Bitte zahlen!

Getrennt oder gemeinsam? Beim Zahlen macht der Wirt dem Gast oft einen Strich durch die Rechnung. Und umgekehrt.

Bitte zahlen!

Text von Eva Rossmann Illustration: Peter Zolly
Es war an einem der Abende, die Menschen, die mit der Gastronomie Geld verdienen sollten, an sich mögen. Das Lokal gesteckt voll, die Personalkosten niedrig (auch weil die Suche nach einem geeigneten Kellner bisher ergebnislos verlaufen ist). Und so war es der Besitzer selbst, der herbeieilte, als Tisch 3 zahlen wollte. Die Damen bestanden auf getrennter Rechnung. Der Wirt wusste, wer aller und was alles noch wartete und bat sie daher, doch bitte selbst auszurechnen, was eine jede konsumiert hatte. Empörung. Oder hatten sie gar, die Volksschulzeit lag ja bei allen schon ein Weilchen zurück, die Grundrechnungsarten nicht mehr so parat? Der Wirt versuchte es mit einer Mischung aus seinem ungarischen Charme und Weinviertler Sturheit. Die Damen konterten, dass er sie ja schon zu Beginn des Abends fragen hätte können, ob sie getrennt oder gemeinsam zahlen wollten, dann hätte es von Anfang an vier Rechnungen gegeben und alles wäre paletti.
Wenig später waren sie dennoch am Addieren und Dividieren und am Tisch neben ihnen nahmen zwei Paare Platz. Unser lernfähiger Gastronom eilte auf sie zu, gab ihnen die Speisekarte und fragte höflich: "Wollen Sie gemeinsam oder getrennt zahlen?" Also bitte! Wie er auf die absurde Idee kommen könne, man würde getrennt zahlen? Und überhaupt: So etwas frage man nicht. Irritiert zog sich der Wirt hinter die Schank zurück. Also wie jetzt? Was jetzt?
Aber die Sache mit dem Geld ist wohl überhaupt die, dass es Streit nur so anzuziehen scheint. Warum sollte man ausgerechnet in der Gastronomie davon verschont bleiben? Geld ist eben nicht bloß Tauschmittel gegen Ware, oder in diesem Fall gegen Essen und Trinken, es ist viel mehr. Unter anderem ist es eines der erprobtesten Mittel, um anderen zu imponieren. Das kann man auch bei den diversen Gockelkämpfen beobachten, bei denen sich Männer (kaum jemals sind es übrigens Frauen und ich glaube nicht nur, weil sie – leider – immer noch seltener zahlen) um die Begleichung der Rechnung duellieren. Diesmal sei man nun wirklich an der Reihe …, aber bitte, es wäre doch ausgemacht gewesen, dass man …, immerhin würde man der sein, der eingeladen habe … – vieles beginnt liebenswürdig. Spätestens nach dem dritten Satz im Austausch von Argumenten werden die Münder schmal, die Augen hart. Man will gewinnen und sei es um den Preis der Rechnung. Perfider für einen gutgläubigen Menschen wie mich wird dieses Spiel an schön gedeckten Tischen nur, wenn es sich dabei auch noch um Scheinkämpfe handelt. Wenn einer oder mehrere der Beteiligten eigentlich gar nicht gewinnen wollen, sondern nur so tun als ob. Weil verlieren und nicht zahlen müssen, praktisch gesehen, ja den messbareren Profit in sich birgt. Also umgockelt man sich mit Argumenten, um im letzten Moment großzügig mit einem "Danke, aber wirklich nur unter Protest" klein beizugeben.
Souveräne Kellner warten in so einem Fall mit ausdruckslosem Gesicht das Ende der Debatte ab. Sich einzumischen wäre fatal und womöglich auch für das Trinkgeld schädlich. Apropos Trinkgeld: So gut wie alle servierenden Menschen sind ausgesprochen egalitär – sie bewerten ihre Gäste weder nach Aussehen (okay, manchmal kann es bei gewissen Kellnern schon helfen, blond zu sein) noch nach der Herkunft, vielleicht ein wenig nach dem Benehmen, aber letztlich vor allem an dem, was überprüfbar ist. Dem Trinkgeld nämlich. Es ist natürlich Anerkennung für ihre Arbeit, für guten Service. Es ist auch – teilweise dringend notwendiger Zuverdienst. Aber in erster Linie ist es einfach, was es ist: Geld. Es war sicher weder Konfuzius noch ein anderer der üblichen weisen Sprücheklopfer, sondern ein erfahrener Oberkellner, der es einst formulierte: Nur Bares ist Wahres. Geben Sie einem Ober ein viel zu hohes Trinkgeld. Vielleicht wird er denken, Sie wollen auf den Putz hauen, vielleicht murmelt er beim Bier danach seinen Kollegen zu, dass da heute wieder einer mit dem Geld nur so herumgeworfen habe, dass er es sicher nicht ehrlich verdient haben könne. Kommen Sie am nächsten Tag, in einer Woche oder vorausgesetzt, die Höhe des Trinkgeldes war bemerkenswert genug – auch in einem Monat wieder, der Ober wird Sie mit 99-prozentiger Wahrscheinlichkeit mit ausgesuchter Höflichkeit behandeln. Es gibt ja zahlreiche Studien über kollektives Lernen in der Tier- und Menschenwelt. Ich bin überzeugt davon, der Berufsstand der Kellner hat es kollektiv verinnerlicht, dass nach einem hohen Trinkgeld auch das nächste Mal ein hohes Trinkgeld winkt. Und jede Servierkraft verhält sich danach. Egal, ob sie nobel zurückhaltend (manchmal vornehmer als ihre Gäste), kess, unterwürfig, beflissen oder patschert wie ein Betriebsunfall auftritt.
Trinkgeld zu nehmen ist jedenfalls einfacher, als es zu geben. Das bewahrheitete sich wieder einmal anlässlich einer Hochzeitsfeier, an der ich in Buchingers Gasthaus "Zur Alten Schule" kochenderweise beteiligt war. Der Bräutigam gilt in der Gegend als nicht ganz unvermögend, jedenfalls aber ist er Fabrikant. Am Ende des rauschenden Festes gab er ein – mittelgroßes – Trinkgeld und bat, die Rechnung der Schwiegermutter zu übermitteln. Die Rechnung ging also ins Burgenland, sie wurde auch bezahlt, nur wertete die burgenländische Sparmeisterin das Trinkgeld quasi als Akonto-Zahlung und zog es von der Rechnungssumme wieder ab. Reich möge sie werden – und was ihr der eine oder andere in ihrem Leben sonst noch gewünscht haben mag, hat hier keinen Platz.
Vor solchen nachträglichen Überraschungen ist nur gefeit, wer von vorneherein alle anderen Zahlungsarten als Bargeld ausschließt. Der Besitzer eines idyllischen und bestens bewerteten Restaurants sorgt dafür, dass das allen klar ist, bevor sie sein Lokal betreten. Er hat schon im Garten große Warnschilder aufgestellt, dass hier ausschließlich bar zu bezahlen ist. Der listige Gastronom erspart sich so natürlich die diversen Abschläge der Kreditkartenfirmen. Überdies verhindert er eine zusätzliche Kontrollmöglichkeit für misstrauische Finanzbeamte. Er erlebt auch nicht, dass die Kredit- und Bankomatkassa ausgerechnet dann den Geist aufgibt, wenn alle damit zahlen wollen. Unser Herr Rudi hasst diesen Apparat (wie alle Apparate) aus seiner tiefsten Künstlerseele herzlich. Und obwohl beim Buchinger seit Jahren mit Kreditkarte gezahlt werden kann, rät er schon deswegen allen zu den bunten Euroscheinen. Der alte Schauspieler, der bei uns nun schon seit Jahren einen Kellner mimt (der aus Dinner for One könnte sein Vorbild sein, er hat ihn längst übertroffen), nutzt auch den Zahlvorgang an sich für eine seiner Showeinlagen. Wenn er gut drauf ist (das hat unter anderem mit dem Stand des Mondes und dem Spielglück von Rapid zu tun) und jemand nach der Rechnung verlangt, strahlt er auf und sagt in seinem einzigartigen serbischen Deutsch so etwas wie: "Zahlen! Is er scheen! Is er scheenstes!" Ein Teil findet es witzig. Ein anderer Teil … na ja. Geschmäcker sind eben verschieden, unser Rudi aber bleibt unser Rudi.
Ich selbst zahle übrigens ganz gerne auch in Restaurants mit Kreditkarte. Es ist selten, dass ich viel Bargeld mithabe, und ich möchte eigentlich nicht mitrechnen müssen, ob sich die teurere Flasche Rotwein noch ausgeht. Die Befindlichkeit von Gastronomen in allen Ehren, aber meine eigene ist mir eben auch einiges wert. Ich kann’s ja durch ein nicht zu kleinliches, in bar gegebenes Trinkgeld wiedergutmachen. Dass ich als Frau in besseren Lokalen zahle, hat übrigens nicht nur damit zu tun, dass ich es mir zum Glück leisten kann. Es hängt auch mit jenen seltsamen Speisekarten ohne Preise zusammen, die man da und dort immer noch bekommt. Irgend jemand, der seinen Kopf zu lange in einem Salamander gegart hat, ist auf die Idee gekommen, dass Menschen (in erster Linie Frauen), die nicht zahlen, auch nicht wissen sollten, wie viel der Einladende (in erster Linie der Mann) für ihr Essen ausgibt. Egal, ob man Frauen damit unterstellt, dass sie sich sonst bescheiden das Billigste aussuchen oder dass sie im Gegenteil hinter dem Teuersten her sind, man unterstellt Frauen damit jedenfalls auch, dass sie den üblichen Preisunterschied zwischen einem Filetsteak und einem Surschnitzel nicht erahnen können. Begegnet mir eine solche Speisekarte, bitte ich umgehend nach einer mit Preisen, lächle freundlich und erkläre leise: "Ich zahle." Mag sein, dass es das Weltbild eines Kellners oder eines Wirts nicht auf Dauer verändert, aber allein diese kleinen Irritationen im Geschlechtergefüge sind mir schon ein paar Euro wert. Ansonsten gebe ich zu, dass ich mich auch gerne einmal einladen lasse.
Das mit dem Einladenlassen und was dafür als Gegenleistung verlangt, erbeten oder stillschweigend erwartet wird, ist eine Geschichte für sich. Ein Sonderfall dabei sind Gastrokritiker. Vor kurzem durfte ich an einer Podiumsdiskussion im weinreichen Retz teilnehmen. Eines der diskutierten Themen lautete: Darf sich einer, der über Lokale schreibt, vom Lokalbesitzer einladen lassen? Die eigentlich selbstverständliche Antwort wurde gegeben, man lege es nicht darauf an, habe es auch nicht nötig, und spätestens wenn man einem Restaurantbetreiber zuflüstere, dass man die Rechnung sowieso von der Redaktion ersetzt bekomme, sei das mit dem Zahlen kein Problem. Es war etwas anderes, das mich verblüfft hat: Beide Gourmet-Profis berichteten von Lokalbesitzern, die ihnen freudestrahlend einen Querschnitt aus ihrer Küche versprachen, viele kleine Gänge (auch wenn sie manchmal lieber so wie "gewöhnliche" Gäste aus der Karte wählen wollten), die besten Weine des Hauses – und dann werden 15 Speisen, egal wie groß sie waren, als 15 Speisen verrechnet, dazu die Weine, und am Schluss kommt eine Rechnung heraus, die jeden Menüpreis bei weitem übersteigt. Kleingeister könnten sagen, das sei eben der Ausgleich dafür, dass sich Gourmetkritiker wohl doch nicht immer gegen Einladungen wehren können, aber ich kann verstehen, wenn da ein übler Nachgeschmack bleibt. ==== Zurück zu unserem Ausgangspunkt, den getrennten Rechnungen. Vor kurzem war ich beim Heurigen. Das aufstrebende Winzerehepaar Haindl-Erlacher schenkt nur hin und wieder und auch nicht bei sich zu Hause, sondern im idyllischen "Himmelkeller" aus. Anders als im Weinbau sind sie in diesem gastronomischen Seitenfach zwar ambitioniert, aber keine Profis (und müssen es auch gar nicht sein). Wir hätten noch ein Achtel genommen, aber Walter Erlacher saß an einem der weiter entfernten Heurigentische. Auch recht. Erst im Gehen haben wir mitbekommen, was ihn dort so lange festgehalten hat: getrennte Rechnungen.
Wenn keine Einladung angesagt ist und alle ohne Gockelkämpfe um die Rechnung leben können, warum dividiert man die Tischrechnung nicht einfach durch die Anzahl der Köpfe? Wenn eine fast nichts gegessen hat, legt sie etwas weniger in die Mitte, wer mehr gegessen – oder getrunken – hat, legt etwas mehr hin. Kann schon sein, dass jemand um ein paar Euro gewinnt oder verliert. Aber beim nächsten Mal schon wird er zu den "Gewinnern" gehören. Was aber alle (nicht nur die Kellner) gewinnen, sind Nerven und Zeit. Und mit jemandem, der es nicht aushält, dass er fünfzig Cent mehr ausgegeben hat, als auf der Rechnung gestanden wäre, möchte ich eigentlich ohnehin nicht essen gehen. Egal, wer zahlt.