Der Promi-Faktor

Isst man als Prominenter in manchen Lokalen besser als das gewöhnliche Volk? Kriegt man als Vip den besseren Tisch? Und wie ist das mit der Rechnung?

Der Promi-Faktor

Text: Eva Rossmann
Am Nebentisch ist Dustin Hoffman gesessen. Es war auch nicht leicht, in diesem angesagten Lokal in New York einen Tisch zu bekommen. Die Dünne in Dunkelblau an der Bar, die kenne ich auch, ganz sicher. Ein Model? Ein Popstar? Oder doch diese Schauspielerin, du weißt schon, die mit dem … Dustin Hoffman ist jedenfalls noch kleiner, als ich gedacht habe, und seine Begleiterin alles andere als glamourös, eher eine graue Maus. Was ich gegessen habe? Ehrlich gestanden kann ich mich nicht daran erinnern, es war irgendetwas mit Pasta und Fisch. Eher undefinierbar. Um es freundlich zu formulieren. Dafür dankenswerterweise nicht viel. Und der Wein war einer der typischen amerikanischen Chardonnays. Aber teuer, das weiß ich noch, zum Glück war ich eingeladen.
Lokale, in die "man" nur geht, weil "alle" – sprich alle (oder zumindest gewisse) Prominente – dorthin gehen, sind in Österreich eher selten. Abgesehen von einigen (nein, keine Namen, denn über Geschmack lässt sich bekanntlich sehr wohl streiten), in denen lang gediente Soubretten, vorvergangene Sänger und an Erfahrung reiche Schauspielerinnen verkehren, was aus irgendeinem Grund (vielleicht ist es bloß jahrzehntelange Gewohnheit?) Niederschlag in diversen medialen Seitenblicken findet und dazu führt, dass busweise societybegeisterte Opfer angekarrt werden, die endlich auch einmal so gut essen wollen wie ihre Idole. Was sie dann ja auch tatsächlich tun. Leute, die zufällig in solche Lokale schneien, haben einfach nicht den richtigen Zugang, ihnen fehlt das Stückchen Phantasie, sie sehen bloß zu viele Namensschilder und Devotionalien und fühlen sich bald darauf kulinarisch verraten. Als ob es in diesen Lokalen darum ginge.
Wer allerdings meint, Österreich sei ansonsten ein Land, in dem jeder Gast gleich behandelt wird, der irrt. Und das ist – teilweise – nicht nur verständlich, sondern auch gut so.
Zumindest wenn es um Stammgäste geht. Wir wissen einfach, dass G&P gerne an Tisch 2 sitzen und wir kennen ihre Diät, servieren ihnen das, was sie bestellen, automatisch in Übereinstimmung mit den Lehren des Herrn Montignac und versuchen unabhängig davon, den beiden erfahrenen Gourmets gerecht zu werden. Das ist keine unzulässige Bevorzugung, sie haben sich ihre Vorteile ersessen und eressen und ertrunken (ganz abgesehen von den hohen Sympathiewerten, die offenbar auf Gegenseitigkeit beruhen).
Oder Ferdl, der jeden Sonntag um halb zwölf auf ein Surschnitzel mit Salat kommt. Da kann es zur Überraschung anderer Gäste schon passieren, dass das Gewünschte schon auf dem Tisch steht, bevor er es bestellt hat. Sollte in der Küche jemand Uneingeweihter am Gardemanger stehen, wird ihm zugerufen: "Den Salat ohne Paradeiser, Ferdl hasst Paradeiser!" Und wir wissen außerdem: Jetzt bricht das Sonntagmittaggeschäft in Kürze voll los. Wer dann noch nicht alles vorbereitet hat, der kommt ins Schwimmen. Oder er gibt Gas. Liebe Güte, wir haben vergessen, die Kaiserschoten zu putzen! Und ob der marinierte Wildkarpfen reichen wird?
Problematischer ist es, wenn Oberkellner Walter in der größten Küchenhektik den neuen Bon mit den wichtigen Worten begleitet: "Das ist jetzt der Tisch von Professor X. Sehr heikel!" Walter versteht eben noch etwas von der österreichischen Tradition, mit Hofräten, Professoren und anderen Primadonnen pfleglich umzugehen. Und trotzdem: Wenn ich etwas gestresst bin, kann es leicht passieren, dass ich zur Antwort irgendetwas knurre wie: "Und? Ist auch nur ein Gast wie jeder andere."
Was meinem Chef und Meister Buchinger nur bedingt gefällt. Er, der mir ein paar Jahrzehnte Küchenpraxis und Äonen an Promipraxis voraus hat, sieht so etwas schlicht als Information, der Professor hat eben seine Marotten. Es ist ja wahr: besser eine Warnung vor dem heiklen Gast als eine Reklamation. Werden die "unheiklen" deswegen schlechter, sorgloser behandelt? Nein. Dazu erzählt der Buchinger gerne die Geschichte vom französischen Sterne-Tempel, in dem ein wichtiger Gourmetkritiker angesagt war. Alle in der Küche wollten (verständlicherweise, finde ich kleine Köchin) wissen, an welchem Tisch er sitzt. Der Chef aber hat nur den Kopf geschüttelt und gemeint: "Ihr müsst für jeden Tisch so kochen, als säße er dort!" Also hundertzwanzig statt hundertzehn Prozent – für alle.
Allerdings haben "Promis" und andere allgemein bekannte Persönlichkeiten (oft tut es schon der Bürgermeister) dem Image in der näheren Umgebung noch selten geschadet. Schnell wird am Stammtisch herumerzählt, wer heute und wer gestern da war. Dabei scheint es weitgehend egal zu sein, ob man die betreffende Person mag: Ich habe schon erlebt, wie eingefleischte Konservative angeregt den Auftritt eines SP-Spitzenpolitikers besprochen und herumerzählt haben.
Apropos Politiker: Da gibt es noch welche, die sich bald ein Jahrhundert nach der Abschaffung der Monarchie noch so etwas wie Leibkellner halten: Einer dieser Kellner ist unser unvergleichlicher Rudi, der jahrzehntelang in einem Wiener Lokal Bürgermeister Zilk bedient hat (er würde sagen, bedienen durfte, aber er ist ja auch Sozialdemokrat und Monarchist, vergleiche Bohumil Hrabal und sein Werk "Ich habe den englischen König bedient") und der immer noch halb aus dem Häuschen gerät, wenn Zilk & Koller angemeldet sind. Die beiden scheinen sich übrigens ebenso zu freuen, ihn wieder zu sehen. Aber da verschmelzen wohl die Kategorien Stammgäste, Leibkellnerei, Nostalgie und Prominenz zu einer Mischung, die jedenfalls Rudi noch Stunden später ein so seliges Lächeln ins Gesicht zaubert, wie es sonst nur ein Sieg von Rapid vermag.
Die Frage ist: Wie wichtig nimmt man Promis? Lässt man zu, dass daraus eine Hierarchie von Gästen entsteht? Über ein sehr renommiertes Lokal wird immer wieder erzählt, man werde dort nur als prominente Persönlichkeit gut behandelt. Ob etwas dran ist, weiß ich nicht, vielleicht hat der eine oder die andere auch bloß zu wenig Selbstbewusstsein und daher den Eindruck, zurückgesetzt zu sein hinter denen, die "man" kennt.
Etwas Werbung kann jedenfalls keinem Lokal schaden und wenn Gäste dazu beitragen … dann kann man vielleicht die promigeile Gesellschaft beklagen, der es nicht bloß um Geschmacksnuancen (gemeint sind jene, die aus der Küche kommen) geht – aber man darf seinen Öffentlichkeitswert wohl trotzdem entspannt nutzen.
Und sich freuen, dass der oder die, die mehr oder weniger bekannt sind, hier (gleich wie alle anderen Gäste) gerne essen – und (gleich wie alle anderen Gäste) zahlen. Es gibt nämlich schon auch eine Sorte von Promis und Möchtegernpromis, die findet, dass ihr Erscheinen, ihre allgemein beobachtete Nahrungsaufnahme und ihr Glanz Bezahlung genug sind.
Möglichkeit eins: Derjenige, den zwar niemand kennt, der aber in Medien über Promis und ähnlich Bedeutsames schreibt, isst, trinkt ausgiebig – und hat dann leider kein Geld dabei. Nachdem ihm die Gegenleistung zum Menü nicht erlassen wird, bittet er um einen Erlagschein. Und zahlt den erst ein, nachdem er Monate später freundlich erinnert wird. Vielleicht ist er ja wirklich sehr zerstreut.
Möglichkeit zwei: Eine bekannte Schauspielerin fragt – anstandshalber – nach der Rechnung und bekommt sie zu ihrer Überraschung auch. Sie zahlt mit saurem Gesicht und erzählt zum Abschied, dass sie soooo gerne ins Lokal Y geht, weil dort werde sie andauernd vom Besitzer eingeladen. Für das Lokal Y nicht besonders schmeichelhaft, dass sie klar macht, sie is(s)t dort, weil sie dort gratis isst.
Möglichkeit drei: Ein finanziell potenter Prominenter plant den groß angelegten Geburtstag seiner Tochter, man trifft sich, berät schon über Details, bis dann die Rede auf den Preis kommt. Und unser Prominenter meint freundlich: Üblicherweise werde ihm so etwas geschenkt, dafür sei es eine einmalige Werbung für das Lokal, und dass er ein paar Journalisten mitbringe, dafür könne er garantieren.
Danke, Medien kommen zum Glück auch ohne Armenausspeisung für kostenbewusste Millionäre.
Jedenfalls: "Etwas Besonderes" zu sein – oder auch: als "etwas Besonderes" betrachtet zu werden, gehört wohl zu den menschlichen Sehnsüchten (gerade derer, die allgemein hin als Durchschnitt gelten). Aber muss man deswegen am Telefon spitz einen "wirklich guten Tisch" fordern? So, als ob man anderenfalls einen "schlechten Tisch" bekäme? Und: Was ist ein schlechter Tisch? Den berühmten Tisch beim WC oder beim Küchenausgang gibt es in gut geplanten Lokalen (zum Glück) längst nicht mehr. Ist es also der in der Mitte oder der am Rand? Eine sehr subjektive Sache. Und: Wir haben zwei Räume: die "Erste Klasse" weiß gedeckt und die "Zweite Klasse" mit Holztischen, einige unserer ausgewiesenen Gourmets bevorzugen die "Zweite Klasse". Was also ist "besser"?
Der Sitzplatz scheint übrigens auch bei einem neuen VIP-Gourmet-Club wichtig zu sein. Alle Lokale, die aufgenommen werden, erhalten ein langes Glückwunsch-Schreiben, in dem steht, was sie alles für ihre VIP-Gourmets tun sollen: Mit Nachdruck wird gebeten, dem VIP-Gourmet eben einen besonders guten Tisch zuzuweisen, irgendwo findet sich auch der Hinweis, dass diese Gäste mit kleinen Aufmerksamkeiten wie Gratis-Aperitifs verwöhnt werden sollten. Warum? Bloß weil sie eine Plastikkarte mehr haben? Oder weil sie mehrere SMS mit einer Bewertung des Lokals losschicken könnten?
Aufmerksamkeiten und Kostproben gibt es ohnehin (mancherorts kann das – gerade für besonders behandelte Promis – fast tödlich werden, wenn man mit Amuse Bouches und kleinen Zwischenüberraschungen beinahe erstickt wird, obwohl man bloß einen gegrillten Wels wollte).
Ich weiß ja nicht, wie es anderen geht, aber ich kann als Gast auf besonderes Trara um meine Person verzichten. Klar will ich gut behandelt werden, aber nicht weil ich einem Klub angehöre (egal, ob durch Plastik, Prominenz oder Akademikerinnentum), sondern weil ich eine willige, aufnahmebereite Esserin und Trinkerin bin.
Und auch als Mit-Kochende beim Buchinger sind mir jene Gäste am liebsten, die gerne essen, die neugierig sind, die sich Zeit nehmen. – Egal, ob sie ansonsten Promi, Professor, Primar oder Frau P. sind. Sie haben das Zeug, es sogar bis zum Stammgast zu bringen.