Der Appetit einer Stadt

Der Appetit einer Stadt Zur Kalibrierung des Geschmacks und zur seelischen Erbauung ein paar Tage zwischen St. Germain und der Bastille. Text von Alexander Rabl 1 Aus einem Ei kann vieles werden. Aus manchen wird ein Huhn. Doch die meisten werden Frühstückseier. Hartes Ei am Bartresen. Ei-Salat. Manche haben sogar wirklich Pech und werden als…

Der Appetit einer Stadt

Zur Kalibrierung des Geschmacks und zur seelischen Erbauung ein paar Tage zwischen St. Germain und der Bastille.

Text von Alexander Rabl

1 Aus einem Ei kann vieles werden. Aus manchen wird ein Huhn. Doch die meisten werden Frühstückseier. Hartes Ei am Bartresen. Ei-Salat. Manche haben sogar wirklich Pech und werden als zementartige Rühreier am Hotel-Frühstücksbuffet warm gehalten. Viel Ruhm ist das nicht und auch nicht viel Geld. Aber wenn du als Ei in der Pariser Ambroisie um 135 Euro verkauft wirst, dann hast du es geschafft. Oder auch im Pre Catelan um 105 Euro. Das sind die Deutsche-Bank-Chef-Posten, das Endgültige in der kurzen Laufbahn eines frischen Hühnereis. Bernard Pacaud kredenzt das Ei auf einem kross getoasteten Croûton, darauf gebreitet ernsthaft dimensionierte Scheiben von der schwarzen Perigord-Trüffel. Dazu eine kenntnisreich zubereitete und vor allem gehaltvolle Sauce aus Trüffeln. Wer da kurz die Nase hineinhält und den ersten Bissen nimmt, wenn sich das Dottergelbe und das Schwarze mischen, fragt sich nicht mehr, ob das 135 Euro wert ist. Auch keine Frage ist, dass man, wenn man erfahren will, wie viel ein Koch auf der Welt für ein Essen auf die Rechnung tun kann, nach Paris fahren muss. Moskau vielleicht oder New York kämen noch in Frage. Die Londoner haben ihre Lektion gelernt, agieren nach der Krise sehr verhalten. Doch wissen Sie was: Die Pariser Lokale, in denen mittlerweile ein Gang so viel kostet wie im Steirereck ein ganzes Menü – sie sind ausgebucht. Das wirft dann Fragen auf wie diese: Kann ein Essen so teuer sein? Muss ein Essen so teuer sein? Pacaud beantwortet solche Fragen in der Regel mit einem Teller. Bar de Ligne auf Artischocken und Kaviar. Auch der Fisch, aus dem diese Stücke geschnitten wurden, ist von beeindruckender Größe gewesen. Chefs wie Pacaud lassen sich die besten Fische und andere Dinge vorbeibringen. Die besten Stücke einer Lieferung kommen gar nicht auf den freien Markt. Sie werden von den Pariser Spitzenköchen vorher begutachtet und meistens gekauft. Was sie überlassen, bekommen die anderen. Manche aus Deutschland. Ganz wenige aus Österreich. Der Preis, den so ein Fisch für den Koch hat, ist beachtlich. Auf dem Teller befindet sich weiterhin Kaviar, Beluga wahrscheinlich, der Größe der Kugeln nach zu schließen und dem Aroma. Jetzt kann bald einer ein paar Luxusprodukte auf den Teller geben. Doch Pacaud kann auch kochen. Er hat es in Lyon gelernt, bei Mère Brazier, wo unter anderem auch Alain Ducasse gekocht hat. Er verteilt den Kaviar löffelweise auf dem Teller, bis er vollkommen bedeckt ist. Dann kommt ein ein Fond darüber, der gerade etwas mehr als Zimmertemperatur hat. Das lässt den Kaviar aromamäßig noch stärker zur Sache kommen, wird aber niemals penetrant und lässt den Kugeln ihre Statur. Der Meisterhandwerker, wenn es nicht der Chef persönlich war, der das zubereitet hat, kostet auch Geld und nicht wenig. Denn in Paris sind gute Köche knapp wie überall sonst auch und einer, der bei Bernard Pacaud gekocht hat, könnte sich diese Zeit im Nachhinein vergolden lassen. Solche Leute nicht ziehen zu lassen, bedarf einiger Überredungskunst. Man muss ihnen erzählen, dass die Welt da draußen böse ist, dass in den anderen Küchen der Stadt nur Amateure arbeiten und dass sie ganz unglücklich sein werden. Am Ende zählt vielleicht auch das Pekuniäre. Nicht dank einer Crew ohne viele Wechsel gilt das Am-broisie, ein absolut gegen jeden Trend resistentes kleines Restaurant unter den Arkaden des Place des Vosges, als heimliche Spitzenadresse der Stadt.


2 Eine Mittagsmaschine hat Verspätung. So etwas kann im Magen eines Menschen ernste Verwerfungen anrichten. Er sieht das Mittagessen in Gefahr. Ab zwei Uhr mittags geht in Paris fast gar nichts mehr an den guten Speise-Plätzen. Er sieht den Hunger gestillt mit einem Hühner-Salat im Café oder mit einer Choucroute in der 24-h-Brasserie. Kurz vor halb drei. Jetzt sind ein initiativer Geist sowie Köpereinsatz gefragt. Im Seitenfenster des Taxis taucht das Atelier de Robuchon auf. Aus dem fast noch fahrenden Taxi gesprungen. Marine-Kämpfer-artig auf dem Trottoir gelandet, ins Atelier gehechtet. Man hat noch acht Minuten Zeit, um ein achtgängiges Menü zu bestellen. Am anderen Tag sucht man in der Zeitung nach der Meldung „Robuchon rettete vier Österreichern das Leben“, doch man findet nichts.

3 Warum haben diese Pariser immer Hunger und Durst? Auch zuhause bleiben sie nur ungern. Sind ihnen die Wohnungen zu klein? Wochentags abends um zehn Uhr. Das Viertel um die Bastille. Eine Seitenstraße in einer eher ruhigen Gegend. Die Rue Paul Bert. Drei Lokale geöffnet, ein Bistro, ein Fischrestaurant und eine Bar. Vor den Lokalen warten die Gäste auf frei werdende Plätze, ein Glas Aperitif in der Hand. Darunter mischen sich die Raucher. Man lernt sich kennen. Im verwinkelten Bistrot Paul Bert sitzt man eng Tisch an Tisch, Rücken an Rücken, Teller an Teller. Freund Pierre hat mich hierher geschickt. Ohne seine Recommandation hätte ich wahrscheinlich den üblichen Weg machen müssen, was so viel heißt wie lange Wartezeiten. Warum es die Pariser hierher treibt, erklärt sich schon einmal bei einem kurzen Blick auf die Schiefertafel, die statt einer Speisekarte herumgereicht wird. Das Menü am Abend 30 Euro. Da kann man wählen zwischen frischem Spargel, einer Pastete aus Sauschädel mit eingelegtem Gemüse (geil, das!), Œufs au plat, also Spiegeleier mit Morcheln und Morchelcreme, dann Seezunge, Pot-au-feu, Paris-Brest und so ein Zeug halt. Die Portionen sind vernünftig. Weil es so ausgezeichnet schmeckt, muss ich am zweiten Tag gleich noch einmal hin. Wiederholungen gefallen nicht, soll Cäsar gesagt haben. Damals haben sie in Lutetia halt noch nicht so gut gekocht. Die Seezunge zum Beispiel, sie kommt in der idealen braunen Butter und ist von stolz erfüllender Größe. Das Geheimnis: Das Fischrestaurant neben dem Paul Bert und das Paul Bert gehören denselben Besitzern. Sie macht Fisch, er macht Bistro. Meine Servierdame ist Korsin. Sie empfiehlt mir einen leicht moussierenden Weißwein von ebendort. Der Wein knallt rein wie ein ganzer Tag am Strand ohne Sonnenhut, und auch am nächsten Morgen höre ich noch den Kanonendonner im Kopferl. Vorhin Paris-Brest erwähnt. Das ist ein Riesenbrandteigkrapfen, gefüllt mit einer nougatartigen Creme, umspielt von Mandelsplittern. Ein richtiger Nachtisch, keine Spielerei. Erst lange nach Mitternacht beginnt sich das Paul Bert zu leeren. Eine Metropole des Essens begibt sich langsam aber doch zur Ruhe.

4 Dabei reden alle von der Krise des klassischen Pariser Bistros. Die kleinen Berühmtheiten, die Ikonen der so genannten französischen Klassik am Herd, sie haben angeblich den Geist der Zeit verschlafen. Das macht sie ja schon sympathisch. Vor allem: Von welchem Geist reden wir da? Von dem, der es den Angestellten vergällt, eine angemessene Mittagspause einzulegen und sie in den Schnell-Imbiss treibt? Oder davon, dass McDonalds nach gewaltigen Anstrengungen der Marketingmaschinen in Frankreich den höchsten Zuwachs europaweit verzeichnet? Ausgerechnet. Manche der alten Bistros sind mit der Zeit auch einfach schlecht geworden. Die Pariser gehen immer noch hin, aber sie beginnen zu maulen.


5 Die sagen, dass die Pariser Köche am Tradierten festhalten, waren schon lange nicht mehr dort. Die Dichte an modernen Bar-Restaurant-Hybriden, an kosmopolitischen Bistros, High-end-Imbisslokalen und bestens bespielten Szene-Restaurants ist beachtlich. Neben London sicher das beste Angebot in Europa, wobei die Pariser den Vorteil haben, sich auf eine lange Tradition an der Sterne-Spitze berufen zu können. Die guten und die besten Restaurants dienen auch als Quelle für die gute und günstige Mittelklasse. Mittelklasse hat ja eine schlechte Aura. Das macht nicht wirklich Appetit. Muss man verstehen. In einer Stadt wie Paris meint man mit der Gastronomie der Mittelklasse kleine Einheiten wie das Paul Bert oder auch Ze Kitchen Gallerie, eine der wirklichen Erfolgsgeschichten der letzten Jahre.


6 Ze Kitchen Gallerie hat einige Auszeichnungen erhalten, was bedeutet, dass diese Art von Lokal nicht nur von den Gästen gestürmt wird, sondern auch von den Kritikern respektiert. Die Restaurantkritiker spielten in Frankreich immer schon eine andere, eine größere Rolle. Das Kulinarische an sich ist Gesprächsthema auch in den Feuilletons der großen Zeitungen. Doch bleiben wir in der Rue Saint-Augustin, einer wunderbare Straße in St. Germain. Ze Kitchen Gallerie ist ein Lokal mit wenig Schmuck und dafür ein paar ausgesuchten Bildern an den Wänden. Großes Brimborium ist nicht, die Tische sind eng platziert. Die Preise verdächtig günstig. William Ledeuil heißt der Chef, der aussieht wie ein gütiger Bruder von Daniel Auteuil, dem Filmschauspieler. Ledeuil brachte das Aroma der fernöstlichen Gewürze und Zutaten auf den Geschmack des Reisens. Vietnam, Thailand, Japan. Wie sagt man: Cuisine contemporaine, also eine Küche, die keine Grenzen kennt. Bunt und prächtig, vielleicht auch ein wenig exotisch ist, was Ledeuil auf die Teller bringt. Wir bestellen Wagyu-Beef. Es kommen ein paar rohe Scheiben, darüber eingelegtes Zitronengras und etwas roter Paprika, Thai-Basilikum, frisches Zitronengras. Dann, aus einer Kanne am Tisch, die fast heiße, klare Suppe mit asiatischen Aromen. Keine Effekthascherei, sondern sinnvoll, wenn man sehen kann, wie sich das Beef leicht verfärbt unter der Wirkung der Wärme, wie sich am ganzen Tisch mit einem Mal die Aromen verteilen. Und dennoch wirkt alles bei Ledeuil beiläufig. Ziemlich endgültig zubereitet, das ja, aber ohne Zeremoniell. Auch bei der Seezunge kein Fehler, keine Gewöhnlichkeit. Da ein bisschen eingelegte Zitrone, dann Rüben, gekocht und in dicken Scheiben, etwas Spinat, Sesam, ein paar kräuterige Zitate aus dem Thailändischen. Wie gut das schmeckt und wie leicht an einem Mittag. Bei den Desserts ein wundergutes rosa Grapefruitsorbet, eine knallgelbe Mangocreme, etwas aus aufgeschäumter Buttermilch.


7 Ein leichtes Mittagessen hat ja fast nur Vorteile, einer der wichtigsten: das Abendessen. Hier wählt der Pariser von heute immer öfter eines der angesagten Lokale, très branché, wie es heißt. Ein besonders angesagtes befindet sich mitten in St. Germain und heißt La Société. Es steckt in einem Gebäude gegenüber der Kirche und nur ein paar Schritte entfernt von den gefragten Tischen des Deux Magots. Das Société ist so dernier cri, dass man während der Pariser Fashion Week dort nur einen Tisch kriegt, wenn man Anna Wintour, Gaultier oder Sarkozy heißt. Das Lokal ist dunkel, die meisten Besucher braungebrannt, die Beine der Sommelière werden vielleicht das nächste Wahrzeichen von Paris. Wobei Sommelière. Wir trinken leichten Bordeaux. Dafür davon mehr. Auch so kommen das Société und unsere Lebern auf ihre Kosten. Man nimmt Taschenkrebs, ein Modegericht der Saison, und beginnt sich langsam zu fragen, wo die Menschheit diese vielen Taschenkrebse her hat. Wunderbar gemacht, mit locker hin gestreuten Salatblättern von bester Qualität. Das Krebsfleisch wirklich frisch, mit einer leichten Creme, die entfernt an die Krevettencocktails der Sechziger erinnert, sozusagen einzivilisiert. Das schmeckt gut. Das Steak danach, ja, wir bestellten Steak, eigentlich ein No-go unter avancierten Essern, ist ganz hervorragend. Wird aber noch übertroffen in seiner Sensationsartigkeit von den Pommes frites. Die kommen in großen Schüsseln und kein Tischnachbar schaut, wenn man mit den Fingern mampft. Weil sie es im Dunkeln nicht sehen können oder selber machen. Der Patissier hat hier wahrscheinlich wenig zu tun, bei der Dichte an schönen und schlanken Gästen. Der Österreicher-Tisch, der an diesem Abend zu Gast ist, macht ihm die Freude. Die kleinen Törtchen mit Himbeeren um 12 Euro schmecken köstlich. Dieser Österreicher-Tisch ist es auch, der noch eine Bestellung aufgeben will, als alle anderen Gäste längst in die Bar oder ins Bett gegangen sind. Das Hockenbleiben muss uns in den Genen liegen.

Paris

Ambroisie
9, place des Vosges
75004 Paris
T +33 (0)1-42 78 51 45
www.ambroisie-placedesvosges.com

L’Atelier de Joël Robuchon
Hôtel Pont Royal
7, rue Montalembert
75007 Paris
T +33 (0)1-42 22 56 56
www.joel-robuchon.net

Bistrot Paul Bert
18, rue Paul Bert
75011 Paris
T +33 (0)1-43 72 24 01

Ze Kitchen Gallerie
4, rue des Grands Augustins
75006 Paris
T + 33 (0)1-44 32 00 32
www.zekitchengalerie.fr

La Société
4, Place Saint-Germain
75006 Paris
T +33 (0)1-53 63 60 60
www.restaurantlasociete.com