Fleisch wird süss
Trends, Tendenzen und Impressionen von der Madrid Fusion, die auch im zehnten Jahr gegen die ideenmäßige Stagnation in der Spitzengastronomie ankämpft.
Fleisch wird süss
Text von Christian Grünwald Foto: beigestellt
in Mal im Jahr will die Branche bei der Madrid Fusion ihre Kreativität unter Beweis stellen. Es ist ein wenig so, wie wenn Hollywood die besten Kräfte für eine Party sammelt, um zu zeigen, dass die Dreamfactory noch unter Volldampf steht. Dass ein Stummfilm aus Frankreich fünf Oscars gewinnt, ist dann zwar so, wie sich die Spanier und Franzosen fühlen, wenn angeblich die Skandinavier die beste Küche der Welt zelebrieren, aber man kann eben nicht immer auf Platz 1 liegen. Und was die Wirtschaftsmacht angeht, kann sich das feine kleine skandinavische Edelwirtshauswesen ohnehin nicht mit dem frankophilen Filialismus von Ducasse, Robuchon & Co in wichtigen Märkten wie den USA und Asien messen.
Mangels echter Stars ist der wahre Star das Produkt. Witzigmann hat also recht mit diesem immer wieder benutzten Satz, nur ist er wirklich ein Star. Und ebenso wenig da wie Ferran Adrià. Die spanische Gourmetwelt hat nach seinem Abgang medial deutlich an Magie verloren. Nicht, dass seine Kollegen nicht großartige Techniker und Köche sind, allein, es fehlt ihnen an Charisma. Etwas, das auch österreichische Köche nicht auf internationalen Bühnen aussenden und darum Branchentreffs wie diesen vorsorglich fernbleiben.
Österreich wird zumindest am Rand besprochen. Wie es der Zufall will, kommt der Autor dieser Zeilen mit Björn Frantzén vom gleichnamigen Restaurant in Stockholm ins Reden. Da ging doch letztes Jahr dieser Brief aus Schweden auf die Reise, der 1:1 übersetzt im Taubenkobel landete. Ja, das finden sie in Stockholm immer noch lustig, wenngleich gelassen, weil es ja mehr um ein Text-Copyright ging, als um eine Kopie der Speisen. Wir haben dann noch Alain Weissgerber, Co-Küchenchef im Taubenkobel dazugeholt, der als einziger namhafter Küchenchef die Madrid Fusion als Zuhörer verfolgte. Das Gespräch war gut. Manches wird eben doch nicht heiß gekocht, sondern mit Niedertemperatur gegart.
Björn Frantzén und sein Partner Daniel Lindeberg konzentrieren sich auf die Suche und Wahl des optimalen Grundprodukts. Besonders intensiv tun sie das in Sachen Fisch. Jedes Detail ist wichtig: kleine Verpackungseinheiten zum Beispiel, im Idealfall ist ein Fisch einzeln verpackt, um Druckstellen durch das Eigengewicht in größeren Kisten zu vermeiden. Und es kommt das Wissen, dass zum Beispiel absolut frischer Fisch nicht zwingend der beste sein muss. Auch Fisch braucht, je nach Art, eine gewisse Zeit, bis das Fleisch bei der Zubereitung eine optimale Konsistenz entwickeln kann. Es muss eine Art Reifungsprozess durchlaufen, der in mancherlei Hinsicht durchaus mit jenem von Fleisch zu vergleichen ist. Und natürlich kommt der Fangsituation eine ganz entscheidende Bedeutung zu: „Fische, die beim Fang Stress haben schmecken bitter. Fehlt der Stress, haben sie am ersten Tag nach dem Fang eine ganz zarte süße Note. So soll Fisch im Optimalfall schmecken.“
www.frantzen-lindeberg.com
Back to nature ist auch das Leitmotiv von Magnus Nilson in seinem Restaurant auf der kleinen Insel Fäviken im westlichen Schweden. Die Prinzipen für das 12-Personen-Lokal sind ebenso alt wie radikal und zukunftsweisend zugleich: Zubereitet wird nur, was auf der Insel verfügbar ist. Das schärft die Sinne des Kochs gleichermaßen wie jene der Gäste, die mit dem Boot anreisen müssen. In einer Videoshow auf der Bühne präsentiert Nilson, der mit seinem Bart und den langen Haaren an einen sanften Wikinger erinnert, Teile vom Rinderrücken wie man sie nur erhält, wenn man sich selbst um die Reifung des Fleischs kümmert.
Zum Teil sind die Stücke krass verfärbt. Das Fett sehr gelblich, das Fleisch selbst sehr bräunlich bis ins blaue gehend. „Wir erhöhen zu Beginn die Lagertemperatur ganz bewusst für einige Zeit auf 10 Grad, damit der Reifungsprozess wie wir ihn wollen, auch wirklich vernünftig in die Gänge kommt.“ Ok, einiges wird vor der Zubereitung wohl weggeschnitten, aber trotzdem wird hier ein völlig ungewohnter Fleischgeschmack gesucht. „Ich mag das Fleisch, wenn es diese unglaublichen malzigen Töne entwickelt, danach suche ich.“
Wenn man Magnus Nilsons Vortrag konsequent weiterdenkt, darf man in den nächsten Jahren die Rückkehr des klassischen Haut-gout bei Wild, aber auch bei selbst gereiftem Fleisch erwarten. Ob man das wirklich mag? Tatsache ist jedenfalls, dass auffallend viele Spitzenköche den eher uniformen und nicht besonders ausdrucksstarken Geschmack von Fleisch überdrüssig sind. Gesucht ist eine neue Intensität, die sich schon jetzt in zum Teil sehr kräftigen, stets ins Süße gehenden Saucen ausdrückt – und vor allem in selbst gereiften Fleischstücken, die einem kein Fleischhändler mehr freiwillig aushändigen würde.
www.faviken.com
Magnus Ek hat konsequenterweise sein bisheriges Restaurant Oaxen Krog geschlossen, um 2013 in Stockholm, wieder auf einer der unzähligen kleinen Schären-Inseln, ein Neues zu eröffnen. Bis dahin hat er genug zu tun: Er hat eine eigene kleine Fleischhauerei gegründet, wo er selbst Fleisch reift und mit der Herstellung von selbst gemachten Würsten experimentiert. Oder auch selbst räuchert. Rentierherz zum Beispiel, das er dann mit Pilzpulver bestreut serviert: Wald pur …
Im Zentrum steht aber die Reifung von Rindfleisch. Er lässt es im Kühlhaus sagenhafte acht Wochen lang abhängen. „Ich suche nach diesem nussig-süßen Geschmack, wie man ihn auch bei tollem jahrelang luftgetrockneten Schinken hat.“ Letztlich wird dann das Fleisch im Vakuum verpackt einige Stunden bei 55 Grad gegart. Danach packt Magnus Ek das Fleisch in Baumrinde, zündet diese an und stellt das glosende Paket unter eine Metallcloche und lässt das Ganze etwas nachziehen. Dazu in viel brauner Butter gebratener Topinambur, Schweinsgrammeln und eine intensive Ochsenreduktion. Ein Hauptgang eben.
www.oaxenkrog.se
Angel León tüftelt in seinem Restaurant Aponiente im andalusischen Cadiz seit Jahren an Möglichkeiten, wie seine Gäste das Meer neu und noch intensiver schmecken können. Neuerdings konzentriert man sich auf Produkte, die schon den Anspruch haben, besonders zu sein. Fischaugen werden bei ihm zu einer intensiven Sauce. Auch die Innereien vom Tintenfisch stehen hoch im Kurs und haben dazu auch saisonalen Appeal: Sie schmecken je nach Jahreszeit anders, mal süßer, mal würziger – auch sie finden Eingang in Saucen. Wichtig ist, meint Ángel León, dass man sowohl als Küchenchef wie auch als Gast keine Angst vor dem Unbekannten hat. Kann man aber bekommen, wenn man darüber nachdenkt, dass nun auch schon Plankton als Würze und zusätzliches Ingredienz auf den Teller kommt? Entzieht man so nicht vielen Meeresbewohnern noch mehr Ressourcen als ohnehin für das Öko-System verträglich ist? León sieht das mehr philosophisch: „Plankton ist für mich wie die Asche des Lebens im großen Ozean. Der Kreislauf startet immer wieder aufs Neue – mit und ohne unser Zutun.“ Ángel León servierte nach der Ölkatas-trophe im Golf von Mexiko seine Fischgerichte als Mahnung und mit deutlichem Hinweis darauf auf intensiven schwarzen Saucen.
Optisch und geschmacklich verblüffend auch, die auf Basis von Planktonextrakt und verschiedenem Fisch und Meeresgetier basierende Meer-Wurst, León nennt sie „ibéricos del mar“. Mehr. Noch erstaunlicher sind die Fleischimitate, die aus besten Filetstücken gebildet werden. Ein Medaillon vom Seebarsch gleicht dann mit einer großen anhaftenden Gräte einem zugeputzten Lammkotelett.
Sehr spektakulär klingt, was die Gäste im Aponiente noch vor dem Sommer erwarten soll: eine Suppe, die nicht nur den ultimativen Meergeschmack besitzt, sondern im Teller auch die Wellenbewegungen des Atlantiks simuliert.
www.aponiente.com
Man bekommt den Eindruck, ohne Tintenfisch ist der kreative Koch heute nicht gerne. Auch die Brüder Javier und Sergio Torres setzen auf einen Fond daraus, der wesentlich klarer und intensiver sein soll, als jener aus gewöhnlichem Fisch. Wobei die beiden schwören, dass es vor allem auch von der Temperatur abhängig ist: je moderater der Fond köchelt, um so intensiver ist das Aroma. Der Grundfond des Restaurants Dos Cielos im 24. Stockwerk des Me-Hotel besteht übrigens aus 45 Gemüsesorten, wobei vor allem die Schalen gekocht werden. Warum die Fonds so wichtig sind? Weil die Torres-Brüder möglichst viele Speisen entweder im Niedriggarverfahren oder auch nach der Sous vide-Methode zubereiten, da wird der Fond neben dem Eigengeschmack der Produkte zum entscheidenden Faktor. Den Gast wird vor allem noch kümmern, dass im Dos Cielos praktisch kaum eine Barriere zwischen Küche und Restaurantraum angestrebt wird. Ja, das hat Zukunft.
www.doscielos.com
Ohne Hightech geht nichts. Wer sich vergegenwärtigt, was die präsentierten Maschinenarsenale in den einzelnen Küchen kosten, kommt ins Grübeln. Da werden Geräte verwendet, die für 40.000 Euro gehandelt werden. Extrem auch, was damit produziert wird: 1 Liter Fond kann einen Wert von 1.500 Euro haben. Da wird dann jeden Tag in der Küche peinlich genau auf den Milliliter-Stand geachtet, wie man es sonst nur in der Bar tut.
Elena Arzak zählt wohl zu jenen Küchenchefs, die von der Industrie viele Geräte testweise zur Verfügung gestellt bekommen. Schließlich muss die Technik ja auch mit einer sinnvollen Verwendung kombiniert werden und diese kann die Arzak-Versuchsküche in San Sebastian wie kaum sonst jemand für die Praxis auf Alltagsfähigkeit checken. Seit Jahren wird bei Arzak die Idee verfolgt, durch Gefriertrocknen und anschließendes Dehydrieren Aroma zu konservieren und zugleich auch zu intensivieren. Man darf sich das im Endeffekt wie Nescafe-Granulat vorstellen, nur eben vom Bonito oder auch von allen möglichen Fonds oder Gemüseextrakten. Ein Aromaspeicher für Jahre, abseits aller Saisonen und Ernten, jederzeit aktivierbar. Wertvoll wie kleine Goldbarren – und darum wahrscheinlich nicht die Zukunft.
www.arzak.info
Heston Blumenthal zählt ebenfalls zu den globalen Hightech-Gourmet-Big-Playern, denen die Industrie jedes neue Gerät samt Technologie förmlich aufdrängt. Er verwehrt sich gegen den Vorwurf, dass er für einen guten technischen Gag in der Küche alles tun würde. „Wir haben drei Forschungsküchen. Eigentlich haben wir schon in den Neunzigern jeden Unsinn gemacht: zum Beispiel die schwebende Speisekarte im Restaurant. Jetzt gehen wir lieber wieder back to the roots.“
Heute können ambitionierte Küchenchefs mit Technik unglaubliche Dinge anstellen. Was sie sich aber nicht erlauben dürfen, ist das Überspringen der klassischen Ausbildung. „Wenn du nicht weißt, wie und warum ein Steak perfekt wird, dann wirst du auch sonst Probleme haben, um ans Ziel zu kommen.“
Dass Kochen immer mehr zum wissenschaftlichen Experiment verkommt, will Blumenthal nicht hören: „Molekulargastronomie ist nicht tot – sie hat nie gelebt. Beim Kochen gibt’s immer physikalische und chemische Aktionen. Wasser, Zucker, Salz, das kann man alles auch in Formeln ausdrücken, darf es dabei aber nicht negativ-künstlich betrachten. Die Technik allein war es sowieso nie – es brauchte immer einen emotionalen Aspekt.“
Kreativität in der Küche ist nicht etwas, was nur in unserer Zeit gelebt wurde. „Die beste Evolution findet statt, wenn du alte Tradition mit moderner Technologie belebst und umsetzt. Das hat ja auch die Nouvelle Cuisine getan, als sie die Küche von Marie-Antoine Carême wiederbelebt hat. Autos werden schneller und sicherer, TV-Geräte haben ein besseres Bild, warum soll nicht auch die Küche mit besserer Technik und besseren Zutaten noch besser gemacht werden.
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