Kellner

Die Wirtshaus-Diplomaten Die letzten Oberkellner haben all das, was den Managern von heute zunehmend abhanden kommt: Sie sind gute Menschenkenner, smarte Verkäufer und dezente Netzwerker. Und sie pflegen einen hohen Anstandsbegriff. Vielleicht ist das der Grund, weshalb es nur mehr so wenige von ihnen gibt. Text: Michaela Ernst • Fotos: Peter M. Mayr Die Wirklichkeit…

Die Wirtshaus-Diplomaten

Die letzten Oberkellner haben all das, was den Managern von heute zunehmend abhanden kommt: Sie sind gute Menschenkenner, smarte Verkäufer und dezente Netzwerker. Und sie pflegen einen hohen Anstandsbegriff. Vielleicht ist das der Grund, weshalb es nur mehr so wenige von ihnen gibt.

Text: Michaela Ernst • Fotos: Peter M. Mayr

Die Wirklichkeit ist immer ganz anders. Das wissen vor allem jene, die täglich mit ihr zu dealen haben. Die einerseits ihr Haus, andererseits den Gast und jedenfalls die gute Stimmung zu verteidigen haben. Die eine Armada an Personal führen, motivieren und instruieren. Die mit ihrem Namen allein mittlerweile selbst so viel Legende darstellen wie die langjährigsten ihrer Stammgäste. Die von so einem Schlag sind wie Hermann Bauer, seit über vierzig Jahren Herr über Bar und Restaurant im Goldenen Hirschen. Seinem Beruf gibt er folgenden Anstrich: „Distanz, Charme und Höflichkeit. Kellner lernt man nicht, dazu muss man geboren sein. Ich setze mich mit meinem ganzen Leben ein.“

Umso erstaunlicher ist, wenn er gleich darauf sagt: „Arbeiten ist nicht alles.“ Die Arbeit sei nämlich der kleinste gemeinsame Nenner, der ein Team verbindet. Man kann sie gut oder besser erledigen. Sie ist das Grundwerkzeug, die Selbstverständlichkeit, die alle voraussetzen. Deshalb achtet er auch kaum auf die Noten, wenn sich Junge bei ihm bewerben. Nur wenige Dinge entscheiden, ob man von der Masse in die Spitzenklasse aufsteigt: „Freundlichkeit, Sauberkeit, Pünktlichkeit und ein Gespür für Situationen, kurz bevor es brennt.“

Womit sich der Kreis zu Ernst August schließt. An jenem hitzigen Sommerabend im August hat es nämlich so etwas von nicht gebrannt: „Der Ernst August ist ein reizender Mensch und ganz anders, als ihn die Medien darstellen“, weiß Hermann Bauer. Mozzarella-Bällchen seien auch keine durch die Luft gesaust, sondern Erbsen. Kleines, grünes, rundes Gemüse, das zwischen dem begehrtesten Platz im Lokal, Tisch Nummer vier, und einem weiteren hin und herflog. Weil der weniger prominent platzierte Gast, ebenfalls Mitglied des europäischen Hochadels, Tischsieger Ernst August necken wollte. Möglicherweise spielte es sich auch umgekehrt ab. Jedenfalls war’s eine Hetz. Für die Beteiligten und die Zaungäste.

Tisch Nummer vier steht, wenn man von der Bar ins Restaurant kommt, hinten rechts im Eck, da wo das große Bild hängt. Es ist der gefragteste Platz im ganzen Haus. Rolf Sachs, Arnold Schwarzenegger oder Thomas Gottschalk sitzen hier, Ernst August, wenn er in Salzburg ist. Und Freiherr Enoch von Guttenberg ebenfalls, wenn er es schafft, dem Welfenprinzen zuvor zu kommen. Der Zauber des Tisches besteht darin, dass man alles sieht, selbst aber geschützt bleibt. „Das Placement ist eine der heikelsten Aufgaben, daher Chefsache. Ich kümmere mich darum die letzte halbe Stunde bevor wir aufmachen“, erklärt Bauer. Warum so knapp? „Weil dann alle Reservierungen eingetroffen sind und kaum mehr Änderungen stattfinden.“ Hotelgäste genießen Priorität – „das muss so sein bei einem Haus unserer Klasse“. Die restlichen Besucher, die vor allem in der Festspielzeit zu einem großen Teil aus Stammgästen bestehen, werden mit Fingerspitzengefühl im Raum verteilt. „Manche Damen der Gesellschaft haben wenig Freude damit, wenn sie in der Nähe bestimmter anderer sitzen“, schmunzelt Bauer. Prinzessinnen-Dramen? „Ja“, meint er amüsiert, „so könnte man’s nennen.“

Der Umgang mit Empfindlichkeiten dieser Art gehört auch zum Tagesgeschäft des Harald Hitner. Er führt seit 22 Jahren – zählt man seine Lehrzeit dazu, kommt er auf 28 Jahre – das Café im Hotel Imperial. Täglich zwischen 7.30 und 10 Uhr früh halten dort Österreichs Wirtschaftskapitäne Hof. Im ersten Raum sitzen zumeist Niki Lauda, der Mathematiker und Bestseller-Autor Rudolph Taschner (Gerechtigkeit siegt – aber nur im Film), Alu-Zampano Peter König, A1-Boss Hannes Ametsreiter oder der Ex-Generalsekretär der Österreichischen Industriellenvereinigung, Herbert Krejci. In den zweiten Raum ziehen sich gern der Industrielle Franz Rauch, der Präsident des Österreichischen Tennisverbandes, Ronnie Leitgeb oder Kika/Leiner-Boss Herbert Koch zurück. Nationalbank-Präsident Claus Raidl – ebenfalls ein Stammgast – soll die vertraute Atmosphäre einmal folgendermaßen charakterisiert haben: „Wennst gesehen werden willst, gehst ins Landtmann, willst anonym bleiben, gehst ins Imperial.“ Der Mann hat ganz offensichtlich Humor.

Hitner kennt die Szene der Macher, Manager und Magnaten. Den Tag beginnt er damit, die Wirtschaftsseiten aller Tageszeitungen zu studieren. Im Personalraum hängt eine Pinnwand, auf der prominente Personalrochaden oder Firmenneuzugänge festgehalten sind. „Manche dieser Wirtschaftsbosse sind sehr formell, andere wiederum freuen sich, wenn man sie mit Namen anspricht und sich informiert und interessiert zeigt“, erzählt er. Dieses Wissen gibt er laufend an seine Leute weiter. „Mittlerweile ist die Situation so, dass sich meine Buam einen Ast abfreuen, wenn sie jemanden erkennen, der mir noch fremd ist“, lacht Hitner.

Was Hitner und Bauer miteinander verbindet, ist diese außergewöhnliche Situation, ihr eigenes Ding in einem Managementgeführten Betrieb (beide Hotels gehören zur StarwoodGruppe) realisieren zu dürfen. Im Hotel Imperial wie im Goldenen Hirschen verlassen sich die Direktoren auf Wissen, Erfahrung und Feingefühl ihrer Oberkellner, statten diese mit Budgetkompetenz und Entscheidungsmacht aus, lassen sich gegenüber Stammgästen sogar einführen und vorstellen. „Das ist m-e-i-n Kaffeehaus“, sagt Harald Hitner. „M-e-i-n-e Bar. M-e-i-n Restaurant“, betont Hermann Bauer. „Ich war 15, als ich mich bei u-n-s vorgestellt habe“, erinnert sich Johanna Stiefelbauer, wenn sie von ihren Anfängen vor 30 Jahren im Landhaus Bacher in Mautern in der Wachau spricht.

Wie anachronistisch sich das doch anfühlt: 2011 gibt es noch Menschen, die sich ein Leben lang an einen Arbeitgeber binden. Gerade im Dienstleistungsbereich bedeutet dies jedoch ein hohes Qualitätsmerkmal – für das Unternehmen, das seinen Leuten so viel Freiraum schenkt, dass sie ihr Potenzial ausleben können. Und für die Angestellten, die mit ihrer kontinuierlichen Präsenz wie Anker der Lebensfreuden im großen, von Stürmen durchzogenen Gastro-Ozean wirken. „Diese Ausdauer und die damit verbundene Einstellung haben heute nicht mehr sehr viele Menschen“, stellt Gerhard Föderle vom Restaurant Eckel fest, „und es gibt auch immer weniger, die zu dem Betrieb stehen, für den sie arbeiten.“ Herr Gerhard, der seit 38 Jahren für die Familie Zarl arbeitet, hat seine Loyalität noch nie in Frage gestellt: „Ich habe hier als Lehrling noch unter dem alten Herrn Eckel, dem Vater von Frau Zarl, begonnen – mittlerweile erlebe ich, wie die dritte Generation langsam ans Ruder kommt.“ Auch Johanna Stiefelbauer vom Landhaus Bacher ist sich sicher: „Wir haben andere Werte als nachfolgende Generationen. Wenn ich lerne, muss ich mir auch etwas sagen lassen. Fehler muss ich als Herausforderung sehen, es beim nächsten Mal besser zu machen. Wenn ich bediene, heißt das nicht, dass ich ein Diener bin. Und ein freundliches Grüßgott hat noch niemandem einen Zacken aus der Krone gerissen.“

Heute seien die jungen Leute, die sich nach der Pflichtschule bewerben mit einer seltsamen Ausprägung von Selbstbewusstsein ausgestattet: „Sie können alles besser, wissen alles besser, als es vielleicht damals bei uns der Fall war, weil auch die Ausbildung besser geworden ist. Aber sie lassen sich weniger sagen.“ Sie jammern – diese Erfahrung teilen alle Serviceleiter –, dass sie arbeiten müssen, wenn ihre Freunde frei haben. Erscheinen mit ungeputzten Schuhen. Halten die Türen nicht auf, wenn ein Gast kommt. Bringen nur mit Mühe ein Grußwort heraus. „Für uns ist Dienstleistung an sich völlig unproblematisch“, sagt Johann Georg Gensbichler, seit 2001 Maître im Schwarzen Kameel, „bei der heutigen Ausbildung wird nicht mehr auf Herzlichkeit geachtet. Man muss täglich Freude an seiner Arbeit haben, aber genau damit tun sich die Jungen oft schwer. Freundlichkeit ist das Wichtigste, wobei die ersten fünf Sekunden und die letzten zwei Minuten, die man mit dem Gast verbringt, das Wichtigste sind.“

Der Job, man merkt es rasch, wenn man den Alltag eines Oberkellners an sich vorbeiziehen lässt, ist facettenreicher als viele andere. Weitere Königskategorien im Service wären da noch: Improvisation und ein gewisses Schauspieltalent. „Einmal“, erzählt Frau Johanna, „kam ein langjähriger Stammgast mit Geschäftspartnern zum Essen. Er wollte unbedingt vermeiden, dass seine Gäste bemerken, wie vertraut uns seine Anwesenheit ist, also bat er mich so zu tun, als ob ich ihn das erste Mal bei uns sehen würde.“ Das war, erinnert sie sich, einer der konzentriertesten Momente in ihrer Karriere: „Wenn dich der Gast anschaut und schmunzelt, und man aber selbst ganz ernst bleiben muss – dann ist das eine echte Herausforderung.“ Ein anderes Mal erlebte sie, wie ein frisch getrenntes Paar mit dem jeweiligen neuen Lebensabschnittspartner am selben Tag zum Mittagessen kam. Wie der Zufall so spielte: Die beiden saßen in direkt nebeneinanderliegenden Logen. Wie verhält sie sich, wenn Dynamit in der Luft liegt? „Am besten, man lässt sich nichts anmerken und schaut, dass man zu beiden gleichermaßen freundlich ist“, weiß 
Johanna Stiefelbauer.

Improvisation ist vor allem angesagt, wenn das Wettrennen um die begehrtesten Tische im Raum startet. Schließlich arbeitet nicht jeder Wirtshausbesucher etwaige Niederlagen in Form von Wurfspiel-Therapien auf. Manche ziehen sich auch zurück und kommen dann nicht wieder. „Wir haben Tische, die seit Generationen von bestimmten Wiener Familien besetzt sind. Da ist es natürlich alles andere als leicht, wenn diese Herrschaften einmal woanders sitzen müssen“, weiß Johannes Mayer vom Restaurant Anna Sacher im Hotel Sacher. Gerhard Föderler vom Restaurant Eckel weiß gleich einen ganzen Kanon davon zu singen: „Bei uns wollen alle immer in der Schank sitzen. Und viele spazieren mit dem Bewusstsein bei der Tür herein: Ich bin ein Stammgast, das steht mir zu. In unserem Haus gilt jedoch der Grundsatz: Wer zuerst kommt oder reserviert, mahlt zuerst.“

In so heiklen Momenten rufen die beiden Profis jedenfalls die innere Datenbank auf: „Welchen Wein, welchen Aperitif trinkt der Gast gern? Welche Speisen schmecken ihm, sodass man ihm diese vielleicht gleich empfehlen kann? An welchen saisonalen Spezialitäten könnte er sich erfreuen?“ Ein guter Oberkellner wirkt immer deeskalierend: „Man darf nicht schroff sein“, mahnt etwa Föderler, „sondern bemüht sich, noch ein bisschen freundlicher zu sein als bei Tischen, wo eh alles gut läuft.“ Ein guter Oberkellner wird – gegenüber dem Gast – niemals auf seiner Version der Dinge bestehen, sondern einen ganzen Zauberkasten an Versöhnungsgesten auspacken. „Es gibt zum Beispiel diesen Typus, der immer beherrschen will, selbst abends, wenn er mit Freunden ausgeht. Der meckert dann auch besonders gern“, berichtet Johann Georg Gensbichler von der Leidensfront – „solche Momente blockt man am besten ab, indem man ihm das Gefühl gibt, dass er recht hat und ihm ein Gläschen Sekt oder Wein auf Haus spendiert. Mein Chef, Peter Friese, gibt mir grünes Licht und sagt immer wieder: ,Wenn Sie einmal jemandem etwas Gutes tun wollen, dann tun sie es.‘“

Das Gute geht bei einem Vollblut-Dienstleister wie Gensbichler manchmal ordentlich weit. „Unlängst spaziere ich bei Regen über den Graben und sehe, wie einer unserer Stammgäste in einem Hauseingang Schutz sucht. Also bin ich schnell ins Kameel, habe dort einen Schirm geholt und ihm den gebracht.“

Ein anderes Mal, das Ereignis liegt erste wenige Monate zurück, besuchte ein früherer Gast, der mittlerweile in Vorarlberg lebt, nach fast zehnjähriger Abstinenz das Restaurant. „Er hat mir erzählt, dass seine Tochter zum Studieren nach Wien zieht und mich gefragt, ob ich jemanden kenne, der eine kleine Wohnung vermietet.“ Gensbichler nicht faul, ließ die tausenden, abgespeicherten Lebensgeschichten durch seine Gehirnwindungen rattern – „Ich hab eine Festplatte wie ein Elefant!“ – und erledigte die Bitte, die er natürlich als Auftrag verstand, binnen 24 Stunden. „Man muss ein Freund der Gäste sein“, sagt er. Und ein Freund seiner selbst: „Ich bin noch keinen Tag ungern hier hereingekommen. Im Gegenteil: Ich komme sogar jeden Tag wahnsinnig gern ins Kameel. Und ich gehe auch jede Nacht wahnsinnig gern nach Hause.“

Adressen

Zum Schwarzen Kameel
Bognergasse 5, 1010 Wien
T 01-533 81 25-11
www.kameel.at

Anna Sacher
Philharmonikerstraße 4, 1010 Wien
T 01-514 56-840
www.sacher.com

Zum goldenen Hirschen
Getreidegasse 37, 5020 Salzburg
T 0662-808 48 61
www.goldenerhirschsalzburg.at

Landhaus Bacher
Südtirolerplatz 2, 3512 Mautern
T 02732-829 37
www.landhaus-bacher.at

Eckel
Sieveringer Strasse 46, 1190 wien
T 01-320 32 18
www.restauranteckel.at

Café Imperial
Kärntner Ring 16, 1010 wien
T 01-50 11 00
www.hotelimperialwien.at