zu „genial“ und sonstigen Superlativ-Begriffen. Selten bekommt man einen so perfekt gegarten Fisch, der noch dazu auf den Punkt gewürzt ist und mit seinem Eigengeschmack überzeugt. Ganz zart schwingt ein Räucherton mit, der sich harmonisch mit dem saftigen Fischgeschmack verbindet. Das Fantastische: Nach zwei Stunden beim Feuer ist der Saibling trotz aller Fettarmut frei von jedem Anflug der Trockenheit.

Man hat hier eben das schönere Wasser, die besseren Fische, und auch so einen einmaligen Blick auf die imposante Trisselwand und den mächtigen Loser findet man nur hier und nicht etwa am See nebenan. Die Altausseer hatten immer schon das Gefühl, über spezielle Ressourcen zu verfügen. Davon zeugen auch einige augenzwinkernd erzählte Begebenheiten, wie etwa die von der Warnung eines Grundlseers an einen selbstsicheren Altausseer, dass er die Nase nicht so hoch halten soll, weil es ihm sonst noch hineinregnet. Macht nichts, meint der regenerprobte Mann, dann schneuz ich mich halt …

Wie gut bei allen kleinen Rivalitäten ein Crossover der Seen klingt, beweist die Kreuz-Saiten-Musi mit den Geschwistern Wimmer – Sophie, Josi und Herbert – aus Grundlsee und Franz Pichlers Tochter Anna samt steirischer Harmonika, Geigen und Gitarren. Eine bessere Volksmusik, da sind sich alle einig, gibt es in der Region nicht. Ihre Gstanzeln machen fröhliche Laune, wer’s kann, pascht so dazu, wie es eben nur die Ausseer können.

Normalerweise heizt bei einer Lechpartie auch noch der berühmt-berüchtigte Lupitscher ein, eine äußerst hochprozentige Mischung aus Schnaps, Rum und Tee. Weil die Scholdan-Gruppe aber mehr dem eleganten Gourmetgenuss zugeneigt ist, sorgen dieses Mal beste Weine aus Doppelmagnums für glückselige Laune, die zum Glück auch beim Heimweg keine Unterbrechung erfährt. Denn während normalerweise die Lechpartie-Teilnehmer zu Fuß einen etwa dreiviertelstündigen Rückweg antreten müssen, bei dem sich in der Dunkelheit gute Gelegenheiten für fatale Fehltritte bieten, gab’s an diesem Abend ausnahmsweise eine Rückholung per Boot. – Wir danken Euch recht schön …!

Adressen

Jausenstation Kahlseneck
8992 Altaussee,
Tel. 0664 410 25 45
www.kahlseneck.at

Senferei Annamax
Meranplatz 36, 8990 Bad Aussee,
Tel. 03622 525 54
www.senferei.at

Kreuz-Saiten-Musi
Kontakt Sophie Wimmer
Tel. 0664 398 83 66