Geniale Weltküche
Atsushi Tanaka und sein Restaurant A. T. – ein Japaner in Paris. Französische Küchenbasics mit vielen internationalen Akzenten. Spannend, mutig und gar nicht teuer. Eine echte Empfehlung für den nächsten Paristrip.
Paris im September an einem dieser ungewöhnlich heißen Spätsommertage mit 34 °C. Auch wenn schon alles vorbereitet ist, die unerwartete Hitze würde ein Menü mit herbstlichen Produkten absurd erscheinen lassen. Wenn ein Küchenchef darauf entsprechend reagiert und seine Planung umstößt, zeugt das von der Intelligenz und Feinfühligkeit der Küche. Atsushi Tanaka hat in seinem Restaurant A.T. ein veritables Gegenmittel für die Qualen der Mittagshitze in Form eines Salats mit rohen Tuna-Bauchstücken, Tomaten, Melonen und Beeren. Die Ouvertüre für ein grandioses Menü.
Manche nennen Atsushi Tanaka den meistunterschätzten Küchenchef in Paris. Sie haben wohl recht. Laute Propaganda wäre nicht sein Stil. Chef Tanaka ist ein Gentleman der besonders feinsinnigen Art. Er ist ruhig, elegant und zurückhaltend in seinem Wesen. Das kleine Restaurant unweit des Seineufers im Quartier Latin, einen Block von der Pont de la Tournelle und nur wenige Meter vom berühmten Tour d’Argent entfernt, wirkt wie das Spiegelbild seiner Persönlichkeit. Reduziert, minimalistisch, jedes Detail wohlüberlegt und mit größtmöglicher Qualität versehen. Die Architektur besorgte ein Pariser Büro, die schlicht wirkenden Möbel kommen aus Norwegen, das bezüglich Funktionalität und Optik sehr beeindruckende Geschirr stammt aus Dänemark und Schweden.
Wenn man Atsushi Tanaka nach einer Kategorisierung seiner Küche fragt, hat auch er keine Antwort darauf. Wer bei ihm zu Gast ist, verschwendet ohnehin keine Gedanken an Kategorien, dafür ist das kulinarische Gesamtpaket einfach zu gut. Und wenn es schon eine Einteilung braucht, dann vielleicht jene des „High-Level-Preis-Leistungs“-Hits. 85 Euro für das kleine, 170 Euro für das große Tasting Menu ist eine Mezzie, wie man sie in Paris nur selten findet. Was man dafür bekommt, sind Pretiosen mit sehr persönlichem Charakter, ein kreatives Best-of des 1980 in Kobe geborenen Japaners, der bereits in seiner Jugend am liebsten in einem Buch von Pierre Gagnaire las und vieles daraus nachkochte. Einige Jahre später kochte Tanaka tatsächlich in Pierre Gagnaires Filiale in Tokio. Nur eine von vielen Stationen eines illustren Karrierewegs, der ihn auch in Gagnaires Pariser Haupthaus und zu Größen wie Quique Dacosta, Sergio Herman, Rasmus Kofoed oder etwa Björn Frantzén führte.
Atsushi Tanaka kopiert niemals, aber er reflektiert sehr stark Erlebtes und die von ihm besuchten Länder und Restaurants. So könnte er wohl mit seiner Auslandserfahrung sehr authentische mexikanische Tacos oder peruanische Ceviche machen, was er aber niemals in seinem Restaurant servieren würde. Seine Erfahrungen bringen ihn zu Varianten des Erlebten, einem neuen Original, das das Adjektiv „unique“ auch tatsächlich verdient. Und wenn es schon eine Kategorisierung seiner Küche braucht, dann trifft wohl „kreative französische Küche mit Akzenten aus Japan, Skandinavien und Südamerika“ am ehesten zu. Wie auch immer, bei jedem Gericht stehen die Qualität des Produkts, Temperatur und Textur im Mittelpunkt.
Eines der für Chef Tanaka so typisch beeindruckenden Gerichte im heißen September war die Kombination von Bouchot-Muscheln aus Mont-Saint- Michel mit superfrischen Eierschwammerl in einer leichten, von Pinienkernen akzentuierten Pilz-Muschel-Sauce. Muscheln und Pilze hatten annähernd den verblüffend gleichen Biss. In der Sauce eine Umami-Attacke auf die denkbar eleganteste Art. Dass auch eine einzelne Auster ein vollwertiges Gericht sein kann, wird hier mithilfe von Liebstöckelöl, Reis- und Kohlchips sowie einer Reiscreme unter Beweis gestellt – Fusion à la Chef Tanaka.
Schon zu den unverzichtbaren Signature Dishes gehört Hummer aus der Bretagne in drei Teilen – mal kräftig geräuchert mit Feige, mal fast roh aus dem Mittelstück und dann auch noch Stücke von der Schere mit animierender Textur. Biss hat hier stets auch die knusprig gebratene Rotbarbe, ein krönender Fischgang, serviert in einem kräftigen Fond mit Paprika.
Auch wenn viele Details am Teller an alle möglichen Weltküchen erinnern mögen, die Zutaten stammen mehrheitlich aus Frankreich; sie strahlen förmlich kraft ihrer Qualität und Frische. Das sei auch der Grund, warum Atsushi Tanaka nur selten mit fermentierten Zutaten agiert. Jede Saison bringt so großartige Zutaten, dass das ganz einfach nicht notwendig sei. Das gilt auch für die aus Poitou stammende Taube, ein Gericht ohne jede Jahreszeitenbeschränkung. Das blutig-saftige Brustfleisch kommt mit einer fruchtig-rauchigen Jus, die Beine sind wie Tempura mit einer Umhüllung aus Veilchen und Brotbröseln versehen; saisonale condiments laden zu individuellen Aromaspielereien ein.
Sehr ideenreich gespielt wird auch bei der Weinbegleitung. A. T.-Sommelier Thibaut Simon verantwortet ein durchaus progressives Programm, das vor allem auf Naturweine setzt. Auch hier gefalen die hohe Qualität und die vernünftige Preisgestaltung. Das in jeder Hinsicht kompetente Storytelling der Servicecrew sowie der kleine Lokalraum mit knapp unter 30 möglichen Sitzgelegenheiten machen einen wichtigen Teil des sympathischen
Restaurantcharmes aus. Die beständig gute Buchungslage lässt Atsushi Tanaka insgeheim bereits seit geraumer Zeit nach einer neuen, etwas größeren Location suchen. Bei den Pariser Immobilientarifen kann das aber noch Jahre dauern.
atsushitanaka.com
Der minimalistische Restaurantraum ist skandinavisch inspiriert, die Gerichte selbst wirken wie eine Fusion aus französischen und asiatischen Stilelementen.