Die Vercouchung

Österreichs erster und einziger Popstar nach Falco kocht in Frankfurt 1-Stunden-Eier, Schlutzkrapfen und festflüssige Oliven. Eine Gebrauchsanweisung für Mario Lohninger.

Die Vercouchung

Text von Werner Meisinger Fotos: beigestellt
Den Chronisten, der zu spät kommt, bestraft das Leben fürchterlich, denn die packenden Geschichten haben andere vor ihm geschrieben. Über Lohninger zum Beispiel. Seit zehn Jahren sind die Medien bestens ausgestattet mit Berichten über die großen Taten dieses furchtlosen Ausnahmewesens, und was jemals über ihn gedruckt oder gesendet oder sonstwie zu Buchstaben oder Bild geworden ist, pulsiert im Internet weiter bis an das Ende aller Tage: Dass sein Leibgericht im Salzburger Leogang Schwammerlgulasch von der Mama gewesen war und sein Haarschnitt flexibel ist und dass er das 1-Stunden-Bio-Ei als Kronjuwel unter den Eiern preist und dass die Zeit im New Yorker "Danube" sensationell war, das alles weiß die Welt. Dass man in Lohningers "Silk" auf weißen Liegen liegt und der Michelin das trotzdem gut findet und dass Sven Väth am liebsten den Thunfisch mit der Birne mag, haben die flinkeren Chronisten auch schon in den allgemeinen Wissensschatz über Lohningers Welt montiert. Der Chronist, der spät kommt, kann es nur noch aufwärmen. Was für einen mit einem letzten Rest von Selbstachtung eigentlich überhaupt nicht in Frage kommt. Darum endet diese Geschichte über Mario Lohninger eigentlich hier. ===== Das ist bedauerlich, denn selten wird ein grundpessimistischer Chronist mit der Mieselsüchtigkeit des gichtkranken Bären so angenehm aus dem Dornenbad seiner Hoffnungslosigkeit gehoben wie bei diesem Lohninger. Neue Spannung ohne Verlust der alten Qualitäten, das ist ja zum großen Ausnahmefall geworden. Denn mutlos und uninspiriert ist diese herbeigeschriebene Generation der jungen Wilden, wenn sie immer nur noch irrere Konstruktionen auf die Teller stellt oder noch wirrere Anwendungen von Trilin, Milfin und Quaxin entwickelt. Und wie ist sie nicht träge die Generation der Etablierten, die im lauen Bad der eigenen Bedeutungsschwere pritschelt und irgendwann mit schwerer Unterkühlung merken wird, dass sie sich zu lang der Bedeutungsschwere hingegeben hat. Wie elend ist nicht zuletzt das Sendungsbewusstsein unserer Medienschaffenden ausgeprägt, die ihren sulzverliebten Chefs immer weiter die gleichen Sulzen liefern, weil diese glauben, dass man nur mit Sulzen Zeitungen und Sendungen verkaufen kann, weil die Kunden täglich in den Medien sehen wollen, was sie täglich essen. Daher wird es dem mieselsüchtigen Chronisten ganz warm ums Herz und rührt es ihn zart an der Seele, wenn einer wie dieser Lohninger seine Gäste auf die Couch legt und sie trotzdem nicht zu Deppen macht, indem die Vercouchung der Kulinarik am Ende doch viel Sinn ergibt. Das sollte man eigentlich im Detail berichten. Es ist aber anzunehmen, dass es schon berichtet wurde, weshalb hier nur eine kurze Lohninger-Gebrauchsanweisung gegeben wird.
Kapitel 1: Annäherung und korrekter Abgang
Die Restaurants von Mario Lohninger befinden sich in der Carl-Benz-Straße von Frankfurt, die sich in der Gegend der Daimler-, Diesel-, Adam-Opel- und Felix-Wankel-Straße befindet. Wo die Straßen derart benannt sind, stehen keine malerischen Fachwerkhäuser und keine coolen Finanzproduktentwicklungswolkenkratzer, sondern Autohäuser, Hubstaplerservicehallen, Werkzeugslager und Problemstoffrecyclingsanlagen. Eisenbahngeleise kreuzen die Carl-Benz-Straße, und wer in die Ferne blickt, dem zwinkern charmant die Hafenkräne zu.
In Erwartung der kulinarischen Erbauung bei Lohningers fährt man zur Carl-Benz-Straße am besten mit der Straßenbahn, die auf schnurgerader Strecke und über nicht wenige Kilometer das Frankfurter Zentrum mit diesem peripheren Areal verbindet. Derart in die Nacht und in das Neonlicht gerattert und nach dem anschließenden Fußmarsch in die Tiefen des Gewerbegebiets bis zu einem mächtigen Betonmeteoriten namens UFO, der, härter noch als alle Industriehallen und Containerbauten, in diese scheinbar unlebendige Gegend eingeschlagen hat, wird man im Idealzustand einer seelischen Unterkühlung die Restaurants des Lohninger erreichen. Man steigt dann über eine Betontreppe hoch, tritt durch eine Pforte aus schwarzem Stahl und dunklem Glas und quetscht sich entlang der monströsen Betonwabeneinfassung eines schummrig finsteren Dancefloors Richtung Restaurant. Mit der Gunst der richtigen Stunde kriegt man auch einen Soundcheck des Cocoon Club mit. Der klingt ein wenig eindringlich und tierisch, etwa wie das Klagelied eines Prontosaurus, dem gerade die Hoden ausgerissen werden. Sodann jedoch tritt der Gast in Lohningers Restaurant und ist gerettet.
Lohningers Restaurants werden zu dieser frühen Stunde der langen Nächte durchweht von weichen Sphärenklängen, durchflutet von warmem Licht mit unzähligen Reflexen und bewirtschaftet von Menschen, die höflich sind. In diesem Kontrastmilieu löst sich die zuvor so sorgsam aufgebaute Verfrostung des Gemüts vortrefflich. Dem Körper entgleitet alle Spannung, was im "Silk" sehr komfortabel ist, weil man dann besonders geschmeidig auf die Polster gleitet.
Eine Anmerkung für die wenigen, die über die Lohninger’sche Restaurantkonstruktion noch nicht hinlänglich informiert sind: "Silk" – das ist ein Restaurant, in dem in einem sehr speziellen Umfeld aus Licht, Klang, feinfliegenden Gardinen und weißen Liege-, Hock- und Kauermöbeln im Liegen oder Hocken oder Kauern gespeist wird.
Alternativ dazu besteht das Restaurant "Micro", in dem im klassischen Sitzen gesessen wird, allerdings auch ein wenig ungewöhnlich, nämlich an Achtertischen, die mittels von der Decke hängender schwerer Schnüre vorhangmäßig und nach Bedarf portioniert werden können.
Der Cocoon Club schließlich ist ein Ort für den eher modernen Musikgenuss, der von Sven Väth vor vier Jahren eröffnet wurde. Sven Väth ist eine Schöpfungsgestalt und ein Säulenheiliger des Techno.
Techno – das sage ich nur, um die 102-jährige Leserin dieses Blattes zu informieren – ist eine Musikrichtung, die mit relativ wenig Melodie auskommt, dafür aber viel Strom braucht. Im Cocoon Club sind Schallmaschinen installiert, die 300.000 Watt verbrauchen können, was für Open-Air-Konzerte normalerweise hergenommen wird und nach Konsumation in einem abgeschlossenen Raum wie dem Cocoon Club für tagelange Nachbeben am Bauchfell sorgen kann.
So also nähert man sich dem kulinarischen Abend bei Lohningers am besten unter Ausschöpfungen aller Gemütsabkühlungsmöglichkeiten. Empfohlene Reisezeiten daher: Allerseelen und Karfreitag.
Der korrekte Abgang geht ganz anders. Wer après Dîner nicht eintaucht in den musikalisch und auch sonst wertvollen Mikrokosmos des Cocoon Club wird das Haus zwischen zwölf und zwei verlassen und hinaustreten in eine andere Welt. Während bei der Ankunft in den frühen Nachtstunden rund um das UFO noch die Coyoten heulten und der Wind dürre Disteln über menschenleere Brachen trieb, ist der Betonmeteorit zu diesen frühen Morgenstunden umflort von einer Menge enthusiasmierter, schöner junger Menschen, von denen manche einander rempeln oder sich auch ein wenig prügeln zum höheren Zweck des früheren Hineinkommens in diesen Tempel. Bis an den Horizont steht eine lange Kette angeschwemmter Taxis, daneben und davor auch Stretchlimousinen für die Fahrgäste mit den längeren Beinen. Eine solche nimmt man dann korrekterweise oder eine besonders hübsche Voiture aus dem Vermächtnis des Herrn Benz und sagt zu dem Chauffeur: "26 Grad". Das nämlich wäre die richtige Temperatur, in der man voll der Seelenwärme nach Hause reisen sollte.
Kapitel 2: Die Inbetriebnahme der festflüssigen Olive
Es muss darauf hingewiesen werden, dass das Speisen bei Lohningers technisch anspruchsvolle Passagen enthalten kann. Zugrunde liegt dem, dass der Mensch kein Waschbär ist und deshalb beim Verzehr von Speisen in Rückenlage ein wenig ungeschickt. Durch funktionell hochwertige Schalen und Näpfe, die Mario Lohninger in fruchtbarer Kooperation mit den versiertesten Porzellandesignern Deutschlands in Form gebracht hat, wird es durchaus möglich, die speziell für die Zwecke des "Silk" geformten und vorgerichteten Speisen weitgehend unpeinlich von ihren Unterlagen an den Gaumen zu befördern. Wenn allerdings eine Köstlichkeit wie dorade royal, pecan & feige dargereicht wird, deren dorade doch deutlich das Maß dessen überschreitet, was man in der Öffentlichkeit in einem Bissen inhalieren möchte, dann ist Geschicklichkeit gefordert. Mit einer Hand will der Napf gehalten werden, mit der zweiten soll das feingliedrige Essinstrument auf wackeligem Grund eine Speise teilen, die wie ein Maki als weitgehend stabiler Korpus vorliegt. Wenn das gelungen ist, sollen die Fragmente im Näpfchen zu appetitlichen Häppchen zusammengetrieben und aufgeschaufelt werden, wofür ausreichend viele Hände plus Messer und Gabel praktisch wären. Allerdings balanciert die eine Hand das Näpfchen, mit der zweiten werden die Doradenfragmente durch den Napf getrieben, die dritte stützt den Körper, der auf dem glatten Liegeleder immer wieder die Tendenz zeigt, von der gerade noch esstauglichen Lümmelstellung in eine vollends unpraktische Horizontale abzugleiten. Eine solche esstechnische Herausforderung will nicht nur mit viel Geschick, sondern auch mit feinem Lächeln bewältigt werden, denn rundherum und sogar am gleichen Bett liegen andere Gäste, denen man kein anderes als ein delikates Schauspiel bieten soll. Mit der festflüssigen Olive hat man es leichter. Die kommt auf einem Löffelchen und in einer für den Bettgenuss perfekten Größe. Das in Weiß gehüllte Damenpersonal steht dem neuen und mit derartigen Oliven unvertrauten Gast mit dem Tipp zur Seite, dass man die Olive am Gaumen zerdrücken soll, was allerdings der Weisheit letzter Schluss nicht ist. Vielmehr ist es richtig, die Peripherie des auf der Zunge platzierten Gebildes äußerst behutsam anzunagen und sodann zu warten, bis sich das Fluidium dieser zur Konsistenz der höchsten Glibbrigkeit veredelten Frucht allmählich im Mund verbreitet. Die festflüssige Olive wird sich nach und nach in ein stoffliches Nichts auflösen und dabei in wallende Geschmackswogen transzendieren, die das Gemüt erhellen. Das wäre sozusagen die Gebrauchsanweisung.
Als kleine Hintergrundinformation für alle, die mit dem Festflüssigen noch nicht so recht vertraut sind: Nämlich was sich Lohninger dabei denkt und wie einfach man zu einer derartigen Olive kommt. Mario Lohninger ist erstens Philosoph und erst zweitens Koch. In seiner Funktion als kulinarischer Denker denkt er sich am Gegenstand der Olive, dass er mit der Olive etwas tun muss, das zu ihm und seiner Wirkungsstätte im Outback Frankfurts passt. Der Geschmack der Oliven soll dabei nicht verändert werden, weil er perfekt ist (eine kleine Werksspionage fördert zu Tage: Bocado de Dioses von Athenea; sehr große Früchte in prachtvollem Grün, das ganz leicht ins Blau changiert). Bleibt die Textur, die ein inspirierter Koch tatsächlich noch spannender gestalten kann, als sie für die Natur praktisch wäre. So kommt es also zur festflüssigen Olive.
Nachmachen ist ganz leicht. Vier Zutaten genügen.
Man nehme Oliven, entkerne und vermuse sie und gebe auf 400 g von diesem Brei 1,5 g Xanthan und 2,5 g Calcium. Man lasse die Masse lange ruhen, damit die beim Mixen eingebrachte Luft entweicht; besser noch: ruhen lassen und dann vakuumieren. Man setze ein Calcinbad an, indem man in einen Liter Wasser 10 g Calcin einmixt und die eingebrachte Luft aus der Flüssigkeit entfernt; das geht ganz leicht, indem man das Bad rasten lässt und dreimal vakuumiert. Dann fasse man mit einem Portionierlöffel mandelgroße Portionen aus der Olivenmasse, die mehr Saft als Brei ist, versenke die Portiön-chen in das Calcinbad und lasse jedes durch das Wenden des Löffels geschickt in die Lösung gleiten. Das geht ganz leicht, wenn man es tausendmal versucht hat. Dort bleiben die bald festflüssigen Oliven gestoppte 2 Minuten, wobei das ehemals Flüssige zu einem Wabbeligen wird. Mit einem Gitterlöffel werden die derart wieder in Form gebrachten Oliven aus dem Calcinbad gehoben, zwecks Beendigung des Verfestigungsprozesses kurz in Wasser und zwecks artgerechter Lagerung in Olivenöl gelegt. Lohningers und Brigade haben noch eine Vielzahl weiterer Gerichte der derart simplen Küche im Programm, wovon noch die Rede sein wird. Aber auch Schnitzel, Pizza, Sushi.
Kapitel 3: Die Funktionsweise der Küche unter dem Hirschgeweih
Mario Lohninger ist ein Weltreisender aus Salzburg. Die früheren Chronisten haben schon ausreichend darüber berichtet, wie er als begabtester Schüler der Brüder Obauer zu Hans Haas ins "Tantris" vermittelt wurde, für den berühmten Gastro-Impressario David Bouley das New Yorker "Danube" kulinarisch hochgezogen hat, bei Wolfgang Puck und im Labor des Ferran Adrià Pizza backen und Sphären wabbeln lernte, das also braucht man nicht mehr zu berichten. Zum tieferen Verständnis der aktuellen Schaffensperiode des Mario Lohninger kann ein Blick auf die Funktionsweise seiner Frankfurter Küche nützlich sein.
Wir sehen darin auf den ersten Blick ein kapitales Hirschgeweih an der weißen Fliesenwand. Ikonografisch wird mit dem Geweih elegant signalisiert, dass sich an diesem Ort männliche Kräfte aus der Natur entfalten. Die Männer sind überwiegend jung und schön und wie Bergwerksknappen in Schwarz gekleidet. Zwei Gewerke tragen weiße Jacken: Mario Lohninger und dessen Vater. Senior Lohninger bewirtschaftet "den Altar", einen mit Stein belegten Tisch am Nordende der Küche. Über diese Kultstätte wird das Bettenrestaurant bespielt. Auf der erstaunlich kleinen Fläche fügen sich auf scheinbar wunderbare Weise im Verlauf des Abends an die tausend kleine Gerichte oder Bissen zusammen, wobei das Programm auch handwerklich spannende Kompositionen fordert: Cannelloni aus Brickteig beispielsweise, so dünn wie ein Bleistift und mit einer Hülle, die sich schon beim kräftigeren Hinschauen in feine Splitter auflöst. Ricottabonbons, die kaum größer als ein Daumennagel und mit Nudelteig von Seidenpapierstärke gefertigt sind. Kalte Cranberry-Suppe mit warmem Kaffeeschaum in einer Phiole, zu deren sauberer Befüllung das Feingefühl des Goldschmieds nützlich ist. Dies alles wird in heiligmäßiger Ruhe hergerichtet und entsteht in einem uhrwerksgleichen Ineinandergreifen verschiedenster Verrichtungen. Servierfeen in weißen Gewändern und auf weichen Schuhen schweben in stetem Fluss zum Altar und entschweben mit immer neuen kulinarischen Gaben wieder in das Restaurant, wo sie – das ist vielleicht ein Hauch von unvollkommener Ästhetik in dieser Choreografie – gelegentlich auch auf die Betten klettern müssen, um den in Strumpf und Socken hingebreiteten Gästen die Kreationen darzureichen.
Eine Anmerkung zur günstigen Bekleidung bei einem Besuch des "Silk". Strumpf und Socken sollten fehlerfrei sein, denn das Ablegen des Schuhwerks ist obligat. Das Publikum ist recht gemischt, von sehr jung Verliebten jeden Alters über Kreative jedweder Extravertiertheit, fröhliche Runden kulinarischer Abenteurer bis zu hundertfünfprozentigen Foodies, die einfach nur gut essen wollen. Dementsprechend ringeln sich die Gäste in verschiedensten Outfits auf den Matten. Das bietet auch dem auf Korrektheit bedachten Gast die Möglichkeit, kommode Kleidung anzulegen. Die weiten Sachen von Yamamoto sind zum Beispiel für den Zweck des lümmelnd Speisens sehr viel angenehmer als der feine Zwirn nach alter Schule.
Während am Altar die Liturgie für das Bettenrestaurant nach den festen Gesetzen des Menüs vollzogen wird, dirigiert am südlichen Ende der Küche Mario Lohninger den Speisenfluss für das "Micro". Dort wird à la carte und Chefmenü gegeben, und zwar in einem unerhörten Freestyle-Mix. Sushi, Maki, Gänseleber, Jakobsmuschel, Pizza, Pasta, Wiener Schnitzel, Blue Fin Tuna, Maine-Hummer, Rib-Eye-Steak, Burger, Pommes, Trüffel, Blutwurstravioli, Seegrassalat, Salzburger Nockerln hin und wieder auch. Dass ein derart gemischter Fang aus den Weltmeeren der Kulinarik auf einer Karte Sinn ergeben kann und in einer Küche stilistisch und auf anspruchsvollem Niveau auf die Reihe zu kriegen ist, wird nur glauben, wer es gesehen oder in einem anständigen Magazin wie diesem gelesen hat. Das Schnitzel: eine wolkenartig wogende Panier in der Idealfarbe des so gern zitierten Stradivarihalses. Die Sushi, Maki, Rollen, Tempuras und Fernost-Suppen: aus der Hand eines Großmeisters, ästhetisch wie geschmacksharmonisch und kreationstechnisch allererste Ware. Die ewigen Versatzstücke aus dem Repertoire der großen Küche wie Hummer, Tuna oder Jakobsmuscheln? Ideenreich und unterhaltsam interpretiert, präzise und mit großer Ernsthaftigkeit zubereitet: geschröpfte und karamellisierte Jakobsmuschel mit kleinen Calamari, Tomaten und feinaromatischer Koriandersauce; ausgelöster Hummer mit jungem Lauch, kleinem Pak Choi und Ingwer-Aromasauce; Blue Fin Tuna mit Lotuswurzeln und Wasabi-Kartoffelpüree. Die Klassiker aus dem Great American Cookbook? Unprätentiös, wie es sich gehört, auf die Teller gewuchtet, aber so golden und rosa gebraten, dass die Fleischbrocken plötzlich wieder Sinn ergeben. Pizza wie Pizza und Schlutzkrapfen wie Schlutzkrapfen und dazwischen ein paar neckische Spielereien wie Rib-Eye-Steak als Lollipop am Zitronengras und Blattgold auf dem Wachteleidotter für das Tatar vom Weideochsen.
Wer vom Kochen eine kleine Ahnung hat, der weiß es, und wer nicht weiß, wie professionelle Küchen funktionieren, dem sei es hier gesagt: Bei der Bespielung von zwei Restaurants mit bis zu 150 Gästen aus einer Küche mit nicht mehr als 12 Personen Personal, einem heterogenen Gewaltprogramm wie dem von Lohninger und den Ansprüchen der großen Liga ist es ganz günstig, wenn die Jungs der Brigade ziemlich fit sind. Mario Lohninger steht am Rande des Orkans, überblickt mit dunklem Auge und sichtbarem Wohlgefallen die Szenerie und erfreut seine Kollegenschaft mit zweckdienlichen Informationen wie "noch zehn Chefmenü", "zweimal Hummer, zweimal Black Cod, dreimal Burger, einmal Schnitzel" und so weiter im 3-Minuten-Takt. Der Gardemanger, der in fast alles involviert ist, leidet am Ende eines solchen Abends unter Stimmbandreizung, weil er so oft "Jawoll, Cheff" sagen musste.
So also funktioniert die Küche des Mario Lohninger, und wer das selbst sehen will, reserviert einen Hocker an der "Micro"-Küchenbar. Dort ist er dann dem Geschehen nah und fast schon so weit drin, dass er dem Gardemanger beim Lackieren der Wachteleier das Blattgoldtöpfchen halten kann.
Kapitel 4: Die Unterhaltungsmöglichkeiten abseits des Speisens
Musik zuallererst. Nicht nur, dass im Club an jedem Freitag und Samstag aufgelegt wird und gehaltvolle Live-Auftritte programmiert sind (Public Enemy in diesem Dezember, nicht gerade häufig in einem Club!), werden die Restaurants von DJs mit Klang versorgt. Man kann auf Fachkräfte wie DJ Eastenders, Frank*N, Stefan X oder Spy vs Spy zurückgreifen, deren großes Können darin besteht (Anmerkung für unsere 102-jährige Leserin), die Stimmungslage der Gäste durch Einspeisung passender Geräusche zu verbessern. Es ist auch schon vorgekommen, berichtet Erika Lohninger, M.s Mutter und erste Fee unter den Seidenfeen, dass im "Silk" Mozart eingeflochten wurde. Was aber die Ausnahme der Regel ist, denn die meiste der für die Restaurantdurchflutung aufgewendete Musik hat weniger Noten als die des antiken Dichters. Nach dem Service wird das "Micro" auf Disco umgerüstet, speziell für Gäste, die ein wenig fremdeln. Der Betrieb am Mainfloor des Cocoon Club ist nämlich ziemlich DICHT. Der Club kommt ungefähr um Mitternacht in Schwung, wenn im "Silk" die Lichter ausgehen. Da lässt es sich nahtlos übersteigen vom weichen weißen Raumschiffambiente des Bettenrestaurants in das freie Weltall mit seinen vielen Minusgraden. Annäherungsweise jedenfalls, wenn man von den Stickstoff-Jets getroffen wird. Eiskalt ergießt sich der Stoff aus dicken Rohren auf das Tanzparkett. Er kühlt erhitzte Körper und verbreitet pittoreske Nebelwolken, aus denen auf zarten Gerten hoch über dem Körpermeer des Tanzvolks ein Raumschiff im Raumschiff in Form der DJ-Kanzel ragt. Alle Großen des auflegenden Gewerbes haben auf dieser Empore ihr gehörschmeichelndes Werk schon verrichtet. Sven Väth natürlich immer wieder und zuallererst, denn er hat den Club erfunden, und wenn er auflegt, ist extremer Zustrom garantiert (einmal war er so extrem, dass der Verkehr im ganzen Stadtbezirk zusammenbrach). 3.000 waren es letztens in einem für diese Zahl recht begrenzten Ambiente. Ein zuckendes Meer an Leibern, über dem der Magier auf seiner Kanzel stand, beleuchtet von einem solitären Kegel weißen Lichts und augenscheinlich erfüllt von großer Inspiration. Ich könnte nicht sagen, welche Musikstücke er an diesem Abend aus den Rechnern gezaubert hat, und nicht einmal, ob es mehrere waren oder doch nur eins, weil ich in Sachen Techno noch nicht vollständig gebildet bin. Ich kann aber sagen, dass es selbst für einen Hörschwachen mit Anspruch auf Krankenkassen-Hörgerät wie den Schreiber dieser Zeilen keinesfalls zu leise war. Ich kann auch sagen, welche Unterhaltung an anderen Tagen an eben dieser Stelle in einem Kegel weißen Lichts geboten wird und wofür sie nützlich ist.
Mario Lohninger gibt auch Kochkurse und verrät dabei auch die tiefsten Geheimnisse seines Signature-Gerichts namens 1-Stunden-Bio-Ei. Es geht die Kunde, dass er darüber problemfrei auch eine Stunde lang referieren kann. Wir machen es aber kürzer.
Das Bio-Ei wie gewachsen in 62 °C warmem Wasser 1 Stunde wärmen. In lauwarmes Wasser legen. Im lauwarmen Wasser öffnen. Das nicht fest gewordene Eiklar entfernen. Ergibt ein Ei von besonders – hmmm – zarter? Konsistenz und jedenfalls von einwandfreiem Eigeschmack. Dieses legt Mario Lohninger gern in eine blitzblank geklärte Hühnersuppe, die ganz vorzüglich nach Hühnersuppe schmeckt. So weit so nützlich für den kleinen Haushalt mit gradgenauem Eierkocher. Für den Parmesanschaum, der auch dazugehört und für den man aus dem Käse zuerst die Molke extrahieren muss, um diese dann temperaturgenau aufzuschlagen und grammgenau mit Sojalezithin zu verfestigen, fährt man aber doch besser an einem nebeligen Allerseelenabend in das Industrierevier von Frankfurt und legt sich auf die Couch.