Think big

Regional ist total angesagt, trotzdem: Wie wär’s mit Vielfalt statt Einfalt?

Text von Eva Rossmann · Illustration von Malin Rosenqvist

Viele Köche verderben ja angeblich den Brei. Bloß wer kocht heute noch Brei? Und sollte es sich um den inzwischen weltumspannenden Convenience-Einheitsbrei handeln, hätte ich nichts dagegen. Aber: Mag es die zertifizierten und in jeder Beziehung berechneten „Laberln“ – so sagt man bei uns im Weinviertel zu diesen, sonst köstlichen Fleischlaibchen, Fleischpflanzerln, Frikadellen – geben, samt Matschbrot, viel Verpackung und diesem nachfolgenden flauen Gefühl im Magen, bei dem ich nie weiß, ob es sich um Hunger oder Übelkeit handelt. Sollen sich die „Gestopften“ am anderen Ende von „common food“, also dem allgemein Bekannten, an der ewiggleichen mörderischen Stopfgänseleber delektieren, weil auch der dümmste Esser weiß, dass das Zeug kostbar ist: Die Vielfalt ist es, die Kochen und Essen spannend macht. Quasi zu einer Entdeckungsreise über Zeit und vor allem auch über unseren Raum hinaus, einer, die im Unmessbaren, dem genussvollen Augenblick, ihren Höhepunkt findet.

Das Beste aus der Region! Köche und Gastrosophen beten es vor: Selbstverständlich nehmen wir nur natürlichste Produkte vom Nachbarn. Und die Rezepte, die haben wir von der Großmutter. Wir kochen wieder auf unserem alten Herd. Legen selbst ein. Backen eigenes Brot. Schwirren früh morgens in Lederhose oder Dirndl durch Felder und Wiesen und Wälder, um eigenhändig Kräuter zu sammeln. Glücklich, sie danach den Gästen gemeinsam mit allem anderen ums Eck Gewachsenen kredenzen zu können. Es kann keinen kulinarischen Herrgott geben (sorry, Herr Witzigmann!), sonst hätte das ganze Gesocks ob seiner Lügen schon der Blitz getroffen. Reden wir jetzt gar nicht von dem Billigstschnitzel aus der Tiefkühlpackung: Kleine Gasthäuser tun sich zunehmend schwer, bei einem verlangten Menüpreis von fünf Euro mehr zu bieten. Und natürlich machen wir auch beim Buchinger die klare Gemüsesuppe bloß aus Gemüse und sonst auch nichts und das ist gut so. Und das Fleisch ist aus der Umgebung. Weil es in jeder Beziehung dumm und kurzsichtig ist, dass Lebensmittel zu weit reisen. Siehe Knoblauch aus China. Aber trotzdem: Welcher Gast hält es aus, einen ganzen Winter lang nur sorgfältig gelagerte Karotten, Bohnen, dazu vielleicht noch Kraut und Rote Rüben zu essen? Der Salat kommt von woanders her. Die Zucchini auch. Das Olivenöl sowieso.

Aber das wollen die begeisterten Langsamesser (man sollte sich das Wort auf der Zunge zergehen lassen, dann könnte es zu Langsa-Messer werden, etwas, das nicht alle kennen und das deswegen – womöglich nur deswegen! – bei den vereinigten Koch-Schickis zu einem Verkaufsschlager werden könnte), die LokalpatriotInnen und Gourmetlokalhocker nicht hören. „Regional“ liegt einfach voll im Trend. Klein ist fein. Die EU? Unverdaulich und undurchschaubar, da ist es doch weit besser auf der eigenen kleinen Insel zu sumpern und erst gar nicht zu versuchen, über Zusammenhänge, Gemeinsamkeiten oder gar so etwas wie Solidarität nachzudenken. Groß ist unangenehm, geht irgendwie über unseren Horizont hinaus und kann erschrecken. Darf es auch. Wenn ich zum Beispiel an das Konzept der Großschlachthöfe denke. Fabriken zur effizienten Tötung von Lebewesen mit Augen und Zungen und sanften Mäulern und einem Herz, bei dem jedenfalls klar ist, dass es schlägt. Wo der Sitz der Seele ist und bei wem sie sich niedergelassen hat, darüber wird seit der Antike nachgedacht. Dafür bekommen alle Prügel vor die Füße, die ihre Tiere mit Anstand und daheim vom Leben zum Tod befördern möchten.

Und trotzdem: Wie wäre es, sich der „Europäischen Küche“ anzunähern? Wir sind alle EU. Um die gemeinsame Währung machen wir uns schreckliche Magenkrämpfe, während ein paar wenige immer fetter werden. Aber wenn es ums Eingemachte, nämlich Leben und Überleben, also zumindest doch Nahrungsaufnahme, geht, da wollen wir von nichts wissen. Vielleicht hat es damit zu tun, dass viele unserer Volksvertreter magenkrank aussehen. Man will sich nicht anstecken.

Dabei ist immer schon über unsere engen und immer engeren Grenzen hinaus genossen worden. Die klassische französische Küche etwa, die kommt aus Italien. Behaupten zumindest italienische Küchenfreaks und gewisse Kulturhistoriker. Weil Caterina de’ Medici von Florenz nach Paris gegangen ist, um einen Heinrich zu heiraten, der später König wurde. So eine ging nie allein in derartige Abenteuer. Sie nahm auch ihre Köche mit. Und die sollen den damals noch ziemlich mittelalterlich kochenden Franzosen beigebracht haben, wie man Eis, feine Desserts, aber auch raffinierte Fleischgerichte macht und das Ganze dann auch noch in die klassische Menüreihenfolge von sauer auf süß bringt. Nix mehr großes Stück Fleisch am Spieß, sondern Tournedos, wie später vom Rossini (der ja königlicher Hofkomponist und Generalinspekteur des Gesangs in Frankreich war) mit Trüffel und allem Drum und Dran. Würde man derartige Klassiker einfach als europäisch bezeichnen, der italienisch-französische Küchenstreit wäre zusammengefallener Eischnee von gestern, Uralttextur, Molekularschaum, den man entsorgt.

Zum Beispiel das mit den Teigtascherln: Die gibt’s (wieder einmal) quer durch Italien, aber selbst in Kärnten und in Zypern, doch nicht nur dort. Man feiert Piroggen als Landesspezialität im karelischen Teil Finnlands, in Estland, in Litauen. Kann schon sein, dass die Italiener auch dort kulinarisch umtriebig waren. Aber es ist wahrscheinlicher, dass sie aus einem anderen Grund so vielfältig auftauchen. Weil sie nämlich vom fernen Osten gekommen sind. Einmal über den Landweg von China und Russland, einmal über den Seeweg (an-geblich mit Marco Polo, aber der war nicht nur Abenteurer und Geschäftsmann, sondern vor allem Geschichtenschreiber und ich kenne deren Hang zum Aufschneiden, ich komme aus der Branche).
Oder: Man ist schlicht da und dort draufgekommen, dass man, richtig verbunden, Mehl und Wasser füllen kann.

Einmal im Monat sollte es einen Abend im EU-Parlament geben, bei dem alle Kommissare und Botschafterinnen, alle Geschäftsträger und Aktenträgerinnen anwesend sein müssten. Da würden dann quer durch die Länder Rezepte – zum Beispiel eben für Teigtaschen – ausgetauscht. Was es da für Gemeinsamkeiten zu entdecken gäbe! Welch unterschiedliche Nuancen geschmeckt werden könnten! Und das dürfte man dann weitergeben an die daheim. Was? So füllen die Letten ihre Teigtaschen? Und: Die zypriotischen Ravioles sind fast nicht zu unterscheiden von gewissen Schlutzkrapfen? Wie kann das sein? Worin unterscheiden wir uns sonst nicht? Was können wir voneinander abschauen?

Endlich wäre es kein Problem mehr, dass vieles aus dem Mehlspeisenland Österreich eigentlich aus Böhmen kommt. Noch dazu, wo wir uns den nördlichen Nachbarn auch jetzt noch gerne überlegen fühlen, weil sie ja lange hinter dem „eisernen Vorhang“ waren, während unsereins immer ach so demokratisch, weltoffen, aufgeschlossen, mit voller Reisefreiheit gewesen ist, sogar bis Jesolo und Caorle, wo man dann das Wienerschnitzel quasi in die Heimat zurückimportiert hat. Weil wer will schon im „Ausland“ was Fremdes? So kann man sich täuschen. Denn unser Schnitzel hat nicht die Maria Theresia erfunden (auch wenn sie so aussieht), sondern der umtriebige Prinz Eugen dürfte es bekanntlich aus Italien mitgebracht haben.

Und jetzt geht’s noch um die Wurst. Weil, was eine, die bisweilen das Weinviertel verlässt, um fremde Lebensformen zu erforschen, seit langem beschäftigt: Warum heißen die langen dünnen Dinger bei uns „Frankfurter“, während sie in Frankfurt und Umgebung „Wiener“ genannt werden? Steckt da irgendeine Bösartigkeit dahinter? „Du Würstchen“ ist nicht unbedingt positiv besetzt, ganz abgesehen davon, dass diese ja auch viel mehr scheinen als sie (meistens) sind: Nämlich Wasser, Pökelsalz, Mehl, ein wenig Fleisch, das man zu nichts anderem als zu Brät verarbeiten konnte, je nach Qualität mit mehr oder weniger „E“s angereichert, also diesen kennzeichnungspflichtigen angeblich nicht besonders gesunden, jedenfalls aber kaum naturnahen Zusatzstoffen. Ist nicht lange her, da hat einer eine Radioumfrage gemacht, wofür denn dieses „E“ stehe. Die meisten haben vermutet für EU. Nachdem Sprache bekanntlich Bewusstsein schafft, meine Idee: Benennen wir die „E“s um, am besten in „X“s, damit würde man die Wenigsten beleidigen. Und dafür taufen wir zumindest die Wiener/Frankfurter in „Europäer“ um. Und dann kann man ja auch gute Würste machen. Es gibt sogar gutes Tiramisu. Und das, obwohl es nicht in Italien, sondern in Deutschland erfunden wurde. Während die Pizza in Venedig gleich unbekannt war wie in Hamburg. Weil eben in Süditalien daheim. Hm. Und in ähnlicher Form übrigens auch in der Türkei. – Gehören die womöglich doch zu uns?

Noch was: Die besten frittierten Erdäpfel gibt es, zumindest für mich, … nicht in England. Auch nicht in Frankreich, trotz aller Sonderformen wie den Pommes Pont-Neuf, nicht einmal in Belgien. Wo sie sich ja weiß was drauf einbilden, dass sie traditionell noch mit Rinderfett gemacht werden. Ich finde: Man schmeckt’s. Und das Rinderfett ist aus gutem Grund weitgehend abgekommen. Es gibt sie in: ZYPERN. Ausgerechnet auf jener Insel, die momentan so in der Krise ist. Und es ist einfach erklärt: Die nehmen die richtigen Kartoffeln dafür. Und sie haben ein Herz für nicht zu fett und dafür knusprig Frittiertes. Wie überhaupt fürs Kochen und fürs Essen. Möge es ihnen helfen, das Finanzdisaster zu verdauen. Und: Wäre nicht schlecht, wir würden von ihnen lernen. Zumindest Pommes zu machen.

Gut. Es lässt sich behaupten, die „Europäische Küche“ gäbe es nicht, auch sie sei nicht eigenständig, sondern habe vieles von auswärts im Wortsinn vereinnahmt, aber: Wir können doch wenigstens so tun, als gäbe es sie. Derartiges tun wir doch sonst auch. Neben dem wunderbar Regionalen. Mit all den Querverbindungen und Nuancen. Es wäre ein schmeckbarer Anfang. Vielfalt statt Einfalt. Und bitte, einfach hin und wieder, ein wenig über unseren Tellerrand hinaus.