Ein Fördertraum

Über Sinn und Unsinn von Förderungen für die Gastronomie kann man trefflich streiten. Ein Fakt ist jedenfalls unbestritten: Autoreifen und Schnitzel haben etwas gemeinsam.

Ein Fördertraum

Text von Eva Rossmann Illustration: Peter Zolly
Natürlich ist eine schaumige Pastinakensuppe mit Forellenkaviar etwas anderes als ein Videorecorder. Trotzdem verstehe ich nicht ganz, warum nur eines von beiden gefördert werden soll. Da gibt es ja die hinlänglich breitgetretene Geschichte von Toni M., ehemals Sous-Chef von Reinhard Gerer, inzwischen Inhaber einer Reihe von Restaurants mit erstaunlicher Bandbreite vom Gourmettempel bis hin zur Beamtenfütterstelle.
Nachdem Teile der niederösterreichischen Landesregierung das Wirken des Toni M. durchaus schätzen dürften (es soll welche geben, die ihm und den diversen rund um
seine kulinarischen Aktivitäten entstandenen Gesellschaften recht nahe stehen), wollten sie ihm – sozusagen unbürokratisch – aus einem offenbar vorhandenen finanziellen Engpass helfen. Weil es schnell gehen sollte (oder aus sonst irgendwelchen Gründen) hat man dabei auf ein paar Förderrichtlinien vergessen, das wurde ruchbar und die Sache abgeblasen. Soweit so gut. Öffentliche Gelder müssen nun einmal nach gewissen (zumindest formal) durchschaubaren und festgeschriebenen Kriterien vergeben werden.
Was mir allerdings nicht klar ist: Es scheint, als wäre der Ärger darüber, dass ein Wirt und Koch – okay, in diesem Fall eher ein Gastronomieunternehmer – öffentliches Geld bekommt, deutlich größer als jener über die politischen Unzulänglichkeiten bei der geplanten Förderungsvergabe. Mag sein, dass bei dieser Aufregung im speziellen Fall Neidgenossenschaften und die eine oder andere politische Ränke mitgespielt haben. Ich jedenfalls bin dem Toni M. nichts neidig (ich bin eben eine einfache Köchin und koche viel zu gern, als dass ich mich um so viel ökonomischen Groß- und Kleinkram kümmern möchte).

Vor kurzem nun hat sich die Diskussion in meinem Bekanntenkreis weg vom Anlassfall hin zum Allgemeinen entwickelt und ein kulinarisch durchaus aufgeschlossener Mensch mit dem, was man als "breiten Horizont" bezeichnet, musste feststellen: "Ich finde es schlichtweg unmoralisch, ein Restaurant zu fördern, öffentliche Gelder sollen an Sozialeinrichtungen gehen, oder von mir aus auch an Unternehmen, die etwas produzieren. Aber auswärts zu essen, vor allem teuer zu essen, das ist Luxus. Das gehört nicht gefördert.
Ich gebe zu, ich war etwas verwirrt und klar ist, dass ich auch zu denen zähle, die nicht die Hobbys von Reichen und solchen, die es vorgeben zu sein, unterstützen wollen. Aber STOPP: Gibt es Geld für die Gastronomie – natürlich nach vernünftigen und fixen Kriterien – dann subventioniert man ja nicht die Gäste, sondern das Unternehmen. Und mehr noch: Die Gastronomie – in all ihren Spielarten – ist ein wichtiger Teil des Österreich-Images (darunter verstehe ich nicht nur die Mozartkugel-Lipizzaner-Partie und auch nicht ausschließlich Betriebe, die nach antiquierten Torten heißen). Was ist an einem Videorecorder oder einem Autoreifen
förderungswürdiger als an einem rosa gebratenen Kalbstafelspitz? Selbst wenn man den volkswirtschaftlichen Faktor Gastronomie und Fremdenverkehr (könnte man sich dafür nicht endlich ein besseres Wort einfallen lassen? Allein das wäre einen staatlich geförderten Wettbewerb wert.) weglässt: Kann es einen Unterschied machen, dass das eine Produkt kürzer, das andere länger Bestand hat? Geht es bei Förderungen nicht angeblich um das öffentliche Interesse an Arbeitsplätzen? Geld für eine internationale Reifenfirma, die dann in ein paar Jahren die österreichische Betriebsstätte zusperrt, aber kein Geld für ein Restaurant, das 10, 20, vielleicht sogar mehr Arbeitsplätze schafft und sichert? Das kann es wohl nicht sein. Also gleiches Recht für alle. Die Gastronomie gehört zu den größten und beständigsten Arbeitgebern Österreichs.
Allerdings denke ich, wir Köchinnen und Restaurantbesitzer, Servicemitarbeiter, Abwäscherinnen, Spitzenköche und Gastronomieindustrielle könnten bisweilen nicht nur Förderungen in materieller Hinsicht brauchen. Da gäbe es viele zusätzliche Möglichkeiten, die über das Kursprogramm des WIFI hinausgehen und von denen ich (nicht nur im eigenen Interesse als Köchin und Genießerin) träume.
Wie wäre es zum Beispiel mit Beratung? Bekanntlich kochen wir nur allzu gerne im eigenen Saft (soll übrigens in allen möglichen Branchen vorkommen). Da wäre es doch ganz nützlich, wenn kompetente Menschen Gasthäuser und Restaurants besuchen, sich umsehen, durchkosten – nicht, um sie anschließend zu bewerten, sondern um einfach mit den Leuten in der Küche darüber zu reden, was man verbessern könnte. Nicht um Gleichmacherei sollte es gehen und schon gar nicht um das Überstülpen irgendwelcher künstlichen modernen Küchenphilosophien, sondern sozusagen ums Haus-Eingemachte: Nirgendwo müsste es unmarinierten Blattsalat – quasi als unessbare, teils bunte teils welke Deko – geben. Das dürfte sich weder in der Küche eines Fünfsternhotels mitten in Wien noch beim Wirten in einer meiner Nachbargemeinden herumgesprochen haben. Solche lebenden Förderer könnten vielleicht auch versuchen, bemühten Köchen klar zu machen, dass die Beschmutzung eines schönen, sauberen Tellerrandes mit buntem Pfeffer oder gefriergetrockneten Kräutern – sorry, hochgeschätzte Gewürzproduzenten – kulinarisch verzichtbar wäre. Oder dass die Erzeugung einer hausgemachten Roux kaum länger dauert als die allseits beliebten Packungen aufzureißen und das Zeug in Saucen und Suppen zu streuen. Ganz abgesehen davon, dass ich auch für eine
gewisse literarische Förderung wäre: Die kreativen Köpfe, die sich irgendwann einmal ausgedacht haben, dass ein Filet "an" irgendeiner Sauce liegt, sollte man strafhalber ein Wochenende lang "auf" einer Autobahnraststation Pommes frittieren lassen. Ich gebe ja zu, "an" klingt irgendwie vornehm, aber auch nicht alle "von und zu" sind es wirklich.
Und wer sich einen noch so gekonnt angerichteten Teller angesehen hat, wird feststellen: Nur im seltensten Fall schmiegen sich Sauce und Fleisch aneinander, ohne auf- oder untereinander zu liegen zu kommen.
Aber ich will weiter träumen und da fällt mir eine weitere sinnvolle Förderungsmöglichkeit ein: Wie wäre es mit Hilfe bei der Behandlung von Lehrlingen und ausgepowerten MitarbeiterInnen? Ich mag unsere Lehrlinge, aber hin und wieder blicke ich einfach nicht durch. Soll ich nett sein und alles zu verstehen versuchen, was einen Siebzehn- oder Achtzehnjährigen so umtreibt (nicht immer ist es der Erdäpfelsalat, der schon längst fertig sein sollte) oder soll ich einfach klare Befehle geben und ignorieren, dass dieses junge Genie während der Küchenzeiten fast schläft und erst wieder lebendig wird, wenn es umgezogen ist und Richtung Ausgang strebt? Was sage ich einem, der talentiert ist, den wir nach bestem Können ausgebildet haben und der plötzlich feststellt, die Gastronomie sei doch nichts für ihn, wer freiwillig am Wochenende arbeite, sei
einfach nicht ganz dicht?
Und dann Beratung im Betrieb für solche, die tatsächlich durch Arbeitszeiten und Druck und Stress ausgepowert sind, die krank und grantig werden und sich nicht mehr erinnern, warum sie Koch oder Kellnerin geworden sind – das wäre auch keine üble Sache. Küchenpsychologe/Küchenspychologin, ein neues Betätigungsfeld. Es soll ja sogar welche geben, die Gastronomiebetriebe ohnehin als "Anstalt" bezeichnen, nur weil sich der alte Kellner vor dem Vollmond, schwarzen Katzen und geschnittenen Haaren fürchtet, der Chef die Lehrlinge zum schnelleren Putzen motiviert, in dem er ihnen laut die Ö3-Weihnachtslieder-CD vorspielt (ein Horror für welche, die auf schottischen Punk stehen), die Souschefin neben Krebsenkraut und vegetarischem Zwiebelrostbraten telefonisch über Lesungstermine verhandelt ("Montag bis Mittwoch, von Donnerstag bis Sonntag koche ich" – "Ich kann Sie nicht verstehen. Es ist so laut bei Ihnen." – "Es ist Sonntag Mittag." – "Waaas?"), und die beiden Renates den Oberkellner mit steirischem Humor und Mistelbacher Grandezza ruhig am Rande des Herzinfarkts vorbeischiffen.
Aber zurück zu meinem Förderungstraum: Wie wäre es mit Förderungen zur Vermeidung unnötiger Bürokratie?
Anstelle der üblichen Buchhaltungskurse schweben mir ehemalige Beamte vor (der Staat tut ja so, als würde er viele ohnehin nicht mehr brauchen), die kommen in das Lokal und verraten uns endlich, was man alles eigentlich nicht tun muss, wie man es umgehen und vermeiden könnte. Ich denke da an unzählige Aufstellungen über Getränkestand und Warenbestand, über Tages-, Wochen- und Monatsumsätze, aufgeteilt in alle möglichen Gruppen und Klassen. Oder seltsame Vorschriften über das Führen von Arbeitsaufzeichnungen im Verhältnis zu vorgehabten Arbeitszeiten (die sich von jedem Betrieb im Computer so einfach türken ließen, dass sie unsinnig sind). Zum Glück habe ich damit nicht viel zu tun, aber ein Anti-Zeit-Stehl-Programm der Regierung für die Gastronomie, das wäre schon etwas. – Im Gegenzug könnten diese Anti-Bürokraten nach ihrer Erfahrung mit Gastronomiebetrieben ja die Verwaltung beraten.
Ja, und wie wäre es mit der Förderung von Sprachkursen? Nein, ich rede da nicht nur von Deutsch für unsere geschätzten KollegInnen aus anderen Ländern. Mir schwebt das gezielte Angebot von Gastronomie-Sprachkursen vor: Englisch, Französisch, Italienisch, aber auch Tschechisch, Polnisch, und – nicht zu vergessen – Russisch.
Einer meiner innigsten Wünsche wäre freilich eine Image-Kampagne für den großartigen Beruf des Kochs, der Köchin und seine Möglichkeiten. Da gibt es so einige in der Branche, die ständig auf der Suche nach arbeitswilligen, halbwegs stress- und hitzebeständigen, wenn geht, einschlägig ausgebildeten und interessierten MitarbeiterInnen sind. – Wobei mir da gleich noch eine Förderungsmöglichkeit einfällt: Wie wäre es mit Schulungen vor Ort für den Umstieg interessierter Hilfskräfte – zum Beispiel von der Abwasch an den Herd? Bei uns traue ich das sowohl Jolanda als auch Frau Gruber zu. Und wenn ich mir vorstelle, dass Frau Gruber nach solcher Förderung dann vom Gardemanger her in ihrem breiten Weinviertlerisch ihr unverkennbares "Cheeeef, mach‘ ma schoooo" sagt, weiß ich, dass bei uns in der Gastronomie fast nichts unmöglich, aber noch viel mehr möglich wäre.