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Smartphones und Digitalkameras verändern die Gastronomie. Fotografieren bei Tisch ist heute Usus. Was das Taj Mahal mit dem Noma zu tun hat, wie Köche über Werksspionage denken und warum Foodblogger das Mittagsgeschäft beleben.

Text von Anna Burghardt · Fotos von Julia Stix · Location: Le loft www.sofitel.com

Wenn ich in einem Restaurant einen Teller vor mir habe, denke ich nicht ans Fotografieren. Sondern ich denke ans Essen.“ Juan Amador macht fast nie Fotos, wenn er bei Kollegen essen geht. Und damit ist der Deutsche beinahe ein Relikt. Denn iPhone und Co haben Restaurantbesuche und die Kommunikation darüber gehörig verändert. Während früher das Fotografieren bei Tisch gerade einmal japanischen Touristen erlaubt war, die beim Figlmüller unbedingt das sagenumwobene Riesenschnitzel oder im Sacher die berühmte Torte für die Nachkommenschaft bewahren wollten, gehört es heute schlichtweg dazu. Mancherorts mehr, anderswo weniger, abhängig vor allem davon, wie spektakulär ein Lokal ist. Im Noma etwa wird „an jedem Tisch von jedem Gast jeder Gang fotografiert“, wie es ein junger Wiener Gastronom ausdrückt, der kürzlich dort war und dem diese Tatsache als allererste auf die prinzipielle Frage „Wie war’s im Noma?“ einfiel. „Wirklich jeder sitzt mit dem Handy da.“ Das hat nicht nur damit zu tun, dass die Teller vielleicht anders angerichtet sind als hierzulande. Man hat auch so und so lange auf einen Tisch gewartet, hat möglicherweise die ganze Reise rund um den Besuch des Noma oder eines ähnlich gehypten Lokals geplant – verständlich, dass man dieses Erlebnis dokumentieren will. Wer einmal zum Taj Mahal reist, macht schließlich auch Fotos. Und bringt Souvenirs mit.

Wenn man zusätzlich nicht nur Noma-Gast, sondern selbst Koch ist, ist es doch richtiggehend Pflicht, „mitzuschreiben“, mit welchen Gerichten sich die Kollegen des Lokals, das wiederholt zum Besten der Welt gekürt wurde, diesen Titel verdienen.

Steirereck-Küchenchef Heinz Reitbauer hat mit dem Fotografieren bei Tisch kein allzu großes Problem. „Erstens muss man es so oder so akzeptieren. Es trifft uns alle gleich und wir können es nicht ändern.“ Und so ein großes Ärgernis sei es auch nicht. „Solange nicht jemand mit dem Blitz oder mit ständigem Aufstehen die anderen Gäste stört, soll’s so sein.“ Früher sei Fotografieren in Restaurants richtiggehend ein No-go gewesen, sagt er, auch wegen Riesenblitz und Tamtam, „aber heute liegt das Handy eh ständig am Tisch“. Für Reitbauer ist der Trend jedenfalls ziemlich präsent. „Wir merken das sehr stark. Das ist wirklich ein Phänomen unserer Zeit.“ Ein kamerabewaffneter Gast wurde noch vor wenigen Jahren geradezu der Werksspionage verdächtigt, erzählt der Steirereck-Küchenchef: „Vor sieben, acht Jahren ist einmal ein Kellner zu mir gekommen und hat gesagt, nur dass Sie Bescheid wissen, Herr Reitbauer, da drin sitzt einer und fotografiert.“ Heinz Reitbauer lacht auf. „Heute würde das keiner mehr sagen, an jedem zweiten Tisch wird fotografiert!“

Diese Entwicklung wird freilich nicht von allen Köchen mit demselben Gleichmut hingenommen: Silvio Nickol etwa hat mit dem Fotografieren bei Tisch gewisse Probleme, auch wenn er zur Kenntnis nimmt, dass es heutzutage Usus ist. „Solange andere Gäste im Restaurant nicht gestört werden, können unsere Gäste zur Erinnerung gerne Fotos von den Gerichten machen.“ Zum Problem werde es erst, wenn Bilder von mieser Qualität im Netz die Runde machen, wenn also schlecht geblitzte Fotos, unscharfe oder solche in zu geringer Auflösung in Zusammenhang mit Silvio Nickol kursieren, oder auch solche, auf denen der Teller schlecht in Szene gesetzt wurde. Umso ärgerlicher, als das Restaurant im Wiener Palais Coburg ja selbst aufwendige Foodfotos produzieren lässt. „Viele Amateurfotos sind für den Koch insofern unvorteilhaft, als sie neben der schlechten Bildqualität nie das Gesamterlebnis, das ein Besuch bei uns bietet, vermitteln können“, beklagt Silvio Nickol. Dieses Gesamterlebnis – das sein gleichnamiges Restaurant auffallend gern und oft propagiert – bestehe ja für den Gast nicht nur durch die optische Präsentation eines Gerichtes, sondern dahinter stecke eine Dramaturgie im Menü, der aufmerksame Service und so weiter, lässt Nickol verlauten. Allerdings muss man zur Verteidigung der Amateurknipser einwenden: Von diesem Drumherum ist auch nichts zu sehen, wenn ein Teller professionell abgelichtet wird.

Die Gefahr, dass schlechte Fotos dem Ruf von Köchen und Köchinnen schaden könnten, weil man ihnen dann unprofessionelles Arbeiten vorwerfen könnte, sieht Reitbauer indes nicht wirklich: „Die meisten Leute erkennen es ja, wenn Blogfotos von Amateuren stammen und nicht von uns. Und wenn Mitarbeiter von mir wo essen waren und mir dann Fotos zeigen, entschuldigen sie sich sogar für die schlechte Qualität und sagen, na ja, das schaut jetzt auf dem Foto nicht so gut aus wie in echt.“ Und außerdem, sagt Heinz Reitbauer, seien manche Fotos wirklich schon erstaunlich gut, „wir hatten schon welche von professionellen Fotografen, die schlechter waren.“ Und es liegen Welten zwischen Mittag- und Abendfotos, sagt er. Das ist natürlich auch den Fotografierenden selbst bewusst, ist in so manchem Onlinekommentar zu lesen. Und für manche Blogger ist das bessere Licht sogar Anlass, Restaurants stets zu Mittag zu besuchen.

Nicht nur Foodblogger, auch reisende Köche schießen vermutlich täglich abertausende Fotos. Für kulinarische Bildungsreisen, wie sie mittlerweile jedes Toplokal unternimmt, sind Smartphones oder Digitalkameras ein Segen: Teller geknipst, gespeichert, verschickt. Köche können so nicht nur eine eigene Datenbank mit Esserlebnissen und Gedanken dazu anlegen. Sie können ihrem Team nach der Rückkehr oder auch schon während der Reise anschaulicher zeigen, was sie meinen, wenn sie von Ideen anderer Küchenchefs reden. Und genau das stößt Silvio Nickol sauer auf: das Thema der Plagiate. „Es passiert immer wieder, dass wir hier im Gourmetrestaurant ein Gericht kreieren – und sobald es im Internet kursiert, wird es kopiert.“ Das Wort Fotokopie bekommt da gleich eine neue Bedeutung. Er gehe prinzipiell ohne Kamera essen, sagt Nickol. Während einerseits aber das schnelle Fotografieren und Publizieren die Werksspionage in der Gastronomie vereinfache, sei diese Praxis gleichzeitig ein Riegel für hemmungsloses Kopieren, meint Heinz Reitbauer: „Köche, die – sagen wir einmal – unsauber arbeiten, fliegen heute leichter auf. Es liegt alles offen.“ Man kann nicht mehr so tun, als sei dies und jenes seine eigene Idee gewesen, wenn das Gericht gleichzeitig hundertfach in Handys, E-Mail-Postfächern, auf Facebook oder in Foodblogs dokumentiert ist.

Interessant ist das Phänomen dieser neuen Bilder für diverse Theoretiker, man könnte es etwa analog zu Walter Benjamins Aufsatz „Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit“ aus dem Jahr 1935 untersuchen. Was bedeutet es für die „Aura“ von Gerichten (diesen Begriff verwendete der Philosoph), die vielleicht monatelang entwickelt, erprobt und schlussendlich mit größter Sorgfalt für den Gast angerichtet wurden, wenn davon nachlässig geknipste Fotos im Netz kursieren, oft auf Jahre? Möglicherweise meint Silvio Nickol doch genau diese „Aura“, wenn er vom Wegfallen des Gesamterlebnisses auf Amateurfotos spricht. Ebenso lohnend könnte es sein, sich über das Foodfoto an sich Gedanken zu machen. Die darstellende Fotografie als Kunstform etwa kennt ein Dilemma: Die Bildkomposition, also die Wahl des Ausschnitts, des Lichts etc., tritt oft zugunsten des Abgebildeten in den Hintergrund. Man interessiert sich mehr für das Ding oder den Menschen, der fotografiert wurde, als für das formale Ansinnen des Künstlers. Bei Foodfotos im Internet ist ein anderes Problem zu beobachten: Die Urheber werden verwechselt. „Irre gute Bilder“, heißt es da in einem Foodblog als Kommentar zu mäßig gelungenen, weil stark geblitzten und unscharfen Abbildungen von Gerichten eines Spitzenlokals. Gemeint ist freilich: Wahnsinnskomposition auf dem Teller. Das Lob gebührt dem Urheber, dem begabten Koch, geäußert wird es gegenüber der Abbilderin, der unbegabten Fotografin.

Wer es weniger kompliziert möchte, stellt vielleicht einfach Überlegungen an wie Heinz Reitbauer, der das Phänomen des permanenten Fotografierens in Restaurants eher zu praktischen Zwecken hinterfragt. „Dass sich die Küche in den letzten Jahren so rasant verändert hat – zwischen einem Teller vor zehn Jahren und heute liegen ja Galaxien! –, dazu hat auch die Verbreitung von Foodfotos geführt.“

Das würde vermutlich auch Konstantin Filippou blind unterschreiben: Der ehemalige Novelli-Küchenchef klickt sich nicht nur gern durch Foodblogs, die sich weltweit neuen Lokalen widmen, sondern fotografiert auch selbst viel und zeigt gern her, was er macht. „Nach dem Motto: We have to share our food and spirit with the world.” Die neuen Möglichkeiten seien wichtig, um Gerichte oder Restaurantkonzepte der ganzen Welt zu präsentieren. „Momentaufnahmen für die Ewigkeit – ich finde diese Entwicklung sensationell.“ Filippous Smartphone ist auch beim Essengehen sein ständiger Begleiter, er nimmt auch Kurzfilme damit auf. „Ich erinnere mich gerne an jeden Restaurantbesuch und dokumentiere jede meiner Reisen. Wobei ich mich auch ohne Bilder über Jahre genau an Gerichte erinnern kann.“

Das Foto als Erinnerungsstütze – dieser Gedanke hilft manchen Köchen vielleicht dabei, das Facebook-Zeit-Phänomen positiv zu sehen. Silvio Nickol etwa hat ja nichts dagegen, wenn private Erinnerungsfotos von Gerichten gemacht werden. Heinz Hanner sagt: „Ich kann’s nicht beeinflussen, also ist es mir egal. Ich finde es eigentlich ganz schön, wenn Leute sich per Foto an ein Essen bei mir erinnern.“ Und Heinz Reitbauer sieht das ähnlich: „Früher sind die Gäste mit Gefühlen hinausgegangen, heute haben sie Gefühle und Fotos.“ Deftiger drückt es freilich Juan Amador aus, der Koch, der selbst fast nie Fotos macht: „Mir ist das scheißegal.“ Was früher die Notizen waren, sei heute eben das Foto, glaubt er. „Wenn ich was in einer Zeitschrift sehe, das können ja auch Kosmetika sein oder so, fotografier ich’s.“ Nur ein Essen, das isst er lieber. Amador ist jedoch eines nicht scheißegal: Wenn es Foodblogger sind, die da seine Gerichte fotografieren – „und es sind gerade die, die alles fotografieren“. Denn das seien die größten Parasiten: „Schäbig ist das – schreib: schäääbig mit äää –, dass die glauben, sie können gratis essen, nur weil sie alles fotografieren und darüber schreiben.“