Eine Halbinsel, zwei Welten

Istrien, die frühere Billig-Destination, wird zunehmend schicker und luxuriöser. Und dennoch überleben Orte der Ursprünglichkeit, an denen exzellente Produkte erschwinglich und gänzlich unverfälscht daherkommen.

Text von Georges Desrues/Foto von Georges Desrues

Lange Zeit stand es leer und verfiel zusehends – das imposante steinerne Gebäude hoch über dem pittoresken Tal des Flusses Mirna. Dann erwarb Mladen Rožanic´ die denkmalgeschützte ehemalige Gemeinschaftskellerei, ließ sie renovieren und umbauen und eröffnete im Vorjahr ein exklusives Boutique-Hotel mit Restaurant und angeschlossenem Weingut. Das erste echte Wein-Resort in ganz Istrien, wie Rožanic, der zu den berühmtesten Winzern in ganz Kroatien zählt, betont haben will. Und tatsächlich beeindruckt die Anlage mit spektakulärem Ausblick, mit individuell gestalteten Zimmern, Infinitypool und erstklassig ausgestatteter Küche inklusive Fleischreifeschrank, Lava-Grill und ­eigener Rotisserie. Das Ganze über der modernen Kellerei, die sich mehrere Stockwerke tief in die Erde gräbt.

Das Roxanich Wine & Heritage Hotel mag das erste Wein-Resort in Istrien sein, die einzige Großinvestition auf der Halbinsel in Sachen Luxustourismus ist es nicht. Allerorts in der ehemaligen Billigdestination wird investiert, gebaut, neueröffnet. Das alles dank zahlungskräftiger kroatischer und internationaler Financiers sowie Fördermittel der Europäischen Union, von denen auch das Roxanich profitierte. Zudem eröffnen immer mehr Restaurants, die sich ­einer kreativen und ambitionierten Fine-Dining-Küche verschrieben haben, von denen allerdings nicht alle zu überzeugen wissen.

Rožanic möchte es anders angehen. „Wir wollen kein Fine-Dining-Restaurant sein, sondern die herausragenden Produkte unserer Gegend auf gekonnt gediegene und direkte Weise präsentieren“, betont der Winzer und Neo-Gastwirt. Und tatsächlich hat Istrien auf dem Gebiet einiges zu bieten.

Da wäre zum Beispiel das exzel­lente Fleisch der lokalen Rinderrasse Boškarin, dessen imposante Teile in Rožanic´’ Kühlschrank reifen. Aber auch Wild wie Hase, Reh und Wildschwein, von dem es im dünn besiedelten Landesinneren nur so wimmelt. Zudem Fisch und Meeresfrüchte, mit denen die Halbinsel gesegnet ist, darunter auch die flachen, autochthonen Austern vom Limski-Fjord oder die berühmten Scampi aus der Kvarner-Bucht. Dazu Hummer, Garnelen, ­Venusmuscheln und jedmögliche Arten Fisch. Ab Spätsommer gibt’s Stein­pilze sowie die nur südlich der Alpen vorkommenden Kaiserlinge. Und dann natürlich exzellentes Olivenöl sowie die legendäre istrische Trüffel, die in ihrer weißen, wertvolleren Variante nur von Oktober bis Jänner, in der günstigeren schwarzen allerdings ­nahezu das ganze Jahr erhältlich ist.

Eine der ersten Anlaufstellen für Trüffel liegt nur etwa eine halbe Autostunde vom Roxanich in Richtung Norden. Der Hof von Familie Toncic ist ein Juwel von ­einem Agriturismo, in sensationeller Lage mit Terrasse und atemberaubendem Ausblick über grüne Hügel und Olivenhaine. Sandro Toncic serviert Lamm- und Schweinefleisch, Prosciutto und Salami, Gemüse und Wein – alles aus eigener P roduktion. Zudem sammelt er mit seinen Hunden Trüffel.

„Im Unterschied zur Weißen muss man die Schwarze Trüffel erwärmen, also mitkochen, damit sie ihr Aroma entwickelt“, erklärt der Wirt und serviert zu Antipasti aus Schinken, Salami und eingelegtem Gemüse auch ein Rührei, das reichlich bedeckt ist mit gehobelter Schwarzer Trüffel. Gehobelt diene sie ­allerdings lediglich der Dekoration, betont der Wirt und Trüffelsammler, für Geschmack indessen sorgten jene Stücke, die in das Rührei bereits hineinverarbeitet wurden.

Als „Primo“ bringt seine Frau Sandra eine Schüssel Fusi, die lokale Spielart der Pasta. Darüber hobelt sie am Tisch richtig eindrucksvolle Mengen Trüffel – diesmal Weiße – rührt um und hobelt wieder, als wäre der seltene Pilz nichts weiter als ein ganz gewöhnliches Stück Parmesan. Kein Vergleich mit den homöopathischen Mengen, die in den Lokalen rund um die Stadt Alba im Piemont serviert werden. Das Ganze um einen Preis, für den man in der berühmten, vermeintlichen Trüffel-Welthauptstadt bestenfalls gebackene Champignons bekommt.

„Unsere Gäste kommen mehrheitlich aus dem nahen Italien, also aus der Gegend rund um Triest“, erklärt Sandro Toncic. „Und den Triestern galt Istrien schon jeher als das Hinterland ihrer Stadt, in das sie mit ihren Eltern und Großeltern Tagesausflüge machten, um gut, aber auch günstig zu essen. Für Fine Dining und hohe Preise haben sie nur wenig übrig.“

© San Canzian Village & Hotel; Eines der attraktivsten Hotels in Istrien ist das San Canzian.

Zudem stammen zahlreiche Triester aus Istrien. Viele von ihnen haben Vorfahren, die ihre Heimat nach dem Zweiten Weltkrieg verlassen mussten und nach Italien auswanderten. So gut wie alle Städte entlang der istrischen Küste sind, wie an ihrer Bausubstanz leicht erkennbar, venezianische Gründungen, in denen bis in die Nachkriegszeit mehrheitlich italienisch beziehungsweise eine lokale Variante des venezianischen Dialekts gesprochen wurde. Kein Wunder also, dass die istrische Küche etliche Züge der italienisch-venezianischen aufweist.

Wie etwa im Fall des cremigen Aufstrichs aus Stockfisch und Olivenöl, den die Venezianer Baccalà und die Kroaten Bakalar nennen. Und nach dem die meisten Istrianer aller Volksgruppen geradezu verrückt sind. Neben dem hausgemachten Aufstrich aus dem getrockneten Kabeljau, der schon seit Jahrhunderten aus Norwegen importiert wird, da Kabeljau in der Adria bekanntlich gar nicht vorkommt, gibt es in der Konoba Madalu auch lokale Fischspezialitäten. Wie etwa einen Muscheltopf mit gedämpften Mies-, Jakobs- und Venusmuscheln. Oder die beispiellos süßlichen Kvarner Scampi, die man hier gegrillt oder roh bestellen kann. Der Rahmen ist denkbar einfach, das Setting geradezu sensationell. Man sitzt in einer Art rustikalem Verschlag am Ufer ­einer Meereszunge und vor schaukelnden Fischer- und Ruderbooten.

Nur etwa eine halbe Stunde weiter südlich ist das Setting ähnlich pittoresk, der Rahmen sogar noch rustikaler. Tony’s Oyster Shack, direkt am Meeresarm namens Limski-Fjord gelegen, gilt als absolute Pflichtetappe jeder Istrien-Reise. In einer zusammengeschusterten Holzhütte direkt am Wasser gibt’s wundervolle Austern aus eigener Zucht. Dabei handelt es sich um die seltene Europäische, also um jene flache Sorte, die die Franzosen Belon nennen. Venusmuscheln (sowohl die mit rauer als auch jene mit glatter Schale) werden ebenso serviert und dazu Weißwein im Plastikbecher.

© Maistra; Fine Dining im Cap Aureo

Eine weitere halbe Stunde südlich kann man sich dann wieder ein Bild vom „anderen“, dem neuen und schicken Istrien machen. Dort steht seit wenigen Monaten gleich gegenüber der prächtigen Altstadt von Rovinj das neue Flaggschiff der istrischen Hotellerie – das Grand Park Hotel. Entree und Lobby des riesigen Fünf-Sterne-Hauses haben Flughafendimensionen. Und hinter einer ausladenden Fensterfront wirkt die Altstadt auf ­ihrer Halbinsel wie eine kitschige ­Fototapete. An ein Fine-Dining-Restaurant mit gut selektiertem Wein­keller wurde freilich auch gedacht. Und so war die Eröffnung des Cap Aureo auch das Gastro-Event des Jahres in Kroatien.

Als Küchenchef fungiert Jeffrey Vella, ein gebürtiger Malteser, der seit vielen Jahren in Kroatien lebt und ­lokale Gerichte und Zutaten nicht nur in- und auswendig kennt, sondern sie auch neu interpretiert in Szene zu ­setzen weiß, ohne dabei ins Kitschige zu verfallen. Wie etwa karamellisierter Karfiol mit geröstetem Ziegenkäse und Wintertrüffel; oder in Butter geröstete Schwarz­wurzeln mit Seeteufel und Kapern.

Dazu trinkt man am besten Wein der lokalen Sorte Malvasia Istriana, welche von den besten Winzern der Region gerne mazeriert – also als Orange Wine – ausgebaut wird. Zu Letztgenannten zählen die zwei Superstars des istrischen Weinbaus, nämlich bereits genannter Mladen Rožanic´ und Giorgio Clai, aber auch der junge Franzose kroatischer Abstammung Dimitri Brecˇevic´.

Während die beiden „Naturwinzer“ Rožanic und Clai erst kürzlich in die zweifellos glamourösesten Weingüter Istriens investierten, nutzt der gleichfalls ­naturnah arbeitende Brecˇevic´ einen rudimentären aufgelassenen Wassertank aus der Zwischenkriegszeit. Und während die Weine der beiden Erstgenannten längst auch im Ausland berühmt sind und dementsprechend stolze Preise erzielen, steht Brecˇevic´’ Weingut Piquentum für ein geradezu sensationelles Preis-Leistungs-Verhältnis.

Was nur belegt, dass der Graben zwischen Luxus und Bodenständigkeit, der das gesamte istrische Gastgewerbe durchzieht, auch vor der Weinproduktion nicht haltmacht. Dem Besucher soll’s recht sein. Zum einen, weil so jeder auf seine Kosten kommt, und zum anderen, weil es sowieso nur langweilig wäre, eine Region ausschließlich von einer Seite kennenzulernen.

Fine dining

Cap Aureo, Rovinj
Im Vorjahr eröffnetes und ambitioniertes Spitzenrestaurant des Grand Park Hotel von Rovinj, das zum Flaggschiff der istrischen Gastro­nomie werden soll. Hohe Produkt­qualität und ein Küchenchef, der sein Handwerk beherrscht.
www.maistra.com

Monte Restaurant, Rovinj
Erstes vom Michelin besterntes Restaurant Istriens. Nur etwas für überzeugte und strapazierfähige Fine-Dining-Freaks.
www.monte.hr

Draga di Lovrana, Lovran
Die Villa ist prachtvoll, der Ausblick von der Terrasse wie vom Speisesaal atemraubend. Ambitionierte, gelegentlich schwankende Küche aus hervorragenden Zutaten. Seit Kurzem mit einem Michelin-Stern ausgezeichnet.
www.dragadilovrana.hr/restaurant

Hotels

Grand Park Hotel
Völlig neu gestaltetes, von Architektur, Lage und Dimensionen her äußerst eindrucksvolles Luxushotel mit sensationellem Blick auf die Altstadt Rovinjs. Dazu Privatstrände, Spa und all der sonstige Pipapo, den man sich von einem Haus dieser Kategorie ­erwarten darf.
www.maistra.com

Roxanich Wine & Heritage Hotel
Naturwein goes Luxusresort. Im Vorjahr eröffnete Istriens wohl berühmtester Winzer dieses architektonisch spektakuläre Haus mit ebensolchem Ausblick, Infinitypool, angeschlossenem Weingut und psychodelisch ­dekorierten Zimmern. Restaurant mit großem Potenzial, aber bei unserem Besuch noch ohne fixen Küchenchef.
www.roxanich.hr

San Canzian
Erst vor Kurzem und sehr geschmackvoll zu einem Hotel umgebauter Weiler aus altem Stein auf einem Hügel mit tollem Ausblick und gepflegtem Service. Unprätentiöses Restaurant mit (spürbar) italienischem Küchenchef und angenehmer Terrasse.
www.san-canzian.hr

Weingüter

Roxanich, Mladen Rožanic´
Einer der Pioniere unter den kroatischen Naturweinwinzern bietet eine schwer überschaubare Vielzahl an Cuvées sowie sortenreinen Weinen (siehe „Hotels“).
www.roxanich.hr

Giorgio Clai
Legendärer Winzer mit eindrucks­vollen Weinen und neu gestaltetem Weingut in prächtiger Lage. Die Weine zählen zu den besten Kroatiens.
www.clai.hr

Piquentum

Weil Giorgio Clai aus Altersgründen nicht mehr allzu viel arbeiten möchte, hat er Dimitri Brecˇevic´ als Wein­macher engagiert. Brecˇevic´ betreibt ­nebenbei sein eigenes Weingut, das berühmt ist für sein sensationelles Preis-Leistungs-Verhältnis.
www.piquentum.com

Fisch und Meeresfrüchte

Madalu
Einfache Gerichte aus Fisch und Meeresfrüchten in rustikalem Rahmen und direkt an einem Meeresarm gelegen. Wirt Mauro beschäftigt seine gesamte Familie und führt Schmäh in mehreren Sprachen.
Vabriga, Santa Marina,
Tar-­Vabriga 52465,
Tel.: +385/95 854 67 08

Tonys Oyster Shack
Wie der Name erahnen lässt: extrem einfache Bretterbude am Ende des sogenannten ­Limski-Fjords. Spektakuläre Austern und weitere Muscheln, dazu Brot und Wein im Plastikbecher. Sonst nichts.
www.istrida.com/indexeng.html

Konoba Astarea
Nino Kernjus war das erste Corona-Opfer Kroatiens. Der weit über die Grenzen Istriens hinaus beliebte Wirt galt auch als ein Meister der Peka, also der traditionellen gusseisernen Grillglocke, in der er Fisch (und Fleisch) zur Perfektion garte. Seine ­Hinterbliebenen sind bemüht, Erbe und Qualität fortzuführen.
www.konoba-astarea.com

Damir & Ornella
Winziges Restaurant im Zen­trum von Novigrad, in dem kaum gekocht, der Fisch stattdessen roh serviert wird. Hier nennt man das „adriatisches Sushi“. Manche finden das alles prätentiös, die Fischqualität ist jedenfalls unbestritten.
Zidine ulica 5, 52466, Novigrad,
Tel.: +385/52 75 81 34