Darf´s ein bisschen mehr sein?
Viele Hobbyköche spielen mit dem Gedanken, ein Restaurant zu eröffnen. Doch Vorsicht: Kochen zu können reicht dazu nicht. Geschichten von bürokratischen Verpflichtungen, kommunikativen Zwängen, einiger Zettelwirtschaft und vielen Rechenaufgaben.
Darf´s ein bisschen mehr sein?
Text von Eva Rossmann Illustration: Peter Zolly
"Wer so gut kocht wie Sie, der muss ja Erfolg haben", sagt ein Gast und strahlt den Buchinger zufrieden an. Buchinger strahlt zurück. "Ganz im Vertrauen: Ich hab selbst schon überlegt, ein Lokal aufzumachen. Ich koche sehr gerne und angeblich ziemlich gut", setzt der Gast nach. Buchinger versucht weiterzulächeln.
Auf seinem Schreibtisch liegen drei unausgefüllte Fragebögen. Die Reservierungen übers Internet sind seit gestern nicht abgefragt, weil erstens der Computer abgestürzt ist (das W-LAN ist irgendwie ein Wunder, aber andererseits auch zum Wundern) und zweitens der Abend ausgebucht war und es daher in der Küche hinreichend zu tun gab. Außerdem liegt die Mappe der radfreundlichen Betriebe über den Speisekarten, nur konnte noch kein besserer Platz gefunden werden, die Arbeitszeitaufzeichnungen der letzten Woche sind irgendwie mit den Dienstplänen für die nächste Woche durcheinandergeraten und eine Zeitung hätte gerne 800 Zeichen zum Thema Rauchen oder Nichtrauchen in Lokalen mit einem pixelstarken Foto, am besten mit einer Raucher-/Nichtrauchersituation. Bis gestern.
Kochen zu können ist für einen Koch mit eigenem Lokal natürlich die Grundvoraussetzung. Aber ganz abgesehen davon, dass es etwas völlig anderes ist, für einige Freunde ein begeisterndes Abendessen zuzubereiten und 50 oft sehr unterschiedliche Gäste froh zu machen (sagen wir 45, denn dass alle 50 glücklich sind, fällt schon eher unter glücklicher Zufall), und ganz abgesehen davon, dass ein überlebensfähiger Kochkünstler auch ein Rechenkünstler sein muss, gibt es in unserem schönen Land (und wahrscheinlich nicht nur da) überdies noch die lange gepflegte Tradition der Bürokratie. Nichts, das nicht geregelt und verwaltet, mit Vorschriften versehen und mit Durchführungsbestimmungen verdeutlicht werden muss. Die Gurkenkrümmung der EU kann gelernte Österreicher nur zum Lachen bringen. Neumodisches Zeug einer pubertierenden Versuchsbürokratie. Spätestens seit Josef II. wissen wir, dass etwas Unbestimmtes unordentlich, von Metternich lernten wir, dass Ungeregeltes verdächtig ist. Und gibt es keine Bestimmung, so erfindet man sicherheitshalber eine. Und ist keine erfunden, so behauptet man eine. Neue Medien und neue Menschen haben die klassische Bürokratie unter dem Vorwand zu entbürokratisieren in neue Dimensionen gebeamt. Dazu kommt nun der Zwang zur andauernden Kommunikation. Es gehört geschrieben und geantwortet, ausgefüllt und formuliert, kooperiert, besprochen und mitgeteilt. Und das rasch und immer rascher.
Feinspitze könnten allein in der Gastronomie mehrere Dutzend Arten der formellen und informellen Bürokratie unterscheiden. Manche Arten des erwarteten (oder verordneten) formelhaften Verhaltens haben ja einen durchaus positiven Anlass. Der Buchinger freut sich wie jeder Wirt über Reservierungen. Und dass sie seit geraumer Zeit auch über Internet möglich sind, ist eigentlich eine Erleichterung. Keine Uhrzeit, zu der jemand nicht auf die Idee kommen könnte, in drei Wochen zu viert abendessen zu wollen, und das sofort in ein entsprechendes E-Mail-Formular eintragen und es kommunizieren kann. Aber wenn der liebe Gast X uns am Sonntag um 10.30 wissen lässt, dass er am selben Sonntag um 12.30 gerne mit sechs Personen im Nichtraucherbereich speisen möchte, könnten sich Probleme ergeben. Durchaus möglich, dass Buchinger angesichts eines bereits voll ausreservierten Lokals um 10.30 in der Küche steht und das Galloway-Beiried anbrät oder die neue Beilage aus Radicchio, Chicorée und Erdäpfeln vorbereitet, anstatt wie der Geier vor dem Laptop zu hocken und auf Reservierungsanfragen zu warten, die er ablehnen muss. Endeffekt: Die Gäste kommen trotzdem und sind empört, dass er genau das nicht getan hat. Wozu gibt es ein Formular im Internet, wenn man es nicht immer und unter allen Umständen benutzen sollte? Mitdenken? Wofür (oder auch auf gut Österreichisch "zu waaas") gibt es dann das Formular?
Überaus nett ist es auch, wenn angesehene Gourmetführer Post schicken. Eine Menge Zettel mit der Bitte, die doch bis zu einem gewissen Zeitpunkt ausgefüllt zurückzusenden, sollte man Wert darauf legen, in ihrem Büchlein, in das natürlich nur die Besten der Besten aufgenommen werden, noch einmal vorzukommen. Meine Güte. So ein paar Zettel auszufüllen kann ja selbst für einen Koch kein Problem sein. Nur dass der Zeitpunkt des Eintreffens der Zettel ident ist mit jenem der Fischlieferung und dem Besuch der Frau des örtlichen Försters, die in der Kühlbox ein halbes Reh mitgebracht hat. Also legt man die Zettel auf den Stapel mit zu erledigenden Dingen (was macht übrigens diese Mappe für Radfahrer hier?) und widmet sich Näherliegendem wie Wels und Wild. Eine Woche später entdeckt man die Zettel wieder, es ist halb elf am Abend und das Lokal hat sich weitgehend geleert, man legt sie vor sich hin und gerade da kommt der Binder gemeinsam mit dem Meisl, gefolgt vom Krexner Pepi herein und der gelernte Wirt sieht ihnen an, dass sie durstig sind. Also Zettel zurück auf den Stapel und Gespritzte eingeschenkt.
Gefunden wird der Fragebogen einige Lämmer, Weinviertler Hühner und Stallhasen später, als man auf der Suche nach den Arbeitszeitaufzeichnungen ist und dabei wieder einmal auf die Mappe für radfahrfreundliche Betriebe stößt, die nie einen fixen Platz findet und ähnlich manch literarischer oder mystischer Gestalt zum ewigen Herumwandern verurteilt zu sein scheint. Dabei sollte sie sich an einer für Radfahrer, die das Lokal betreten, gut sichtbaren Stelle befinden. Erinnerung. Da war doch noch was. Die Fahne "radfreundlicher Betrieb" hat deutlich sichtbar vor dem Lokal angebracht zu werden, man hat es unterschrieben, ebenso wie das mit der Mappe und die Vorschrift, ein radfahrerfreundliches Gericht (was immer das sein soll) anzubieten. Also Buchinger raus aus dem Lokal, Platz für Fahne suchen. Aber dort, wo sie hinpassen würde, ist schon die Fahne zum UNESCO-Jahr des Erdapfels. Das war zwar schon 2008, aber noch gibt es keine neue und sie muss stehen bleiben. Das hat man beim Beitritt zur "Genussregion Österreich" unterschrieben. Nebst ins Auge springendem Hinweis in der Speisekarte auf Genussregionprodukte. Und da der Buchinger noch dazu zum ersten "Genusswirt Österreich" gekürt worden ist, landet die Radlerfahne schließlich als (sichtbarer) Aufputz in einem Blumentopf.
War Walter letzte Woche am Freitag bis 23 Uhr da oder doch nur bis 22.30 Uhr? Es ist gegen Mitternacht, heute ist Walter jedenfalls nicht mehr da und wir rätseln. Wer will schon den Arbeitsinspektor betrügen oder auch nur verunsichern? Dem Walter kann es egal sein, er hat eine Pauschale. Aber dass ein kleiner Gastronomiebetrieb anders funktioniert als ein Riesenhotel, ist der Bürokratie nicht einleuchtend. "Vorschrift ist Vorschrift", heißt es nicht nur beim Inspektor, wenn es ums Zuschnellfahren geht. Also planen wir das Selbstverständliche (ein Dienstplan eines Lokals, das von Donnerstag bis Sonntag offen hat und da immer recht gut gefüllt ist, hat ziemlich wenig Varianten, das wissen auch alle, die hier arbeiten) und beschreiben das schon Geschehene (das vom Plan vielleicht einmal durch einen Krankenstand abweicht). Sollte einmal ein Geburtsdatum eines Mitarbeiters nicht perfekt lesbar sein, dann droht eine Geldstrafe, hat man gerüchteweise vernommen. Also schön schreiben.
Zwischen einer Geburtstagsfeier der Gattin des lokalen Baumeisters, fünfzehn "Running Weinviertel" und einigen A-la-carte-Tischen ein Anruf zur Erinnerung: "Wo bleiben die ausgefüllten Unterlagen für den Gourmetführer?" Es ist eigentlich schon zu spät. Man habe ohnehin schon letzte Woche urgiert. Bei wem? Einer netten Dame.
Wer immer die nette Dame war (ich kann es nicht gewesen sein), Buchinger hat sie davon nichts erzählt. Wieder einmal überlegt mein Kochlehrer und Küchenfreund, ob er Einträge in diverser Gastronomieliteratur nicht einfach sein lassen soll. Und dann, fünf vor zwölf, im wörtlichen Sinn, füllen wir aus, tragen wir ein, ergänzen wir, weisen wir wieder auf unsere Ruhetage hin. Ich gehe ins Büro zum Fax und bin mir beinahe sicher, dass es nicht funktionieren wird. Wäre irgendwie naheliegend. Und dann die Überraschung. Die Leitung baut sich auf, alles gesendet. Froh verkünde ich die Botschaft. Und der Buchinger zeigt mir zwei andere Kuverts mit Zetteln von renommierten Guides. Auszufüllen bis vorgestern. Gerade als ich überlege, das heute noch zu erledigen (der Tag ist jung, noch nicht einmal ein Uhr nachts), kommt Susanne bei der Tür herein. Sie kümmert sich um die Buchhaltung und hat eine ganz dicke Mappe mit. Susanne ist in der Nacht ganz gerne munter. Außerdem weiß sie, dass Buchinger um diese Zeit eher Zeit hat. Irgendwas wurde falsch verbucht. Da gibt es Buchungsklassen, da reicht es nicht, Rechnungen zu haben und Belege und Auszüge, lächelt Susanne. Wir mögen sie sehr. Sie versucht, es so schmerzfrei wie möglich zu machen. Aber weh tut es doch.
Dafür gibt es am nächsten Tag von den Gästen am Tisch 1 dickes Lob für die Wiederentdeckung des Kardy (des Vorläufers der Artischocke, der bei uns im Winter so gut wächst). Einer dieser Gäste entpuppt sich als Journalist eines westösterreichischen Lokalblattes. Ob ihm Buchinger nicht bis nächste Woche drei Kardyrezepte zum Abdruck schicken könnte? Jeweils 700 Zeichen bitte, damit sie ins Layout passen. Und noch einen kleinen persönlichen Lebenslauf dazu. Und noch eine Anmerkung: Die Speisekarte auf der Internetseite, die sei wohl nicht mehr ganz aktuell. Da sei nämlich kein Kardy drauf. Und wie er darauf gekommen sei, die Radfahrerfahne in einen Blumentopf zu stecken und daneben, unter einer Folie, die Mappe für Radfahrer zu pflanzen? Wirklich witzig, ganz der unkonventionelle Buchinger. Immer kreativ. Und beim Kochen sowieso.