Tabuzone Teller
Neigungsgruppe "mutig essen". Esstabus von A bis Z. Was grauslich ist, was verboten ist. Geschmacklosigkeiten werden in jeder Kultur anders definiert.
Text: Alexander Rabl
Tragen Sie die folgenden Seiten immer bei sich, wenn Sie in einer Runde von weit gereisten und ausgekochten Feinschmeckern speisen wollen. Sie können damit beweisen, dass Ihr kulinarischer Horizont weit über Lammrücken und Rispentomaten aus dem Supermarkt hinausreicht. Hier ist das A bis Z kulinarischer Mutproben und Ausnahmezustände.
A wie Andouillette "AAAA"
Diese Wurst ist ein Labsal für Hardcore-Fans der Lyonnaiser Innereienküche. Sie besteht fast nur aus Kutteln und Darmgekröse und weist eine dementsprechende Ausdünstung auf, die an verdautes Gras und Stallgeruch erinnert. Dazu wird gerne Erbsenpüree aufgetragen, das so grün ist wie das Gesicht des Gastes, der die Andouillette im Bistro bestellt hat, ohne zu wissen, was in ihrem Inneren auf ihn wartet. Eine Flasche Cognac in greifbarer Nähe wäre dienlich.
B wie Blut
Die Engländer sagen zur Blutwurst Black Pudding, was ihren eleganten Sinn für schwarzen Humor erkennen lässt. Wenn es auf dem Teller ein bisschen unheimlich wird, ist öfter Blut im Spiel. Wenn dich heimtückische Freunde in einen Innviertler Gasthof entführen und dort überreden, die mit frischem Blut gebundene Hasensuppe zu bestellen und auch zu essen, wunderst du dich, wo das RTL-Team bleibt, das dich bei dieser Mutprobe filmen wird.
C wie Cuisse des nymphes d’aurore
Unter dem schwungvollen Titel "Schenkel der Nymphen der Abendröte" servierte der große Escoffier dem Prince of Wales dereinst Froschschenkel, die in England damals wie heute nicht den Kultstatus genießen wie in Frankreich, während man in Asien, Afrika oder Südamerika weniger verschwenderisch mit Herrn Frosch umgeht und ihn samt Haut und Knochen verputzt. Auf Österreichs Speisenkarten sind Frösche so rar wie Rindfleisch in Indien, und es bedarf schon einiges Aufwandes, bis man sich höchstpersönlich davon überzeugen kann, dass die Schenkel der kleinen Qua-Quas schmecken, nein, nicht wie Tafelspitz, sondern tatsächlich wie Huhn.
D wie Drossel
Drosseln und andere Singvögel waren im alten Rom, später in Frankreich und England beliebte Hauptdarsteller auf den Tellern, bei deren Zubereitung sich die Köche allerhand einfallen ließen. Das Essen der kleinen Vögel gilt heute in vielen Teilen Europas als politisch höchst unkorrekt. Ein Privileg, das ihre größeren Verwandten, die Ente, der Fasan oder die Hühner in ihren Massenkäfigen, zu ihrem Bedauern nicht in Anspruch nehmen können.
E wie Eier
Nicht nur wer in einem Wiener Kaffeehaus ein 4-Minuten-Ei bestellt und ein hart gekochtes Ei bekommt, weiß um die Unwägbarkeiten beim Verspeisen von Eiern. Wer jemanden kennt, der schon einmal ein tausendjähriges Ei verspeist hat, kann sich nach dessen drastischer Schilderung dieses exotischen Gaumenerlebnisses den Selbstversuch sparen.
F wie Fugu
Lieblingsspeise japanischer Yuppies in den Achtzigern. Als letzte Mahlzeit vor dem Hinüberscheiden würde man sich ein prägnanteres Aroma wünschen, aber zwischendurch genossen nicht unspannend.
G wie Gorilla
In zentralafrikanischen Ländern wandert Gorillafleisch in den Topf oder wird geräuchert auf der Straße angeboten. Das Argument, es handle sich dabei um eine gefährdete Art, greift zu kurz in einer Gegend, wo die Menschen so wenig zu essen haben, dass sie selbst zu einer gefährdeten Art zu zählen sind.
H wie Hund
In Hongkong, wo das Fangen und Töten von Hunden seit 1950 verboten ist, verwenden Fleischhauer und ihre Kunden einen Codenamen "Drei-Sechs-Fleisch", nach einem Spiel mit dem chinesischen Wort für die Zahl neun, das sich auf das Wort für Hund reimt. In Südchina, Hongkong, Teilen von Japan, Korea, Südostasien sowie in Mexiko, Mittel- und Südamerika zählt der Hund weniger zu den besten Freunden des Menschen, sondern vielmehr zu den meistgefragten Gaumenfreuden. Dass die Länder, in denen Restaurants Hundefleisch feilbieten, mit Imageproblemen im Westen zu kämpfen haben, ist bekannt. In Europa und Amerika sind Hunde nämlich tabu. Vor nicht allzu langer Zeit wurden in Südkalifornien zwei Mexikaner angeklagt, die einen deutschen Schäferhund verspeist hatten. Ob es dazu Sauerkraut gab, ist allerdings nicht überliefert. Ebenso wenig gibt es eine Untersuchung darüber, ob in Weltgegenden, in denen Hund auf dem Menü steht, die Gehwege und Parks der Städte sauberer sind als die Gehwege und Parks beispielsweise in Wien.
I wie Insektenlarven
Wenn man in Asien ein Reisgericht mit Koriander, Paprikastreifen, Sojasauce, Schalotten und etwas angeboten bekommt, das man in der Eile nicht übersetzen kann, hat man es vielleicht mit einer in asiatischen, afrikanischen und indianischen Kulturen durchwegs verbreiteten Delikatesse zu tun: der Fliegenlarve, bei uns weniger charmant auch unter dem Begriff Made bekannt. Sie dient als wertvoller Proteinlieferant, mit anderen Worten: so wertvoll wie ein kleines Steak!
J wie Jaycee-Klapperschlangenfest
Das Fest um die Klapperschlange im texanischen Sweetwater ist eine der größten Touristenattraktionen im amerikanischen Südwesten. In dem Buch "Strange Food" beschreibt der Autor Jerry Hopkins ein einfaches Jaycee-Klapperschlangenrezept: "Schlange töten, Kopf entfernen, am Schwanz etwa eine Stunde aufhängen. Häuten, ausnehmen, in Stücke schneiden. Zwei Stunden in Süßrahm marinieren. In Mehl oder Brotkrumen wälzen. Frittieren. Mit Louisiana Hot Sauce, Texas Pepper Sauce oder Tatarensauce servieren."
K wie Katze
Katze zu essen, gilt in China als Zeichen von Wohlstand, denn das Fleisch der Katze soll besonders gesund sein. Es ist weniger fett als Hund und sehr begehrt. Wo zu viel Katze gegessen wird, steigt allerdings die Rattenpopulation, was zum Beispiel in Indien niemanden aufregen würde, wo Rattenfleisch besonders gerne verkocht wird.
L wie Lamminnereien
In der römischen Küche gehören Lammhirn, -zunge oder -bries zu den Standards. In Österreich werden sie, wenn überhaupt, nur an Eingeweihte verabreicht, die davon schwärmen.
M wie Mäuse
Die Feldmaus wird in Thailand von Reisbauern als Delikatesse bevorzugt, die damit ihre Felder von Schädlingen säubern, wie Jerry Hopkins in seinem Buch "Strange Food" schreibt. Auch Babymäuse, so Hopkins, werden gerne gegrillt, mit einer Dipsauce aus Ingwer, Chili, Knoblauch und Koriander serviert. Ob das in unseren Breiten bei Jung und Alt so beliebte Micky Maus-Schnitzel auch aus dieser Region stammt, kann niemand so genau sagen.
N wie Nervetti
Nervenstränge des Rindes, die in der italienischen Küche seit der BSE-Krise nur noch höchst selten verarbeitet werden. Sozusagen der Fugu des Südländers.
O wie Ohren
In Frankreich, und nicht nur dort, wo es dem Selbstverständnis einer sich auf bäuerliche Traditionen berufenden Gesellschaft entspricht, wirklich alle Teile eines Tieres zu verwerten, gehören die Ohren vom Schwein und Kalb zu den Spezialitäten, derer sich auch höchstdekorierte Köche annehmen. Wer in Österreich Schweinsohren probieren will, könnte zum Beispiel im Wiener "Castillo" in der Riemergasse, einer der raren Stätten frankophiler Verpflegung, fündig werden.
P wie Pemmican
Karl May-Leser wissen, was hinter diesem Begriff steckt: Das Wort stammt aus der Sprache der Indianer Nordamerikas und lässt sich mit "Reisfleisch" übersetzen. In einer Zeit, als es noch keine Inzersdorfer Dosen gab, wurde Pemmican aus getrocknetem Büffelfleisch hergestellt, vermischt mit Büffelfett und, so vorrätig, Trockenobst, das zermahlen wurde.
Q wie Quallen
Wieder ein Lebensmittel, das nach wenig bis nichts schmeckt und dessen Genuss durch seine gesundheitliche Wirkung gerechtfertigt wird. Man könnte auch vermuten, weil Quallen zu den weniger beliebten Meeresbewohnern zählen, die dem Schwimmer und Strandspaziergänger hässliche Verbrennungen zufügen, ist der Grund, warum sie auf dem Teller landen, einfach simple Rache.
R wie Ratten
Ratten gelten in Asien, Afrika oder Lateinamerika als willkommene Delikatesse und wurden im vorigen Jahrhundert auch in Frankreich mit Genuss und Sauce verspeist. Noch während des Zweiten Weltkriegs wurde in Paris Ratte gegessen, doch ist sie mittlerweile total aus der Mode gekommen, weshalb es von Pierre Gagnaire auch kein Rezept dafür gibt.
S wie Skorpion
Eine interessante Auswahl an Skorpionen, so Jerry Hopkins in "Strange Food", wird in einem Lokal in Singapur angeboten. Man frittiert sie, nachdem sie eine Zeit lang in Wein mariniert wurden. Skorpion ist außen knackig und innen leicht mehlig und wird im Ganzen verspeist. Wie vielen anderen wenig verlockenden Gerichten sagt man dem frittierten Skorpion wohltuende gesundheitliche Wirkung nach.
Vielleicht stellen Sie ja Ihren Kindern nächstes Mal Skorpion als Alternative in Aussicht, wenn sie wieder einmal den Spinat verweigern.
T wie Tucker
Bush Tucker – "Tucker" heißt im australischen Slang nichts anderes als "Essen" – wird in "Dschungel"-Restaurants angeboten und zwar zu Luxuspreisen, was so manchen Aborigine verwundern mag, für den Kängurufilets, Straußensteaks oder Krokodilspießchen noch bis vor kurzem zur gewöhnlichen Alltagsküche zählten.
U wie Urin
In Indien sagt man, menschlicher Urin könne Krankheiten heilen, hielte die Haut jung und wirke gegen Unreinheiten. Höhepunkt für Anhänger der Eigenurintherapie ist Urinfasten, bei dem es nichts gibt außer Urin und Wasser, sozusagen die fernöstliche Alternative zum Käsepappeltee.
V wie Vogelnestersuppe
Teuerste Suppe der Welt aus den Nestern von Vögeln (Salangansegler, Schwalben), die sich kurz vor der Brutzeit von Seetang ernähren, der viel Gelatine enthält. Dieser Tang macht ihren Speichel, mit dem sie die Nester bauen, dick und klebrig. Die Nester sind an den Wänden von Höhlen befestigt, was die "Ernte" (die besten Nester gibt es übrigens im Monat März) unter Zuhilfenahme von bis zu 150 Meter hohen Leitern zum lebensgefährlichen Unternehmen macht. Vogelnestersuppen werden in China überall feilgeboten, in Garküchen wie in den feinsten traditionellen Restaurants, wobei die Stadt Hat Yai die größte Dichte an Vogelnesterrestaurants aufweist.
Wie bei vielen so genannten Delikatessen ist der aberwitzig hohe Preis der Nestsuppe nicht durch ihren Geschmack begründet (Sie schmeckt, wenn überhaupt, nach warmem Speichel, worüber man durch die Beigabe von Hühnerfleisch oder Hai hinwegzutäuschen versucht.), sondern durch ihre angebliche magische Wirkung.
W wie Weiße Nierndln
Eines der Codewörter, unter denen Sie bei eingeweihten Oberkellnern nicht ein fragendes Heben der Augenbraue erreichen, sondern kurze Zeit später – in Österreich verboten – Stierhoden serviert bekommen, deren Verzehr – sie ähneln in Konsistenz und Geschmack ein wenig dem von Bries, sind aber manchmal auch etwas zäh – weniger Mut erfordert als diese lauthals im Gasthaus zu bestellen. Wer sich nach dem Verzehr der Hoden des Stiers bedeutende Verbesserungen seines Liebeslebens erhofft, wird möglicherweise enttäuscht sein.
X wie Dr. Li Lian Xing
Der chinesische Arzt ordiniert im Imperial Herbal Restaurant in Singapur, wo er, so Jerry Hopkins in "Strange Food", seinen Gästen je nach deren Befindlichkeit bestimmte Speisen und Getränke empfiehlt. Darunter auch eine Penissuppe, die aus Wild- oder Rinderpenisen, Reiswein und chinesischen Kräuter-Gewürz-Mischungen zubereitet wird.
Y wie Yak-Butter
Der Yak ist ein Verwandter des Büffels, der in Zentralasien, Tibet und Nepal lebt und sich als Nutztier guten Ruf erworben hat. Aus seiner Milch lässt sich Butter gewinnen, die aus diesen Ländern nicht wegzudenken und in vielerlei Verwendungen auftaucht, als Beigabe im Tee oder als Haarpomade, während man im Butterregal im Meinl am Graben vergeblich danach suchen wird.
Z wie Zampone
Zampone sagt man in Italien zu einer Schweinswurst, die in die ausgenommene Haut eines Schweinsfußes statt in einem Darm platziert wird. Sie garantiert einen unvergesslichen Showeffekt am Tisch und wird traditionellerweise heiß und mit Linsen serviert, was Stunden nach der Mahlzeit einen Eindruck im Magen hinterlässt wie ein Faustschlag von Klitschko. Die Verabreichung der köstlichen Zampone erfüllt allerdings weder in Italien noch in Österreich den Tatbestand der vorsätzlichen Körperverletzung.