Ganz Ohr

Die falsche Geräuschkulisse kann einem das Essen vermiesen. Schade eigentlich, dass sich nur die wenigsten darüber Gedanken machen.

Text von Alexander Rabl Foto: Getty Images

Die selbst zusammengestellte Musik-Compilation geht süffig ins Ohr. Ja, der Patron des schicken neuen Lokals hat zweifellos Geschmack. Und mit der leichten Mischung aus Jazz, Drum & Base und Chanson schmeckt das Tatar gleich noch einmal so gut. Bloß eines: Jetzt läuft die CD schon zum dritten Mal en suite. Spart da jemand an den AKM-Beiträgen? Schon kramt der Gast in seiner Tasche nach iPhone und Kopfhörern. Es ist, als würde Tatar als Vorspeise, als Hauptgang und als Dessert serviert.

Ein anderer Ort, ein anderer Sound. Das gut gebuchte Restaurant ist mit einigen größeren Gruppen gespickt. Der Lärmpegel ist hoch. Ungefähr zehn Meter vom Tisch des Gastes entfernt lacht ­einer besonders laut. Sein Lachen türmt sich auf, es wandert zur Decke des Lokals, hantelt sich ­gelenkig wie Tom Cruise quer durch den Raum, pflanzt sich auf dem Tisch vor dem Gast auf und dringt in sein Ohr.

Fine Dining ohne Gnade. Zwei der sechs Tische sind mit Pärchen besetzt, der Rest „no-shows“ oder einfach auch nie gebucht worden. Die Pärchen widmen sich nichts sagend ihren Instagram­accounts. Jeden Brösel hört man fallen. Hie und da klingt ein Glas. Endlich Auftritt des Oberkellners. Begierig saugt der Gast jedes Wort auf. Sogar die Story vom Bruder des Sohnes von der Bäuerin, von der das Heu kommt, in dem die Wachtel gegart wurde, wird in diesem Umfeld zur Delikatesse.

Der Architekt Stephan Ferenczy (BEHF) sagt: „Der Sound ist Teil der sinnlichen Wahrnehmung eines Restaurants.“ Und fügt hinzu: „Dieser richtet sich natürlich nach dem Stil des Restaurants.“ Fine Dining verlangt ein anderes Soundkonzept als Brasserie oder Bar. Akustisches Ambiente, so Stephan ­Ferenczy, sei das Ergebnis von Raum, Material, Musik und den Gesprächen der Gäste. Und des Gespürs des Patrons und seiner Mannschaft, die ein Lokal akustisch begleiten und führen wie ein DJ. „Wenn die Gespräche im Laufe eines Mittags oder Abends lauter werden, muss auch die Musik lauter gedreht werden“, tönt Ferenczy.

Auch der Hamburger Sound- und Akustik-Experte Klaus Genuit sagt, es komme auf die richtige Balance an. Er meint, dass laute Restaurants zu mehr Konsum animieren, aber auch zum früheren Gehen (was dem Wirt nur recht sein kann, er kann den Tisch ein zweites Mal vergeben), andererseits wollen die Gäste weder bei ihren Gesprächen gestört werden noch aber den Eindruck haben, dass da jemand mithören kann. ­Genuit hat ein Gerät entwickelt, mit dem sich die Qualität der Geräuschkulisse messen lässt. Es nennt sich „Kunstkopf“ – ein Messgerät, das so hört wie der Mensch, mit zwei Ohren und dreidimensional. Hintergrundmusik, der Hall des Raumes, die Gespräche, das Surren von Klimaanlagen oder anderem, alles das, fein abgestimmt, dient dem Wohlfühlen oder dem Missvergnügen der Gäste. Und entscheidet, ob sie wiederkommen.

„Der Wollvorhang, die Samtstühle – in Japan gibt es kein ­Leder, wir mussten sogar die Barhocker mit Samt versehen – und das Kupfergitter, welches aus den USA importiert wurde, sie alle sind mitverantwortlich für das Tongemisch“, erzählt Stephan Ferenczy über die Arbeit der Architekten am Shiki. Außerdem: Heraußen, wo die Bar und die Brasserie sind, dürfe es etwas weniger dezent zugehen als im eleganteren, im sogenannten Fine-Dining-Bereich.

Im Restaurant Mraz & Sohn wird jeder Abend zur kleinen Party. Manuel Mraz, der hier nicht nur den Service macht, macht auch die Musik: Popklassiker von Bowie bis Queen, Jazz, Elektro, Soul. In der Küche arbeiten sie mit allen Methoden, die man sich zwischen Hongkong und San Francisco ausdenken kann, im Restaurant arbeitet Manuel Mraz ausschließlich mit Vinyl. Einen festgelegten Spielplan gibt es nicht. „Ich lege auf, wonach mir ist.“ Generell fällt Mraz eines auf: „Für den Sound nehmen nur wenige österreichische Gastronomen Geld in die Hand. Für Mraz kommt dieses Sparen am falschen Ort nicht in Frage: „Mit meinem Plattenspieler schaffe ich eine Atmosphäre.“ Fahrstuhlmusik und leise Musik braucht es nicht. „Ein Lokal muss atmen und kann auch laut sein. ­Manchmal gibt es auch Gäste, denen das zu viel ist. ,Können Sie bitte Michael Jackson abschalten?‘, haben die gebeten.“

Zum Schluss hören wir noch einmal Stephan Ferenczy, der sagt: „Ich liebe das laute Geschirrgeklapper aus der Küche, wenn es in die Gasträume des Plachutta an der Wollzeile dringt.“ Wir merken: Manchmal braucht es für einen gelun­genen Sound kein ausgeklügeltes Konzept und keinen Mozart als DJ. Ein paar Töpfe reichen.