Ein Amerikaner in Paris

Mit seinem äußerst klassischen französischen Kochstil eroberte Daniel Rose die französische Hauptstadt. Nach Paris liegt dem gebürtigen Amerikaner nun auch New York zu Füßen.

Text von Georges Desrues Foto: laif

Erwacht ist Daniel Roses Leidenschaft für die französische Gastronomie, als er eines Abends knapp davor war, aus einer Fingerschale zu trinken. „Es war bei meinem allerersten Abendessen in einem edlen Pariser Restaurant“, erzählt der gebürtige Chicagoer, „bestellt hatte ich Taube, allerdings nur deswegen, weil ich damals noch nicht Französisch sprach und das Wort für Taube, also pigeon, im Englischen dasselbe ist wie im Französischen. Ich konnte folglich etwas für mich sehr Exotisches bestellen, wusste gleichzeitig aber, was es sein würde.“

Zu der Taube wurde also besagte Fingerschale serviert. Als der junge Amerikaner sie zum Mund führte, machte die Patronne des Lokals eine diskrete Handbewegung, die ihm signalisierte, dass sie nicht für diesen Zweck gedacht sei. „Das war ein wahres Schlüsselerlebnis“, erzählt Rose. „Meine Begleitung hatte sich verspätet, sodass ich Zeit fand, den Speisesaal, die Gäste, das Servicepersonal zu beobachten. Da wusste ich, dass ich in eine für mich neue Welt eintrat – in die des französischen Res­taurants. Die Diskretion und Eleganz der Hausherrin, die mich auf einen Fehler hinwies, ohne mich bloßzustellen, sondern mich im Gegenteil davor bewahrte, mich zum Trottel zu machen, symbolisierte diese Welt.“

Nach Paris gekommen war Rose einige Monate zuvor, um hier Kunstgeschichte und Philosophie zu studieren. Während der Studienzeit steigerte sich seine Faszination für die Küche und Restaurantkultur Frankreichs und wuchs sich zur Leidenschaft aus. Und so ging er nach Abschluss des Studiums nach Lyon, um am Institut Bocuse das Kochen zu erlernen. Es folgten sechs Wanderjahre in Sternerestaurants in Frankreich und Belgien (großteils ohne Arbeits- und Aufenthaltsgenehmigung, weil lediglich mit einem Studenten-Visa ausgestattet), bis er schließlich sein erstes Restaurant in Paris eröffnete. Zwei weitere in der französischen Hauptstadt und im Vorjahr auch eines in New York sollten folgen. Sie alle widmen sich in erster Linie einer einzigen Art von Küche, nämlich der traditionellen französischen in all ihren Spielarten – von Bistro- und Brasserie-Küche über die bürgerliche bis hin zur Haute Cuisine.

Dass es in Zeiten der Globalisierung, in denen auch in Paris immer mehr Burger-, Donut-, Cupcake- und Bagel-Lokale eröffnen, ausgerechnet eines Amerikaners bedurfte, um mit einem durch und durch klassisch französischen Küchenstil Erfolge zu feiern, da­rin sehen nicht nur viele Pariser ein gewaltiges Paradoxon. Weitgehend einig ist man sich allerdings, dass Rose sein Fach beherrscht wie kaum eine anderer.

„Er ist ein wahrer Meister auf seinem Gebiet“, sagt zum Beispiel Camille Labro, Gastro-Journalistin bei der Tageszeitung Le Monde. „Seine Art zu kochen berührt die Pariser auf sehr emotionale Weise. Wenn die klassische französische Küche in Paris nun ein Comeback feiert und es immer mehr Lokale gibt, die ihre Klassiker pflegen und wunderbare Gerichte wie Bœuf bourguignon, Blanquette de veau oder Pot au Feu hochhalten und pflegen, so ist das nicht zuletzt sein Verdienst.“

Die Leidenschaft des inzwischen 42-Jährigen studierten Philosophen für die kulinarische Kultur seiner Wahlheimat spiegelt sich indessen nicht nur in seiner Art zu kochen wider, sondern auch im Gespräch darüber – und in jenem über die französische Gastronomie im Allgemeinen. „Was ich zu reproduzieren versuche, ist diese Mischung aus Eleganz, Festlichkeit, Vergnügen und Schlemmerei, die mich schon bei meiner allerersten Begegnung mit der französischen Gastlichkeit beeindruckt hat“, sagt er.
Mit der Eröffnung seines Restaurants Spring setzte er das Vorhaben im Jahr 2016 erstmals in die Realität um, damals allerdings noch im sehr intimen Rahmen. „Das Lokal hatte gerade einmal 16 Plätze, ich arbeitete die meiste Zeit alleine“, erinnert sich der ständig freundliche, nicht sehr groß gewachsene Koch mit den dichten schwarzen Locken.

Der Erfolg ließ nicht lange auf sich warten. Bald stürmten die Pariser das Lokal, die Rezensenten überschlugen sich. Le Tout-Paris riss sich um die Küche des Amerikaners – und um so vertraute Gerichte wie Sole meunière (Seezunge Müllerin Art) und Kalbskopf mit Sauce gribiche, um die panierten Wachteln, die gratinierten Austern oder die pochierten Eier in Rotwein (Oeufs en meurette).

Dass sein Zugang zum Kochen vielen als etwas gar traditionell, ja bisweilen sogar nostalgisch erscheinen mag, nimmt er gerne in Kauf. „Ein gewisses Maß an Nostalgie gehört untrennbar nicht nur zur französischen Küche, sondern zur französischen Kultur im Allgemeinen, also habe ich damit überhaupt kein Problem“, betont er.

Und darin, dass gerade die englischsprachigen Medien in den letzten Jahren immer wieder über die französische Küche hergefallen sind, sie häufig als festgefahren bezeichneten, als ideenlos, altbacken und unfähig zur Neuerfindung, sieht er in erster Linie ein Missverständnis. „Einer der Grundpfeiler der französischen Küche ist das sehr konsequente Streben nach Ausgewogenheit, nach Eleganz durch Gleichgewicht. Wir sprechen hier von einem Kulturgut, das über Jahrhunderte gewachsen ist und sich nur sehr behutsam und langsam erneuern lässt. Mag sein, dass sich in unserer schnelllebigen Zeit manche Leute geradezu überfordert fühlen von dieser Langsamkeit.“

Zudem trügen auch jene Küchen, die in den letzten Jahren medial ganz besonders gefeiert wurden, zahlreiche Grundelemente der französischen Schule in sich, darunter etwa die skandinavische. „Wenn Sie das hernehmen, was man ,New Nordic‘ nennt, so ist das eigentlich nichts anderes als französische Küche. Also Großteils französische Techniken und französisches Produktbewusstsein, vor allem aber ein französischer Zugang, den die skandinavischen Kollegen auf ihr ­eigenes Umfeld, ihr Klima und ihre Kultur anwenden. Ihn also adaptieren an ihre persönlichen Empfindlichkeiten und Vorstellungen etwa von Design und Ästhetik.“

Für Rose besteht kein Zweifel, dass die Grundlage der französischen Küche der Kult um das Produkt ist. „Im Unterschied etwa zu den skandinavischen Ländern haben wir in Frankreich sehr lange Wachstums-perioden, sodass es zu jeder Jahreszeit frisches Obst und Gemüse gibt. Für alle diese hervorragenden Zutaten steht uns eine gewaltige Fülle an Zubereitungstechniken zur Verfügung, aus der wir schöpfen können. ­Zusammen ermöglicht das diese ganz bestimmte Opulenz, die der französischen Küche eigen ist.“

Doch wie sieht es mit der Kreativität aus? Ist ein derart klassischer Kochstil nicht auch ein Hemmschuh für die Entfaltung der eigenen Persönlichkeit? „Ganz im Gegenteil“, antwortet Rose, „erst die ständige Wiederholung führt zur Vollendung der Geschicklichkeit und erlaubt es in Folge, neue Ideen und Veränderungen einzubringen. Leider gibt es heute allzu viele Köche, die die Aneignung von Geschick überspringen und sich gleich mit Kreativität beschäftigen.“

Natürlich sei die Technik nicht alles, worauf es in der Küche ankomme, und die Technisierung in der Vergangenheit bisweilen zu weit getrieben worden. „Auch unter berühmten französischen Köchen gab es immer wieder welche, die allzu technikverliebt kochten. Andere wiederum, vor allem jene, die im Ausland wirkten, sorgten zudem für ein negatives Image, als sie ihre Speisen häufig unter schlecht gemachten, üppigen Saucen versteckten, weil sie außerhalb Frankreichs einfach nicht an dieselbe Produktqualität herankamen und das vertuschen wollten. Dabei ist ein weiteres Merkmal der guten französischen Küche ihre Bekömmlichkeit.“

Nach der Übersiedelung des Spring in größere Räumlichkeiten und nach der Eröffnung zweier
weiterer Lokale in Paris – dem bürgerlichen La Bourse et La Vie und dem bodenständigeren Chez la Vieille – zog es ihn nach New York, wo er im Vorjahr das Le Coucou eröffnete.

Von einer gewissen Nostalgie geprägt ist auch das Lokal in Lower Manhattan, was sich allein schon an den hohen weißen Kochmützen zeigt, die von den Köchen hier getragen werden. „Unser Ziel war, den Esprit der großen französischen Restaurants wiederzubeleben, von denen es in New York im letzten Jahrhundert mehrere gab, wie etwa das mythische und längst geschlossene Lutèce“, sagt Rose, der selbst keines dieser Lokalen persönlich kannte.

Der Erfolg des Le Coucou war so groß, dass er vor wenigen Wochen sein Pariser Flaggschiff Spring in Paris schließen musste, um das mit dem Pendeln über den Atlantik besser zu bewältigen. Dass er es unter diesem oder einem anderen Namen bald wieder aufsperren wird, schließe er nicht aus. Doch vorerst verlange der Geschäftsgang des Le Coucou höchstmöglichen Einsatz. „Es kommen ältere Gäste, die sagen, dass meine Quenelles de brochet (Hechtnockerln) so schmecken wie jene, die sie vor vierzig Jahren serviert bekamen. Und es kommen jüngere, die meinen, ich sei ein Genie, weil sie von dem Gericht noch nie etwas gehört haben und glauben, ich hätte es erfunden“, amüsiert sich Rose.

In New York habe er sich sein Netz an Lieferanten erst aufbauen müssen, doch jetzt laufe die Versorgung mit hervorragenden Zutaten wie am Schnürchen. Und das sei ja das Um und Auf seiner Küche, wie er wiederholt. Und so reißen sich inzwischen auch die New Yorker um für sie exotische Gerichte wie Kalbsbries mit ­Estragon, panierte Kutteln und Kaninchen in Vermouth. „Die Kraft des französischen Grand Restaurants liegt darin“, schließt der Wirt und Philosoph, „diese exzellenten Zutaten durch Perfektion in der Küche wie im Service zusätzlich aufzuwerten, wodurch sie dem Gast einen Zugang verschaffen zu den Lebensmitteln, aber auch zur gediegenen Mahlzeit und somit zum Leben selbst.“

1 Rue Bailleul, 75001 Paris,
Metro Linie 1, Station Louvre-Rivoli
Tel.: +33/1/42 60 15 78
www.chezlavieille.fr
Kleines Traditions-Bistro unweit der ehemaligen Markthallen, das Daniel Rose im Vorjahr übernommen hat. Klassische Bistroküche in vollendeter Form. Bar im Erdgeschoß, intimer Speiseraum im ersten Stock. Hausgemachte Pasteten und Terrinen, herzhafte Suppen, fantastisches Preis-Leistungs-Verhältnis.

La Bourse et La Vie
12, Rue Vivienne, 75002 Paris, Metro Linie 3, Station Bourse
Tel.: +33/1/42 60 08 83
www.labourselavie.com
Etwas bürgerlicher als zuvor genanntes, sowohl, was die Atmosphäre als auch die Gerichte und Zutaten betrifft. Wunderbar zubereitete, seltene Klassiker wie etwa die Süßwasserfischsuppe Pôchouse mit geräuchertem Aal oder die Choucroute à la juive (Bauernschmaus jüdische Art).

Le Coucou
138 Lafayette St, NY 10013, USA
Tel.: +1/212-271 42 52
www.lecoucou.com
Im Vorjahr hat sich Daniel Rose mit dem Unternehmer Stephen Starr zusammengetan, um sein erstes Lokal in den USA zu eröffnen. Vorbild waren die großen französischen Restaurants, wie sie in New York bis zum Anfang dieses Jahrhunderts in Mode waren. Trotz der für amerikanische Verhältnisse äußerst exotischen Zutaten ging das Konzept auf – die New York Times verlieh auf Anhieb 3 von 4 Sternen und die Gäste rissen sich vom ersten Tag an um gebackene Kutteln, Ochsenschlepp, Kaninchen und Kalbskopf.