Grandezza auf Vorarlbergerisch

Text von Eva Biringer
(c) Jens Ellensohn Fotografie

Im Bregenzerwald wartet das 300 Jahre alte Gasthaus Adler mit einem ungewöhnlichen Modell auf. Gekocht wird mal Balinesisch, mal Japanisch, oft mediterran. Dabei zehrt das Haus auch von der Eleganz seiner Gastgeberin Irma Renner.

Täuscht der Eindruck, oder werden alle Gäste mit „baci“ begrüßt? Bei 30 Grad Außentemperatur geht die Mitteleuropäerin ja eher auf Distanz. Nicht so Irma Renner. Eine Frau, eine Erscheinung: groß gewachsen, sehnig-schlank, Wangenknochen wie gemeißelt. Die goldblonden Haare hat sie zum straffen Knoten geschlungen, wodurch die espresso­untertassengroßen Kreolen besonders zur Geltung kommen. Am Handgelenk klimpern Armreifen, am Finger blitzt ein Skarabäusring. Zum knöchellangen Kleid mit Paisleymuster trägt sie, gekonnter Stilbruch, Nikes. Ein Lidstrich wie mit dem japanischen Messer gezogen. Auf ihr nach Rose und rosa Pfeffer duftendes Parfum angesprochen, freut sie sich, dass es nach ihrer Zwölfstunden-schicht noch immer Eindruck hinterlässt. Alles in allem eine Form von Mailänder Grandezza, wie sie Tilda Swinton im gastrophilen Film I am Love verkörpert (ausgenommen die Schuhe), mit dem Unterschied, dass Irma Renner nicht kühl wirkt, sondern warm wie ein Sommertag in Bibione. Benvenuti im Adler, dem italienischsten Gasthaus Österreichs, jedenfalls an diesem Sonntag Anfang September. Grund dafür ist das Wetter und wie man ihm mit mediterraner Lässigkeit begegnet: Fensterläden zu. So entsteht in den über 300 Jahre alten holzverkleideten Gasträumen eine sehr besondere Stimmung, die fast echten Thonet-Stühle und das Trattoria-Geschirr von Kerzenlicht erhellt. Grund ist auch das ligurische Einheitsmenü, dessen Antipasti bereits auf dem Tisch stehen: gefüllte Kohlblätter, frittierte Porcini, Oliven. Und schließlich die Gastgeberin, Signora Renner, weltgereist und wieder dort, wo alles begann, im Bregenzerwald.

Aufgewachsen ist sie mit vier älteren Schwestern im wenige Kilometer entfernten Schwarzenberg. Mit 17 ging sie als Au-pair nach London, anschließend nach Frankreich. Früh zog es sie in die Hotellerie. Die Post in Bezau und in Lech zählen zu ihren Stationen, es gab aber auch mal eine Dekade als Produktmanagerin bei einem Bregenzer
Feinstrumpfhosenimperium. Mit ihrem früheren Ehemann, dem Künstler Paul Renner, wurde sie dann zeitweise in New York, Wien, dem Piemont und Kampanien sesshaft, letzteres in einem Haus ohne Strom, man stelle sich die entsprechenden rauschenden Feste bei Kerzenlicht vor. Später mietete das Paar ein Bregenzerwälder Jagdschloss und erwarb schließlich das Haus in Großdorf, einer Teilgemeinde von Egg, in dem Irma Renner noch heute mit ihrer Labradorhündin lebt. Vor zehn Jahren kauften Freunde von ihr aus „emotionalen Gründen“ den 150 Meter von diesem Haus entfernten Adler. Leider fand sich kein Pächter, also griff Renner so beherzt zu wie immer im Leben. Dachte sie, die passionierte Köchin (am liebsten simples Italienisches wie Spaghetti al limone), jemals daran, selbst am Herd zu stehen? „Nein, ich wollte immer bei den Gästen sein.“ Demzufolge schaltete sie ein Inserat im Gemeindeblatt, woraufhin sich genau eine Person meldete. Weil Herta Covi nicht jeden Sonntag Zeit hatte, kam ihrer Chefin eine Idee: Warum nicht Gastköche aus der ganzen Welt nach Großdorf einladen? Zu den auf der Website aufgelisteten Namen gehören Max Stiegl, Reinhard Gerer, Jakob Zeller und Ethel Hoon.

Ein Herr aus Marrakesch kochte Tajine, eine Stuttgarterin Maultaschen, mal gab es Balinesisch, mal Südstaaten­küche. Als fixe Köchin konnte Renner Milena Broger gewinnen, die heute die Bregenzer mit ihrem Weiss beglückt, und dann waren da noch die sogenannten Hausfrauen der Region, die immer mal wieder Signature Dishes wie Hackbraten mit Kartoffelpüree auftischten. 2020 übernahm der Caminada-erprobte Jodok Dietrich das Ruder. Das Gastkochmodell ist geblieben. Es sollte an dieser Stelle erwähnt werden, dass der Adler bislang immer nur sonntags geöffnet hatte, Tag der Muße haben, denn was die Wirtin keinesfalls wollte, war so ein „Business-Lunch-Ding“. Wobei man seit diesem Sommer erstmals auch samstagabends öffnet. Auf etwa 150 Gäste teilt sich der Renner’sche Charme an einem Wochenende auf, der Newsletter geht raus an 4.000 Adressen. Sieht so aus, als wäre ihr Traum in Erfüllung gegangen: das alte Gasthaus wieder mit Leben füllen.

Durch die nun geöffneten Fensterläden fällt das Vorarlberger Abendlicht auf eine Spezialität, die man selbst in
Ligurien nur selten bekommt. Testaroli sind dreieckige Teigfladen, die mit großen Klecksen Basilikumpesto serviert werden. Fantastico. Als Dessert kommt ein ofenweicher Pfirsich mit Amarettini-Füllung, dazu Joghurteis. Die Stimmung ist lebhaft, Renner schwebt wie die Siegesgöttin Nike zwischen den Tischen umher oder in ihrer Selbstbeschreibung mit „grande piacere“, großem Vergnügen.
Haben ihre in Wien Wirtschaft studierenden Töchter das Gastgeberinnen-Gen geerbt? „Ich fürchte nicht“, gesteht die Mutter, nur um hinzuzufügen, dass beide ab und zu im Betrieb aushelfen und vielleicht ja doch noch auf den Geschmack kommen. Sie selbst, das merkt man zu jeder Sekunde, ist jedenfalls am genau richtigen Platz gelandet. Dann kommen die „baci“. Ein Mal in Form von Pralinen, so schwarz wie der dazu servierte Espresso; und dann ein zweites Mal, wenn der Abend wirklich zu Ende ist. Denn auch, wer erstmals am Tisch des Adler saß, wird so verabschiedet wie alle, die schon mehrfach über seine Schwelle traten: mit Wangenkuss.

adler-grossdorf.at