Grandioser Grenzfall
Ungarns neue Feinschmecker-Supernova heißt Platán Gourmet und ist eine hochkarätige Fine-Dining-Empfehlung.
Die 230 Jahre alte Platane am Seeufer in Tata haben sicher die Esterházys pflanzen lassen. Die Gebäude der Adelsdynastie prägen heute noch die hübsche ungarische Kleinstadt. Das Barockschloss wurde erst unlängst aufwendig renoviert. Tata liegt an der M1-Autobahn zwischen Györ und Budapest, mitten in der sogenannten Seenplatte, einer Region, die gerne „ungarische Toskana“ genannt wird. Ein landschaftlich wunderschöner Platz, ideal für ein Wochenende zum Genießen und Faulenzen rund um den kleinen Öreg-See und in der historischen englischen Parkanlage. Auch Vögel wissen das Naturjuwel zu schätzen, ähnlich wie am Seewinkel des Neusiedler Sees sorgen hier Vogelschwärme in den Saisonen für ein Birdwatch-Spektakel.
Neuerdings beziehen auch auffallend viele kulinarische Zugvögel in Tata Quartier. Direkt am See, bei der mächtigen alten Platane, in den restaurierten Nebengebäuden des Schlosses und einer alten Burganlage befindet sich das Platán-Projekt, das im Wesentlichen aus Bistro, Gourmetrestaurant und einem Hotel mit 22 Zimmern und luxuriösem Spa besteht. Im Platán Gourmet arbeitet seit rund zwei Jahren Küchenchef István Pesti an einer kompromisslos auf Qualität ausgerichteten Küche, die immer mehr Stammgäste rekrutiert und diese alle drei Monate wiederkehren lässt. Denn in diesem Intervall wechselt das Menü, das einen Mix aus pannonisch-mediterraner Stilistik mit aufregenden asiatischen Gewürzen und Zubereitungstechniken bietet. Michelin war das im neuen Ungarn-Guide in diesem Frühjahr auf Anhieb zwei Sterne wert.
Dass da ganz Großes auf einen zukommt, wird schon bei den ersten Amuse-Gueules klar. Da glänzt ein wunderhübsches Paradeiserschiffchen mit Paradeisermarmelade, Barsch-Tatar und Hechtkaviar on top. Geschmacklich extralang ein kleiner Taco mit einer Füllung aus Kimchi und schwarzer Currymayonnaise. Handwerklich so megafein und akkurat in einer Präzision gearbeitet, wie es anderswo nur in der Patisserieabteilung üblich ist. Für insgesamt acht Tische inszeniert István Pesti mit seinem Team in der für alle Gäste einsehbaren offenen Küche ein würdiges Gourmettheater, in dem ohne Pinzette kein Arbeiten vorstellbar wäre. Den eigentlichen Takt gibt dann aber letztlich sehr profundes Küchenhandwerk vor. Etwa beim Chawanmushi, das mit Seeteufelleber, Mandelstreuseln, Hollandaise und etwas Schwarzer Trüffel zeigt, dass Fusion mitunter gar nicht so verkehrt ist. Und da ist eine in der Konsistenz grenzgenial elastisch-mürb anmutende Entenleber mit hauchdünn eingearbeiteten Schokostreifen. Der Sommelier reicht dazu Brombeertee mit Kirschverjus (wie überhaupt die alkoholfreie Begleitung bemerkenswert gekonnt und ideenreich ist). So genial kann man scheinbar fade Klassiker wiederbeleben.
István Pesti reist gerne durch die Welt, viel zu wenig nach Asien und Südamerika, wie er bedauernd meint. Die daraus entstandene erfindungsreiche Kombinatorik von Heimischem und Internationalem findet sich in fast jedem Gericht wieder. Die typische ungarische Eiersuppe wird im Platán bei Tisch in einem Teekocher mit Asiaaromen à la Tuna-Flocken, Koriander, Ingwer und Zitronengras aufgekocht und erhält im Teller durch Einlagen wie Bauchspeck, Zwiebel, Hühnerfett mit Paprika und pochiertes Wachtelei wieder pannonische Bodenhaftung. Wie souverän István Pesti jedes Gericht komponiert, davon zeugen mutige und punktgenaue Würze sowie ein Texturenmix, der bei jedem Biss für viel Unterhaltung am Gaumen sorgt. Sei es beim Wagyu-Carpaccio, das Fleisch durchzogen von Fett-Umami mit geräucherten elastisch-bissigen Pilzen und Topinambur-Eis mit Kaviar on top; oder bei einem Stück warmer Fischpastete aus Sterlet und Trompetenpilz, die auf einer aufregenden Saucendualität aus schwarzer Chipirones-Jus und Kokos-Red-Curry-Schaum thront.
Der Fleischgang ist Lamm mit Erbsen, die Jus so perfekt klassisch gemacht, dass es einem vor lauter gelatinöser Intensität und Kraft die Lippen verklebt. An Rohstofflieferanten aus dem nahen Umkreis wird seit Eröffnung intensiv gearbeitet. Es ist ein zähes Unterfangen, das nur langsam Früchte trägt. Wohl auch deshalb wird man selbst tätig, erzählt Vivien Varga, die Eigentümerin des Familienunternehmens, das seit Generationen in Tata beheimatet ist. Aus der eigenen Angus-Rinder-Zucht kommt bald Fleisch, die Milchprodukte machen jetzt schon die Küche happy.
Warum offizielle Institutionen im weinbautreibenden Österreich alles tun, um ungarischen und slowakischen Weinen möglichst keinen Absatzmarkt zu bieten, wird klar, wenn die Platán-Sommeliers ihre Pairing-Ideen ins Glas gießen. Da überzeugt der fürs Haus abgefüllte Welschriesling ebenso wie der unfiltrierte rote Kadarka von Bott Frigyes oder ein 2012er-Merlot von Jammertal Wine Estate in Villány, der blind verkostet so manch prominentem Bordeaux ein ernsthafter Konkurrent wäre. Und da wäre auch noch unbedingt der 2000er-Tokaji Aszú 5 Puttonyos von der zur Bodega Vega Sicilia gehörenden Kellerei Oremus zu lobpreisen; ein fruchtig-lebendiger Süßwein, mit dem man gerne viel Zeit verbringt und der ungerechterweise beinahe die grandiosen Desserts in den Schatten stellt.
Bei aller Feinheit und Eleganz ist die Atmosphäre im Restaurant landhausmäßig lässig. Die meisten Gäste kommen aus dem nahen Budapest, neuerdings mischen sich auch deutsche und belgische Feinschmecker unter die durch die 2-Michelin-Sterne-Wertung animierten „first explorer“. Bald werden wohl auch mehr neugierige österreichische Gäste kommen. Die angebotenen Zimmer, wie auch das Restaurant von Designer Zoltán Varró sehr stilsicher zwischen Alt und Neu gestaltet, bieten allen Komfort und sind eine gute Basis für weitere Entdeckungen. Etwa die fantastische Bäckerei, die ebenfalls zum Platán-Reich gehört, sündhaft feine Konditorware auffährt und auch beim Brot auf Individualität setzt. Jeder der verwendeten Sauerteige hat bei Platán Pék noch einen Namen. —
Platán Gourmet
Kastély square 6, 2890 Tata
T +36/20 548 68 76
platantata.hu