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Silvio Nickol
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Nobler Gourmettempel im Palaishotel an der Ringstraße. Es lohnt, die eventuell vorhandene Schwellenangst zu überwinden. Das Haus verspricht nicht nur einen der besten Weinkeller der Welt, sondern auch eine herausragend gute Küche. Silvio Nickol ist erklärter Produkt- und Qualitätsfetischist. Balfegó Bluefin Tuna aus nachhaltiger Zucht im spanischen Tarragona zum Beispiel. Das edle Filet liegt in einer betörend intensiven Dashi, ist mit etwas Mango und mild-scharfem Suave-Chili angerichtet. Der dazu servierte Sauvignon blanc Kapelle 2017 von der an diesem Tag offerierten Weinbegleitung bekam von Willi Balanjuk 100 Punkte. Man gibt das auch für diese Kombi. Wer in den letzten Jahren einmal bei Silvio Nickol gegessen hat, kennt das Gericht: die kunstvoll inszenierte Waldlandschaft aus Entenleber, Pilzen, Fichtenwipfeln, Kräutern und Schokolade. Jedes Mal aufs Neue ein Genuss mit der ganzen Bandbreite von Textur, Kraft, Frucht und Fett. Eine scharf angebratene Jakobsmuschel ist mustergültig präzise außen kross und innen glasig-saftig. Das feine Stück schwimmt in einem Schaum aus Aromakomponenten wie Blutwurst, Kohl und Schwarzer Trüffel – erdig und elegant zugleich. Ebenso fordernd der aus der Wiener Blün-Zucht stammende Waller. Über das Fischfilet ist eine Schicht gelierter Gulaschsaft gestülpt. In der Beurre blanc sorgen Liebstöckelöl und Kaviar für einen zusätzlichen Aromaflash. Silvio Nickol forciert ganz bewusst intensive Eigengeschmäcker, sucht und findet Umami, ist aber niemals auf der penetranten oder gar überwürzten Aromenseite. Ganz nebenbei kommt da als Minizwischengang ein Tatar, geschnitten aus dem Bruststück eines Ibérico-Schweins. Die cremige Textur, das alles einnehmende Fett, ist von einer geschmacklichen Urgewalt, die lange währt. Es ist die Einstimmung auf den ersten Fleischgang des Abends, Ibérico Presa, ein saftiges, intensiv marmoriertes Nackenstück, mustergültig rosa gegart, begleitet von Bohnen, Speck, Marille und einer belebend säuerlich gehaltenen Sauce. Die eigentliche Sensation ist aber die elastisch-vital wirkende Textur des Fleischstücks, die an Taube erinnert. Derart Intensives braucht einen neutralisierenden Zwischengang in Form eines Chawanmushi. Die alte Txogitxu-Kuh hat es nach dem Ibérico schwer, ebenfalls so zu gefallen. Artischocke, Poverade und Shiitake als Begleiter sind gefällig behilflich. Auch hier wieder perfekte Garung und eine mächtige Sauce, die dank ihrer spitzen Säure für eine elegante Note sorgt. Kompliment! Es gibt hierzulande nur ganz wenige Fine-Dining-Adressen, die in einem Menü gleich mit zwei dermaßen gelungenen Fleischgängen beeindrucken können. Es folgt ein fantastisches Yuzu-Parfait, das die geschmacklichen Attribute der Modezitrusfrucht eindrucksvoll zur Schau stellt. Es folgen Desserts, die allesamt lieber nicht zu süß sein wollen und damit einerseits die dazu servierten Süßweine umso besser ins Bild rücken, andererseits aber auch einmal mehr zeigen, wie subtil die Nickol-Küche neue Wege und Nuancen sucht und findet.
