Bon Japon
In Paris mischt eine neue Generation japanischer Köche die Restaurantszene auf. Und verwischt dabei die Grenzen zwischen zwei der erfolgreichsten Küchenmodellen der Geschichte.
Text und Foto von Georges Desrues
Mit Sojasauce kann Katsuaki Okiyama nicht viel anfangen. „In den eineinhalb Jahren, in denen ich mein eigenes Lokal betreibe, habe ich sie erst ein einziges Mal verwendet“, sagt der Koch und deutet auf eine fast volle Flasche, die hinter seinem Rücken im Regal steht. Dabei ist es durchaus nicht so, dass ihm die in der Küche seiner Heimat unerlässliche Würzsauce nicht schmecken würde; ganz im Gegenteil. „Sojasauce hat an sich schon so viel Geschmack, dass es ganz egal ist, was man damit würzt – schmecken wird es immer“, sagt der 36-Jährige. Genau deswegen aber vermeide er ihren Einsatz, weil das für einen professionellen Koch schlichtweg zu einfach wäre. „Ich arbeite lieber hiermit“, fügt er lachend an und holt einen großen Topf Crème fraîche und einen Kilo-Würfel Butter aus dem Kühlschrank.
Okiyama gehört zu einer Gruppe Pariser Köche, die eigentlich kaum etwas verbindet – außer, dass sie aus Japan stammen. Fast ein Dutzend Lokale hat die französische Hauptstadt in den letzten zwei Jahren aus dem Boden schießen sehen, deren Besitzer und/oder Küchenchefs Japaner sind. Das alleine wäre freilich nichts Besonderes, gehört doch Paris zu den europäischen Städten mit den meisten japanischen Restaurants überhaupt. Und es wäre auch dann nicht erstaunlich, würden die Japaner in französischen Restaurants arbeiten und französische Küche nachkochen, wie das viele schon seit Jahrzehnten tun. Nein, das wirklich Neue an der Entwicklung ist, dass es weder Lokale mit typisch japanischer noch typisch französischer Küche sind, die die Japaner eröffnen, sondern solche, die sich so leicht nicht einordnen lassen, weil sie den individuellen Stil des jeweiligen Kochs widerspiegeln. „Man kann durchaus von einer neuen, einer dritten Generation von japanischen Köchen sprechen“, sagt Yoshitake
Hiroki, der ebenfalls ein Restaurant nahe der Seine betreibt, wo er mit Gerichten wie Foie gras mariniert in Saikyo Miso bereits einen Michelin-Stern erkocht hat, „die erste Generation kam in den 60er-Jahren und voller Bewunderung für die französische Küche, sie lernte französisch zu kochen und kopierte den französischen Stil, manche davon sogar mit durchschlagendem Erfolg.“
Die frühen 80er-Jahre und die plötzlich erwachte Leidenschaft der Europäer für rohen Fisch brachte die zweite Generation nach Paris. Es war die Zeit der Sushi-Bars, aber auch der massiven japanischen Investitionen in Europa, die eine Fülle von Geschäftsleuten aus dem Land der aufgehenden Sonne in Frankreichs Hauptstadt schwemmte. Um sie zu
versorgen, entstanden im Bankenviertel rund um die Pariser Oper unzählige japanische Suppen- und Nudellokale, von denen viele bis heute weiterbestehen.
Jetzt spricht man also von einer dritten Generation. „Dabei handelt es sich um Japaner, die sich von alledem befreit haben“, sagt Yoshitake Hiroki, „weder geht es uns darum, wie ,gehorsame Söldner‘ die Küche der Franzosen einfach zu kopieren, noch interessiert es uns, ein exotisches japanisches Restaurant zu führen.“ Vielmehr wolle man Persönlichkeit einfließen lassen und eigene Speisen kreieren. „Das ist tatsächlich neu und ziemlich erstaunlich, denn unter Japans Köchen herrscht kulturell bedingt ein anderer Zugang zum Lernen“, sagt dazu der französische Dreisternekoch Sébastien Bras, der selbst ein Restaurant auf der Insel Hokkaido betreibt, „ich habe dort Köche erlebt, denen es vor allem darum geht, alles haargenau so zu kochen, wie es ihre Väter und etliche Generationen vor ihnen getan haben, oder aber so, wie es ihnen die französischen Köche vorführen.“
Genau das hat sich geändert. Anstatt sich für die eine oder andere Richtung zu entscheiden, vermischen die jungen Japaner mit beeindruckender Selbstsicherheit diese beiden wohl einflussreichsten Küchenmodelle der Geschichte, die auf den ersten Blick so gut wie alles trennt. Auf der einen Seite das französische Modell, das allerspätestens nach seiner Kodifizierung durch Auguste Escoffier Ende des 19. Jahrhunderts und bis in die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg die Küchen dieser Welt beherrschte, und das sich auszeichnet durch Vielschichtigkeit und Opulenz, durch montierte Saucen, Butter und Crème fraiche. Auf der anderen Seite die Reinheit der japanischen Schule mit ihren kurzen Garzeiten, ihrem Streben nach Purismus, nach Reduktion und Gewichtslosigkeit.
Wie eigenständig und zugleich unterschiedlich die Pariser Japaner an die Aufgabe herangehen, zeigt sich schon am Typus Lokal, den sie betreiben. Während das Restaurant Sola des Sternekochs Hiroki in einem ehemaligen gutbürgerlichen Gasthaus untergebracht ist, dessen rustikaler Landhausstil samt freiliegendem, hölzernen Deckenbalken im Erdgeschoß mit dem japanisch eingerichteten Speiseraum im Souterrain kontrastiert, werkt der Sojasaucen-Verweigerer Okiyama in einem winzigen Lokal in einem abbruchreif wirkendem Haus mit Graffitis an den Außenwänden; was allerdings keinerlei negative Auswirkungen auf den Ruf und den Geschäftsgang des Abri benannten Restaurants hat. So wurde ihm erst im Vorjahr der Ehrenpreis vom trendigen Restaurantführer „Le Fooding“ verliehen und müssen Reservierungen schon zwei Monate im Voraus getätigt werden. Was wohl auch an den für Pariser Verhältnisse durchaus zivilen Menü-Preisen von 25 Euro zu Mittag und 40 Euro am Abend liegt. Dafür erhält man naturgemäß wunderschön Angerichtetes wie etwa Blanc manger aus Ziegenmilch mit Karotte, Grapefruit, Vanille, Limetten und Senfblättern als Vorspeise, gefolgt von einem erstaunlichen Schollenfilet mit Topinambur-Reduktion, Honig und Rosmarin; und zum Abschluss einen Mille-feuille mit Schokolade und grünem Tee – dem einzigen japanischen Element im Menü. „Naja, dass ich Japaner bin, will und kann ich ja gar nicht bestreiten“, sagt Okiyama lachend in einem für 14 Jahre Frankreich-Aufenthalt doch noch recht gebrochenen Französisch. In der Zeit vor der Selbstständigkeit hat er in mehreren „restaurants gastronomiques“ gearbeitet, wie die Franzosen ihre Spitzenrestaurants nennen, darunter klingende Namen wie der Drei-sterner Robuchon oder der Klassiker schlechthin, nämlich der Zweisterner Taillevent. Seine eigene Zukunft sieht er eher in der „bistronomie“, also der gehobenen Küche im einfachen Rahmen und zu zivilen Preisen, wie sie seit einigen Jahren in der französischen Hauptstadt en vogue ist. „Ich bin den Parisern sehr dankbar für den Erfolg, den ich haben durfte, darum werde ich meine Preise auch nicht so schnell erhöhen“, sagt er.
Bei Yoshitake Hiroki ist das Ambiente gediegener, der Preis etwas strenger, die japanische Note ausgeprägter. So kombiniert der 33-Jährige mit seinem zehnköpfigen, rein japanischen Küchenteam französische und japanische Ingredienzien und Techniken zu sehr eleganten Gerichten wie etwa Tempura vom Mini-Maiskolben mit schwarzer Trüffel und Herbsttrompeten auf Maroni-Püree. Oder Filet-Mignon mit Zwiebelconfit, Lauchstangen und hausgemachtem Senf mit knusprigem Schweinsfuß und Yuzu – einer auch bei nicht japanischen Köchen zurzeit äußerst beliebten Zitrusfrucht.
Yuzu steht auch bei Kei Kowabashi auf der Karte. Der 33-Jährige gilt als Wunderkind und als Gallionsfigur der japanischen „nouvelle vague“ und hat bereits in seiner Heimat in französischen Restaurants gelernt und gearbeitet. Nach Paris kam er vor elf Jahren, sieben davon verbrachte er in Alain Ducasses Plaza Athénée, wo er bis zum Sous-Chef avancierte. „Gemeinsamkeiten gibt es durchaus, zum Beispiel besteht sowohl in der japanischen wie in der französischen Küche ein sehr ähnlich geartetes Gefühl und Bewusstsein für die Qualität des Produkts, selbst wenn dann häufig ganz anders damit umgegangen wird“, sagt der blondgefärbte Besitzer des nach ihm benannten Restaurants Kei, das vom Guide Michelin mit einem Stern bedacht wurde. Eben dieser sensible Umgang mit den Produkten ist es, für den Kowabashi genau so bekannt ist wie für die Genauigkeit seiner Garpunkte. Sein bretonischer Hummer etwa kommt nur kurz blanchiert zu Tisch, saftig und fest zugleich, die Taubenbrust scharf angebraten und dunkelrosa im Inneren, all das angerichtet, als wären es Gemälde. „In Wahrheit bereichern sich die französische und die japanische Küche schon seit Jahrzehnten gegenseitig und sind sich in dieser Zeit auch näher gekommen“, sagt Kowabashi, „darum achte ich auch überhaupt nicht darauf, wie japanisch oder französisch meine Küche ist, das beschäftigt mich gar nicht.“ Denn viel mehr als um das Talent des Kochs gehe es schließlich um das Talent des Produkts, fügt er augenzwinkernd an – und zitiert damit keinen geringeren als Frankreichs Kochsuperstar Alain Ducasse.
Adressen
Abri
92, rue du Faubourg-Poissonniere,
75010 Paris, Tel.: +33/1/83 97 00 00
Kei
5, rue Coq Héron, 75001 Paris
www.restaurant-kei.fr
Sola
12, rue de l’Hotel Colbert, 75005 Paris
www.restaurant-sola.com
Weitere Lokale mit japanischen Küchenchefs
Agapé
www.agape-paris.fr
H Kitchen
www.facebook.com/h.kitchen.sasu
Le Sot-l’y-laisse
www.facebook.com/pages/Le-Sot-lY-Laisse/286513241378695
Les Enfants rouges
www.les-enfants-rouges.com
L’Office
www.facebook.com/L.Office.Restaurant
Vivant Table
www.vivantparis.com/