Juicy Couture – Maßgeschneiderte Drinks ohne Alkohol
Erdäpfelsaft mit Salzzitrone oder Knoblauch-Zwiebel-Shrub zum Fine-Dine-Menü? Nicht nur nüchtern betrachtet, ist die alkoholfreie Getränkebegleitung oftmals eine hervorragende Wahl: Unorthodox und abwechslungsreich eröffnet sie völlig neue Geschmackserlebnisse. Den Alkohol wird man dabei garantiert nicht vermissen.
Saft x Food = Fun“ lautet die Formel, die keine Mode, sondern den Beginn einer neuen Trinkkultur einzuläuten scheint. Denn was in Skandinavien oder den USA schon längst State of the Art ist, wird nun auch hierzulande vermehrt nachgefragt: eine adäquate alkoholfreie Alternative zum Wein abseits von Apfelsaft gespritzt, Soda-Zitron und Co. Vermehrt möchten Gäste offenbar auch nach dem großen Gourmet-Menü noch einen klaren Kopf behalten, ohne dabei auf eine spannende Getränkebegleitung zu verzichten. – Das zu bewerkstelligen, ist die Herausforderung, der sich die heimische Spitzengastronomie nun vermehrt stellt. Dass sich dabei ein weites Feld schier unendlicher Möglichkeiten an spannenden Pairings auftut, ist nur eine angenehme Nebenwirkung. Der Hangover am Tag danach wird keinem abgehen.
Ein Lokalaugenschein bei drei heimischen Vorreiterbetrieben zeigt, wie Saft-Pairing 2.2 aussehen kann.
Tian. Die Saftmanufaktur
„Relaxed sober“ – entspannt nüchtern – lautet das Motto im Restaurant Tian, wo das Saft-Food-Pairing derzeit besonders konsequent umgesetzt wird. Zu jedem der acht Gänge des Menüs wird ein maßgeschneidertes Getränk konzipiert, plus Back-ups bei etwaigen Unverträglichkeiten oder Vorlieben der Gäste. Mit Michael Peceny wurde ein eigener „Saftmeister“ vom Service abgestellt, der sich fast ausschließlich mit der Herstellung der alkoholfreien Drinks beschäftigt.
Die Idee der alkoholfreien Getränkebegleitung kam Küchenchef Paul Ivic, der mit vermeintlichem Verzicht in seiner Michelin-besternten Gemüse-Küche bestens vertraut ist, vor drei Jahren. „Keiner sollte bei uns das Gefühl haben, auf etwas zu verzichten, nur weil er keinen Alkohol trinkt.“
Die Vision war klar: Etwas mit Substanz, der Weinbegleitung Gleichwertiges, sollte zu 100 Prozent im Haus produziert werden. Der Weg dorthin lag im Dunkeln. Sein Team erklärte ihn für wahnsinnig, lacht Ivic heute: Die Saftbegleitung ist dort, wo er sie damals haben wollte, und wird extrem gut angenommen. Was sich auch empfiehlt, denn: „Erst durch die Getränkebegleitung wird das Menü zum ganzheitlichen Erlebnis – wir denken uns ja schließlich was dabei.“
Dorthin zu kommen, war allerdings nicht einfach und die Herstellung der komplexen Getränke ist mitunter extrem aufwendig. Neben Techniken wie Fermentieren, Einlegen und Extrahieren, die sich der „Saftmacher“ selbst beigebracht hat, muss er sich auch noch mit dem auseinandersetzen, was Saison hat, sowie mit der No Waste Policy des Hauses. Karotten- und Selleriegrün, Obst- und Gemüseschalen sowie -Abschnitte kommen daher ebenso zum Einsatz wie altes Brot und „Reste“ aus der Weinbegleitung. In seinem „Saftlabor“ bedient er sich dafür verschiedenster Herangehensweisen und zum Teil uralter Rezepturen. So stehen etwa Shrub-Ansätze – aktuell Lauch-Grüntee – in Gläsern im Regal neben Kombucha-Ansätzen von Zitronenverbene, Knoblauch-Zwiebel oder Erdbeer-Ribisel. Der Anspruch an sich selbst lautet: möglichst abwechslungsreich zu sein.
Die Abstimmung der Säfte auf die Speisen ist wie beim Wein-Pairing ein enges Zusammenspiel im Team. „Matches“ werden im Tian keine gemacht, sondern Getränke entwickelt, die das jeweilige Gericht besser machen. Jeder Saft muss eine gute Dichte und ein komplexes Geschmacksbild haben, um in dem angebotenen Wein- & Saft-Pairing auch den Weinen standhalten zu können. Das Verhältnis bestimmt dabei der Gast: vier Weine und vier Säfte, sechs Säfte und zwei Weine oder umgekehrt. Manche Gäste sind anfangs skeptisch. „Sie haben Angst, einen gespritzten Apfelsaft serviert zu bekommen. Doch dann kommt der ‚Saft‘, wird probiert und der Aha-Effekt setzt ein. Man muss den Gast einfach abholen“, so Michael Peceny. „Ein Essen hier soll ja nicht steif sein, sondern einen Fun-Faktor haben, dazu gehört, dass die Getränkebegleitung ein Erlebnis ist.“
In der Praxis sieht der „Spaß“ dann so aus: hausgemachtes Tonic mit Marillennektar zum Aperitif, spritzig, animierend, mit schöner Frucht – harte Konkurrenz für Signore Bellini. Für das Buchweizenporridge mit Hagebuttengelee, Karottencreme und Sauerampfer braut Michael Peceny ein kleines „Bier“: Dafür werden Hagebutten, Apfelsaft und Zitronenblätter eingemaischt, zwei Wochen im Vakuum kalt fermentiert und mit einem Schuss Soda aufgespritzt. Die herb-fruchtige Note mit dezenter Säure kontrastiert das süßlich-erdige Gericht optimal. Plus: hübsche Schaumkrone. Den Dotter-Raviolo mit Ricotta und gegrilltem Bärlauch begleitet ein selbst gepresster Welschrieslingsaft, in dem zuvor gerösteter Nackthafer eingelegt war. Die sanfte Getreidenote, perfekt verschmolzen mit der Frucht, dazu kräftige Röstaromen und ein schönes Volumen, das den intensiven Bärlauch harmonisch abpuffert. Zum Schluss Exotik: Ein Shiitake-Shrub, mit Heidelbeeren- und Schlehensaft sowie Berberitzenessig angereichert, eskortiert den Schoko-Haselnuss-Kuchen mit Shiso.
Für Showeffekte und noch mehr Spaß wird vor dem Gast einem dunkelvioletten Auszug aus Grünkohl Eberrauten-Essig beigefügt, der ihn sofort in knalliges Pink verfärbt. Dem orangefarbenen Saft aus geröstetem Kürbis mit Selleriegrün-Tee wird sein farblicher Kick ebenfalls erst bei Tisch mittels roter Aronia- & Preiselbeer-Essenz via Pipette eingeträufelt, die wunderschön in dem Orange verläuft.
Apropos schön: Serviert werden die Drinks in alten Kristallgläsern mit Waldviertler Schliff, die die Wertigkeit der Drinks unterstreichen. Unterschiedliche Größen und Formen ermöglichen, jedes Getränk individuell zu präsentieren. Apropos Wertigkeit: Das Saft-Pairing hat im Tian denselben Preis wie die Weinbegleitung. Wer meint, das sei zu hochpreisig, hat es noch nicht probiert!
Taubenkobel. Die Pioniere
Erstaunt zeigt sich Barbara Eselböck über den aktuellen Hype um alkoholfreie Speisenbegleiter: „Wir bieten das schon seit zehn Jahren an.“ Entsprechend exzentrisch präsentiert sich auch das Saft-Food-Pairing im Taubenkobel. – Jeder Drink perfekt abgestimmt auf die sehr puristische, naturnahe Spitzenküche von Alain Weissgerber.
Ein Dill-Tonic zum Aperitif: Dafür wird Trester, der bei der Produktion von Dillsaft angefallen ist, mit Wermutkräutern versetzt und mit Soda aufgegossen – bitter, vegetabil, appetitanregend, sehr speziell, sehr gut. Gleich darauf wird eine Sellerieknolle mit Strohhalm serviert, darin eine „Erfrischung“ aus Selleriesaft, mit Mohnöl und einem Auszug aus Emmer versetzt. Auch hier animierende Säure, viel Geschmack und ein Eyecatcher obendrein.
Die gesamte Saftbegleitung wird im Taubenkobel übrigens in Raumtemperatur serviert. „Dadurch entwickeln sich die Aromen der Zutaten besser und man kann die Getränke fokussierter genießen“, erklärt Sommelier Christian Schütz. In acht formschönen Flaschen mit Korkverschluss und handbeschrifteten Etiketten stehen die Säfte in einer Farbskala von Hellgrün über Orange bis hin zu Dunkelviolett auf einer alten Werkbank im Restaurant und bieten nicht nur einen schönen Anblick, sondern steigern auch die Neugier der Gäste.
„Rhabarber und Bergamotte“ steht auf dem Etikett der eleganten Begleitung zu mariniertem Zander mit Rettich, Rhabarbergel und Bärlauch. Die Basis dafür bildet zuckerarmer, selbst gemachter Rhabarbersirup, der sich ein Jahr lang mit den Aromen der Bergamottenschale im Vakuum verbindet, einen wunderschönen altrosa Farbton und eine zarte Earl-Grey-Note annehmen konnte.
Ein Glas wird vor dem Gast mit etwas Waldmeister-Heidelbeer-Saft „aviniert“, ausgetrunken und danach mit Rehconsomée und einem Stück gebrannter Butter gefüllt, die darin schmilzt. Dazu gibt es Rehtatar und Tee aus Szechuanpfeffer. Ein wunderbares Wechselspiel zwischen der Wucht der Rehessenz und den fruchtig-scharfen Maracuja-Pfeffer-Noten des Tees inklusive seiner, die Schleimhaut leicht betäubenden Wirkung. – Ganz großes Kino.
Der nächste Saft ist eine Kreation der Küche: Feige, Mirabellen, Lorbeer. Dafür wurden Feigen mit Lorbeer angesetzt und mit klassisch gepresstem Mirabellensaft verfeinert. Der Saft vereint Frische, Frucht und Kräuter und verfügt über ein beachtliches Volumen. Er begleitet ein Gericht, das schwierig zu pairen ist: Gesäuertes Aalcarpaccio mit gebratener Gänseleber. Zwei intensive Hauptdarsteller. Eine Kombination, so genial wie fordernd.
Dann kommt Erdäpfelsaft mit Salzzitrone in die hochstieligen Kristallgläser. Ein gewöhnungsbedürftiges, basisch anmutendes Getränk. Leicht moussierend, am Gaumen sämig und erfrischend, optimal zu Ei mit Lauch und Perigord-Trüffel.
Zur Entenbrust mit Orange und Topinambur kommt ebenfalls ein herausfordernder Drink ins Glas: Lapsang Souchong (chinesischer Rauchtee) mit Hagebuttensirup und Orangensaft, der mit seiner kräftigen Rauchnote, schönen Frucht und Extrakt einen perfekten Begleiter abgibt. Szechuanpfeffer an der Ente schließt schließlich den Aromenspannungsbogen im Menü.
Das ist aber noch nicht das Ende. Zur Käseauswahl wird harziger Maiwipferlsirup mit Soda serviert. Zum Dessert – Weiße Luftschokolade mit Zitronen-Thymian-Gel – fährt die Saftbegleitung nochmals ordentlich auf: Geröstete Topinamburschale, wie Malzkaffee verarbeitet, wird mit dem Einlegefond von Weingartenpfirsichen zu einem vollmundigen, malzigen Drink mit schöner Frucht kombiniert, der beinahe an einen leichten Port erinnert. Chapeau!
„Die Saftbegleitung“, so Christian Schütz, „ist ein völlig neuer Bereich, der nicht nur stark nachgefragt wird, sondern auch viele Möglichkeiten bietet.“ Er kann – im Gegensatz zum Wein – die Getränke selbst einstellen und so variieren, wie er sie zu den Gerichten haben möchte. Und: „Das macht richtig viel Spaß.“ Nicht nur den Gästen.
Steirereck. Stand-up Comedy
Auch Steirereck-Sommelier René Antrag fehlt es nicht an Möglichkeiten, die Gerichte von Heinz Reitbauer alkoholfrei zu begleiten. Ein Saft-Pairing wird aber nicht offensiv angeboten. Das wäre bei den häufig wechselnden jeweils 14 Gerichten in den Menüs plus A-la-Carte-Speisen nicht umsetzbar, erklärt Antrag die Entscheidung, stattdessen eine „Getränkebegleitung“ zu entwickeln, die neben Wein auch Sake, Tee und alkoholfreie Drinks vorsieht. An antialkoholischen Zutaten steht ihm die gesamte Palette an Einlegefonds und etwa 20 verschiedenen Sirupen von Küche und Patisserie zur Verfügung. – Hier kann er aus dem Vollen schöpfen: Das „Geschmackslabor Reitbauer“ erlaubt ihm, nicht nur perfekt auf einzelne Zutaten in den Gerichten einzugehen, sondern auch außergewöhnliche Drinkkreationen à la minute aus dem Ärmel zu shaken. Denn auch an spontanen Einfällen mangelt es Antrag nicht. „Wir haben ja alle viel Erfahrung, wissen, was wir im Haus haben, was man kombinieren kann, was gut schmeckt – häufig passieren die besten Dinge im Moment. Stand-up-Comedy-like – wir probieren etwas aus, es gelingt, wird aufgeschrieben und weiter geht’s.“ Ganz entspannt und dabei immer für etwas Neues offen.
An die fünf bis sechs alkoholfreie Getränke hat Antrag stets parat, dazu hervorragende Säfte kleiner Manufakturen und Winzer. Damit kommt er gut durch den Abend. Die Dramaturgie der antialkoholischen Getränkebegleitung lautet, wie beim Wein, die Intensität im Verlauf zu steigern: leicht und frisch zu starten, danach mit etwas Eleganterem auffahren, bis hin zu kräftigeren Aromen mit herzhafter lauterer Frucht, die gut zu den Haupt- und auch Fleischgängen passen. Wichtig ist ihm, dass die Getränke zur Linie des Hauses passen. „Alles soll nachvollziehbar sein. Wir wollen keine Wow-Effekte, halten uns mit der Technik zurück, arbeiten nicht futuristisch – kein Schaum, kein Rauch, das passt nicht zu uns.“
Ins Schwärmen gerät der Spitzensommelier indessen, wenn es um „Flein“ von Gross geht: Ein reinsortiger Sauvigon blanc-Saft, der für Antrag die perfekte alkoholfreie Weinalternative darstellt und zugleich ein toller Speisenbegleiter ist. „Die Aromatik der Traube kommt schön durch, sehr kräutrig, floral, vegetabil, nicht zu süß, geile Säure. Leicht gekühlt im großen Weinglas zum ersten Gang serviert, da brauch ich keinen Cocktail machen oder etwas fermentieren.“
Für den nächsten Drink wirft Antrag den Shaker an: Kalt angesetzter Verbene-Tee wird mit einem Schuss Latschenkiefersirup, etwas Limette und einer Scheibe Ingwer gemixt und im eiskalten Martiniglas serviert. – Ein eleganter, „supercooler Drink, der sehr gut zu unserer frischen, säurebetonten Küche passt“. Zu gebratenem, mit fermentierten Gin-Dirndln lackiertem Perlfisch zum Beispiel.
Geht es in den Hauptspeisenbereich, „spielt“ René Antrag gerne mit Säften oder Einlegefonds von roten Trauben, Rotem-Mond-Apfel (ein durch und durch rot gefärbter Apfel) oder Aroniabeeren, die etwas dunkler in der Aromatik sind und selbst Fleischgerichte sehr gut begleiten. Zu Taube serviert er beispielsweise einen Drink aus Rotem-Mond-Auszug mit frischem Basilikum, einem Hauch Nelkensirup und Limette – eiskalt geshaked, fertig. Ein großartiges Getränk, ungekünstelt, mit toller, kräftiger Farbe. – „Da braucht man gar kein Essen dazu“, lacht er.
Meistens kommt es auch gar nicht so sehr auf das Pairing selbst an, ist der Top-Sommelier überzeugt, vielmehr geht es darum, etwas spannendes Alkoholfreies angeboten zu bekommen. „Die Gäste trinken ja das Getränk auch zwischen den Gängen. Da habe ich lieber ein paar coole Drinks über den ganzen Abend verteilt, anstatt mich nur auf das Gericht und das Pairing zu konzentrieren“, erläutert er seinen persönlichen Zugang.
Mit zu viel Säure oder fermentierten Säften hat Antrag in seiner Getränkebegleitung allerdings ein Problem. Die Steirereck-Küche ist bekannt für ihre lebendige Frische, den Einsatz von unterschiedlichsten Zitrusfrüchten bis hin zu Verjus etc. Wenn er dazu zuviel Fermentiertes reicht, bleibt die Bekömmlichkeit auf der Strecke. Wichtig ist ihm die Balance, es ist ein Geben und Nehmen, das gesamte Menü ist wie ein Film aufgebaut: Die richtige Balance aus Romantik, Spannung, Action – nur Romantik ist fad, nur Action ist zu viel. Nur Säure ist anstrengend, aber nur Harmonie ist irgendwann auch einschläfernd. Deshalb vertragen die Getränke hier schon auch einmal ein bisschen Fruchtextrakt. Zu den Desserts etwa, bei denen im Steirereck gerne auf die jeweils enthaltene Frucht eingegangen wird. – Happy End.