Die heimliche Genuss-Hauptstadt

Die heimliche Genuss-Hauptstadt

Zumindest bei der Wahl für den Standort ihres Headquarters agierte die EU durchaus genussorientiert, denn Brüssel ist mit seinen vielfältigen kulinarischen Verlockungen jederzeit eine Reise wert.
Text von Hans Mahr Fotos: beigestellt
Wenn ein Land kulinarisch wegen Muscheln und Pommes bekannt geworden ist, dann lässt das nicht viel Gutes erahnen. So falsch können Vorurteile sein. Denn die Hauptstadt Belgiens, die EU-Zentrale Brüssel, kann sich in Europa selbst mit Paris messen. Alles, wofür Paris berühmt ist – Haute Cuisine und Brasserien –, gibt es in Brüssel auch. Nur billiger und oft auch besser.
Die unbestrittene Nummer eins der belgischen Küche, das "Comme Chez Soi", liegt in einem Vorort von Brüssel. Ein Gourmettempel ("wie zu Hause"), dem sogar drei Michelin-Sterne gewidmet sind. Pierre Wynant liefert das Beste der frankophilen belgischen Küche: drei Arten von Gänseleber, raffinierte Salate, großartige Fische wie eine Seezunge mit Riesling-Mousseline und grauen Crevetten oder ein Kalbsbries mit schwarzen Trüffeln, Lobster-Bisque und kleinen Sultana-Trauben. Berühmt ist Wynant mit seiner glacierten Ente geworden, die er bis heute in unvergleichlich knusprig-feiner Art in zwei Gängen serviert. Allerdings: Sicherheitshalber vorher bestellen!
Noch zweimal Grand Cuisine in der EU-Stadt: Das "Bruneau" mit ebenfalls drei Michelin-Sternen, wunderschön gelegen in zwei elegant-opulenten Stadtpalais gleich bei der Basilika Koekelberg, und die Villa Lorraine, direkt am Stadtpark im Süden. Wem es nur ums Essen geht, ist bei Monsieur Bruneau hervorragend aufgehoben. Sein Kuchen aus Muscheln und Kaviar ist legendär, und das große Menü mit neun Gängen ist spannender als manch eine Salzburger Theateraufführung. Die eher gemütliche Villa Lorraine hat vom Wintergarten aus einen wunderschönen Blick in den Park und punktet eher mit fleischlichen Genüssen und saisonalen Schwerpunkten. Jetzt im Winter sind die Wildspezialitäten dran. Außerdem gibt’s eine Weinkarte, in der sich auch erschwingliche Rote aus besten Bordeaux- und Burgund-Gütern finden.
Wer es "ganz belgisch" haben will, dem kann man zwei Brasserien ans Herz legen. Das "Aux Armes de Bruxelles", gleich neben der Grand Place an der "Fressstraße" Rue de Bougers (vor den anderen Kaschemmen mit Fischbuffet auf der Straße sei ausdrücklich gewarnt!) ist eines der ältesten Restaurants/Brasserien der Stadt. Sympathisch verstaubt, mit typisch belgischem Flair und typisch belgischer Küche: Muscheln bis zum Abwinken, die berühmte Waterzoi (eine leichte Oberssuppe mit Gemüse und wahlweise Fisch oder Huhn), die Krabbenkroketten oder ganz einfach Steak Frites.
Die moderne Brasserie-Variante findet man auf der anderen Seite des Grand Place in einem ehemaligen Bankgebäude aus dem 19. Jahrhundert. Das "Belga Queen" ist der In-Platz, wo sich Models und Jungbanker, Werbeleute und Journalisten treffen. Dinieren unter einem Glasdach, ordentliche belgische Küche und nach dem Essen – einen Stock tiefer im ehemaligen Tresorraum – eine Zigarre an der Bar.
Apropos "belgische Küche": Wer vor allem auf Muscheln steht, der findet im "Sherlock’s Pub", auch in der Innenstadt, die Vollendung. Die gedämpften Muscheln gibt es dort in 14 Varianten und das Mittags-Muschel-Menü ist schon um 11 Euro zu haben.
Für mich das originellste aller Brüsseler Lokale liegt aber am Rande der Innenstadt, am Place du Jardin aux Fleurs. "In’t Spinnekopke" ist eine originelle verwinkelte Kellerstube mit Holztischen aus dem 18. Jahrhundert, die der flüssigen Hauptnahrung der Belgier gewidmet ist, dem Bier. Fast 100 Biersorten werden in der "Spinne" angeboten. Und Bier wird hier nicht nur als Getränk serviert: Seezunge und Seewolf mit hellem Bier, Brathendl und Schweinebraten in dunkler Biersauce, Bier sogar als Sorbet. Die etwas unfreundlichen Kellner in ihren langen Schürzen tauen erst auf, wenn man sie um Hilfe bittet. Dann aber organisieren sie sogar ein Biertasting vom Feinsten: vom kleinen Hellen bis zum Schwarzbier.
Das nahe Meer liefert Brüssel natürlich Fisch besonderer Güte. Die besten Fischrestaurants gibt’s in der Nähe des Fischmarktes im Sankt-Katherinen-Bezirk. Der Geheimtipp "La Marie-Joseph" liegt genau gegenüber dem Eingang zum Fischmarkt, und das schmeckt man auch. Fangfrischer, unverfälschter Fisch, gebraten oder gedämpft, steht binnen Minuten nach der Bestellung auf dem Tisch.
Fazit: Wer einmal ein paar Tage im kulinarischen Brüssel verlebt hat, der weiß, warum trotz aller Bürokratie-Querelen der Andrang so groß ist, EU-Abgeordneter zu werden …

Adressen

A la Carte-Restaurants Brüssel

In’t Spinnekopke.
Place du Jardin Aux Fleurs 1, 1000 Bruxelles,
Tel.: +32/2/511 86 95, www.spinnekopke.be

Aux Armes de Bruxelles.
Rue des Bouchers 13, 1000 Bruxelles,
Tel.: +32/2/511 55 50,
www.armesdebruxelles.be

Comme Chez Soi.
Place Rouppe 23, 1000 Bruxelles,
Tel.: +32/2/512 29 21,
www.commechezsoi.be

Bruneau.
Avenue Broustin 73–75, 1083 Bruxelles,
Tel.: +32/2/421 70 70,
www.bruneau.be

Belga Queen.
Rue Fossé aux Loups 32, 1000 Bruxelles,
Tel.: +32/2/217-2187

La Marie-Joseph.
Brandhoutkaai/Quai au Bois-à-Brûler 47–49, 1000 Bruxelles,
Tel.: +32/2/218 05 96

La Villa Lorraine.
Avenue du Vivier d’Oie 75 Diesdellelaan Brussels, 1000 Bruxelles,
Tel.: +32/2/374 31 63

Sherlock’s Pub.
Rue des Chapeliers 22, 1000 Bruxelles,
Tel.: +32/2/503 44 75