Für diesen Hasen hocken

Beim gerechten Vater Robuchon (fordert viel, doch reich ist die Belohnung für die Braven).

Für diesen Hasen hocken

Text von Werner Meisnger Fotos: Herve Amiard
War jemals Endzeitstimmung? Das Gefühl: Es ist vorbei, die großen Shows sind abgedreht, die begnadeten Akrobaten haben sich auf Champagner und Schneckenpastetchen ins Schummerlicht der Ehrenlogen zurückgezogen und mit der Gelassenheit der Wissenden die Bühne einer bunten Schar von Dilettanten überlassen, die zwar schamlos genug sind für den Job, aber nicht viel begriffen haben von der kulinarischen Naturgeschichte?
Wenn denn jemals ein Anflug davon gewesen wäre: vergeben und vergessen. Grandiose neue Zeiten sind schon angebrochen. Der geniale Zauberer Ferran Adrià verbreitet längst nicht mehr allein das Licht des neuen Tages. Große Persönlichkeiten mit höchster Kompetenz und schwersten Würden sind hinzugetreten und zeigen eindrucksvoll, wie intelligent und sinnvoll und erfreulich die Sorte Restaurant sein kann, für die ein Chronist mit Nirostawärme im Gemüt den Ausdruck "Konzeptgastronomie" erfunden hat. Es ist an K-Gastronomie abseits der Zirkuszelte zu denken. An originäre Ideen und Themen ist dabei zu denken und nicht an die epigonenhaften Konzeptchen, wie sie die in einer warmen Flaute an Bedeutungslosigkeit torkelnde Flotille an Bulli-inspirierten Schaumschlägern zu haben vorgibt oder das peinliche Ensemble an gewagt frisierten Be-alike-Jamie-Olivers, die alle miteinander Konzept mit Kopie verwechseln.
Joel Robuchon hat mit seinem Atelier in Paris ganz augenscheinlich den bisher größten Wurf im Konzeptionismus gelandet. Gesprächsthema der Stadt und des Erdkreises ist das Restaurant seit mehr als einem Jahr. Freundlichste Worte findet Siebeck, der kein Parteigänger der Gaukler ist, für die Qualität der Speisen. Fachliche Anerkennung zollen die Kritiker. Die stets neidbereite Konkurrenz entbietet Komplimente.
Das britische Magazin "Restaurant" hat in diesem Jahr 300 Kritiker, Köche und Gastronomen nach den maßgeblichsten Restaurants der Welt befragt und aus den kenntnisreichen Auskünften folgendes Ranking destilliert:
Erstens: Thomas Kellers "French Laundry", Yountville/Kalifornien – das legendärste der großen Restaurants in Amerika, drei Sterne bei Michelin.
Zweitens: Heston Blumenthals "Fat Duck" im englischen Bray – sensationeller Gravitationspunkt von "Modern European", drei Sterne bei Michelin.
Drittens: Ferran Adriàs "El Bulli" – drei Sterne bei Michelin; welcher Mann und welches Restaurant wären wichtiger gewesen für die Fortbewegung in den letzten Jahren?
Fünftens – Pierre Gagnaire, Paris; Michelin-Sterne: zwei Mal drei, vor dem Bankrott in Saint-Etienne und bald nach dem Neubeginn auch wieder in Paris.
Davor jedoch bereits viertens – L’Atelier de Joel Robuchon/Paris.
Inmitten einer Konzentration an gastronomischer Schwergewichtigkeit ist also Robuchons Atelier zu verorten, obwohl es doch als Leichtgewicht gedacht war und empfunden und geliebt wird.
Und wie sehr! "High End Imbiss", lobt es das deutsche Handelsblatt (da schwingt ein kleines Zungenschnalzen des Verfassers mit). Siebeck sagt Fast-Food-Atelier. Genug zum Thema Leichtigkeit.
Und die Liebe? Ein gewisses High Life-Magazin jubelte über "Schlangen vor dem Entrée L’Atelier Robuchon", und das im Sommer, in dem man in Paris nur wenige krankhaftere Ideen haben kann als Schlange stehen.
Die Schlangenbildung unter dem Pariser Sommerhimmel, das Trara in den Medien, das großmächtige Fundament an voller Robuchon-Geschichte unter einer Leichtkonstruktion an Restaurant, die neue Vokabel aus altbewährten Federn – es ist "das Atelier" die tollste Story dieser Zeit. Bei jeder Repetition – wir sind noch lang nicht durch, und diese Stelle wird nicht die letzte sein, an der Robuchons Beitrag zur neuen Ernährungsart gewürdigt wird – bläst sich die Story weiter auf und wird dabei so unangreifbar wie ein Kugelfisch.
Von knorrigem Charakter fragt sich der Verfasser dieser Zeilen aber Folgendes: Wer bitte stellt sich an vor einem Restaurant, wo es doch die schöne Sitte der Reservierung gibt und der Ostblock abgeschafft ist?
Sollte hier gar ein Hauch von Irrationalität im Spiel sein, individuelle Urteilskraft auf dem Niveau des Lemmings?
Und was treibt Herrn Robuchon zu "Imbissen" und "Fast Food"?
Den Wechsel vom Fach der großen Oper ins U-Milieu begründet Robuchon mit einer Lust auf neues Publikum und der Notwendigkeit der Erneuerung. Man weiß es ja, und Joel Robuchon weiß es natürlich noch viel besser: Mit der großen Küche der Pariser-Art wird es nicht mehr lang so weitergehen wie bisher.
Zu heavy! Nicht jede Leber hält den Gänseleber-, Blutenten- & Kaviar-Wahnsinn auf die Dauer aus.
Zu sehr Augenschein! Das identitätsstiftende Dreistern-Geschwurbel mit all seinen Mosaiken, Türmchen und floristisch wertvollen Gestecken erfreut das Auge zwar, Gaumenknospen und Magenwände werden davon aber selten in gleicher Weise animiert.
Zu elaboriert auch in der Rechnungslegung! Unsereinem kann es ja wurscht sein, aber es soll tatsächlich Gäste geben, die bei einem Investitionsbedarf von 600 Euro plus für einen netten Abend entre deux dem finanziellen Aspekt Beachtung schenken (ordinärerweise).
Nicht mehr die Magnaten mit ihrem Anspruch auf livrierte Diener und erstklassige Verwahrung von Foxterrier und Voiture während der Mahlzeit hatte Robuchon beim Entwurf seines Ateliers also im Visier. Nicht mehr bestwertungsfixierte Amerikaner, maximalpreisaffine Russen und glamourgeile Japaner sollten ins Lokal gesogen werden. Auf entspannte und komplexfreie Foodies wie dich und mich ward alles ausgelegt: leger und unprätentiös, 1 A-Nahrung, ein bisschen Tempo und ein Preisniveau, das auch der Kapitalist der zweiten Leistungsklasse noch erklimmen mag. Hauptgerichte durchwegs unter 35 Euro, das ist doch was für Paris.
Vorerst wurden im Atelier de Joel Robuchon keinerlei Reservierungen angenommen. Der verwöhnte Magnat und herrische Russe waren da gleich einmal verprellt. Die Demütigen und Würdigen aber, die Sanftmütigen und Liebreizenden, Masochisten und Exhibitionisten ließen sich von dieser Verweigerung der geringsten aller Höflichkeiten im Gastgewerbe jedoch nicht schrecken oder fühlten sich davon ganz im Gegenteil kraftvoll angezogen: radikale Erniedrigung vor der lichtvollen Erhöhung! Garantiert extremes Wohlbefinden; auf die Art, wie wenn der Schmerz nachlässt, nur viel hygienischer. Plus: Vorzügliche Aussicht auf extremen Prestigegewinn. Und extra: gutes Essen.
In solcher Erwartungshaltung also gediehen die langen Schlangen vor dem Atelier de Joel Robuchon, und falkengleich – man könnte unterstellen, Herr Robuchon hätte es vorausgesehen! – stürzten die Medien auf diese Schlangen nieder in größter Lüsternheit.
Na ja, jetzt kann man es sich auch schon richten für die erste Sitzung. Antreten: 18.30 Uhr. Die Russen, Japaner und interessierten Wirte aus dem Burgenland, dem Pongau und dem Rest der Welt sind dann auch schon da.
Ein kleiner Spaziergang aus den Architekturensembletiefen zwischen Jardin des Tuileries und Louvre über die Pont des Arts, die Seine entlang im Nachtlicht und durch die alten Gassen mit den eleganten Studios voll antiker Schätze und neuer Kunst, hindurch durchs kreative Brückenvölkchen, das gern ein wenig Bier trinkt oder Problemfilme dreht und eher melancholisch drauf ist, hindurch auch durch den wogenden Verkehrsstrom des Quai Voltaire, der noch immer wogt, obwohl die Citroën DS‘ und 2 CV leider nicht mehr so präsent wie zu Jacques Brels Zeiten sind, das kann als die vorzüglichste Einstimmung auf den Besuch von Robuchons Lokal empfohlen werden. Nach all dem getragenen Luxus in den Schaufenstern und dem doch ein bisserl schweren Panorama dieses alten Häuserhaufens an der Seine entspannt die Leichtigkeit und das Nahbare, das menschliche Maß, mit dem dieses Konzept entworfen wurde. Wie gesagt, man hat es sich gerichtet und steht nicht Schlange; die Pforte lässt sich übrigens nur von innen öffnen, wohl für den Fall, dass es sich einer allzu eilig richten wollte.
Der Empfang: korrekt von schönen Menschen mit den unaufdringlichen Manieren ihrer jungen Jahre.
Die Ambiance: in Schwarz und Rot gehalten und wirklich schmissig. Good vibrations, wenn man so was wie Baratmosphäre mag.
Ich erzähle hier wahrscheinlich niemandem mehr was Neues, weil ohnehin schon jeder dort war oder die entsprechenden Bildgeschichten im Gedächtnis hat. Nur der Ordnung halber: In Robuchons Atelier speist man nicht an Tischen wie in den verknöcherten alten Zeiten, sondern modern an einem Tresen. Dieser ist um eine Küche ausgelegt. Das ist nur konsequent gedacht. Warum auf halbem Weg verharren und lediglich durch eine Glaswand oder einen Mauerschlitz Einblick in das Geschehen geben, auf die Feuerstelle, den Ursprung unserer Zivilisation und Quelle der Genüsse? Weg mit allen trennenden Elementen, freier Blick auf das mythologische Geschehen, freie Bahn für freie Wärmewellen. Zur Verstärkung der anheimelnden Gefühle, die da im Angesicht der Feuerstellen unweigerlich hochwallen wie Honigmilch am heißen Ofen, sind reichlich Gläser mit verheißungsvoll bunten Früchten, Säften und Essenzen aufgestellt. Wie an einer Bar sitzt der Gast erhöht auf Hockern und hat somit einen guten Überblick über das Rühren, Schöpfen und Arrangieren, wenngleich der Mechanismus ein wenig entrückt erscheint. Wie die Brigade mit derart geringen Bewegungen so viele Teller füllen kann, bleibt das Geheimnis Robuchons. Man möchte in die Laden und Hinterzimmer schauen, um das Rätsel zu ergründen, was aber trotz aller Nahbarkeit der Küche und Offenheit des Konzepts letztendlich doch nicht vorgesehen ist.
Die Düfte, ach die Düfte, die den dampfenden Töpfen, zischelnden Pfannen und gurgelnden Kasserollen entsteigen, erfüllen das konzeptiv so coole Umfeld mit einem kostbaren Fluidium an wärmender Authentizität und ursprünglich menschlicher Ausdruckskraft, umfängt den Gast und webt das olfaktorische Freundschaftsband zu den Dienern und Herren und schönen Töchtern der Cuisine. Menschennähe entspinnt sich auch am Tresen. Kein weites Land an Tischwäsche distanziert hier die Gäste voneinander und kein zu groß bemessener Luftraum verleitet zur Gymnastik. Sofern man keinem Nachbarn in die Muscheln oder Langustinen kommen will, empfiehlt sich ganz im Gegenteil an Robuchons Gourmet-Sitzsteg Zurückhaltung im Gefuchtel. Die Dichte, das Geruchsgeflecht, die Menschennähe bedingen ein kraftvolles Gefühl des Familiären. An die gelungensten Hüttenabende könnte man sich dabei erinnern, bei Robuchon freilich wird die Geborgenheitspackung vibrierend städtisch appliziert.
Sie fragen mich nach der Qualität des Hockens? Die Sitzgelegenheiten zählen – rein subjektiv, ich bin kein Möbelbauexperte – sehr wahrscheinlich zum Feinsten, was der Hockermarkt zu bieten hat. Stabil sind sie, da kippelt nichts. Selten wird eine Hockzeit von zwei Stunden überschritten. Wer das Schlagwort Fast Food ernst nimmt, kriegt seine Gänge im 10-Minuten-Takt serviert. Selbst das große Menü ist dann in einem Stündchen abgewickelt. Das hält man gerne aus, auch wenn bei der unzeitgemäß untrainierten Sorte Gast die Körperspannung mit den Weinen eine pastöse werden kann und mit den Gängen die Haltung eine ungefähre. Bei Hof wollte man sich damit nicht blicken lassen, hier aber fügt sich eine hängend-schwankende Gestaltenhaltung formidabel ins Legerkonzept. Schmerz geht schnell vorbei, sagt schon Balu, der Bär, wenn ihm etwas appetitlich ist und er sich an der Kaktusfeige sticht (betrifft natürlich auch den Rückenschmerz).
Eleganz? Eleganz hat man hier ganz einfach, die braucht man nicht zur Schau zu stellen. Wie die Kellner (und vor allem kurz gewachsene Kellner) die Speisegerätschaften vom Innenraum des Ateliers über den Tresen vor den Gast bugsieren, wie sie die Speisen über die Brüstung balancieren und für die kleinste Verrichtung vor dem Gast Streckübungen verrichten müssen, das wird im großen Buch des klassischen Ballets wohl keine lobende Erwähnung finden. Im modernen Tanz ist aber alles möglich.
Die kurze Geschichte der Ateliers de Joel Robuchon – in Tokio existiert ein Zwilling – muss hier nicht verbreitet werden. Zwecks Materialbestimmung des Felsens, auf dem die neue Kathedrale des Zeitgeschmacks errichtet ist, nur ein paar Anmerkungen zu Herrn Robuchon persönlich.
Joel Robuchon zählt zu den All-Time-Greatest der Französischen Küche. Wurde 1976 als "Mellieur Ouvrier de France" ausgezeichnet und somit in den Adelsstand der dienenden Gesellschaftsschicht erhoben. Er eröffnete 1981 in Paris das Restaurant Jamin. Der Guide Michelin wahrte ob des dort gebotenen Feuerwerks an schweinsfußverwurzelter nebst grenzenlos luxuriöser Hochküche nur unter Aufbietung der größten Disziplin den Anstand und verehrte dem Haus seine drei Sterne nicht gleich auf einen Sitz, sondern peu a peu im Jahresrhythmus, wodurch der Akt der maximalen Dekoration erst 1984 abgeschlossen war; man kennt auch Beispiele, wo das mit den drei Sternen ein paar Jahrzehnte zäher vor sich gegangen ist.
Der Guide Gault Millau macht sich in derartigen Fällen von extraordinairer Schaffenskraft auch gern spektakulär bemerkbar und verlieh 1990 den Titel "Koch des Jahrhunderts" an Joel Robuchon (bis dahin war als solcher nur Paul Bocuse vergoldet worden). Neben unzähligen anderen medialen Huldigungen wählte der Herald Tribune Robuchons Jamin 1994 zum besten Restaurant der Welt.
Da hatte der Meister den Schlüssel seines Restaurants schon bereit gelegt, um ihn ein letztes Mal im Schloss zu drehen sowie zwecks Antritt eines Ruhestands im zarten Alter von fünfzig Jahren besagten Schlüssel – wie man bei Siebeck liest – in die Seine zu werfen. Was er am 5. Juli 1996 tatsächlich tat, nämlich in Pension zu gehen. Ob das mit dem Schlüsselwurf tatsächlich stattgefunden hat, ist mir entgangen (Informationen darüber sind willkommen, auch, falls es denn so war, wer den Schlüssel hochgetaucht hat und wie hoch des Schlüssels letzter Auktionsertrag war).
Es blieb sodann von Robuchon vor allem das Vermächtnis eines weltberühmten Erdäpfelpürees. Dessen Zubereitung wird je nach Verfälschungsgrad des Urrezepts mit halb Butter/halb Erdäpfel oder halb Butter und Schlagobers/halb Erdäpfel empfohlen. Klar, dass es so manchen Gieraal in Sachen Wohlgeschmack um die Freuden einer Nacht gebracht hat, denn Robuchons Erdäpfelpüree ist neben wirklich schmackhaft auch recht "gehaltvoll". Ein schöner Löffel davon wird als bekömmliche Tagesmenge verordnet.
Nach Robuchons Abtritt aus der Champions League der Kochkunst blieb nebst dem Erdäpfelpüree noch die vage Hoffnung auf eine Verknappung der Pensionen oder sonst eine Motivation, die den großen Helden der achtziger und halben neunziger Jahre wieder an den Herd zu treiben imstande wäre.
Dass Joel Robuchon in der Küche seines Ateliers herumpatroullieren würde, hier und dort zur Probe einen Finger in die Sauce senken und mit den Gästen seines Restaurants launige Schwätzchen halten würde, ist in seinem Comeback-Szenario nicht unbegriffen. Schon in seinem ersten Leben als Cuisinier war er zurückhaltend im Außenauftritt. In dieser Schaffensperiode pflegt er eine Publikumsverfügbarkeit auf dem Niveau zwischen Phantom und Gerücht.
Das Erdäpfelpüree hingegen ist präsent und gegenständlich. Es wird gern als Beilage und Zuwaage gereicht und beeindruckt nach wie vor durch die Aromakraft aus der Fusion von Rattes-Kartoffeln und Butterbergen, ist aber bei weitem nicht die eindrucksvollste Speise.
Es sind die vollkommen perfekt gebratene Wachtel und das Schweinskotelett (SCHWEIN-K.), denen das Püree gern zur Seite steht, in ihrer Zartheit mindestens ebenso bemerkenswert.
Man könnte das im Cocktailglas eingestellte Pilzsüppchen dem Püree und Schwein vorziehen. Auf Vierfachobersbasis zubereitet, mit schlitzweichem Ei darin und Petersilienpüree daran netzt es so was von kraftvoll, harmonisch und elegant den Gaumen, dass der Wohlgeschmack nur noch vom Grad seiner Ganzkörperkräftigung übertroffen wird, die ohne irgendwelche Heldentaten bis zum nächsten Morgengrauen gar nicht abzubauen ist.
Wer große Klassik auf nicht zu großen Tellern liebt, wird Robuchons Gänseleberpastete Weltklasse finden. Suppe mit Maroni, Gänseleber und Sellerie spielt in der gleichen Suchtmittelklasse und kann, wie all das bisher Zitierte, als prachtvoller Beitrag zu dem so schwierigen Findungsprozess einer Küche verstanden werden, die ohne alle Attitüden teuer sein darf und allgemein verstanden wird.
Und wenn man mitten drin ist in solchen Einfachheiten, kann es in diesem legeren Konzept auch passieren, dass ein paar Blätter von verschiedenen Superschinken eingeschoben werden, wie gewachsen und unbeeinträchtigt von jedweder Küchenleistung.
Konzept neuer Nährwertfetisch? Keine Spur. Vom handfesten Genre der Schinken, Schweine, Knollen und grobstückigen Pasteten geht es aufwärts in die sonnigen Sphären der mediterran genannten Küche und in die lichtesten Höhen der Luxusprodukte. Worunter man sich nur beispielsweise ein unprätentiös arrangiertes Streifenpotpourri aus lebhaft gesalzenen Anchovis und fruchtsüßen Paprikastreifen vorstellen kann. Taube im Kohl gebraten oder Langustinen im Brick-Teig mit Basilikummus.
Robuchons legendäre "In der Schale gekochte Jakobsmuscheln" sind wieder auferstanden und ein guter Grund dafür, sehr viel von dem, was man jemals an feinen Jakobsmuscheln am Gaumen hatte, radikal zurückzustufen in der Bestenliste der Erinnerung. Hummer nach Wahl zwischen Salat und gegrillt. Osietra-Caviar à 50 g.
Wobei nicht alles von dem um die konzeptiven 35 Euro zu haben ist, der Kaviar schon gar nicht ("Boutique-Preis" Euro 100). Jedoch: Menü 98,–, das ist für eine Offenbarung dieser Art und im Vergleich mit anderen Offerten dieses kulinarischen Anspruchs hart an der Grenze zu rührend sozial.
Wie rührend ist doch auch der Abschied mit den gewaltigsten Käsen, die die Stadt zu bieten hat, oder dem Chartreuse-Soufflé mit Pistazieneis, das die Flaumigkeit von Salzburger Nockerln zur Potenz hat plus hundertfach interessanteren Geschmack. Und mit ein wenig Glück nimmt man auch etwas für das ganze Leben mit.
Ein kulinarisches Erlebnis beispielsweise, wie die Begegnung mit einer saucig-braunen Fasern-Masse, von der ich noch schnell erzählen muss. Rein optisch war der Ursprung des Materials nicht eindeutig zu bestimmen. Der Stoff konnte aus dem Reich der Pflanzen ebenso wie aus dem der Tiere gewonnen worden sein. Das kraftvolle Aroma deutete auf Fleisch, wobei das Gericht weder als Ragout noch als Frikassee, sondern am ehesten als etwas Eingekochtes zu benennen war. Angesichts so etwas schaut man gern ein wenig ratlos, was dem freundlichen Personal nicht unverborgen bleibt. Es klärt gern auf, wie so etwas entstehen kann: Man nehme Feldhasen, viel Wein, geringe Hitze und viel Zeit, so zirka 30 Stunden. Nachdem das Hasenfleisch so lang im Wein geschmurgelt wurde, ist es ziemlich mürb.
Man bindet dann mit ein wenig Blut und gibt die Masse auf die Teller. Es schaut der Gast in dieser Zeit des allseits Auf-den-Punkt-Gegarten dann gern verdutzt, was sich aber legt. Der Blick verklärt sich mit der unerhörten Dichte des Geschmacks, das Hirn entleert sich der Gedanken. Da schloss ihr Verfasser dieser Zeilen Friede mit den Kompottgläsern in den Regalen, den Nudelwasserkochgerüchen und Brataromen in der Luft und dem Hocker unter ihm und hockte für einen Augenblick sogar sehr gern auf diesem Stuhl, Herrn Robuchon unbekannterweise lobend, der beim Kochen einfach denkt.
L’Atelier de Joel Robuchon, 5, rue de Montalembert, Paris, Tel.: 01/42 22 56 56