Schlemmen zwischen Florenz und Siena

Eine Region voller Gegensätze. Die Toskana umfasst das chronisch mit Touristen überfüllte Florenz ebenso wie erfreulich stille Landstriche im Chianti und in der Maremma. Und überall in diesem Schlaraffenland locken großartiges Essen und bester Wein.

Text von Willi Klinger

Die besten Adressen in Florenz

Es ist 11.40 Uhr an der Ecke Via Rosina/Piazza Mercato Centrale in Florenz, der beste Moment, um mit einiger Sicherheit einen Platz in der legendären Trattoria Mario zu ergattern. Reservierungen gibt es keine. Wenn die kleine, schmale Bude voll ist, landet man auf der Warteliste und wird aufgerufen, wenn man dran ist. Klobige Bänke und Hocker ohne Lehne werden gnadenlos belegt, man sitzt Ellbogen an Ellbogen mit wildfremden Leuten. Es herrscht ein Höllenlärm, und die in violetten Trikots der lokalen Fußballmannschaft Fiorentina gekleideten Kellner führen das Regiment. Über der Theke hängen Schilder mit apodiktischen Sprüchen wie „Es ist verboten, Ketchup, Maionese (sic!), Pizza oder Caffè zu verlangen“. Montags und donnerstags gibt’s Trippa alla Fiorentina, marktfrische Kutteln in Tomatensauce, frischen Fisch ausschließlich freitags. Die obligate Bistecca alla Fiorentina, ein T-Bone-Steak für zwei, wird rigoros al sangue (rare) serviert. Alles andere wird mit Verachtung gestraft. Das hungrige Volk delektiert sich ansonsten an einfachen Pastagerichten, Bollito misto, Brathendl oder allerlei Geschmortem aus dem Ofen. Den Caffè kann man übrigens gleich gegenüber im ersten Stock des Mercato Centrale nehmen. Die überdachte Version des Wiener Naschmarkts ist ein pulsierendes Schlaraffenland mit der Kochschule Lorenzo de’ Medici und allerlei Streetfood. Lassen Sie die Weinbars, Pizzerien und Sushibars ruhig links liegen und suchen Sie den Eckstand von Lorenzo Nigro. Hier wird das Florentiner Pendant zu unserer Leberkässemmel zelebriert: Lampredotto, der zarte, dunkle Labmagen des Rinds, in einem Würzsud gesotten, gehackt und mit „salsa verde“ oder scharfer „salsa piccante“ in einem Panino serviert.

Die toskanische Küche hat es mit dicken Suppen: klassische Ribollita mit viel Gemüse, scharfe Acquacotta aus der Maremma mit Brotschnitten, tomatige Pappa al pomodoro, sämige Zuppa di farro e ceci di Cortona, Farinata di Cavolfiore oder die von Caterina de’ Medici nach Frankreich gebrachte Zwiebelsuppe Carabaccia. Und natürlich auch hier Pasta e fagioli. Zum Suppenstudium begibt man sich am besten in die Vorstadt-Trattoria Da Burde, wo der bekannte Sommelier Andrea Gori gerne auch kleine Portionen zum Durchkosten serviert.

Die besten Trattorien von Florenz sind weniger die bekanntesten im Zentrum wie Buca Lapi, I Latini, Coco Lezzone oder Camillo, sondern zwei Lokale am südlichen Stadtrand: das von Florentinern geschätzte Omero mit herrlicher Aussicht und sehr guter Weinkarte sowie der winzige Geheimtipp Da Ruggero. Bei der berühmten Bistecca alla Fiorentina ist generell Vorsicht geboten, denn das Risiko eines außen verkohlten und innen rohen Fleischtrumms ist groß. Bei Ruggero wählt man am besten das Pollo ruspante al forno, ein Brathendl von ausnehmend guter Fleischqualität, oder eine dicke Schnitte vom toskanischen Schweinsbraten vom Karree namens Arista. Der hauseigene Chianti ist so süffig, dass die Bastflasche, aus der er ausgeschenkt wird, schon beinahe wieder kultig wirkt.

Relativ schnell ist es ob der Deftigkeit der toskanischen Bauernküche Zeit für einen Tapetenwechsel zur feineren Küche. Die Brücke bildet das 1979 von Fabio Picchi gegründete Kultlokal Cibrèo. Mag auch die Küche nicht überragend sein: Das Lokal hat ein ganz eigenes Flair, zu dem auch das Ritual des Speisenansagens im Hocken gehört.

Das weltberühmte Dreisternerestaurant Enoteca Pinchiorri ist immer noch souverän. Schon beim Aussteigen aus dem Taxi wird man vom langjährigen Empfangschef höflichst begrüßt und zu Tisch geleitet. Man sitzt in eleganten Räumen auf bequemen Designerstühlen in angenehmer Entfernung zu den Nebentischen. Angeboten wird ein 7-gängiges Menù Scoperta (275 Euro) und ein 8-gängiges Menù Contemporaneo (285 Euro). Die À-la-carte-Gerichte kosten zwischen 85 und 115 Euro pro Gang. Besonders beeindruckend war eine gebratene Gänseleberscheibe von idea­ler Konsistenz mit Rhabarber und Estragon in gekochtem Traubenmost aus der Romagna (Saba) mit marinierten Erdbeeren. Astice in salmì ist eine Art Hummerragout, begleitet von knusprig frittierten Teigtaschen mit Austernfülle. Klingt gefährlich, schmeckt aber phänomenal. Pastagerichte sind nicht unbedingt die Stärke von Pinchiorri, dafür läuft die Küche bei den Rôtis zur Hochform auf: Ein Stück Spanferkel vom Spieß mit knusprigem Schwartl, in der Asche gegarten Zwiebeln und Apfelkompott rief genauso echte Begeisterung hervor wie die unter einer Kruste von Salz und Kakao gegarte Taube mit Mangochutney, Paprika-Karotten und Salsa alla diavola. Die Desserts und das dazu ­offerierte Furioso von Pre-Dessert und Pralinenwagen entsprechen dem Rang des Hauses. Die weltberühmte Weinkarte hingegen ist mit den Jahren zu seinem Wermutstropfen mutiert. So spektakulär der Abend mit der Führung durch den Weinkeller mit seinen aufgetürmten Weltraritäten auch in Erinnerung bleibt: Die Weinpreise sind so verrückt, dass man unter 200 Euro pro Flasche kaum etwas Attraktives findet. Dafür wird man wie eh und je von Giorgio Pinchiorri, der diesen Luxuskeller aufgebaut hat, und seiner französischen Frau Annie Féolde, die noch immer über die Küchenlinie wacht, standesgemäß verabschiedet.

Die Herausforderer des Pinchiorri sind heute das stylish-lockere Ora d’Aria (Chef Marco Stabile) hinter den Uffizien, das Borgo San Jacopo (Peter Brunel) im romantischen Hotel Lungarno mit Ausblick auf den Ponte Vecchio und besonders das grandios eingerichtete Il Palagio des Four Seasons Hotels im Palazzo della Gherardesca, wo Vito Mollica eine herrlich zeitgemäße und doch klassisch italienische Küche erarbeitet hat. Noch zwei Tipps zum Abschluss: Im ersten Stock des Gucci Gardens, einer Mischung aus Showroom und Museum, eröffnete die Marke im Januar 2018 das erste Restaurant: Gucci Osteria da Massimo Bottura, ideal für ein elegantes Mittagessen. Das Hotel Scaletta gleich beim Ponte Vecchio kann zwar nicht mit den Fünf-Sterne-Adressen mithalten, aber es bietet geräumige Zimmer, eine schöne Dachterrasse und faire Preise. Dafür nimmt man auch die 30 Euro pro Nacht für den Parkservice gerne in Kauf, denn näher kommt man dem Zentrum mit dem eigenen Auto wohl kaum.

Die besten Adressen in den Hügeln des Chianti Classico

Wie im Piemont kann man eine Chianti-Weinreise strategisch mit der Wahl des Stützpunkts angehen, zum Beispiel Panzano oberhalb von Greve. Neben dem charmant-altmodischen Hotel Le Barone bieten die Weingüter Gagliole und Palagio die vielleicht schönsten Zimmer. Ins Dorf pilgern auch die Fans des Kultfleischers Dario Cecchini, der auch schon Prinz Charles, Elton John und Wolfgang Puck mit seiner Steak-Show in der Officina della Bistecca beeindruckt hat. Im Solociccia serviert er ebenfalls an Gemeinschaftstischen ein 6-gängiges Menù del Macellaio, Nose to Tail, zum Fixpreis von 30 Euro. Es ist daher gut, wenn man Appetit hat. Den Wein kann man selbst mitbringen. Ebenfalls bodenständig, aber etwas gelassener geht es in der Osteria Le Panzanelle oder in der Enoteca Baldi zu. Auf keinen Fall darf man sich bei Schönwetter ein Mittagessen im Ristoro Di Lamole entgehen lassen. Das atemberaubende Panorama von der Terrasse ist allein schon die etwas mühsame Bergfahrt wert, aber auch das Essen und die Weine sind mehr als nur Ausflugsgastronomie.

Gaiole wirkt gegenüber den Touristenmagneten Radda und Panzano eher herb. Das schöne Hotel Castello di Spaltenna auf einem Hügel ist jedoch ein Schmuckstück. Die alte Pfarrei bietet über enge Treppen erreichbare kleine Luxuszimmer, einen Spa-Bereich, Schwimmbäder und das wunderschöne Sternerestaurant Il Pievano in einem alten Refektorium mit einer vielleicht etwas zu verspielten Küche. Bei Schönwetter kann man auch auf der Terrasse der Osteria speisen oder im gemütlichen Ristorante Malborghetto in Lecchi (9 km).

Die Headquarter-Alternative im Süden ist das Borgo San Felice bei Castelnuovo Berardenga: Relais & Châteaux Hotel, Sternerestaurant von Chef Enrico Bartolini, Osteria, Enoteca, Wellness, Hochzeits- und Eventlocation – ein ganzes Dorf wird zum Toskana-Wonderland. Ganz in der Nähe liegen das bekannte Gourmetrestaurant Bottega del Trenta und der immer besser in Fahrt kommende Geheimtipp L’Asinello.

Im Westen des Chianti Classico empfehlen bekannte Winzer das Tenda Rossa in Cerbaia, L’Antica Scuderia in Tavarnelle, Cum Quibus in San Gimignano, die Antinori Osteria in der Badia a Passignano und das sehr verlässlich-gediegene Albergaccio in Castellina. Seit Jahrzehnten steht jedoch das Zweisternerestaurant Arnolfo der Gebrüder Trovato in Colle Val d’Elsa an der absoluten Spitze. Die drei sehr gekonnt zubereiteten Menüs sind kompromisslos: Evoluzione Contemporanea (160 Euro) mit kreativen Fischgerichten, Essenze del Territorio als Deklination von Fleisch in allen Formen (140 Euro) und als vegetarischer Gegenpol dazu Architetture Vegetali (120 Euro). Als einzigen Kritikpunkt muss man die viel zu stark riechenden Lilien an jedem Tisch nennen, alles andere ist perfekt.

Zum Abschluss empfiehlt sich ein Abstecher über das Festungsdorf Monteriggioni nach Siena, wo man am besten ein gutes Hotel mit Parkservice wählt. Am Fuß der Stadt übergibt man das Steuer an einen Fahrer der Garage, der einen zum Hotel bringt und am Abreisetag wieder abholt. Der Dom zeigt sich innen schöner als der von Florenz, und die Piazza del Campo ist auch ohne Palio spektakulär. Ein Touristenlokal reiht sich dort an das andere, wobei man auf der Terrasse des Il Mangia sogar vernünftig bewirtet wird. Die besten Restaurants sind in einer engen Seitengasse: Das legendäre Le Logge und sein moderner Herausforderer PorriOne gleich gegenüber.

Antinori-Kulinarik

Das heute von den drei Töchtern des Doyens Piero Antinori – Albiera, Allegra und Alessia – geführte weltberühmte Weinhaus hat auch einige interessante kulinarische Adressen zu bieten: vier Mal Cantinetta Antinori (Florenz, Zürich, Wien und Moskau) mit authentisch-feiner Toskanaküche und aktuell nur zwei Mal Procacci (Florenz und Mailand), nachdem Wien derzeit geschlossen ist und an einem neuen Standort aufsperren soll. Auch auf seinen Weingütern betreibt Antinori Agriturismi mit Kochkursen und Restaurants. Das beste ist die Osteria di Passignano auf dem gleichnamigen Chianti-Weingut, das kürzlich auch einen Michelin-Stern bekam. Ein Weingutsbesuch bei Antinori nel Chianti Classico, dem grandiosen Weingut in Bargino, das auf seinem Dach auch die ganz vorzügliche moderne Osteria Rinuccio 1180 zu bieten hat, wird zum unvergesslichen Erlebnis. Die im Internet buchbaren Besichtigungs- und Verkostungsprogramme für die verschiedensten Ansprüche komplettieren ein vorbildliches weintouristisches Angebot.

Florenz

Trattoria Mario
Via Rosina, 2r, 50123 Firenze
www.trattoria-mario.com

Omero
Via del Pian dei Giullari, 47, 50125 Firenze
www.ristoranteomero.it

Da Ruggero
Via Senese, 89, 50124 Firenze
Tel.: +39/055/22 05 42

Cibrèo
Fabio Picchi, Via del Verrocchio, 8r, Firenze,
www.cibreo.com

Enoteca Pinchiorri
Via Ghibellina, 87, 50122 Firenze
www.enotecapinchiorri.it

Hotel Scaletta
Via de’ Guicciardini, 13, 50125 Firenze
www.hotellascaletta.it

Chianti Classico

Officina della Bistecca
Antica Macelleria Cecchini
Via XX Luglio, 11, 50022 Panzano/Chianti
www.dariocecchini.com

Ristoro di Lamole
Via Lamole, 6, Frazione, 50022 Lamole FI
www.ristorodilamole.it

Albergaccio
Via Fiorentina, 63, 53011 Castellina/Chianti SI
www.ristorantealbergaccio.com

Arnolfo
Via XX Settembre, 50, 53034 Colle di Val d’Elsa SI
www.arnolfo.com

Le Logge
Via del Porrione, 33, 53100 Siena SI ­
www.osterialelogge.it

Rinuccio 1180
Via Cassia per Siena, 133, 50026 Localita’ Bargino, San Casciano Val di Pesa FI,
www.antinori.it

Hotel Castello di Spaltenna
Via Spaltenna, 13, 53013 Gaiole/Chianti SI
www.spaltenna.it

Borgo San Felice
Località San Felice, 53019 Castelnuovo Berardenga SI
www.borgosanfelice.it