König der Alta Langa

Cesare Giaccone ist für Fans der authentischen italienischen Küche einer der besten Köche der Welt. Grund genug für einen Lokalaugenschein samt persönlichem Loblied.

Text von Willi Klinger Foto: thenewgastronomes.com

Die Alta Langa ist eine gottverlassene Hügellandschaft im Hinterland der Barolo-Zone. Trotz seiner nur 255 Seelen galt der dort gelegene Ort Albaretto della Torre lange Zeit als das kulinarische Mekka Piemonts, denn hier regierte weiland der von Gourmetpäpsten wie Johann Willsberger oder Patricia Wells als größter Koch Italiens gefeierte Cesare Giaccone. Auch Österreicher pilgerten alljährlich zu diesem charismatischen, wenn auch exzentrischen Künstler am Herd, zum Beispiel Claus Josef und Georg Riedel mit der versammelten Elite der österreichischen Spitzenköche der achtziger Jahre von Gustav Lugerbauer bis Jörg Wörther. In meinem ersten Jahr im Weingeschäft durfte ich als rechte Hand des Salzburger Weinhändlers Alois Stangl im November 1987 den Wiener Club de la Sommellerie bei seiner Piemontreise von Weingut zu Weingut führen. Das Abendessen der etwa 30-köpfigen Gruppe bei Cesare geriet zum Fiasko. Nichts klappte, einige Protagonisten kämpften nach dem Verkostungsmarathon des Tages mit der Müdigkeit. Cesares damalige Frau, die zu Beginn noch einigermaßen nüchtern Franz Schafelner herzlich gehalst hatte, verlor im Laufe des Abends zusehends die Kontrolle. Cesare in der Küche tat sein Bestes, aber es war nicht sein Tag. Dafür war die Rechnung aufgrund der unaufgefordert über fast jedes Gericht gehobelten weißen Trüffeln aberwitzig, was vor allem die pekuniären Möglichkeiten der angestellten Sommeliers vom Schlage des unvergesslichen Charly Seiser hoffnungslos überforderte. Ja, solches konnte im Olymp der Küche auch passieren, aber es war die Ausnahme. Ein gutes Dutzendmal war ich seither bei Cesare, auch als er seinem Sohn Filippo das Lokal übergeben hatte und vorübergehend in seinem Privathaus kochte. Mindestens zehnmal habe ich so gegessen, dass ich es nie vergessen werde. Ich habe in meinem bisherigen Leben noch keinen Koch kennengelernt, der es wie Cesare schaffte, Kreativität, Bodenständigkeit und Finesse so vollkommen auf einen Nenner zu bringen.

Vor ein paar Jahren wurde der Altmeister von Oscar Farinetti, dem Gründer der Edel-Supermarktkette „Eataly“, dazu überredet, am ehemals königlichen Weingut Fontanafredda, das dieser piemontesische Tycoon der maroden Traditionsbank Monte dei Paschi di Siena abgekauft hatte, das Restaurant zu übernehmen. Farinetti, der visionäre Machtmensch und Cesare, der geniale Anarchist: Jedem Kenner der Materie war klar, dass das nicht lange gut gehen würde. Fakt ist, dass Cesare seit 2011 wieder in seinem ursprünglichen Restaurant kocht und Sohn Filippo ins Privathaus ausweichen musste, was, wie man hört, auch nicht ohne Streit abging. Doch die Nachricht, dass der heute 68-jährige Meister nun wieder an den Originalschauplatz zurückgekehrt ist, war für mich ein unwiderstehlicher Lockruf, dem ich erst kürzlich mit einer Runde alter Freunde folgte. Es wurde ein Abend voller Nostalgie in der gewohnt gemütlichen Atmosphäre mit einem großartigen Menü rund um das Paradegericht „Capretto allo Spiedo“.

Schlag 18.30 hängt Cesare seit Jahrzehnten an jedem Öffnungstag den Drehspieß mit den Schultern und Keulen vom Ziegenkitz in den gut vorgeheizten Kamin. Am Anfang züngeln noch vereinzelt Flammen aus den glühenden Buchenscheiten, sodass die Haut schön knusprig wird. Während sich im Verlaufe des Abends ein herrlicher Bratenduft über das ganze Lokal ausbreitet, erlischt nach und nach die Glut bis nur noch die heißen Ziegel des Kamins dafür sorgen, dass das Kitz unter der Kruste butterweich wird und dabei schön saftig bleibt. Inzwischen schickt Cesare fünf seiner unvergleichlichen Vorspeisengänge und kommt dazwischen immer wieder an den Tisch. Einmal setzt er sich lachend den federgeschmückten Gebirgsjägerhut der italienischen Alpini auf, der im Lokal an der Wand hängt und verkündet, er werde sich bei der nächsten Reise nach Österreich eine Trachtenjoppe dazu kaufen.

In der Regel beginnt die Speisenfolge mit einem Salat mit gebratener Entenbrust und Cesares legendärer Fruchtmarinade: Olivenöl gemixt mit Orangen, Äpfeln und Birnen. Es kann aber auch, wie kürzlich bei uns, gleich mit frischgemachten „Plin in Brodo di Bue“ losgehen, kleinen, hauchdünnen Teigtaschen mit feinst abgeschmeckter Mangold-Wildkräuterfülle in einer eleganten Rindsbouillon. Auf diesen Auftakt aus dem Repertoire feinster oberitalienischer Hausmannskost, gleichsam als Luxusvariante von Agnolotti in Brodo, folgte ein Musterbeispiel von Cesares sicherer Hand auch bei kreativen Einfällen: Gedämpfte, zarte Seppie in Streifen geschnitten und dazwischen kleine Stücke von gebratenem Radicchio als zartbitterer Akzent in einer fruchtig-pikanten warmen „Salsa Mediterranea“ aus pürierten gelben Paprika, Tomaten und etwas Staudensellerie, emulgiert mit Olivenöl. Manche Gänge wie „Fiore dell’Orto con Crema di Castelmagno“, eine gekochte Karfiolrose mit einer cremigen Sauce vom Castelmagno-Käse, wirken in ihrer radikalen Einfachheit wie ein gelungener Drahtseilakt ohne Netz. Der geringste Mangel am Produkt oder Fehler bei der Zubereitung würde hier einen Absturz in totale Banalität bedeuten. Das vielleicht berühmteste Originalrezept Cesares stammt aus den achtziger Jahren und heißt „Porcini e Pesche alla Willsberger“. Steinpilze und Pfirsiche haben zur gleichen Zeit Saison, was Cesare dazu inspirierte, sie leicht ansautiert und mit frischen Kräutern, ein paar Tomatenwürfeln, etwas Suppe und nur einer Spur Obers im Rohr geschmort zu servieren. Ich habe aus diesem Rezept eine eigene Version entwickelt, die ich zu Hause zubereite, wenn ich einem großen gereiften Riesling aus unserer Heimat eine perfekte Bühne bieten möchte. Auf besonderen Wunsch schob Cesare noch das Lieblingsgericht einer anwesenden Winzerin ein: Polenta mit einem Eigelb, Kastaniencreme und darüber geriebenem Parmigiano „Vacche Rosse“. Das war auch der Moment, wo Cesare mit dem Trüffelhobel anrückte.

Nach einem derartigen Vorspeisenfeuerwerk folgt ein Primo Piatto: Tajarìn mit weißen Trüffeln oder ein Risotto mit den seltenen orangefarbenen Ovulipilzen, ein kräftiges Rotweinrisotto oder eine köstliche Minestra mit Steinpilzen. Danach wäre es gut, wenn man noch Platz für das Ziegenkitz hätte, denn das passt so wunderbar zu einem reifen Barolo oder Barbaresco. Große Weine kann man auch mitbringen, was empfehlenswert ist, denn statt einer Weinkarte gibt es im Lokal nur ein Regal mit einem etwas undurchsichtigen Sammelsurium unbekannter Kreszenzen. Immerhin standen neben einem Bric del Fiasc von Scavino auch ein paar gute Flaschen aus Österreich unter den Lokalweinen von Favorita, Arneis, Dolcetto, Barbera, Freisa, Nebbiolo d’Alba und Co. Bei den Gläsern gibt es bei Cesare keinen Kompromiss. Seit Jahrzehnten wird mit Riedel Sommelier oder Willsberger inklusive langstieliger blauer Wassergläser eingedeckt.

Inzwischen ist man beim Moscato d’Asti angelangt und bei den Dolci. Das beste Dessert, das ich je in Italien gegessen habe, erfand Cesare übrigens für die Frau von Angelo Gaja: „Pesche della dolce Lucia“ – im Ofen geschmorte Pfirsiche überzogen mit einer wunderbar dekadenten Creme von weißer Schokolade. Ganz so arg kann übrigens der Konflikt mit Sohn Filippo nicht sein. Denn zum Dessert erschien dieser herzlichste aller Gastgeber Italiens, um die Gäste aus dem geliebten Österreich zu begrüßen und gleich auch ein wenig Werbung für sein „Filippo – Oste in Albaretto“ in der ehemaligen „Aia di Cesare“ zu machen. Dort, keine 200 Meter von der „Bottega di Cesare“ entfernt, landeten wir zum Digestif und fassten den festen Vorsatz, nächstes Mal Filippos „Coniglio“ oder „Costine di Maiale“ aus jenem offenen Kamin zu versuchen, in dem uns Cesare vor 8 Jahren das Capretto gebraten hatte. Filippos Menü ist mit 35 Euro geradezu eine Mezzie, vor allem auch weil die Atmosphäre in den kleinen Stuben vielleicht sogar noch gemütlicher ist als oben in Cesares Bottega. Ein besonderes Juwel ist der von Filippos Frau Silvia liebevoll gepflegte Garten im Hinterhof.

Albaretto della Torre in der Alta Langa ist ein echtes Refugium für Feinschmecker, wenn alljährlich zur Zeit der Trüffelmesse in Alba und Umgebung der touristische Wahnsinn ausbricht. Glücklicherweise gibt es im Nachbarort in der Trattoria del Bivio nicht nur sechs geräumige Komfortzimmer und sogar ein kleines Hallenbad, sondern auch gleich das nächste tolle Restaurant mit den besten Tajarìn des Barologebiets. Mit der wunderbaren Trattoria „La Coccinella“ im nahen Serravalle komplettiert sich das kulinarische Quartett der Alta Langa, wobei ich sicher bin, dass es auch in den anderen Nachbardörfern unbekannte Schätze zu heben gäbe.

Albaretto della Torre
www.cesaregiaccone.it
Geöffnet auf Vorbestellung ab vier Personen, fixes Menü mit sieben Gängen zu 100 €

Filippo – Oste in Albaretto
Albaretto della Torre
filippogiaccone.com
Urgemütliche Trattoria mit herzlicher Gastlichkeit, 35–50 €

Trattoria del Bivio
Cerretto Langhe
www.trattoriadelbivio.it
Gute Küche, interessante Weinkarte, geräumige Komfortzimmer, kleines Hallenbad
Trattoria La Coccinella
Serravalle Langhe
www.trattoriacoccinella.com
Sehr feine Küche, auch guter Fisch, faire Preise für dieses Niveau