Markenzeichen aus der Küche

Schneckenporridge und Speckeis, Speckeis und Schneckenporridge: Wer im März die Berichterstattung zur vorübergehenden Schließung von Heston Blumenthals Restaurant "The Fat Duck" (zahlreiche Gäste waren nach einem Besuch dort erkrankt) aufmerksam verfolgte, wurde Zeuge eines unbewussten Redundanz-Tanzes rund um den Begriff "Signature Dish".

Markenzeichen aus der Küche

Text von Anna Burghardt Fotos: Thomas Apolt, Clemens Kneringer
Den Lesern musste der betroffene Koch kurz und prägnant vorgestellt werden, am besten eben mittels eines besonders bezeichnenden Gerichts. Was lag da näher, als in der Suchmaschine den Namen einzugeben und dann die Google-Kettenreaktion munter fortzusetzen: "Der britische Koch Heston Blumenthal, der mit Gerichten wie Schneckenporridge und Speckeis bekannt wurde …" Und immer wieder diese zwei Gerichte, sei es in der Süddeutschen Zeitung, im Daily Telegraph oder im Standard. Schlichte Faulheit, mehr zu recherchieren, dankbares Aufgreifen von bestehenden Informationen zur billigen Weitergabe und zur eindruckschindenden Nutzung nach dem Motto "Weißt eh, das ist der mit dem Speckeis"? Oder bewusstes Einklinken in bestehende Wissensmuster, gezieltes Anknüpfen an schon Belegtes zwecks Überschaubarkeit und Nicht-Verwirrung der Leser? Ist es sinnvoll, einen erfinderischen Geist auf ganz wenige Hervorbringungen zu reduzieren und damit sein Profil in der Öffentlichkeit möglicherweise zu schärfen, oder wäre es angebracht, die Bandbreite seiner Ideen in ihrer Vollständigkeit zu präsentieren, um – im Fall Blumenthal – seinen Ruf als einer der besten Köche der Welt mit mehr Rückhalt zu versorgen? Anders gefragt: Sind die so genannten Signature Dishes als Einschränkung zu sehen oder als Markenzeichen, auf das man stolz sein kann, weil es einen unverwechselbar macht? Und wie halten es die heimischen Kochstars in Sachen Trademark?
Für Walter Eselböck ist die Sache klar: Er möchte sich nicht auf ein Gericht reduzieren lassen. "Bevor etwas sozusagen zum Klassiker wird, lasse ich es lieber und ziehe weiter." Seine Umtriebigkeit und die dadurch genährte ewige Lust am Neuen seien für seine Küchenlinie ganz wichtig. Er selbst könne kein Gericht nennen, das man wie in einer Gleichung mit ihm verbinde. "Gut, das Ziegenkitz in Variation haben wir jedes Jahr auf der Karte, aber Signature Dish ist das keins." Eselböck kennt freilich sehr wohl enttäuschte Reaktionen von Gästen, wenn etwas Bestimmtes nicht mehr auf der Karte ist. "Das gibt es schon, dass Gäste wegen einer bestimmten Speise kommen, weil ihnen gesagt wird, dass sie das und das bei mir essen sollen. Und wenn es das dann nicht mehr gibt, sagen sie: ,Jössas, wir sind zu spät.‘" Dennoch: Bei ihm geht es nicht um das eine "Das ist der Eselböck"-Rezept, er will nicht über ein einziges Gericht definiert werden. Dass das bei Kollegen anders ist bzw. von der Öffentlichkeit anders gehandhabt wird, ist ihm bewusst. "Jörg Wörther zum Beispiel – ganz klar: die Sellerietascherln. Reinhard Gerer: das Beuschel."
Diese Gleichsetzungen dürften sich eines gewissen Rückhalts erfreuen: Für Lisl Wagner-Bacher ist das Signature Dish von Jörg Wörther ebenso eindeutig wie für Eselböck: "Na, die Sellerietascherln natürlich." Wörther selbst wiederum verbindet Gerer auch als allererstes mit dem Beuschel. Man könnte sich nun glatt ein lustiges Wer-nennt-wen-Diagramm mit einigem Intrigenpotenzial vorstellen und schauen, welcher von Österreichs Spitzenköchen von Kollegen am häufigsten mit einem einzigen Gericht gleichgesetzt wird. Dabei liefe man allerdings Gefahr, jemanden zu vergessen, dessen Signature Dish vielleicht noch immer so stark ist wie kein anderes hierzulande: Werner Matt, der Altmeister der "Neuen österreichischen Küche" und seine Selleriesuppe, serviert in der Sellerieknolle. Besorgt erkundigt sich Matt am Telefon, ob das "eh keine zu ernste Geschichte" wird, bevor er nicht ohne Stolz auf die Frage nach seinem berühmtesten Gericht herausrückt: "Meine Selleriesuppe ist die Antwort auf Viagra. Wissen Sie, als das Zeug damals aufkam, haben die Leute sie bei mir im "Hotel Plaza" abgeholt und mitgenommen, manche haben sie sogar samt Knolle gegessen!", sagt er, lacht laut und fügt hinzu: "Wenn du glaubst, es geht nicht mehr, nimm Werner Matts Selleriesuppe her!" Mit seiner Suppe hält er es dann aber doch noch ein bisschen genauer: "Schreiben S‘ nicht Selleriesuppe, das klingt so ordinär. Schreiben S‘ Velouté – wissen S‘ eh, wie man Velouté schreibt, mit so einem Stricherl am e – nein, eigentlich heißt sie ‚Werner Matts Velouté vom Sellerie, im Sellerie serviert‘." Recht hat er, Klassiker muss man mit gebührender Aufmerksamkeit behandeln. Und (pardon, der Einfachheit halber) Matts Suppe gilt in Österreichs Kochszene zweifellos als solcher. Werner Matt zählt mit steigender Begeisterung die Markenzeichen seiner Nachfolger auf, quasi im Wordrap: "Christian Domschitz – Hummer-Szegediner. Reinhard Gerer – Beuschel. Lisl Wagner-Bacher – Kaviar-Ei." Bei Jörg Wörther nennt er allerdings etwas anderes als die Sellerietascherln: "Alles mit Flusskrebsen. Ich war zum Geburtstag dort, dort gab’s Krebse in Hülle und Fülle." Flusskrebse? Schwächeln Jörg Wörthers Sellerietascherln nun, wenn sie nicht unisono als sein Signature Dish bezeichnet werden? Nicht unbedingt: Wenn die Einschätzung der anderen mit der eigenen übereinstimmt, macht das ein Markenzeichen immer stärker. Und Wörther selbst nennt schließlich beides: Sellerietascherln und Gerichte mit Flusskrebsen. "Die beiden werden mir recht oft zugeschrieben", sagt er bescheiden. Die Krebsensuppe mit Paradeisern etwa sei ein absolutes Muss, das von seinen Gästen immer verlangt werde. Er ist, anders als etwa Eselböck, nicht unbedingt für immer auf dem Fortschrittsdampfer unterwegs. "Wenn ich heute an einer Speisekarte schreibe, ist es nicht notwendig, nur neue Kreativitäten raufzusetzen." Wenn sich etwas bewährt habe, sei es nicht falsch, dabei zu bleiben. Auch die Nummer sicher kann attraktiv sein, meint er und betont: "Wenn sie perfekt zubereitet ist." Wörther bringt damit das Problem der Signature-Dish-Coverversionen ins Spiel. Seine Sellerietascherln würden sehr häufig zitiert, gleichzeitig aber quasi verwässert. "Viele Kollegen machen sie nach, aber nicht richtig. Sie wollen die Tascherln anbieten, weil die halt was hermachen, kriegen aber die Schlutzigkeit mit dem dünnen Teig nicht g’scheit hin. Da versteh ich dann nicht, warum sie sie überhaupt nachmachen." Die Sellerietascherln hatte Jörg Wörther 1990 anlässlich der Wahl zum Koch des Jahrzehnts in sein Menü geschrieben. Kritik ob ihrer Schlichtheit würgte Juror Christian Millau dem Vernehmen nach mit den ebenso schlichten Worten ab: "Das sind einfach die besten Sellerietascherln der Welt." Jörg Wörther selbst ist sein Signature Dish zwar wichtig, allerdings sei ihm das Gerede darüber schon lange fad geworden. Ein gewisser Stolz, ein Markenzeichen geschaffen zu haben, ist ihm aber anzumerken, wenn er gefragt wird, welche Köche denn heute eindeutige Signature Dishes hätten. "Heute ist es schwieriger, es ist vieles so ähnlich geworden, dass man die Handschriften oft nicht mehr erkennen kann. Es gibt wenige Gerichte, die man heute eins zu eins jemandem zuschreiben kann, während man früher klar sagen konnte, das ist Witzigmann, das ist Bocuse, das ist Häberlin."

Gewonnen hat man als Koch oder Köchin also spätestens dann, wenn mit dem Namen auch gleich ein bestimmtes Gericht assoziiert wird, wenn man sich quasi ins allgemeine kulinarische Gedächtnis geschrieben hat. Wie Christian Domschitz, der auch gleich ein gutes Beispiel dafür ist, dass man ein Signature Dish mitnimmt, egal, wohin man zieht. "Vor vierzehn Jahren muss es gewesen sein", erinnert er sich, "da habe ich mein Hummer-Szegediner das erste Mal im ,Restaurant Bauer‘ angeboten." Vorher habe er noch in diversen Kochbüchern recherchiert, ob es etwas Ähnliches eh noch nicht gebe, die Kombination sei aber tatsächlich völlig neu gewesen. Auch in seiner nächsten Wirkungsstätte, im "Hotel Ambassador", habe es selbstverständlich das Hummer-Szegediner gegeben, und auch im "Schwarzen Kameel" sei es heute das ganze Jahr über zu haben. Mit der Einschränkung (die im Grunde vielmehr eine Auszeichnung ist), dass Domschitzs Signature Dish nicht mehr auf der Karte stehen muss, um dennoch wie das Amen im Gebet verlangt zu werden. Was, wenn er wieder das Lokal wechseln würde? "Das Hummer-Szegediner würde auf jeden Fall mitkommen. Das bin halt ich."
Auch Lisl Wagner-Bacher ist glücklich darüber, ein Gericht erfunden zu haben, das man mit ihr gleichsetzen kann. Ihr Kaviar-Ei wird nicht nur in Kochzeitschriften immer wieder aufgewärmt, sondern geht auch sonst mit der Nennung ihres Namens einher. Wagner-Bachers Signature Dish ist ein Beispiel dafür, dass manche Gerichte zwar Bestand und aufgrund ihrer Einzigartigkeit lange Gültigkeit haben, aber doch irgendwann anachronistisch wirken können: Schließlich ist in Krisenzeiten ein schlichtes paniertes Ei mit Draufgabe um 49 Euro nicht unbedingt ein Ausbund an Zeitgemäßheit. "Wir haben es trotzdem immer auf der Karte, das Kaviar-Ei ist eben das, was man mit mir verbindet, und die Gäste verlangen es noch immer." Das Luxusimage ihres Küchenklassikers stört sie heute aber schon ein bisschen, gibt sie zu. "Ich bin ja sonst eine bodenständige Köchin, ich koche möglichst ohne Luxusprodukte. Aber beim Kaviar-Ei muss es einfach persischer Imperialkaviar sein, das funktioniert nicht mit Saiblingskaviar, so sehr ich den sonst auch schätze." Ein Markenzeichen kann eben offensichtlich manchmal auch ein bisschen untypisch sein.