Null Sünden-Bock

Warum es besser ist, die Wirte zu lieben als sie bloß zu kontrollieren

Text von Eva Rossmann Illustration von Nicolás Aznárez

Da hat jemand die Rechnung ohne den Wirt gemacht, hat es geheißen: Damals, als noch klar war, dass eigentlich der Wirt die Rechnung macht. Mit Kassabon oder auf einem alten Bierdeckel oder mündlich. Inzwischen macht die Rechnung die Finanz. Und die Wirte haben das Gefühl, draufzuzahlen.

Klar, geraunzt worden ist immer schon in der Gastronomie. Weil gefühlter Aufwand und reales Ergebnis oft nicht zusammenpassen. Ohne Freude an der Sache, ohne Leidenschaft und andere emotionale Drogen geht es sich in vielen Betrieben schwer aus.

Mir ist der irre Kick der Gastronomie, diese Mischung aus Adrenalin und Liebe, aus Hitze und zufriedenen Gästen, aus Duft und Schweiß ohnehin wichtiger als fette schwarze Zahlen, aber ich habe leicht reden. Ich arbeite bloß mit, wenn es sich ausgeht. Und ich habe mehr als genug Perspektiven. Zum Glück gibt’s solche Verrückte allerdings auch hauptberuflich. Und es ist ja auch so, dass der eine oder die andere mit ihrer Begeisterung und ihrem Können Erfolg hat und damit sogar vernünftig Geld verdienen kann. Dem Buchinger gelingt das jetzt schon mehr als fünfzehn Jahre. Auch wenn, wie er gerne sagt, wohl nie ein Porsche vor der Tür stehen wird. Aber wer braucht schon einen Porsche, solange er in der Küche – bei uns noch im wahrsten Sinn des Wortes – Gas geben kann? Okay, ich kenne solche Gastronomen. Ein Teil von ihnen hat sogar Koch gelernt. Sie eröffnen ein Lokal, werden von der größeren oder kleineren Öffentlichkeit gelobt – und verwechseln die ersten Umsätze mit dem viel später zu errechnenden Gewinn. Da gibt’s dann plötzlich dicke Autos und Mega-Küchenausstattung und imposante Sofort-Zubauten und eine teure Freundin und viele Freunde, die einen sehr mögen, weil man sie großzügig freihält. Wenn so ein Wirtshaus dann recht schnell wieder stirbt, dann war es wohl eher Mord aus Dummheit.

Und trotzdem. Dass jetzt viele, auch solche mit Lust, Leidenschaft und halbwegs ökonomischem Verstand, stöhnen, hat Gründe: Allergenverordnung, Registrierkassa-Pflicht, Mehrwertsteuererhöhung für Übernachtungen, Rauchverbot, neue Grunderwerbssteuern. Kammerfunktionäre und -angestellte empören sich über den „Wirt als Sündenbock!“. Egal ob es um veränderte Gesundheitspolitik oder die Kompensation der Lohnsteuersenkung gehe, die Gastronomie sei es, die draufzahle! Bloß: Wenn die Aussendung geschrieben, die Pressekonferenz gemacht, den Wirten und Hoteliers nach einer Sitzung auf die Schulter geklopft worden ist, dann kann sich Herr Kämmerer entweder gleich hinter seinen Schreibtisch verziehen oder in Sitzungen versuchen, seinen Standpunkt so lange einzubringen, bis nichts mehr von ihm übrig ist (dem Standpunkt – der Kammerheld überlebt!), weil anderes als wichtiger gilt.

Gut, nach viel öffentlichem Wind, hoffentlich ohne damit einhergehende Pollenbelastung, darf man den Gästen auch mündlich mitteilen, welche bösen Allergene im Essen drin sind – und man muss ihnen dafür eh nicht sagen, dass die Hühnerbrust gefroren aus Südamerika und das Gulasch aus der Dose gekommen ist. Bei den Grunderwerbssteuern gab es für kleinere Unternehmen in vorletzter Minute sogar Verbesserungen zum Ist-Zustand … zumindest wenn nicht noch etwas wieder geändert wird. Und das Rauchverbot kommt ohnehin erst im Jahr 2018. Da sind die Umbauten für Raucher- und Nichtraucherbereich, wenn sie tatsächlich gemacht wurden, schon nicht mehr ganz neu. Und können vielleicht praktisch als Abgrenzung fürs berühmte „Extrazimmer“ verwendet werden. Ganz abgesehen davon: Ist es nicht gerecht, wenn wirklich nirgendwo mehr geraucht werden darf? Und das Aschenbecherausleeren und die verrauchten Stubenwinkel erspart man sich auch. Bleibt die Sache mit der Freiheit. Welche zählt mehr? Die Freiheit, eine Zigarette oder eine Zigarre genießen zu dürfen oder die Freiheit, nicht eingeraucht zu werden? Was steckt dahinter? Der Drang, uns zu bevormunden oder die Absicht, unnötige Todesfälle und vermeidbare Gesundheitskosten zu verhindern? Ich bin Fast-Nichtraucherin und trotzdem im Zwiespalt. Die Wirte hängen da mit drin, eine bösartige Aktion gegen sie ist die neue Bestimmung aber wohl nicht – dumm war eher, dass man sich nicht gleich zu einer eindeutigen Lösung durchringen hat können. Was wiederum mit den vielen Vor- und Rücksichten zu tun hat, die man in Österreich nimmt, um keinen zu verprellen: Die Standesvertreter waren damals übrigens gegen ein Rauchverbot und haben die halbe Lösung als halben Erfolg gefeiert.

Doch hin zu Vernebelung der anderen Art. Ganz vorsichtig. Weil: Sich über die Finanz zu beklagen, kann einem schnell und rein zufällig eine Steuerprüfung bringen. Oder eine Sozialversicherungsprüfung. Oder … es gibt ja viel, was geprüft wird. Jedenfalls kommt unter anderem die Registrierkassa-Pflicht. So ein Ding ist ohnehin praktisch. Es zählt zusammen und danach kann man einfach sehen, wieviel Umsatz wer wann womit gemacht hat. Allerdings sind dann auch keine Stricherl-Listen für G’spritzte bei unserer Kornberger-Sonntags-Frühschoppen-Stehpartie mehr möglich. Ob sich der Pepi über einen Kassabon freut, auf dem er sieht, wie viele G’spritzte er getrunken hat? Ob er ihn aufhebt? Er kann wenigstens am Traktor davonbrausen, jeder Reifen so hoch wie ein durchschnittlich großes Kontrollorgan. In Italien gibt’s das Pflicht-Scontrino übrigens seit zirka dreißig Jahren. Jetzt ist man gerade dabei, es wieder abzuschaffen. Weil es wenig bis nichts gebracht hat. Studien zeigen, dass im Süden rund achtzig Prozent ohne Rechnung geht, in Rom sind es „nur“ sechzig, in Norditalien immerhin noch dreißig Prozent. Man überlegt jetzt bargeldlosen Zahlungsverkehr, der via Internet gleich mit der Finanz verbunden ist. Also, zum Durchatmen: Wir sind erst dort, wo die Italiener vor dreißig Jahren waren. Man darf den Kaffee noch mit Geld zahlen. Wenngleich das mit der direkten Linie an die Finanz auch schon überlegt wird. Die Praxis ist freilich ein Hund. Vielleicht hat den geneigten Reformern noch niemand gesagt, dass es Fehlbestellungen gibt? Der gestresste Kellner drückt vierzig statt vier Lammstelzen. Und Schwupps ist das bei der Finanz. Dann sollte man dort jemandem erklären, nein, beweisen, dass es sich dabei nur um eine falsche Null gehandelt hat. Womit auf keinen Fall der Kellner gemeint ist, weil wer hat sich noch nie verdrückt? Oder die Dame am Vierertisch bestellt zuerst das Gallowayrind mit den Biopilzen und entscheidet sich dann doch für den großen Salat. Also storniert man den Bon und macht einen anderen. Die Finanz könnte es als tückische Aktion zur Steuerhinterziehung werten. Finde den Gast und bringe ihn dazu, als Zeugin auszusagen und habe die Zeit zu alledem … Da wird es langsam schwer, gut drauf zu bleiben.

Und dann die Sache mit der Vernaderung. Momentan ist es ja so, dass jedem anonymen Hinweis auf ein Vergehen nachgegangen wird. Ein netter Mensch hat angezeigt, dass Buchingers Hunde in der Küche sind. Nicht, um das berühmte Ei zu stehlen, aber jedenfalls unerlaubt. Die beiden Labradormischlinge sind professionell ausgebildet. Zum Trüffelsuchen und damit natürlich auch in Sachen Disziplin. Sie haben gelernt, an der Schwelle zum Gang zur Küche stehen zu bleiben. Von dort aus schauen sie oft sehnsüchtig rein, aber weiter gehen sie nicht. Trotzdem kam ein – an sich sehr verständnisvoller – Lebensmittelinspektor und kontrollierte. Nicht bloß, ob Hunde in der Küche waren. Sondern auch ob sonst alles allen Vorschriften entspricht. Eine aufwändige Prozedur, die ohnehin nur ein paar geringfügige Mängel ergab, wie ein Waschbecken, das keine automatisch schließende Armatur hat. Anonym sind übrigens auch die Anzeigen, laut denen Gäste verkehrsbehindernd parken. Die Orts-Sheriffs müssen ausrücken und kontrollieren. Und wehe, Herr oder Frau Nichtgenannt haben Grund zur Annahme, dass ihre Beschwerde nicht ernst genommen wird. Dann könnte man unseren Polizeibeamten Freunderlwirtschaft oder gleich Amtsmissbrauch unterstellen. Mit der Kassabon-Pflicht wird es für Naderer und Co. richtig fein: Ein anonymer Hinweis, und schon wird geprüft. Wer alles in Ordnung hat, dem kann das doch nichts machen, heißt es. Aber so etwas kann Stunden, Tage, Wochen, Monate fressen. Natürlich kann man Experten beiziehen. Das kostet dann eben. Unternehmen, und da reden wir nicht mehr vom kleinen Geschäft mit Essen und Trinken, können sich das leisten. Aber die bekommen ja auch etwas dafür. Da wird über Steuern verhandelt – auf Augenhöhe, weil Österreich muss doch ein guter Wirtschaftsstandort bleiben, oder? Dumm nur, dass die vielen Wirtshäuser und Cafés und Hotels und Restaurants nie zusammengerechnet werden. Dann wären sie nämlich auch eine unternehmerische Macht. So bleibt der Groll, dass es sich wieder einmal die Großen richten und man es sich bei den Kleinen holt.

Mein Vorschlag zur Entspannung: Wie wäre es, anonyme Anzeigen zu verbieten? Und was wäre, wenn man die vielfältigen Vorschriften und Kontrollen enger an die oft so unterschiedliche Realität anpassen würde? Sie mögen ja alle einen Sinn haben, zum Schutz, gegen Betrug, für Mitarbeiterinnen. Aber zwischen dem Wirt mit der Mutter in der Küche und dem Betreiber einer Gastrokette besteht ein Riesenunterschied. Man könnte mehr Chancengleichheit schaffen, würde man sie unterschiedlich behandeln. Wer braucht Arbeitszeitaufzeichnungen, wenn alles ohnehin immer gleich abläuft? Und: Warum statt vieler Vorschriften für alle Eventualitäten nicht eine Aufwertung von Gewerkschaft und Arbeiterkammer, damit sich mehr Mitarbeiter gegen Ungerechtigkeiten und Ausnützerei wehren? Die vielen, vielen Vorschriften und Kontrollen können das nämlich nicht verhindern. Ein kleinindustrieller Gastronomiebetreiber zieht seinen Mitarbeiterinnen zwei Stunden pro Tag ab, weil sie rauchen. Und den Nichtraucherinnen auch, weil die trinken dann angeblich Kaffee. Alles wird videoüberwacht. Also sollte er sehen, dass es Tage gibt, an denen sie kaum Zeit haben, auf die Toilette zu gehen. Er übt Druck aus. Sie fürchten sich. Und kündigen dann halt irgendwann. Und er stellt die nächste ein.

Das sind die Zustände, die abgeschafft gehören. Wer will, dass die seelenlosen Verköstigungsprofiteure nicht immer mehr und die Wirtshäuser immer weniger werden, der muss sich auch fragen, warum so wenige Kinder von Wirtinnen oder Wirten den Betrieb übernehmen wollen. Welches Bild wird ihnen vermittelt? Wie kann man ihnen klar machen, dass der Job hart, aber die Arbeit spannend, vielfältig, kreativ ist? Dass man mehr Anerkennung bekommen kann als in einem Bürojob? Dass sie ihr Glück selbst in der Hand haben? Es würde wohl helfen, wenn man bei Vorschriften und Kontrollen tatsächlich das jeweils passende Maß findet. Und: Es reicht nicht, wenn man die Menschen hinter Herd und Schank mag, wenn sie einen kulinarisch verwöhnen. Es geht auch um die öffentliche Anerkennung und Wertschätzung einer Branche, die zu den ganz großen gehört. – Gerade weil es bei ihr um mehr als bloße Gewinnmaximierung geht.