Grenzen eines Trends

Regionalität ist für viele die Zukunft der Küche. Aber noch hat sie vor allem bei Fisch und Fleisch ihre Grenzen: Manche Gäste wollen Hummer statt Huchen. Die lieferbaren Mengen sind zu klein, darum ist nicht immer das auf dem Teller, was auf der Speisekarte steht. Die Qualität ist manchen Köchen zu gering. Und: Was gilt überhaupt als regional?

Grenzen eines Trends

Text von Anna Burghardt Fotos: Corbis

„Ich will mich ja nicht mit dem Hendl unterhalten, ich will’s nur essen“, sagt Andreas Döllerer. Von ihm aus kann es also ruhig auf Französisch vor sich hin gegackert haben, jetzt muss das Fleisch aber einfach sehr gut schmecken. Und nachdem man in Österreich seiner Meinung nach auf dem Geflügelsektor lange nicht so weit ist wie in Frankreich, bezieht er noch immer Geflügel von dort – Regionalitätshype hin oder her. Und mit dieser Einstellung ist er nicht der Einzige. Heinz Hanner ortet gerade beim Geflügel großen Aufholbedarf in Österreich – „da muss noch viel Aufbauarbeit betrieben werden, bis die Qualität und vor allem auch die Kapazitäten passen“ –, und Marcel Schneider von der „Salzburgerstube“ in Zell am See bezieht neben Geflügel auch Lamm generell nur aus Frankreich, weil ihm das Fleisch der heimischen Züchter nicht immer gut genug ist.

Köche wie diese fordern Österreichs Gastronomielieferanten also heraus, indem sie in erster Linie auf Qualität achten, statt so manche öffentlichkeitswirksame, aber unreflektierte gute Tat im Sinne der Heimatverbundenheit zu setzen.

Einen Mangel an Heimatverbundenheit kann man freilich gerade Hanner und Döllerer nicht vorwerfen, mit der „Cuisine Alpine“ hat Andreas Döllerer in Golling bei Salzburg sogar einen Namen für seine öster­reichische Kochweise etabliert. Und Heinz Hanner versucht in Mayerling seit einem halben Jahr, sich ausschließlich auf Produkte aus einem Radius von etwa 200 km zu beschränken. Aber es geht beiden Köchen – mit 94 bzw. 95 Punkten und je vier Sternen im aktuellen A la Carte – eben auch um die allerbeste Qualität bei den Zutaten. Und da muss man manchmal nun einmal im Ausland zukaufen. „Ich werde nicht so dumm sein und auf Meersalz verzichten, wenn das einfach das beste Salz ist“, sagt Döllerer. Und: „Ich will mich nicht unnötig selbst beschränken.“ Wo es das Angebot erlaubt, verarbeitet er natürlich Heimisches. So hat er seit fünf Jahren keinen Salzwasserfisch mehr auf der Karte. „Wir haben hier so viele verschiedene Fische, Tigersaibling, Waller, Karpfen, Schleie, Huchen etc., da brauche ich keinen anderen Fisch mehr. Abwechslung kann man im Süßwasser genauso finden.“ Für Salzwasserfisch seien genügend Kollegen zuständig. „Wer Steinbutt will, kann im Raum Salzburg in fünfundzwanzig andere Lokale gehen, wo er den kriegt.“ Es käme darauf an, was man den Gästen als Ersatz bietet, „wenn die Flusskrebse gut sind, braucht keiner mehr einen Hummer“. Wo aber kein heimischer Ersatz in Topqualität zu finden ist, also vor allem beim Geflügel, greifen Andreas Döllerer wie auch Heinz Hanner eben zu Produkten aus dem Ausland, da können diverse Lobbys noch so sehr den Einsatz rein österreichischer Hendln fordern. „Wie lang es noch dauern wird, bis wir hier gutes Geflügel in den erforderlichen Mengen haben werden!“, seufzt Hanner. Manches Fleisch sei gewiss richtig toll – er bezieht etwa Wildhühner aus dem Pielachtal oder Tauben von der Hohen Reith –, aber das seien viel zu kleine Mengen. Von den Tauben bekommt er immer nur ein paar, dann steht eben eine kurze Zeit lang „Taube von der Hohen Reith“ auf der Hanner-Speisekarte, aber immer nur mit dem ungenannten Zusatz „so lange der Vorrat reicht“. Danach muss Heinz Hanner wieder zu französischer Taube greifen, aber, so beruhigt er, „die ist ja der Gradmesser“. Im Moment sei die Nachfrage der vielen Spitzenrestaurants mit heimischem Fleisch allein einfach nicht zu befriedigen, das müsse man den Gästen auch klarmachen. Einige, wie der Schneckenzüchter Gugumuck, schaffen allerdings schon große Mengen „in Toptoptopqualität“. „Man darf die Produzenten auch nicht zu viel unter Druck setzen, sonst werden sie grantig und denken sich, na dann mach ich lieber gleich was anderes – die sind da ein bisschen schwierig“, berichtet er und muss lachen.

Die hiesigen kleinräumigen Strukturen und die mangelnde Verfügbarkeit gerade bei Fleisch seien es, die Köche wie ihn, die sehr motiviert seien, nur österreichische Produkte zu verarbeiten, in ihrem Regionalitätsbestreben behindern. „Für kleine Restaurants ist es leichter – wenn ich nur vier Tische habe, kann ich leicht die Karte umschreiben, je nachdem, was aus der Umgebung gerade geliefert wird. Da reichen halt dann die kleinen Mengen, die die österreichischen Lieferanten bringen können.“ Spinnt man dies weiter, könnte man meinen, Minilokale seien die Lösung, wenn es um den flächendeckenden Einsatz regionaler Produkte geht. Stimmt aber nicht so ganz. „Wenn wir alle Gäste, die jetzt in größeren Lokalen essen gehen und dort Fleisch und Fisch aus Österreich essen wollen, auf Minilokale aufteilen würden, hätten wir ja in Summe dieselben verlangten Mengen“, rechnet Hanner vor.

Der vermehrten Ausbreitung des Regionalitätsgedankens stehe außerdem das hiesige Klima im Wege, meint der Koch vom „Mayerling“. „Wir haben einen langen Winter, da wächst bei uns wenig, natürlich schränkt das noch einmal ein!“ Dass die neue Regionalität von den Ländern Skandinaviens ausgeht, denen man schwerlich bessere klimatische Bedingungen zuordnen kann, mag vor diesem Hintergrund allerdings ein wenig verwundern. Rudi Obauer wundert sich jedenfalls, was für ein Getue zurzeit um das Thema gemacht wird. „Als ob das alles so neu ist. Aber es muss halt aus Dänemark runterkommen, damit’s bei uns was gilt. Wenn ich lese, dass die jetzt mit Moos kochen … Wir kochen seit Jahren mit Flechten. Aber bei uns ist halt die Regierung nicht so dahinter, diese Art des Kochens zu fördern.“

„Manche Produkte aus Skandinavien brauch’ ich wirklich nicht“, sagt indes Andreas Senn. Birkenrindensaft zum Beispiel. „Da haben wir viel mehr zu bieten.“ Senn muss von den heimischen Zutaten freilich wirklich alle nützen: Der junge Koch, sechs Jahre als Souschef von Roland Trettl im „Hangar 7“ am Werk, beschränkt sich nun im „Heimatliebe“ in Kitzbühel ausschließlich auf österreichische Zutaten (Ausnahme: Schokolade, aber die sei ja im Land der Mannerschnitten und Sachertorte schon fast heimisch). Soll heißen: Bei ihm wird mit Zitronen gekocht, werden Störeier kredenzt und Trüffeln gehobelt, kommen Physalis, Wassermelonen, Artischocken und Sojabohnen auf den Teller und Wagyu-Beef in die Pfanne. Alles aus österreichischer Produktion. Die Zitronen etwa stammen aus Schönbrunn, die Wassermelonen aus Tirol, die Artischocken aus dem Marchfeld, der Kaviar kommt aus Salzburg. Was Andreas Senn bei seiner Jagd auf die seltenen Zutaten zugute kommt: Das À-la-Carte-Restaurant im Hotel A-Rosa hat nur wenige Plätze. „Da geht es sich mit den Rohstoffen aus.“ Wenn er selbst Hummer oder Jakobsmuscheln essen will, muss er eben woanders hin. Andreas Senn geht mit seiner Küche rund um ungewöhnliche Zutaten aus ganz Österreich einen eigenwilligen Weg der Regionalität – freilich nach einer Marketingidee des Hotel-Geschäftsführers, muss man hinzufügen. Denn was Senn formvollendet unter dem vorgegebenen Motto „Radikal regional“ zu Tisch bringt, kommt nicht alles aus der näheren Umgebung, sondern stammt vielmehr einfach aus allen Landschaften, die innerhalb der österreichischen Landesgrenzen liegen. Und das kann von Kitzbühel durchaus längere Entfernungen bedeuten als im Fall des italienischen oder bayerischen Auslands. Womit wir beim küchenphilosophischen Teil wären: Wo hört Regionalität auf?

„Regional ist relativ“, sagt Karl Obauer. „Ein Joghurt aus Bayern ist für uns auch noch regional, auch wenn’s aus dem Ausland kommt.“ Ein südsteirischer Honig oder ein Bodenseefelchen seien nicht mehr regional. Generell gilt für ihn: Je näher, desto besser, „eh klar“. Auch für Andreas Döllerer ist vor allem eines klar: „Regionalität hat nicht automatisch mit Landesgrenzen zu tun.“ Auch wenn diese in der Öffentlichkeit oft zur Definition von „heimisch“, „regional“ und „lokal“ herangezogen werden, woran viele Marketing-Initiativen nicht ganz unbeteiligt sind. Für Döllerer ist aber Spargel aus Bayern regionaler als der berühmte aus dem Marchfeld. „Wer in Wien einen Egli vom Bodensee verarbeitet, handelt nicht wirklich regional.“ Ihm selbst ist speziell der norditalienische Raum nah, er hat dort gelebt, spricht die Sprache, hat Freunde im Friaul. Zu dieser Region besteht also nicht nur ein geografisches Naheverhältnis, sondern auch ein emotionales. Die Entfernungen beziehungsweise Fahrzeiten seien aber wohl noch immer der wichtigere Parameter in Sachen Regionalität, meint Döllerer: „Zu einem steirischen Kernölhersteller fahr’ ich vier Stunden, beim Giovanni Dri im Friaul bin ich von hier in zwei Stunden. Warum bitte soll ich also auf Olivenöl verzichten, wo es doch für mich sicher regionaler ist als etwas anderes.“ Gerade Restaurants, die an den Landesgrenzen liegen, müssen sich seiner Meinung nach auch ins Ausland orientieren.

Sissy Sonnleitner bräuchte er das nicht zweimal zu sagen. Sie ist schließlich als Verfechterin der karnischen Küche bekannt. „In Kärnten haben wir immer schon ins Ausland geschaut. Für uns hat Regionalität stets mit Grenzüberschreitung zu tun gehabt.“ Konkret bedeutet das, dass für sie nicht nur alte Rezepte aus Slowenien oder dem Friaul als lokal gelten, sondern auch Lebensmittel wie Sclopit, ein Wiesenspinat aus dem Friaul, Radicchio aus Treviso und diverse Käse aus dem Karst. Mauthen war im Mittelalter kirchlich nach Aquileia orientiert, erzählt sie, und es liegt an der Via Iulia Augusta, der ältesten Römerstraße der Alpen. „Austausch von Waren, Kultur und Kochrezepten findet also bei uns seit Jahrhunderten statt. Ich propagiere seit Jahren, dass Kärnten den attraktivsten Warenkorb hat, weil wir eben Italien und Slowenien vor der Haustüre haben.“ Und mit Zutaten von dort kocht Sissy Sonnleitner regionaler als mit so manchen österreichischen, die hunderte Kilometer weit zu ihr transportiert werden und nicht zu ihrem Kulturkreis gehören.

Die relativ großen Entfernungen zu seinen Lieferanten sind für Marcel Schneider von der „Salzburgerstube“ indes kein großes Thema: In seinem Fall ist vor allem die Beständigkeit der Qualität von französischem Fleisch ausschlaggebend für seine Einkaufspolitik: „Beim Pyrenäenlamm oder Sisteron-Lamm bekomme ich das ganze Jahr das gleiche allerbeste Fleisch. Auch bei Perlhuhn oder Bressehuhn habe ich mich noch nie ärgern müssen. Die Franzosen sind bei Geflügel und Lamm einfach viel besser als wir.“ Rind- und Kalbfleisch allerdings bezieht er aus der Steiermark, „keine Frage“, auch bei Süßwasserfischen überzeugt ihn die heimische Qualität. Weniger Gefallen findet er an den derzeitigen Preisen für Letztere. Wer glaubt, dass heimische Produkte immer billiger sind als französische, der irrt, sagt er. „Huchen kostet mich bis zu sechzig Euro das Kilo“, und nach Fukushima seien die Preise noch Mal gestiegen – „na klar, die Händler waren sich bewusst, dass die Leute jetzt vielleicht lieber Wels essen als Thunfisch, obwohl der in Wirklichkeit eh nicht aus Japan kommt“. Die zum Teil sehr hohen Preise für heimische Grundprodukte seien, meint Marcel Schneider, gemeinsam mit dem Regionalitätshype und den darob im Moment nicht liefer­baren Mengen sicher mitverantwortlich dafür, dass auf den Speisekarten vieles an heimischer Herkunft aufscheint, was dann nicht als solches zum Gast kommt. „Grad bei Fisch und Fleisch schreiben sicher viele Köche etwas Falsches auf die Karte.“

Heinz Hanner oder auch die Brüder Obauer sehen das genauso. Ein echter Sulmtaler Kapaun zum Beispiel sei im Einkauf so teuer, sagt Hanner, dass er im Restaurant eigentlich nicht mehr verkaufbar sei. „Wenn ich mir anschaue, um wie wenig Geld oft ein angebliches Sulmtaler auf der Speisekarte steht, 12 Euro für ein Backhendl, dann kann ich sicher sein, dass das alles Mögliche ist, aber sicher kein Sulmtaler Huhn.“ Und Rudi Obauer erzählt gern eine Anekdote von einem Besuch in einem Restaurant, in dem sich die Brüder schlussendlich als Produkt-Detektive betätigt haben. Da stand „irgendeine großartige hochalpine Rinderrasse“ auf der Karte, das Fleisch auf dem Teller war aber ganz sicher etwas anderes. Die Obauers wollten dann genauer über die Herkunft des Rindes Bescheid wissen, bekamen schlussendlich aber nur die Adresse von einem Fleischhandelsbetrieb. „Die sind schön ins Schwitzen gekommen, der Koch hat sich den ganzen Abend nicht mehr herausgetraut“, sagt Rudi Obauer und muss auflachen.

Der Preis eines Gerichts auf der Karte sei, sagt Heinz Hanner, in Sachen Echtheit bei heimischer Herkunft natürlich ein gewisser Parameter, aber man könne nicht von Gästen verlangen, dass sie alle Einkaufspreise von heimischen Hendln, Lämmern oder Kälbern im Kopf haben. Man könne aber, finden etwa die Brüder Obauer, von den Gästen Bereitschaft fordern, für lokale Produkte den angemessenen Preis zu zahlen. „Es ist halt noch immer so: Der Steinbutt darf teuer sein, das ist in den Köpfen so drin, und somit ist es für die Gäste okay. Aber für eine Blunzen würde niemand viel zahlen wollen, dabei ist die aufwendig, da steckt viel Arbeit dahinter, die bezahlt werden muss.“ Regional dürfe nicht mit billig gleichgesetzt werden, sagt Rudi Obauer vehement, das sei eine große Gefahr. Jahrzehntelang waren nur Hummer, Gänseleber, Kaviar oder Jakobsmuscheln richtig teuer und galten somit als Luxus, heimisches Getier wurde nicht als besonders wertvoll angesehen. Aber auch heute noch gelüstet es viele Gäste nach ebendiesen sogenannten Edelprodukten – nach dem Motto „wenn schon, denn schon“. „Ein Bauer, der einmal zu mir essen kommt, will halt einen Steinbutt, wenn er den ganzen Tag Rinder um sich hat“, sagt Rudi Obauer. „Wir wurden auch schon öfters gefragt, warum wir noch immer Meeresfische auf der Karte haben und uns nicht auf regionale Fische beschränken. Aber solche Fragen stellen halt Leute, die es sich leisten können, drei Monate im Jahr am Meer zu sein. Wer anderer hat nicht die Möglichkeit, sich ständig mit Langusten vollzustopfen.“ Die Obauers hätten, sagen sie, sicher zwei Drittel heimische Zutaten auf der Karte, glaubten aber eben an die gute Mischung im Sinne ihres vielschichtigen Publikums. „Man braucht ein gewisses Reservoir an Produkten, die nicht regional sind, auf der Speisekarte. Weil wenn eine Familie aus der Umgebung spart, um an einem speziellen Tag bei uns zu essen, wollen die was für ihre Begriffe Ausgefallenes.“ Und das sei eben manchmal eher Hummer als Huchen.

obauer
Markt 46, 5450 Werfen
Tel.: 06468/52 12-0
www.obauer.com
Hanner
Mayerling 1, 2534 Alland
Tel.: 02258/23 78
www.hanner.cc
Döllerer
Am Marktplatz 56
5440 Golling
Tel.: 06244/42 20-0
www.doellerer.at
kellerwand
Mauthen 24
9640 Kötschach-Mauthen
Tel.: 04715/269
www.sissy-sonnleitner.at
Heimatliebe
Ried Kaps 7
6370 Kitzbühel
Tel.: 05356/656 60-992
www.resort.a-rosa.de
Salzburgerstube
Auerspergstraße 11
5700 Zell am See
Tel.: 06542/765
www.salzburgerhof.at