Deutschland, ganz herzhaft

Wie geht das Match aus, wenn man sich in Deutschland die Gastronomie abseits von feinen Luxusrestaurants ansieht? Besser als so manche Vorurteile vermuten lassen.

Deutschland, ganz herzhaft

Text: Hans Mahr Fotos: beigestellt
Und das ist die empfohlene Wirtshaus-Tour quer durchs fußballverrückte Deutschland – und natürlich auch für die Zeit danach:
Die beste Wirtshaustradition gibt’s in München. Wer frisch gezapftes Bier und bayerische Spezialitäten mitten in der Stadt will, der sollte sich in einem der Biergärten am Frauenplatz niederlassen. Am besten im "Bratwurst Glöckl" oder beim "Andechser". Fleischpflanzerl, Leberkäs, Rostbratwürstel – und das Ganze für unter 10 Euro. Weiters zu empfehlen der bayerische Wurstsalat oder ganz einfach eine Portion "Obatzda" mit Schnittlauchbrot (kommt unserem Liptauer-Brot nahe).
Weiter im Norden in Nähe zum Stadion ist das Wirtshaus "Grüntal" in Bogenhausen zu empfehlen: ein herrlicher, schattiger Kastaniengarten und zwischen historischem Küchengeschirr und einer Spazierstocksammlung kann man Leberknödelsuppe, Weißwürstel, Schweinsbraten und krosse Ente genießen. Wer auch im "fernen" München nicht auf österreichische Weine verzichten will, der ist im "Freisinger Hof" auf der Oberföhringerstraße gut aufgehoben. Die Südsteiermark, die Wachau und das Burgenland sind hervorragend vertreten, und neben dem obligaten Schweinsbraten werden auch ein hervorragendes Wiener Schnitzel oder auch ein Tafelspitz serviert.
Ebenfalls den Tafelspitz, allerdings in "grüner Sauce" gibt’s als Spezialität im "Wagner", dem wohl urigsten Wirtshaus in Frankfurt. Im alten Sachsenhausen gelegen, wird zum traditionellen "Ebbelwoi" (Apfelwein) im Steinkrug am liebsten eine Frankfurter Platte serviert – mit Stelze, Bratwürstel, gegrillten Ripperln, Bauchfleisch, Sauerkraut und Bratkartoffeln. Preis pro Person: kulante 12,80 Euro. Wem es bei "Wagner" etwas zu voll und zu laut ist, kann "Zum Feuerrädche", ebenfalls in Sachsenhausen, ausweichen. Dort gibt es sogar Pils, was aber die original mit roten Hosenträgern und hochgekrempeltem Hemd auftretende Bedienung nur ungern serviert. Also dann, doch einen Apfelwein!
In Köln bekommt man es natürlich mit obergärigem Bier zu tun. Kölsch in kleinen "Stangen" und dazu rheinische Küche zum Abwinken. Wirklich gute Brauhausqualität erhält man im "Peter’s Brauhaus" mitten in der Altstadt. "Himmel un Äd" (Blutwurst auf Kartoffelpüree), "Sooerbrode" (Sauerbraten mit Rosinensauce) oder "Hämchen" (Schweinernes mit Sauerkraut). Warnung von Arzt oder Apotheker: Ohne einen doppelten Korn kann’s zu Verdauungsproblemen kommen. Im Süden am Rheinufer bietet das "Treppchen" den schönsten Biergarten Kölns – und man bekommt dort sogar Weißbier und Pils zur Sülze und zum Black-Angus-Steak mit Bratkartoffeln. Und das alles mit direktem Blick auf den Rhein, inmitten der bekannt überbordenden Herzlichkeit der Kölner Biergartengäste.
Im hohen Norden ist alles ein wenig kühler und gesitteter. Das gilt auch für die Biergärten und Kneipen in Hamburg. Wer Lust auf Deftiges verspürt, der sollte ins Schanzenviertel zur "Schlachterbörse" pilgern. Ein halbes Kilo vom wahrscheinlich besten Steak Deutschlands wird mit Baked Potato und Sauer-Creme für 25 Euro aufgetragen. Wer es weniger mit Fleisch hat, kann sich über riesige Fischportionen freuen. Wahlweise Loup de Mer, Kabeljau oder was gerade frisch auf dem Fischmarkt angeboten worden ist. In Eppendorf, auf dem halben Weg zum AOL-Stadion, treffen einander die "echten Hamburger" im "Borchers". Gemütlich, hanseatisch und trotzdem herzlich werden die Bratkartoffeln in der Eisenpfanne mit Speck und Zwiebeln frisch gebraten und mit Sauerfleisch, Roastbeef oder Spiegeleiern samt friesischem Bier im riesigen Garten serviert.
Die gängigsten deftigen Tipps für Leipzig. Mitten in der Altstadt, im "Auerbach’s Keller", den Goethe in seinem "Faust" verewigt hat, kann man den Appetit mit sächsischer Hausmannskost stillen: Zwiebelsuppe mit Knoblauchkrüstchen, Glasmeisterhering, Rindsroulade und Leipziger Brateneckchen (Schweinsbraten auf Graubrot) stehen zur Auswahl. Weiter draußen in der historischen Gosenschenke "Ohne Bedenken" treffen sich die Leipziger, wenn sie Feste
feiern. Man trinkt Gose, das leicht säuerliche obergärige Bier entweder pur oder – für Wessis oder Ösis leicht gewöhnungsbedürftig – mit Kirschlikör, Kümmellikör oder Waldmeistersirup, dazu Soljanka mit Baguette, gebackene Kartoffelecken und Strammer Max. Irgendwie ist hier die Zeit tatsächlich stehen geblieben …
In der Hauptstadt Berlin geht nicht nur das Endspiel über die Bühne, sondern Berlin ist auch während der Fußball WM die zentrale Schaltstätte. Ob FIFA Präsident Blatter oder Kaiser Franz, alle haben ihre Zentrale für diesen einen Monat an der Spree eingerichtet. Während die Funktionäre wohl eher bei den Spitzenköchen im "Vau", im "44" oder im "Vitrum" zu finden sein werden, wählt der angereiste Fußball-Gast eher Bodenständiges.
Originell ist die Geschichte des Wirtshauses "Ständige Vertretung" in Berlin-Mitte. Der Wirt hatte schon zu Zeiten als Bonn noch provisorische Hauptstadt Deutschlands war, eine rheinische In-Kneipe, in der sich Politiker und Journalisten, Beamte und Lobbyisten tummelten. Einerseits demonstrierte er gegen den Umzug der Regierung nach Berlin, gleichzeitig sicherte er sich aber auch an einem der schönsten Plätze in der Innenstadt (am Spreeufer des Schiffbauerdammes) eine Immobilie, um alle seine Lieblingsgäste auch in der neuen Hauptstadt Berlin bewirten zu können. Selbstredend rheinisch-zünftig mit Kölsch und Sauerbraten.
Aber natürlich kann man sich auch echt berlinerisch den Magen füllen: in der traditionell-charmanten "Henne" etwa in Berlin-Kreuzberg, in der schon John F. Kennedy vor 40 Jahren sein Hendl konsumierte, und das heutzutage auch nicht mehr als 6 Euro kostet. Oder man besucht die älteste noch betriebene Gaststätte Berlins "Zur letzten Instanz". Dort hat vor 200 Jahren Napoleon gespeist und vor kurzem der deutsche Ex-Kanzler Schröder mit Frankreichs Staatspräsidenten Jacques Chirac. Auf der Karte stehen Eisbein, Boulette, Kohlroulade – Berlin pur unter alten Linden.

Adressen

FRANKFURT
Wagner
Schweizer Straße 71
60594 Frankfurt-Sachsenhausen
Tel.: 069/61 25 65
Zum Feuerrädche
Textorstraße 24
60594 Frankfurt-Sachsenhausen
Tel.: 069/66 57 59 99
MÜNCHEN
Nürnberger Bratwurst Glöckl
Frauenplatz 9, 80331 München
Tel.: 089/291 94 50
Andechser am Dom
Weinstraße 7a, 80333 München
Tel.: 089/29 84 81
Wirtshaus Grüntal
Grüntal 15, 81925 München
Tel.: 089/99 84 11
Freisinger Hof
Oberföhringerstraße 189
81925 München
Tel.: 089/95 23 02
www.freisinger-hof.de
HAMBURG
Schlachterbörse
Kampstraße 42, 20357 Hamburg
Tel.: 040/430 34 14
www.schlachterboerse.de
Café Borchers
Geschwister-Scholl-Straße 1–3
20251 Hamburg-Eppendorf
Tel.: 040/46 26 77
www.borchers.sportkneipe.de
LEIPZIG
Auerbach’s Keller
Mädler-Passage
Grimmaische Straße 2–4
04109 Leipzig
Tel.: 0341/21 61 00
www.auerbachs-keller-leipzig.de
Gosenschenke Ohne Bedenken
Menckestraße 5/Poetenweg 6
04155 Leipzig-Gohlis
Tel.: 0341/566 23 60
www.gosenschenke.de
BERLIN
Henne
Leuschnerdamm 25
10999 Berlin-Kreuzberg
Tel.: 030/614 77 30
Zur letzten Instanz
Waisenstraße 14–16
10179 Berlin
Tel.: 030/242 55 28
www.zurletzteninstanz.de
KÖLN
Peter’s Brauhaus
Mühlengasse 1, 50667 Köln
Tel.: 0221/257 39 50
Zum Treppchen
Kirchstraße 15
50996 Köln-Rodenkirchen
Tel.: 0221/39 21 79