Hell´s Kitchen
Er starrt in die Kamera. Verschwitzt. Die Hände mit einem Strick zusammengebunden. Natürlich schwarze Jacke. Natürlich Dreitagesbart. Natürlich wild. Böse. Er wird sich befreien. So viel ist sicher.
Text von Eva Rossmann · Illustration von Malin Rosenqvist
Aber wovon? Knacki vor dem dritten Ausbruchsversuch? Testosteronopfer, dem SIE Fesseln angelegt hat? Castingteilnehmer von „Stirb langsam – Teil 27“? Lehrergewerkschafter im ultimativen Faschingskostüm?
Mehr im Blattinneren. Der Held ist Koch. Und offenbar ein guter. Hat jedenfalls drei Sterne. Und will was Neues machen. Und flucht, auch das ist zu lesen, mehr als Gordon Ramsey: Gegen seine Küche sei „Hell’s Kitchen ein Kindergartenpicknick“. Wow, aber wirklich. Wer würde nicht bei so einem essen wollen?
Nix Familiengasthaus, mit der Oma in der Küche, die seit sechzig Jahren den Erdäpfelsalat macht und freundlichst Generationen von Jungköchen sekkiert hat. Nix französischer Luxustempel, bei dem es in der Küche so ruhig ist wie in der Kirche und dem lieben Gott persönlich (oder zumindest seinem Stellvertreter, weil der liebe Gott hat mehrere gut gehende Lokale) nur „Oui, Chef!“ entgegenhallt. Nix Molekularchemiker mit Pinzettchen und ultramageren Freundinnen.
Jetzt ist anderes angesagt: der KOCH. Mann pur. – Oder was man sich in der Branche eben so darunter vorstellt. Aus diesem Grund starren sie uns jetzt von allen Branchen- und den meisten Kochzeitschriften an: die schwitzenden, wild entschlossenen und ebenso blickenden Rambos vom Herd. Dazu: viel rohes Fleisch. Und Sprüche. „Wer hat die größten Eier und Muckis?“ steht auf der Titelseite eines Magazins, das sich sonst vor allem mit der Vermittlung offener Stellen in der Gastronomie beschäftigt. Das geht viel besser rein als „Wer will mich?“. Edith Klinger weidet längst im Tierhimmel.
Ich bin zwar bloß – sorry! – Köchin, aber das mit den Eiern hat mich auch interessiert. Rein weiterbildungsmäßig natürlich. Pech, dass ich dann bloß einen Artikel über Hühnerrassen gefunden habe. Natürlich auch eine Möglichkeit, Jungköche neugierig zu machen. Weil: Die finden die harten Kerle schon cool. Wären auch gerne so. Allein der Blick. Und das Outfit. Und der Körper. An- und durchgestochen. Bemalt für die Ewigkeit. Und für den Kampf. Nur zu hoffen, dass kein Bierbauch wächst und dafür die Oberarme dünner werden. Krieger. Sieger. Schmerz? Was, the hell, soll das sein?
– Kannst du dich erinnern, wie ich mir den Finger gemixt hab? Druckverband drüber, weitertun. Der ganze Scheißgummihandschuh hat sich aufgeblasen vor Blut. Muss man verdammt gut abbinden.
– Nix gegen den Handballen, den ich mir mit der Schneidmaschine aufgeschlitzt hab. Ich hätt mir das am liebsten selbst mit der Spicknadel genäht. Nur am Boden war so eine verfickte Sauerei, dass der Alte mich ins Krankenhaus getan hat.
– Scheiße, du bist umgekippt!
– Verdammt, bin ich nicht, nur ausgerutscht im Blut.
– Fuck you, jetzt hau das Mega-Steak endlich auf den Grill!
– Shit, das hat gezischt, jetzt hab ich mich motherfucking verbrannt.
Auf alles kann man sich bekanntlich nicht konzentrieren. Und ein bisschen träumen wird man schon dürfen. Weil in Wirklichkeit gibt’s eh dauernd eins über die Rübe. Im übertragenen Sinn. Ist zumindest zu hoffen. Auch wenn es in gewissen Küchen noch immer … aber shit. Schweigen wir darüber. Und dass der pubertäre Testosteronüberschuss in der Küche manchmal bis zur Pension dauert, hat sich auch schon herumgesprochen.
Apropos „echte“ Eier: Über die hab ich dann in einem anderen Blatt gelesen. Stiereier. Und wie man sie zubereitet. Und wie sie schmecken in der Frittata. Geil! Echt! Auch wenn, sorry: Hoden haben wir schon vor Jahren gebraten. Zu Silvester. Als Überraschung für „ganze Kerle“ aus der unmittelbaren Umgebung übrigens. Aber als sie sie dann gegessen haben, hat ihnen Buchinger doch nicht verraten, was es war. Vielleicht wär der eine oder andere zarter besaitet gewesen, als wir uns gedacht haben, und getrunken hatten sie auch schon ein wenig … Sie haben es nach einigen Stunden Schlaf am ersten Jänner erfahren. Quasi als Auftakt zum Neuen Jahr. Der einzige Vegetarier unter ihnen hat trocken festgestellt: „Wie Tofu hat das jedenfalls nicht geschmeckt.“
Also für die paar, die es noch immer nicht probiert haben: Stiereier schmecken am ehesten nach Bries. Und ein bisschen wabbelig, bilde ich mir zumindest ein. So etwas, das man kostet, aber nicht täglich braucht. Zumindest nicht aus Genussgründen.
Vielleicht braucht man sie ja, um ausreichend verrucht in die Kamera starren zu können. Wer lächelt schon, wenn er Stiereier isst? Hochverrat. Am MANN an sich. Kein Wunder, dass Köchinnen es da nicht mehr aufs Titelblatt schaffen. Zumindest nicht bei den angesagten Magazinen. Die ewig Junge im weißen Dirndl, die sich strahlend die Lippen leckt, weil sie … Nein, bitte! Das wäre zu viel.
Außerdem geht es jetzt ja um’s „Echte“: nix mehr Schäumchen und Türmchen und Tüpfelchen. Nicht mehr künstlerische Kreationen, bei denen man beim Anschauen mehr Kalorien verbraucht als beim Essen. Fleisch, blutig. Beinahe ewig abgehangen, bis es von selbst vom Haken fällt.
Der Ur-Mann ist zurück. Wilder Jäger mit Geschichten seines Vorkochers Anthony Bourdain: Sex and Drugs und die Braut, die sein Chef während des Hochzeitsessens überm Mistkübel genommen hat. Und Jung-Anthony, der von da an wusste, dass auch er Chef werden will. Ich kann nur hoffen, es war nicht Sommer. Weil dann war es entweder saukalt wegen der Hygiene und der Kühlung und so. Da kann man sich leicht ein Blasenleiden holen. Oder aber da waren Maden. So fett wie … fast so fett wie Stiereier.
Was dann ja wieder den wilden Gesichtsausdruck erklären würde. Dry aged. Ist jetzt auch angesagt. Vielleicht hängt es zusammen. Vielleicht geht das durch den bösen Blick. Gemüse jedenfalls ist bei solchen Burschen megaout, nur um das klar zu sagen. Wenn Erbse, dann bestenfalls, um sie einer gefallenen Prinzessin unterzujubeln.
Die Fernsehköche der früheren Jahre … sie waren von einer so weit entfernten Galaxie, dass sie nicht einmal die Kerle von „Star Wars“ in ansprechender Zeit zum Dinner erreichen konnten.
Köpfe, die durch die hohe, weiße Kochmütze wie perfekt geformte Zwetschkenknödel ausgesehen haben. Schälchen und Schüsselchen vor sich, damit nichts, und schon gar nicht sie, schmutzig werden. Fröhlich wie Klosterschwestern auf Missionsurlaub. Immer ein mildes Lächeln auf den rosa Lippen. Herzlich bemüht, der geneigten Hausfrau auch gesunde Küche näher zu bringen. Erbsen, tiefkühlfrisch. Dafür packungsweise. Und ohne jeden Gefühlstest für höhere Töchter. Ihr Herz war rein wie ihre Fingernägel.
Oder Jamie unser Oliver, der nette Junge, der daheim für seine Freunde kocht und dafür mit dem Motorroller einkaufen fährt. Gähn. Hat große Karriere gemacht, das schon. Immerhin. Aber, bitte: Sozialprojekte und Bioessen für die Schulkantine? Haben sie seine Eier schon gefressen? Wobei: Der Junge war über die Jahre doch recht anpassungsfähig. Vielleicht kann man ihn noch erziehen. Jamie auf der Harley, Mega-Tattoo am halb entblößten Oberkörper (hat er sich die Haare einsetzen lassen?), der ins angesagteste Gefängnis fährt und zwischen den Zähnen hervorzischt: „He, Alter, gib mir das scheißälteste Fleisch, das du finden kannst, und ich brate euch was saumäßig Geiles!“
Wobei … manchmal sind die harten Kochkerle schon entzückend. Vor allem dann, wenn sie so besonders cool sein wollen. Man nennt sie bei uns gerne „junge Wilde“, auch wenn bei einigen von ihnen jetzt schon – ähnlich wie das bei den Jugendorganisationen großer Parteien der Fall ist – ziemlich viele Jahre mit dabei sind. Schwarze Jacke, beliebiger Blick, solange er nicht freundlich ist, und vor allem seltsame Frisuren. Was auch daran liegt, dass nicht allen und in jedem Alter üppiger Haarwuchs geschenkt ist. Aber, merke: Man kann in so einem Fall wunderbar mit einem Piratentuch kaschieren. Kochen? Ach ja, das tun sie auch. Schwitzen? Eh klar. Kommt allerdings in bald einer Küche vor. Blöd reden? He, wer wo nicht. Passiert angeblich sogar Köchinnen.
Übrigens: „Junge Wilde“ weiblichen Geschlechts hab ich noch nicht gesehen. Zumindest nicht im Fernsehen oder in den vielen Magazinen oder sonst wo in der Öffentlichkeit. Weil die frühen oder auch späteren Koch-Mädels nicht wild sind? Also, wir hatten einen super Lehrling, sie hat ein Mega-Tattoo am Rücken, und als sie einmal zu lange fort war, hat sie sich beim Konvektomaten einen Kübel ins Eck gestellt und ab und zu unbemerkt hineingekotzt. Es war Sonntag. Und sie hat alles gegeben. Und sie war echt gut. Ganz abgesehen davon: So unwild bin ich, sogar ganz ohne Tattoos, auch nicht. Kann sein, dass mir sehr zum Missfallen vom Buchinger sogar der eine oder andere Fluch auskommt. Und was das Alter angeht, so hab ich erstens eben erst, verdammt noch einmal, später angefangen und zweitens sind ein paar der wilden Kerle auch schon eher überwuzelt. Was unterscheidet uns? Vielleicht ist es ja schlicht so, dass uns eben kein Ziegenbart wächst. Und dass wir überhaupt einen anderen Zugang zur Gestaltung unserer Kopfbehaarung haben … Mist aber auch.
Oder doch nicht. Weil vielleicht werden ja einmal cool grinsende Köchinnen IN. Samt blutroten Paradeisern. Mit Knurrhahn. Moden ändern sich.
Aber, eh klar: Bis dorthin werden sich auch die Möchtegernköche den bösen Blick abschauen, bevor sie wild entschlossen zum Grillbesteck greifen … Passt. Sie tun dann wenigstens was und hängen nicht mit einem Bier vorm Fernseher rum, bis sie gefüttert werden. Also: Wow! MANN, seid ihr gut! Echt.