Freiluftlabor und Frischzellenkur
Wild auf dem Teller, Wald im Blick. Die Feldküche schaut hin, wo andere nicht hinschauen. Und ist mit ihren begehrten Tafeln zu einer neuen Form der Gastronomie geworden.
Text Anna Burghardt Fotos Astrid Knie
Es ist fast Mitternacht, als Thorsten Probost vor der alten Jagdvilla in der Nähe von Mariazell in sein Auto steigt und winkend davonfährt. Auf einem Parkplatz bei Amstetten wird er ein paar Stunden schlafen, bevor es weitergeht nach Oberlech, seinem Arbeitsplatz im Burg Vital Hotel, wo er gleich am Vormittag einen Termin hat. „Das nächste Mal gleich eine ganze Woche, Burschen!“, hat er den Zurückbleibenden noch zugerufen. Die Zurückbleibenden, das ist das Feldküchen-Kollektiv. Probost hat in deren „Wild- und Waldwerkstätte“ einen Kurs im Rehzerlegen gegeben, hat gebetet, dass die Haken in der Decke, an denen das Tier hing, halten, und hat an einem Juliabend für zig Gäste in der Wiese vor der imposanten Krupp-Jagdvilla, einer Liegenschaft der Bundesforste, ein Wildmenü gekocht. Im Alleingang. Vorbereitet wurde das Menü in der Küche des Jagdhauses auf dem alten Holzherd und zwei Kochplatten (ach ja, zwischendurch, alles ganz easy, alles ganz entspannt, nahm er Interessierte noch auf eine Wildkräuterwanderung mit). Die Teller finalisiert hat Thorsten Probost dann in der transportablen, mit Holzplatten verblendeten offenen Feldküchen-Küche vor dem Haus, mit Blick auf den stillen Hubertussee.
Die Feldküche, das ist eine Veranstaltungsreihe, die uns gerade noch gefehlt hat. Matthias Felsner, Martin Fetz und Christian Feurstein – Zufall, dass alle Namen wie auch das Projekt Fe als Initialen tragen – haben mit der Idee einen Nerv getroffen. Lange Tafeln unter freiem Himmel, an ungewöhnlichen Orten; bei Regen in einem Stadl statt auf einer Almwiese oder aber bei Prachtwetter trotzdem im gläsernen Gewächshaus, denn wann hat man schon die Gelegenheit … Aneckende Weine aus anerkannten Gläsern. Gewöhnliche und ungewöhnliche Zutaten, verkocht von bekannten wie unbekannteren Köchen und Köchinnen. Angerichtet auf einem bunten Sammelsurium an Tellern – von Tannengrün-Blümchen-Goldrand bis 80er-Krixikraxi in Flieder-Gelb-Schwarz ist alles drin. Wer ruft, „den Teller hatte ich schon einmal!“, outet sich als Wiederholungstäter. Und derer gibt es mittlerweile zahlreiche – auch unter den Köchen, wie Alain Weissgerber oder Christoph Fink. Die Feldküche-Abende sind begehrt, gehören für viele Essbegeisterte zu einem richtigen Sommer dazu, und auch eine weitere Anreise samt Übernachtung wird nicht gescheut.
Dass die Rückfahrt so lang werden würde, war Thorsten Probost jedenfalls nicht bewusst, als er zusagte, bei der Feldküche zu kochen. „Ich habe gewusst, wann, aber noch nicht, wo. Dann hab ich den Ort erfahren und mir gedacht, oh. Das ist schon weit weg.“ Probost ist nicht der einzige renommierte Koch, der eine solche Anreise auf sich nimmt, um Teil der Feldküchen-Idee zu werden. Ihm sind in den Vorjahren Köche wie Philipp Inreiter, Noma-erfahren und derzeit im Relae in Kopenhagen, Gerhard Krießmann vom Serfauser Hotel Schalber oder Taubenkobel-Chef Alain Weissgerber vorausgegangen, und weitere freiwillige Gastarbeiter sollten Probost im Sommer 2015 folgen: die junge Vorarlbergerin Milena Broger etwa, kürzlich aus Japan zurückgekehrte Astrid-Lindgren-Film-Idealbesetzung, die für das heimische Wild eine Würze aus rotem Miso vorsah. Oder Christoph Fink, eigentlich Koch in der schwedischen Botschaft in Wien, der sich bei der Feldküche nicht zum ersten Mal wild- und waldmäßig austoben kann wie nur was. Mit Föhrenrindenbiskuit etwa, mit Mädesüß-Creme, Labkraut-Frischkäse oder Mufflontatar. Oder an einem weiteren Ort der heurigen Feldküchen-Saison, am Langbathsee, Christian Petz, der „die größte Freude mit seinen fermentierten Himbeerblättern hatte“, wie Matthias Felsner vom Feldküchen-Kollektiv berichtet. Ob die Köche gewisse Teile des Menüs schon in ihrer Stammküche vorbereiten oder ob sie völlig ohne Mise en place anreisen, ist ihnen überlassen.
Begonnen hat alles im Bregenzerwald, im Herbst 2010, als ein paar Freunde beschlossen, mit dem Sudern, dass es in der eigenen Region nichts gäbe, aufzuräumen. „Ein klassisches österreichisches Phänomen“, meint Martin Fetz. „Der Ausgangsgedanke der Feldküche war also, dass es in ganz vielen Regionen ganz viele tolle Sachen gibt, nicht nur Essen, sondern auch Menschen, Plätze, Köche, Produkte.“ Im Sommer darauf, 2011, startete man ganz klein als „klassisches Gathering von Freunden“, ergänzt Matthias Felsner. Bei der dreitägigen Freiluft-Veranstaltung kochten am ersten Tag jene Freunde, die die Inspiration geliefert hatten, an den anderen zwei Tagen Jodok Dietrich, der schon beim Schweizer Kochsuperstar Andreas Caminada gearbeitet hatte. Die Zutaten kamen hauptsächlich aus dem Freundeskreis. „Eine Freundin hatte einen Kräutergarten, der andere Tomaten oder Salat und so weiter.“ Der Name Feldküche war von Anfang an klar. „Feld und Küche ist Feldküche“, sagt Martin Fetz. Zweideutig gemeint war da gar nichts, „von uns war ja niemand beim Heer“. Dass man beim Googeln von „Feldküche“-Bildern vor allem schlammfarbene Gulaschkanonen zu sehen bekommen würde, war den drei Ursprungsherren des Kollektivs Feldküche also nicht bewusst, sie kannten den militärischen Begriff gar nicht.
Aus dem Bregenzerwald kommen nicht nur die Idee und die Gründer, sondern auch eine weitere wichtige Zutat für die Feldküche-Tafeln: Die massiven Tische, angesichts derer man sich wundern muss, wie sie von einem Ort zum anderen transportiert werden, wurden vom Vorarlberger Designer Robert Rüf entworfen und bestehen aus 300 Jahre altem Holz aus einem abgerissenen Stadl. Martin Fetz’ Bruder Michael ist Zimmermann und stößt immer wieder auf Altholz, das mittlerweile in Vorarlberg übrigens fast wie Gold gehandelt wird, wie Fetz sagt, „das war 2010 noch nicht so arg“.
Der jeweilige Ort der Tafel spielt in der Feldküchen-Philosophie eine ganz zentrale Rolle und ist für die Gäste unzweifelhaft ein Hauptargument, einen Platz zu buchen. Der erste Austragungsort 2011 war ein ganz unscheinbarer – und umso stärker war das, was daraus gemacht wurde. „Ein verborgener Platz am Ortsende von Andelsbuch, den bisher niemand wahrgenommen hatte“, sagt Martin Fetz. „Man sieht über den ganzen Ort, aber kein einziger ist dort jemals gestanden und hat geschaut.“ 2012 blieb man noch in Vorarlberg, aber an verschiedenen Spielorten, 2013 ging es dann auf eine Tour quer durch Österreich. In jedem Bundesland sollte ein ungewöhnlicher Ort, vorrangig unter freiem Himmel, gefunden werden. „Wir kannten eigentlich in den meisten Bundesländern niemanden“, erzählt Matthias Felsner, „haben uns also langsam durchgefragt. „Über Leute, die wen kennen, der wen kennt“, stieß man auf ungewöhnliche Ausrichtungsorte, etwa einen alten Hof in Prigglitz, eine lärchenumsäumte Wiese samt Stadl auf dem Mieminger Plateau. Und nur in Wien, sagt Felsner, war die erste Antwort von den Betreibern der Wunschlocation: Was schaut dabei für uns heraus? Solche Überlegungen hatten Eveline und Mario Bach freilich nicht, in deren Gärtnerei das Donaustadt-Gastspiel schlussendlich stattfand, im Glashaus.
Im Vorjahr wurde das Suchen der Locations leichter – die Feldküche startete ihre Kooperation mit den Österreichischen Bundesforsten. Diesen ist schon seit Jahren daran gelegen, ihr Image Richtung jung und urban zu frisieren, um eine neue Beziehung zwischen Menschen und Wald herzustellen. Das Magazin „Wald“ und das Waldbier, vom Trumer-Braumeister Axel Kiesby jährlich mit Zutaten eines anderen Nadelbaums eingebraut, sind nur zwei der derart gesinnten Projekte. 2014 hieß das Feldküchen-Motto also schon Wald und Wild, gekocht wurde mit Holler und Wildschwein, mit Heu und Reh, mit Hagebutten und Gams. Und vor dem Essen gab es von Förstern geführte Wildpflanzentouren durch den Wald. Heuer trieb das Feldküchen-Kollektiv diesen Gedanken auf die Spitze: mit einer zweiwöchigen Wild- und Waldwerkstätte in der schon erwähnten Krupp-Jagdvilla am Hubertussee, einer Art Artist-in-Residence-Programm. Es wurde also einerseits wild und Wild gekocht. Die Jäger der Bundesforste lieferten die Hauptzutaten, die kopflos abhängenden Rehe holte Martin Fetz persönlich aus der Kühlkammer im nahen Ort Gusswerk, und um das seltene, im Mariazellerland aber zu schießende Mufflon herrschte unter den Gastköchen geradezu ein G’riss. Es wurde aber auch das Motto „Vom Huf zum Horn“ in künstlerischer Hinsicht ausgerufen: Künstler und Designer arbeiteten vor Ort mit allen möglichen Teilen von Wild. Christopher Rhomberg etwa goss ein Rehherz in beleuchtbares Fichtenharz, Elke Bauer und Teresa Kettner bemalten Wildschweinfelle.
Zahlreiche Fotografen, die sich für mehrere Tage in der Jagdvilla aufhielten, hielten das Treiben fest. Daraus soll das zweite Feldküchen-Buch entstehen. Das erste dokumentiert die Österreich-Tour von 2013 – ein per Crowdfunding, mit ehrenamtlichen Autoren und im Eigenverlag gestemmtes zweibändiges Werk, das von der Stiftung Buchkunst auf Platz 15 der schönsten deutschen Bücher gereiht wurde. Ein dünner Band, blau, enthält die Zutaten: Steinpilze, Hirschrücken, Rotwein, Räucheraal, Anis, Knödelbrot. Ein dicker Band, beige, enthält die anderen Zutaten: Erdloch, Wiese, Abendrot, Vision, Sturheit, Freundschaft. Den dünnen und den dicken Band, Zutaten und Zutaten, verbindet nicht nur eine weiße Manschette, sondern vor allem die Reise von Ost nach West, die neun Stationen, an denen die Feldküche im Sommer 2013 Halt gemacht hat, von Alberschwende bis Wien-Donaustadt.
Orte erschließen, an denen man sonst nicht isst, hinschauen, wo andere nicht hinschauen, das ist ein Prinzip der Feldküche. Auch in der Küche. Der Nose-to-Tail-Gedanke wird von den Gastköchen der Feldküche mitunter bis zum Exzess beachtet. Kein Wunder, die Feldküche als neue Form der Gastronomie ist schließlich auch eine Art Versuchslabor. Für Gäste wie für die Köchinnen und Köche ist ohnehin alles ein großes sich Einlassen auf Unbekanntes, da kann man es auch gleich mit extremen Zutaten versuchen. Philipp Inreiter konfrontierte im Vorjahr die Gäste in den Donauauen mit Schneckenkaviar und auszuzuzelnden Fischköpfen auf Ästen, Christoph Fink ließ Fischleberknödel in die Suppe aus Abschnitten der Hallstätter Reinanke gleiten, fermentierte das herbe Wiesenkraut Giersch zu einem Kimchi, das manchen Zartbesaiteten zu extrem war, und hätte heuer ursprünglich Hirschbluteis als Dessert machen wollen. Das Blut war aber nicht aufzutreiben, obwohl diverse Quellen angezapft wurden, allen voran die Bundesforste als Kooperationspartner, aber auch ein Wiener Wildhändler und einer aus Znaim, den wiederum der tschechische Winzer Jirí Šebela kannte, den wiederum Koch Christoph Fink zur Feldküche gebracht hatte.
Das Vernetzen von Menschen ist, sieht man daran, eine weitere Grundzutat der Feldküche, neben der Region und den eng regionalen Zutaten. „Serendipity“ sagt Matthias Felsner dazu, „zufällige schöne Begegnungen an so einer Tafel, wo das Mindset das gleiche ist“. Da muss Soziologe Philipp Haufler, der mittlerweile ebenfalls zum Feldküche-Kernteam gehört, widersprechen. „Es ist aber eben nicht unbedingt immer dasselbe Mindset bei den Gästen. Gerade heuer hat man das gesehen, wenn der Jäger aus der Steiermark auf den Großstadt-Hipster und das Halbhippiepaar trifft, das wegen des Kommunengedankens kommt. Das finde ich interessant. Solche Begegnungen können dann funktionieren oder auch nicht.“ „Die Abende sind unterschiedlich“, konstatiert auch Martin Fetz. „Zuerst reden die Leute über die Feldküche, woher man kommt, was man so macht. Dann, mit der ersten Flasche geteilten Weins, geht’s ins Private. Ab und zu ist’s richtig geil zum Zuschauen von außen, was da entsteht.“ Der kleinste gemeinsame Nenner, meint Fetz, ist eine gewisse Faszination für Essen. „Das war immer schon so. Gleich am Anfang ist bei uns der Primar neben dem Handwerker gesessen. Essen geht durch alle Schichten.“ Das Gleichheitsprinzip gilt bei der Feldküche auch bei den Menüpreisen, erklärt Martin Fetz. „Egal ob da ein Alain Weissgerber kocht oder eine Milena Broger, die noch keiner kennt – das Menü kostet immer das gleiche.“
Die Feldküche wurde 2010 im Bregenzerwald von Martin Fetz, Matthias Felsner und Christian Feurstein ins Leben gerufen. Die Veranstaltungsreihe lud seither jeden Sommer Essbegeisterte zu langen Tafeln an ungewöhnlichen Orten – an Seeufern, auf Almen, im Glashaus, am Waldrand. Gekocht wird vor allem mit Zutaten aus der jeweiligen nahen Umgebung, teils wild gesammelt und gejagt, und immer öfter auch von Spitzenköchen wie Alain Weissgerber, Thorsten Probost, Christian Petz oder dem Mochi-Team. Zum Menü (65 Euro) ausgeschenkt werden hauptsächlich Natural Wines und Craft Beer. Seit 2014 kooperiert die Feldküche mit den Österreichischen Bundesforsten, was eine noch intensivere Nutzung der heimischen Wildnis ermöglicht.
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