Die Zukunft liegt im Meer

Ángel León hat sein maritimes Restaurant Aponiente zu einem der nachhaltigsten Restaurantprojekte der Welt gemacht.

Text von Christian Grünwald

Dass Ángel León heute ein gefeierter Küchenchef ist, ist mehr Zufall als geplanter Karriereweg. „Denn wirklich interessiert haben mich nur das Meer und alles, was mit der Fischerei zu tun hat“, sagt er. Das hat sich bis heute nicht geändert. Die Liebe zum Maritimen ist in jedem Detail in seinem Restaurant Aponiente in El Puerto de Santa Maria/Spanien, ganz nah bei Cádiz/Andalusien gelegen, spürbar. Die alte Gezeitenmühle aus dem 19. Jahrhundert dient als Restaurant und Forschungszentrum für alles Essbare aus dem Meer – ­­und vielem, von dessen Existenz und Essbarkeit man ­davor gar nichts wusste.
Mehr als vierzig derartige Zutaten hat Ángel León seit der Eröffnung des Aponiente im Jahr 2007 präsentiert. Phytoplankton, Minikrabben, die bei Wasserkontakt blau leuchten, krautig wirkende Meereskastanien, verschiedene Kollagenarten, Öle aus Algen, die im Gezeitenbereich lebenden Meerwürmer und auch Zostera marina, jenes Meeresgetreide, das auf die Initiative von Ángel León seit einigen Jahren in der Bucht von Cádiz kultiviert wird (wir haben darüber im A la Carte 5/2021 ausführlich berichtet). „Es gibt leider immer noch viel zu geringe Erntemengen“, beantwortet Ángel León die Frage nach Gerichten mit dem vielversprechenden Superfood, das eines Tages unsere Ernährung revolutionieren könnte.

Das Menü im Aponiente wird nur ein Mal pro Jahr neu geschrieben, kleine Veränderungen wegen saisonalen und witterungsbedingten Umständen sind Teil des Konzepts. 2021 etwa stand Thunfisch mit all seinen Details im Mittelpunkt; faszinierend dabei ist, wie der Kopf in etwa 15 Sektionen und Verwendungsmöglichkeiten dargestellt wurde. 2023 dreht sich alles um Nachhaltigkeit. Der „salzige“ Teil inkludiert Schinken aus Thunfisch-Bauchstücken, Käse aus Tintenfisch, Eintopf mit Meeresschnecken und vor ­allem auch unfassbar süß schmeckende fangfrische Kalmare. Bei Tisch kurz erwärmt oder mit einer Hollandaise aus deren schwarzer Tinte serviert, erfährt man im Aponiente eine neue maritime Geschmacksdimension.

Und da ist auch noch der sogenannte „süße“ Teil des Menüs. Die Idee dahinter war, die Menge der nicht verwendeten Fisch- und Meeresfrüchte­teile von bislang 25 % auf 3 % zu reduzieren. So werden dieses Jahr Mochi aus Muränenhaut, Fruchtgummis aus Algen oder Kekse aus Fischhaut serviert.
Nachhaltiger Fischfang und die Verwendung von Arten, die historisch als Abfallprodukte galten, sind neben der unbändigen kreativen Innovationskraft die bemerkenswerten Hauptmerkmale des „El chef del mar“. „Es ist doch pervers, dass wir mühevoll gewonnenes Fischfleisch wieder in den Zuchtanlagen an Fische verfüttern.“ Ángel León zeigt Alternativen auf, die mehr als nur Träumereien sind, weil sie schon existieren. Etwa Plankton aus extra dafür errichteten Produktionsanlagen. „Als wir angefangen haben, hat noch keiner über Nachhaltigkeit gesprochen, aber wir haben intuitiv danach gehandelt.“

Das Aponiente ist nicht nur ein Restaurant, sondern auch ein ehrgeiziges Projekt mit dem Ziel, die Umgebung des Restaurants zu reaktivieren. Das Gebiet wurde vor einiger Zeit noch als Müllplatz der Gemeinde benutzt. Schrittweise wurde das Gleichgewicht des maritim-terrestrischen Ökosystems wiederhergestellt, mehr als 300 Arten von Land- und Meerestieren beleben die Sumpf- und Salzwiesenlandschaft. Küstenfeuchtgebieten wie diesen könnte durch zukünftige Klimaveränderungen noch eine ungeahnt wichtige Rolle zukommen. Denn auch wenn es dem Aponiente-Team bei allen Forschungsprojekten vor allem um die Realisierung neuer Proteinquellen geht, hat diese Arbeit auch stets eine Verbesserung der Umweltressourcen zum Ziel. Um die Forschungsarbeit auch den Einwohnern der Umgebung nahezubringen, sind zum Beispiel pro Jahr rund 1.000 Schulkinder zu Gast im Chef del Mar-Forschungslabor.

Die Aponiente-Küche gibt es nicht nur im Fine-Dining-Rahmen, sondern auch im legeren Rahmen des La Taberna del Chef del Mar im Stadtzentrum von El Puerto de Santa Maria. In dem von Ángel Leóns Frau Rosa geführten Bistro gibt es neben grandioser Fischküche auch die berühmten Aponiente-Würste zu probieren; etwa Makrelen-Sobrasada, Wolfsbarsch-Mortadella und natürlich der schon zuvor erwähnten Schinken vom Bauch der etwa 200 Kilo schweren Thunfische. Oder darf es auch noch knuspriger Speck aus Muränenhaut bzw. Ossobuco vom Thunfischschwanz sein?

aponiente.com
latabernadelchefdelmar.com

Ángel León mit Tuna-Schinken
© Christian Grünwald
Meeresschnecken Als Eintopfeinlage
© Christian Grünwald
Algenbutter zum Gedeck
© Christian Grünwald