Konkurrenz und andere Geschmackssachen

Text von Eva Rossmann · Illustration von Gina Müller

Über kulinarische Gockelkämpfe, Trends, bei denen man mit muss (muss man?) und die Frage, wer denn die wahren Gewinner all dieser Wettbewerbe sind.

Angeblich ist ja Hunger der beste Koch. Aber ich glaube nicht einmal das. Weil: Den besten Koch gibt es nicht. Dafür gibt es alle möglichen und unmöglichen Plattformen, die uns einreden wollen, wer oder was der oder das Beste ist. Habe ich drei Tage gehungert, werde ich Grießkoch trotzdem nicht hinreißend finden. Ich werde dankbar sein, dass ich satt bin. Lebe ich in einem Land, in dem nicht sicher ist, ob ich überhaupt genug zu essen habe, um zu überleben, wird mir ziemlich egal sein, ob das Gemüse oder der Reisbrei raffiniert gewürzt sind. Gibt’s aber Überfluss an allem, lässt es sich gut streiten. Das reicht weit über das Thema Küche hinaus. Wobei: Gegen Wettbewerb an sich ist ja nichts zu sagen. Passt schon, wenn wir besser werden wollen. Wie öde, wenn ­jemand glaubt, nichts mehr lernen zu müssen. Fein, wenn wir die Chance haben, Nuancen zu genießen.

Junge Köchinnen und Köche gehören daher in die Welt hinaus. Egal, ob sie aus dem ewig bestehenden Dorfwirtshaus stammen oder den Beruf erlernt haben, weil der Freund eben auch Koch werden wollte und man ja irgendeine Ausbildung braucht. Was für eine Chance, anderswo in der Küche zu stehen, andere ­Geschmäcker, andere Techniken kennenzulernen. Kann schon sein, dass man ganz nebenbei noch lernt, wie man es nicht machen sollte. Oder wie man sich zur Wehr setzt, wenn etwas schiefläuft. Kein Schaden für das weitere Leben. Übrigens auch nicht für Mädchen, oder schon gar nicht für sie.

Nein, ich werde den Namen des Gastronomen nicht nennen, der verhindert hat, dass seine Tochter nach abgeschlossener Kochausbildung nach Spanien geht. Weil das erstens ja so gefährlich sei, gerade für eine junge Frau, und zweitens brauche er sie in der Küche, sie hätten ohnehin das beste Wirtshaus weit und breit. Seine Speisekarte liest sich wie ein Jahrbuch aus den Achtzigerjahren. Schnitzel und Cordon bleu, dazu Knoblauchcremesuppe und Wildragout und, und … nur der Toast Hawaii fehlt. Den gab es allerdings nie, schon der Vater des nach eigener Aus­sage besten Wirtes rundum hat sich auf nichts Exotisches eingelassen. Muss er ohnehin nicht, auch Retro hat was. Ob er keine Angst vor Konkurrenz habe? Nein. Aber eine Sauerei sei es schon, wie die Gemeinde dieses neue Lokal unterstütze. Und die vom Tourismusverband. Nur weil sie beleidigt sind, dass er nicht mitgetan hat, bei diesen neumodischen Gemeinschaftsaktionen. Einen Berater hätten sie ihm schicken wollen, fast so wie im Fernsehen, wo diese gepeckten Koch-Schnösel gestandenen Wirten sagen dürfen, wo es lang geht. Geht’s noch?

Es gab eine Zeit, da hätte ich, beseelt von all dem, was ich selbst gesehen, gekostet, gekocht habe, versucht, ihn zu missionieren. Inzwischen habe ich auch da von meinem Küchen-Lehrmeister Buchinger gelernt. Es nützt nichts. Und: Als einer vom Fach anderen ­etwas raten zu wollen, geht selbst bei deutlich aufgeschlosseneren Kollegen oft schief. Das hat sicher auch mit (zumindest gefühlter) Konkurrenz und Wettbewerb zu tun, aber gleich viel mit Ego. Was kann mir der oder die schon erzählen? Stünde man dann mit seinen vielen Jahren harter Arbeit und Erfahrung nicht da wie ein Lehrling? So mancher wacht eitel über sein Dosengemüse. Andere über dieselben öden Fusion-Kreationen, die es sowohl im Dorf-Restaurant als auch im Stadtlokal gibt (die dann ­gerne so wie AHA! oder Guck! oder Heino kocht! heißen; jedenfalls mit Rufzeichen). Vor zehn Jahren waren Punkte modern. Die Eitelkeit der ­Köche … sicher auch die der Köchinnen, aber die sind erstens in der Minderheit, wenn es um Chef-Positionen geht, und zweitens geht’s schon auch um ein gewisses Gockelgehabe. Kann man wunderbar bei diversen Kochshows beobachten. Klar ist das meiste Mache, auch die Streitigkeiten, die rundum medial aufgewärmt werden: „Hinter den The Taste-Kulissen! Starköche prügeln sich backstage!“ Du liebe Güte aber auch! Frank Rosin und Roland Trettl. Der eine soll den anderen beleidigt haben, und dann gab’s ein Gerangel, nett mitgefilmt. Ob es der Quote geholfen hat?

Der RTL-Restauranttester Steffen Henssler wiederum ist aufgefallen, als er einer Kölner Kneipe empfahl, auf Asia-Style zu setzen. Das ging grundschief, und die Stammgäste gingen auch. „Wir hätten uns ­andere Hilfe gewünscht, zum Beispiel in der Werbung oder im Marketing. Stattdessen hat er in der Küche angesetzt, wo wir eh schon stark sind“, wurde die Betreiberin nach einigen Monaten zitiert. Bald darauf postete Henssler: „Vegan my ass“ (was das genau bedeuten soll, will ich mir nicht überlegen), und die Bild hatte wieder ein Thema.

Und doch: Für viele haben es die Köche geschafft, die im Fernsehen sind. Das gilt auch für das kleine ­Österreich. „Was hat der, was ich nicht habe?“ Gockel­spiele, der zweite Teil. Vielleicht hatte der tatsächlich einfach nur mehr Glück. Oder die richtigen Freunde. Oder mehrheitstauglichen Schmäh. Kann allerdings auch sein, es ist gar nicht das reine Glück, im Fernsehen zu kochen. Ich erinnere mich an einen meiner seltenen Auftritte. Extra noch hatte ich die Messer abgezogen. Bevor es live losging, kam ein ­Assistent ans Set und hat mir hübschere gebracht. So stumpf, dass man damit bestenfalls gekochte Erdäpfel zerdrücken konnte.

Aber Fernsehen ist eben auch Werbung, und Wirtshaussterben hin oder her, vor neuen „Mitbewerbern“ ist man nicht gefeit, und das macht selbst Köche nervös, die wissen müssten, dass sie in einer anderen Liga spielen. Das ist bei meinem Küchenmeister nicht anders. Kaum sperrt in der weiteren Umgebung ein neues Lokal auf, muss der Salat nicht nur knackig, sondern perfekt angerichtet sein, wenn wir bestehen wollen. Wo sind die Blüten? Das Galloway-Steak hat einfach besser zu sein. ­Jeder kann Steak braten. Ich murmle dann bisweilen, dass drei ehemalige ­Kellner aus der Großgastronomie vielleicht doch keine Konkurrenz für uns sind und auch nicht eine Kantine mit dementsprechendem Essen. Dabei geht Buchinger selbst gern in all die neuen und anderen ­Lokale. Nicht nur, um nachzusehen, sondern weil er einfach gerne unterwegs und neugierig ist. Ungefragte gute Ratschläge gibt’s von ihm nicht, auch keine später geäußerte Kritik. Man muss schon zwischen den Zeilen lesen ­können. „Die haben ein wirklich gutes Bier“ heißt vielleicht doch, dass man dort lieber nicht essen sollte. Und nicht immer, wenn sein Suppenteller sehr schnell leer ist, möchte er einen Nachschlag. Bei uns im Weinviertel wird er auf seinen Touren gerne von seinen zwei Jungs begleitet, sie haben vier Beine und sind nicht nur beim Trüffelsuchen nützlich. Eine Rindsbouillon mit sauren Grießnockerln wird von ihnen in ein paar Sekunden unschädlich gemacht. Und die Leber hat dem Meister dann eh geschmeckt.

Es ist so eine Sache mit der Kritik. Darf ich als eine, die auch immer wieder in der Küche steht, darüber reden, wenn ich woanders echt schlecht gegessen habe? Oder ist das überheblich? Gilt es womöglich gar als Konkurrenzneid? Gute Freundinnen sind zu warnen. Aber Leute, die ich nicht so gut kenne? Eigentlich ist es ähnlich wie in meinem angestammten Bereich, der Literatur. Es gehört sich nicht, Branchenkollegen schlecht zu machen. Ich muss keinem erzählen, dass ich den Kriminalroman von … X (nein, nie werdet ihr erfahren, wen ich meine!) grottenschlecht finde und sein Buch für eine sprachliche Katastrophe halte. Ich erzähle lieber, wenn mir ein Buch wirklich gefällt. Mir ist nämlich schon klar, dass es nicht bloß ein paar Bücher (nämlich meine) auf der Welt gibt, sondern viele. Zum Glück. Weil ich ja auch gerne lese. Genau so, wie ich gerne esse.

Deswegen mag ich auch die Gastronomiekritiken und -guides am liebsten, die das Positive erzählen. Und nicht, dass „uns der Spargel einen Tick zu roh erschien, und wir uns bei der servierten Kräutersauce auch die entsprechende Farbe gewunschen hätten“. Hm. Als Fachfrau für anderes könnte ich dem zumindest entgegenhalten, dass mir ein „gewünscht“ angemessener erschienen wäre.

Und selbst wenn Öffentlichkeit wichtig ist und auch Wettbewerbe eine Chance sein können: Diese ganzen Koch-Olympiaden und Grill-Weltmeisterschaften sind schon etwas seltsam. Objektiv können sie ohnehin nie sein. Man kann eine Küchenleistung nicht wie einen Abfahrtslauf in Hundertstelsekunden messen. Wobei, vielleicht wäre das noch am fairsten: Schnellkochwettbewerbe. Burger mit allem – wer schafft es unter drei Minuten? Oder für die Haute Cuisine: Vierunddreißig Stunden gegarte Entenbrust mit Szechuan-Aromen und Agrumen. Wer gewinnt nach der Ausdauerleistung im Finish?

Schon klar, es gibt sie, die Ausnahmeköchinnen und -köche. Und wer welche Auszeichnung bekommt, interessiert die Branche meist ohnehin mehr als die Gäste. Wer weiß schon, dass der gebürtige Mödlinger Sebastian Frank beim Gastronomie-Kongress Madrid Fusión zum „Besten Koch Europas 2018“ gekürt worden ist? Man findet ihn übrigens in Berlin … Sein Lokal Horváth ist jedenfalls einen Besuch wert. Und als es noch Exil hieß, sammelte Sarah Wiener hier erste Küchenerfahrungen.

Mehr Wind wird um die „The World’s 50 Best Restaurants“-Liste gemacht. 2016 war das „Beste Restaurant der Welt“ die Osteria Francescana in Modena. Letztes Jahr hat der Schweizer Koch Daniel Humm mit seinem Dreisternerestaurant Eleven Madison Park in New York gewonnen. Was besonders bejubelt wurde, weil in den USA zählt (auch) dieses Ranking besonders, und üblicherweise gewinnen immer die Europäer. Ich gratu­liere trotzdem allen, die ganz vorne gelandet sind. Kochen auf ­hohem Niveau ist nicht nur Talent und Wille und Wissen und Lernen und Taktik und Marketing, es ist tatsächlich auch so etwas wie ein Hochleistungssport.

Trotzdem frage ich mich, wer in unserem verrückten Business eigentlich gewinnt. Der, der am weitesten vorne in der Öffentlichkeit steht? Der, der am meisten Bestecke, Hauben, Sterne abgeräumt hat? Der, dessen Lokal über Jahre hin ausgebucht ist? Viele dieser Lichtgestalten kämpfen mit enormem Druck. Es geht nicht nur darum, sich immer wieder beweisen zu müssen. In härtester Konkurrenz zu stehen. Der Missgunst vieler Besserwisser ausgesetzt zu sein. Es geht immer wieder auch ums finanzielle Überleben. Um Abhängigkeiten von Geldgebern. Es ist eben BIG cooking.

Vielleicht ist der besser dran, der ein geschätzter Geheimtipp ist? Oder erst auf dem Weg nach oben ist? Ist es gar einer, der einfach tut, was er will? Oder könnten es die sein, die in Zeiten wie diesen nicht nur überleben, sondern mit Gastronomie ­richtig Kohle machen?

Wahrscheinlich gilt auch hier, dass jeder nach seiner Fasson glücklich werden sollte. Ich muss ja nicht überall essen. Und ganz sicher geht es uns allen ein bisschen besser, wenn man Wettbewerb, Medienmache und Neid zu Hause lässt, gemeinsam auf ein Bier oder einen Gespritzten geht und sich darüber wundert, wer etwas so Subjektives wie Geschmack angeblich ganz objektiv messen möchte.