Manches geht seitwärts

Beobachtungen in der Testküche und im Fermentation Lab des Noma, dem derzeit wohl einflussreichsten Restaurant der Welt, wenn es um Forschung und Entwicklung geht.

Text von Christian Grünwald/Foto von Christian Grünwald

Mette Søberg ist gerade einmal 30 Jahre alt und hat einen der begehrtesten Jobs im globalen kulinarischen Business. Sie ist verantwortlich für die Abteilung „Forschung und Entwicklung“ im Noma in Kopenhagen. Während man gerade in der Spitzengastronomie Frauen in Spitzenpositionen immer noch mit der Lupe suchen muss, dirigiert die junge Dänin ein fünfköpfiges Team, das in enger Abstimmung mit René Redzepi Gerichte entwirft, die man nicht vergisst. Da war zum Beispiel letztes Jahr im Rahmen des Wildmenüs das Entenhirn, das man als Gast mit dem Entenschnabel aus dem geöffneten Entenschädel herausheben musste. Unvergesslich auch das kleine dazugereichte Essbesteck, das aus dem Knorpel des Entengaumenteils gearbeitet war.

Forschen und Entwickeln steht im Noma einerseits für Abenteuer und Provokation, andererseits für Akribie und wissenschaftliche Ernsthaftigkeit. Da werden beinahe Doktorarbeiten aller essbaren Sorten einer Art erstellt und die am besten schmeckenden Vertreter auf Eignung für eines der drei Saisonmenüs überprüft. Das können Pilze sein, verschiedene Krautarten oder etwa auch Muscheln aus dem eiskalten norwegischen Meer, die dort knapp 100 Jahre alt wurden und gemeinhin als nicht essbar gelten. Nicht bei Mette Søbergs Team, das das zähe Muschelfleisch nach unzähligen Versuchen so genial schmorte, dass man dafür ein Bœuf bourguignon gerne stehen lässt.

Und da waren auch die Versuche mit den Quallen. Die einen schmeckten langweilig, andere grauenvoll und schließlich fand man dann die eine Sorte, die nach frischem Meer schmeckt, eine angenehme Textur hat und ein Highlight im Seafoodmenü darstellt.

Seitdem das neue Noma im Kopenhagener Stadtteil Christiansen etabliert ist, unterteilt die Küche das Jahr in drei Jahreszeiten: Von Jänner bis Mai/Juni gibt es Fisch und Meeresfrüchte, Juli bis September stehen Pflanzen und Gemüse auf dem Programm und von Oktober bis Dezember serviert man Produkte aus dem Wald, Fleisch vom Wild inklusive.

Die Erwartungshaltung ist unmenschlich groß. Jeder Gang soll Maßstäbe setzen, Aha-Erlebnisse auslösen, Staunen machen und Entzücken bereiten, der globalen Kochwelt neue Inspiration geben.

„Wir planen gedanklich immer weit im Voraus“, erzählt Mette Søberg über ihre Herangehensweise. „Wir agieren ziemlich losgelöst vom eigentlichen Restaurantgeschehen. Während dort die Seafood-Saison zelebriert wird, denken wir einerseits an neue Gerichte mit Fisch und Meeresfrüchten für das nächste Jahr, zugleich haben wir das Gemüsemenü schon ziemlich fertig und sind mit einem Teil der Gedanken schon in der Wildsaison.“

Je nach Thema ist das Team sogar gezwungen, ein Jahr im Voraus zu arbeiten, weil es gewisse ­Produkte ja nur in einer kurzen Zeitspanne gibt. Mitunter hilft man sich bei der Entwicklungsarbeit auch mit tiefgekühlten Reserven.

Der Entwicklungsalltag besteht aus ­Organisieren, Probieren und dann natürlich Zubereiten. Am Anfang steht stets die Produzentensuche. Es liegt in der Natur der Sache, dass gerade die ausgefalleneren Dinge wie etwa Seetang oder Meeresschnecken nicht von Händlern angeboten werden. Um die Beziehungen zu allen regelmäßigen Produzenten und Lieferanten kümmern sich zwei Mitarbeiter, die ausschließlich dafür abgestellt sind. „Die Beziehungen zu diesen Leuten sind essenziell wichtig für uns. Man muss jeden Einzelnen motivieren und anleiten. Ohne die unzähligen individuellen Lieferanten funktioniert das System Noma nicht.

Bio-Zertifizierungen sind keine Voraussetzung für eine Zusammenarbeit: „Wir müssen das ­Gefühl haben, dass die Leute nach den für uns richtigen Maßstäben arbeiten, das ist das Wichtigste. In ­Dänemark ist der administrative Aufwand für biodynamische Produzenten so groß, dass sich kleine Betriebe den ganzen Papierkrieg bewusst nicht antun wollen.“

Für wild wachsende Pflanzen wie Blüten, Kräuter, Beeren, Pilze und Nüsse rückt das Noma-Team selbst in einer Truppenstärke von bis zu 15 Sammlern aus. „Wir müssen ja nicht nur den aktuellen Bedarf decken, wir wollen ja auch im Fermentationslaboratorium noch probieren und bevorraten.“

René Redzepi sagt, „dass das Sammeln und Konservieren von Produkten von Beginn an sehr stark die DNA des Noma geprägt haben. Wir waren immer schon ein Foraging-Restaurant.“

Mette Søberg, die vor sechs Jahren als Praktikantin im alten Noma begann und anfangs zum Sammeln von Moosen, Flechten und wildem Knoblauch in Parks und Wälder geschickt wurde, verinnerlichte all diese Erfahrungen anscheinend wie kaum jemand sonst im Team.

Als Unterstützung für das Sammeln in freier Natur gibt es auch jede Menge Unterlagen, sogar eine Gratis-App vom „Vild Mad“-Projekt hilft dabei. Leider einstweilen nur in Dänisch. So weiß dann jeder, dass junge Lindenblätter perfekt für einen Salat sind, Eibennadeln allerdings wie Giftpilze wirken können.

Das knapp hundertköpfige Noma-Team ist eine fröhliche Gemeinschaft vieler verschiedener Nationen. Manche bleiben nur wenige Monate, andere sind seit Jahren dabei. Im Vergleich zu anderen Restaurantküchen in der Spitzengastronomie ist zwar auch das Noma eine Männergesellschaft, allerdings ohne die berüchtigt negative maskuline Energie, wie sie anderswo in der Gastronomie herrscht. Dafür hat Redzepi persönlich mit sehr viel Energie gesorgt.

Warum gerade Mette Søberg Testküchen-Chefin geworden ist? Redzepi lobt sie über die Maßen, ihre Krea­tivität, ihre Teamfähigkeit. Sie war auch bei den Auslandsabenteuern des Noma, den Pop-ups in Australien und Mexiko, dabei. Bei diesen beiden Projekten wandelte sich das einst so dogmatisch auf dänische Produkte ­fixierte Noma und öffnete sich für neue Techniken mit nordischen Zutaten. So hat man sich etwa in Japan abgeschaut, wie dort viele Gerichte mit etwas Dashi ein Umami-Fest werden. Seither fügt man auch im Noma fast immer ein geschmacksintensivierendes Ferment hinzu. Und da reichen oft wenige Tropfen einer Essenz, um beispielsweise eine Wildente wirklich wild schmecken zu lassen. Zur Not hat die Noma-Küche auch noch einige echte Geheimwaffen in der Hinterhand: „Unser Koji-Öl hebt selbst den langweiligsten Geschmack auf ein spannendes Niveau. Und der Essig aus schwarzem Knoblauch ist auch oft der totale Bringer: schmeckt wie würziges süß-saures Cola.“

Wie andere prominente Küchenchefs hätte Redzepi für viel Geld Noma-Filialen in Dubai oder Las Vegas eröffnen können. Er wollte die ursprüngliche Idee nicht verraten und investierte daher lieber in Forschung und Entwicklung. Die Arbeit erfolgt so wissenschaftlich, wie Köche eben sein können. „Wir probieren ein und dasselbe Produkt in bis zu 30 verschiedenen Varianten, protokollieren jeden Versuch nach genauen Vorgaben.“

Es sind zum Teil recht monotone Arbeitsabläufe, die schnell frustrierend sein können: „Wenn du nacheinander lauter langweilige Dinge produzierst, unpassende Garmethoden oder falsche Schnitttechniken ausprobierst, kann das ganz schön
entmutigend sein“, beschreibt Mette Søberg den Testküchen-Alltag. Welche Experimente sind schon schiefgegangen? „Man lernt aus jeder Versuchs­reihe. Wir sagen lieber, dass das eine oder andere Experiment in der erwarteten Entwicklung etwas seitwärts verläuft.“

Oft hat dann ja der Kollege nebenan mehr Glück und das mobilisiert die eigene Zuversicht. „Auch wenn du noch so systematisch vorgehst, oft sind es Zufälle, die eine tolle Kreation entstehen lassen. Weil zum Beispiel am anderen Herd gerade eine Sauce köchelt, die du mit deinem Experiment vermählst.“ Und irgendwann kommt dann ohnehin der Redzepi-Faktor ins Spiel. „René sieht und spürt mit seiner Erfahrung Dinge, die wir im Alltag manchmal übersehen. Manchmal steht er nur kurz da, mischt zwei Sachen zusammen und das ist dann ganz groß.“ An manchen Tagen verabreicht er dem Team allerdings auch Tiefschläge. „Da sind wir schon sehr weit und davon überzeugt, servieren ihm drei Gerichte und er sagt brutal: ,Vergesst es, das schmeckt ja alles gleich.‘ Und leider hat er dann ja auch recht. Wir haben einfach in der Entwicklung alles zu sehr mit unseren aktuellen Lieblingsfermenten versehen, was dann tatsächlich zu einer gewissen Uniformität führen kann.

Persönliche Favoriten hat man in so einer Position kaum noch. Zu schnell wechseln die spektakulären Geschmäcker und neuen Eindrücke. ­Jedoch ein generelles Anliegen beseelt Søberg seit Jahren. „Wir haben so viele eindrucksvolle Gänge in einem Menü und trotzdem sind die Gäste in der Regel immer noch auf den sogenannten Hauptgang fokussiert. Dieses eine Gericht soll der Höhepunkt sein und wird meistens mit Fleisch, in jedem Fall mit reichlich Protein, gleichgesetzt. Bei unseren Menüs ist das alleine schon durch die drei verschiedenen Themen nicht immer möglich. Aber natürlich wollen wir auch nicht, dass die Leute danach noch anderswohin auf einen Burger oder ein Steak gehen. Darum stecken wir so viel Arbeit in jedes einzelne Ferment, um so ausreichend befriedigendes Umami auf dem Teller zu haben.“ Wohl auch deshalb begeistert sich Mette Søberg so für den Pilzgang im letztjährigen Wildmenü, eine Art puristisches Pilzragout, finalisiert mit Wildfleischferment. „Viele Gäste dachten, dass sie da eigentlich Fleisch auf dem Teller haben.

Die Testküche agiert alles andere als im Geheimen, sie ist in einem der Glashäuser vor dem Restaurant untergebracht. Es ist auch nicht ungewöhnlich, dass hin und wieder Gäste neugierig reinschauen. Die an den Glaswänden angepinnten Polaroids zeigen aber nur selten neue Kreationen: „Da hängt mehr unser Best-of des Teams mit Kreationen, die es oft gar nicht in ein Menü geschafft haben.“

Abgeschirmter und etwas versteckter im Hauptgebäude befinden sich die Fermentationslaboratorien des Noma. Einige der Räume sehen mit ihren Destillationsgeräten, Extraktoren und Zentrifugen genau so aus, wie man sich eben ein Labor vorstellt. Die eigentlichen Vorgänge gehen dann recht unspektakulär in Lagerräumen mit exakt kontrollierter Temperatur und Luftfeuchtigkeit über die Bühne. Und auch wenn manches wie hochmoderne Biotechnologie wirken mag, es werden hier in Wahrheit alte Traditionen und Kulturtechniken auf einen neuen Stand gebracht oder gar vor dem Vergessen bewahrt.

Ohne zumindest eine fermentierte Komponente ist ein Gericht im Noma unvorstellbar. Es muss gar keine auffällige Hauptzutat sein, oft fehlt einer Kreation nur der letzte Geschmackskick und da
ist zum Beispiel stimmige Säure oder stärkendes Umami aus den vielen fermentierten Produkten in Form von Kombucha, Essig oder Saucen das ideal passende Tüpfchen auf dem „i“.

Dementsprechend ist das Arbeiten im Fermentationslabor mehr mit Patisserie als mit „normalem“ Kochen verbunden. Es kommt auf jedes Gramm und viele Details an. Abweichungen vom bewährten Pfad haben wenig Chance auf Erfolg.

Miso, Essig, Sojasauce, Garum, milchsauer eingelegte Früchte und Gemüse – das fünfköpfige Team im Fermentationslabor hat all das wohl schon so ziemlich aus jedem Produkt versuchs­weise hergestellt. Neben Salz ist vor allem der japanische Schimmelpilz Aspergillus oryzae, besser als Koji bekannt, der Starter für viele Verwandlungen im Fermentationslabor. Schon eine geringe Menge Koji verändert alles: Farbe, Konsistenz, Geruch, Geschmack. Der Schimmelpilz zerlegt Proteine und Stärke in Lebensmitteln und verdaut sie quasi vor. Das Resultat seines Wachstums sind Aromastoffe und jede Menge Glutamat. Die Feinheiten liegen im Detail. Je nach Pilzart und Nährboden hat Koji verschiedene Eigenschaften. Manche Arten sind besser darin, Stärke zu zerlegen, andere wandeln eher Proteine effizient um. Auch Faktoren wie Zeit, Temperatur und Luftfeuchtigkeit beeinflussen das Ergebnis. Spannend natürlich auch, dass sich das alles je nach Erntezyklus, Terroir und Saison verändern kann. Pro Saison, also für einen Zeitraum von vier bis fünf Monaten, benötigt man im Noma rund 150 Kilogramm Koji als Starterkultur.

Fermentieren bedeutet im Noma aber nicht nur Einlegen und Umwandeln im Sinn der bekannten Verfahren aus den europäischen und asiatischen Küchen. In Afrika und Indien etwa werden aus vergorenem Mais dünne Sauerteigbrote gebacken, die der Versuchsküche als Vorbild für regionale Varianten mit nordischem Getreide dienten.

Neben Köchen sind phasenweise auch spezialisierte Lebensmittelwissenschaftler am Werk. Denn nicht ­jeder Pilz ist ungiftig, nicht jedes Ferment für Menschen bekömmlich.

Als René Redzepi die Idee zu Das Noma-Handbuch Fermentation hatte, war er vom Publikumsecho komplett überrascht: „Ich kann es immer noch nicht glauben, dass so viele Leute daheim nach diesem Nischending kochen.“ Das Buch ist mittlerweile in zahlreiche Sprachen übersetzt worden und verkauft sich seit seinem Erscheinen 2018 beständig gut. Als Leiter des Fermentationslabors fungierte in den letzten Jahren David Zilber. Er machte mit regel­mäßigen Social-Media-Beiträgen seine Arbeit unter begeisterten Foodies populär. Mit seinem Dreadlock-Wuschelkopf, unzähligen Tattoos und seinen lässigen Sprüchen hat Zilber jahrelang den Popstar der Fermentation gegeben. Wenn er vom Vergären erzählt, dann fühlt man das kraftvolle Blubbern im Glas, spürt den Rhythmus und die Energie der Verwandlung. Der Mann ist vom Thema gezeichnet, das ­bezeugen auch Tattoo-Motive auf Armen und Schulter, die neben der Milchstraße auch Formeln der beiden österreichischen Physiker Erwin Schrödinger und Ludwig Boltzmann zeigen.

Wenn David Zilber die Grundprinzipien der Fermentation ganz vereinfacht erklärt, ist jeder sofort vom Thema begeistert: „Stell dir vor, du bist Türsteher in einem angesagten Club. Alle Bakterien würden gerne rein und mitfeiern. Du aber willst eine coole Party, führst daher die Eingangskontrolle durch und lässt nur die Milchsäurebakterien rein. – Das ist kontrollierte Fermentation.“ Das Buch, ein eher trockenes Werk, weit weg von jeder Coffeetable-Präsentation, ist vor allem als Ermutigung für Experimente daheim gedacht. „In der Praxis nimmst du ein Kilo Früchte oder Gemüse, vermischt sie mit zwei Prozent Salz vom Gesamtgewicht und lässt die Mischung eine Woche möglichst luftdicht in ­einem Glas oder Plastikbeutel liegen.“ Was man dann auspackt, macht Spaß.

Im Noma-Lab sind die Zutaten in der Regel schon etwas ausgefallener. Etwa Eichhörnchen, Seegurken oder gekochte Bauchspeicheldrüsen. „Für die Testküche mussten wir uns oft Dinge einfallen lassen, die komplett aus dem üblichen Rahmen fallen“, plaudert Zilber aus dem Nähkästchen. „Du musst dafür unter Steinen suchen, die unter Bergen versteckt sind, von denen noch niemand etwas gehört hat. Damit René beeindruckt ist und meint ,Okay, das könnte die Basis für eine Marinade sein‘ gräbst du in den verzweigten dunklen Kaninchenlöchern dieser Welt. Im besten Fall kombinierst du neue Technologie und traditionelle Vergärung zu etwas wirklich Neuem.“

Grundsätzlich ist ja alles fermentierbar, weil dabei die Mikroben vorbehaltlos alles fressen. Und so ziemlich alles, was jemals ins Noma-Konzept gepasst hat, wurde auch schon fermentiert. Nur schmeckt nicht alles gut. Da wird dann nicht nur bloß eingelegt, sondern etwa Fleisch mit Koji, Salz und etwas Wasser bei 68 Grad gekocht. Nach zwei Wochen freut man sich über pures Umami, das als Sauce etwa Gemüse oder Pilze in den nächsten Himmel hebt.

Es geht daheim aber auch einfacher. „Du verstehst die Bedeutung von Umami in der eigenen Küche, wenn du einen Löffel Sojasauce zu deinem Sugo Bolognese gibst. Niemand wird denken, dass das italienische Sugo dadurch asiatisch schmeckt. Jeder wird sagen, es schmeckt besser. Und wenn du jetzt noch darüber nachdenkst, wie viel Umami durch Milchsäurebakterien im Parmesan entstanden ist und du dir diesen Käse über das fertige Gericht reibst, dann ist das ganze Fermentations-Umami-Thema gar nicht mehr abstrakt, sondern völlig logisch in der Anwendung.“

Überhaupt sind ja die meisten Mi­kroben und Bakterien alles andere als böse: „Es braucht seine Zeit, um unsere Forschungsarbeit in gastronomischer Denkweise zu etablieren. Die meisten denken bei Mikroben an etwas Verdorbenes oder Ungenießbares, dabei nützen uns die meisten mehr, als sie uns schaden können.“ Für einen Koch hat sich David Zilber unglaublich in die Materie eingearbeitet. Sehr gerne erzählt er über Holobionten. „Wir alle sind Holobionten. Das heißt, der Mensch ist eine komplexe Lebensgemeinschaft aus vielen verschiedenen Organismen, ein Metaorganismus. Wir sind von Mikroben besiedelt, mit denen wir grundlegend verbunden sind. Die Funktionsfähigkeit eines Organismus hängt ganz entscheidend davon ab, dass diese Lebensgemeinschaft in ihrer Komplexität als Ganzes verstanden und im Gleichgewicht gehalten wird. Wir bilden mit unserer Haut, unseren Organen ein Ökosystem, das dann von den Früchten von den Feldern der Bauern, die uns mit dieser Nahrung versorgen, ergänzt und belebt wird. So entsteht ein gigantisches Ökosystem. Und die Fermentation ist eine gute Brücke, um das zu verstehen.“

David Zilber legte kurz vor dem Ausbruch von Corona in Europa die Leitung des Fermentationslabors zurück. Zeit für neue Abenteuer, die Zukunft des Labs liegt nun in den kundigen Händen seiner bisherigen Mitarbeiter. Ganz loslassen vom Biotop Noma kann er ohnehin nicht. Als das Restaurant nach der Schließung wegen des Covid-19-Lockdowns anfangs als Weinbar wiedereröffnete, arbeitete die Küche zwei Burgervarianten aus. Ein klassischer Cheeseburger war relativ schnell gemacht. Die Entwicklungsarbeit für den vegetarischen Burger war da schon viel komplexer und lag einmal mehr in den Händen von David Zilber: „Ein guter Burger mit Rindfleisch gibt ja viele Kriterien vor: Textur, Saftigkeit, Kruste, Umami, die richtige Karamellisierung des gebratenen Fleisches. Um das vegetarisch zu erreichen, war klar, dass wir für die Textur etwas mit fermentierten Körnern versuchen müssen. Gerste war zu grob im Biss, wir landeten schließlich bei Quinoa. Statt des recht süßen Koji verwendeten wir zum Fermentieren Tempeh. Dessen alkalischen Geschmack neutralisierten wir mit der Zugabe von Milchsäurepulver. Ein Tag reicht, damit eine Masse entsteht, die sich wie bestes faschiertes Rindfleisch anfühlt. Indem sie an der Luft fermentiert, verliert die Mischung genug Feuchtigkeit, um sie später gut anbraten zu können und um nach der Garung auch noch angenehm saftig zu sein. Für reichlich Umami sorgte dann die Zugabe der in Großbritannien sehr verbreiteten Veggie-Paste „Marmite“. Der abschließende Glanz und Karamell-Touch nach dem Braten kam durch einen Mix aus Hefe-Garum und Favabohnen-Shoyu.“

Auch wenn das Noma jetzt wieder mit den drei Saisonmenüs im Normalbetrieb läuft, gibt es nach wie vor noch immer viele Anfragen wegen des Veggie-Burgers. „Für viele war es der beste Burger, den sie jemals hatten. Er schmeckt toll, ist trotzdem anders, ohne dabei fremd zu wirken. Eine absolut typische Noma-Kreation, die beweist, dass man mit Know-how und Erfindungsgeist gute Küche mit ­alternativen Mitteln bewerkstelligen kann.“