Ohne Kellner sperren wir dann eben zu

Die Krise am Personalmarkt zieht sich vom einfachen Wirtshaus bis ins Spitzenrestaurant. Welche Konsequenzen Gäste und Gastgeber aus der Disruption am Personalmarkt zu erwarten haben, dazu befragten wir Unternehmer, Forscher und Küchenchefs.

Text von Alexander Rabl/Illustration von Eva Vasari

Eines der schönsten Hotelrestaurants Wiens, die Grüne Bar im Sacher, kann man zurzeit nur besichtigen, nicht aber darin essen oder trinken. „Wir kriegen keine Leute!“ So wie Küchenchef Dominik Stolzer und das Sacher suchen landauf, landab Restaurants und Hotels Personal. Es liegt nicht an der Corona-Situation allein, wie er sagt: „In den letzten Jahren wurde viel Schindluder getrieben. Man hört oft von 15 Stunden am Tag. Das Image ist jetzt mal am Boden. Lehrlinge sind schwer zu finden. Die Löhne liegen immer noch unter dem Durchschnitt.“ Stolzer ist optimistisch: „Die Arbeitszeiten von früher sind heute undenkbar. Einige, die den Job gewechselt haben, kommen vielleicht zurück.“ Aber einstweilen ist es eine Tatsache: Es gibt zu wenige Mitarbeiter für zu viele Gäste. Was aber bedeutet das für die Gäste, womit müssen diese in den kommenden Monaten, vielleicht auch Jahren rechnen?

„Vieles von dem, was wir heute kennen, wird es bald in dieser Form nicht mehr geben.“ Birigt Reitbauer, Steirereck, Wien


Dienstleistung am Gast kommt aus der Mode

„Vieles von dem, was wir heute kennen, wird es bald in dieser Form nicht mehr geben. Da geht viel verloren, was schade ist.“ Das sagt Birgit Reitbauer, die nicht nur als eine der besten Gastgeberinnen, sondern auch als eine der besten Arbeitgeberinnen des Landes gilt, und meint das einfache, kleine Wirtshaus am Land. Während der Lockdowns beschäftigten Heinz und Birgit Reitbauer ihre Mitarbeiter in der Küche, einerseits für Gratisessen als soziales Projekt, andererseits, um die starke Nachfrage im kurzfristig aktivierten Onlineshop zu befriedigen. Wer sonst im Service des Steirereck arbeitete, führte Essen aus. Reitbauer: „Entlassen haben wir niemanden.“ Und auch verhindert, dass die Menschen ein halbes Jahr ohne Beschäftigung zu Hause saßen. „Da kann ich mir vorstellen, dass manche sich die Sinnfrage über ihren Beruf stellten: Will ich da noch arbeiten, entspricht das der, wie man heute sagt, Work-Life-Balance?“ Was Steirereck-Gäste wissen: Viele Mitarbeiter sind den Reitbauers seit vielen Jahren treu. Banale Antwort auf das Geheimnis, warum das so ist: „Wir haben am Wochenende zu“, lacht Birgit Reitbauer. Natürlich ist da noch mehr: „Wir achten sehr darauf, dass es unseren Leuten gut geht, dass sie sich hier entfalten, dass sie wachsen können. Jeder ist im Steirereck selbst ein Gastgeber, das merken auch die Gäste.“ Schließlich: „Wir sind ja täglich eng mit den Mitarbeitern zusammen, daher ist es uns nicht egal, wie es ihnen geht.“ Eines steht fest, sagt Birgit Reitbauer vom Steirereck im Stadtpark: „Letztendlich werden es die Gäste bezahlen, wenn die Preise für gute Mitarbeiter steigen.“ Die Reaktion der Landsleute malt sie sich aus: „Die Österreicher sind sehr preissensibel.“ Und noch eines fällt Reitbauer auf, etwas, das mit Corona und Gehältern nichts zu tun hat: „Dienstleistung am Gast kommt aus der Mode.“

„Das Schnitzel wird teurer werden müssen.“ Sepp Schellhorn, Seehof Goldegg


Das Schnitzel am Sonntag wird teurer

Wer im Sommer das Salzkammergut besuchte, dem fielen die „Geschlossen“-Schilder auf, wo vor Kurzem noch eine Speisekarte gehangen hatte. Andere Restaurants, die besonders guten, machten dafür das Geschäft ihres Lebens. Das Angebot wird kleiner, die Preise steigen, und die Disziplin der Gäste bei Reservierungen wird verstärkt in Anspruch genommen. So hört man es von vielen Gastronomen, zum Beispiel von Wolfgang Gröller, der in Traunkirchen zwei Hotels und Lokale unterschiedlicher Charaktere führt. Er nennt Gründe, warum für Gäste und Gastgeber in nächster Zeit vieles anders wird: „Es gibt 30 % weniger Menschen, die in der Gastronomie arbeiten. Es wurde während der letzten Jahre nicht rekrutiert. Es gab kaum Lehrlingsausbildung, weshalb viele Lehrlinge in einen anderen Beruf gewechselt sind. Und die sieben Monate der Kurzarbeit nutzten viele Mitarbeiter der Gastronomie, um sich etwas Neues zu suchen.“ Gröller resümiert: „Wir Gastronomen und Hoteliers befinden uns in einem Verdrängungswettbewerb um Mitarbeiter, den die besten Betriebe gewinnen werden. Wer noch nicht verstanden hat, dass faire Bezahlung und Planbarkeit obligat sind, bekommt Probleme.“ Bessere Arbeitszeiten für die Mitarbeiter, das bedeutet für die Gäste: „Es wird nicht mehr alles zu jeder Zeit verfügbar sein. Sie können nicht mehr so spontan sein, müssen reservieren, ihre Ess-Termine gut einteilen.“ Und dann sei da noch etwas, was sich zurzeit niemand sagen traut: „Zwei Preise, teurer am Wochenende, günstiger unter der Woche.“ Die Kleinen werden größere Probleme haben. „Ein großer Betrieb tut sich leichter, denn er kann mit einem Back-up an Personen arbeiten.“ Geschlossene Restaurants am Sonntag sieht Wolfgang Gröller nicht: „Der Sonntag wird der stärkste Tag bleiben, vor allem in ländlichen Gebieten. Ob ein Gast die etwas höheren Preise am Sonntag akzeptiert, muss er natürlich selbst entscheiden.“ Was bedeutet das konkret für die Preise, was wird das beliebte Schnitzel am Sonntag kosten? „Das Schweinsschnitzel kostet jetzt bei uns 13 Euro, das wird dann halt drei Euro mehr kosten. Die Gäste werden es überleben. Noch traut sich keiner, das anzusprechen, aber es kommt.“ Die Mitarbeiter bekommt man aber nicht nur übers Geld, ist Gröller sicher: „Man muss eine gute Community schaffen, mit den Leuten auch nach dem Abschied in Kontakt bleiben, Ausbildungswege ermöglichen.“ Gröller – und er ist damit nicht alleine – sieht ein großes Problem im Fremdenverkehrsland Österreich, was die Ausbildung in kulinarischen Dingen betrifft. Er sagt: „Das beginnt schon im Kindergarten, wo den Kindern nichts beigebracht wird über gutes Essen und Esskultur. Dort müsste man den Menschen bereits Zugang zu diesen Themen, zum gemeinsamen Kochen, schaffen.“ Junge Leute, die in der Gastronomie arbeiten, hätten auch oft eine andere Vorstellung von Arbeitszeiten und Entlohnung. Der Gesetzgeber aber habe deren Lust an Flexibilität nicht verstanden. „Viele würden gerne in der Saison mehr als das übliche arbeiten und sich dann in der Nebensaison Zeitausgleich nehmen, um im Ausland zu arbeiten, Wein lesen zu gehen oder einfach für einen langen Urlaub.“ So könne man junge Leute für einen Job in der Gastronomie motivieren, aber nicht, „indem sie im Herbst und im Frühjahr stempeln gehen“. Gröllers Vision für die Wintersportgebiete: „Wegen Personalmangel bleibt die Küche in immer mehr Hotels kalt, der Hausmeister wärmt die Convenience auf. Irgendwie werden die Gäste verpflegt werden müssen.“ In vielen Viersternehotels läuft es im Prinzip eh schon lange so, andere werden auf Zimmer mit Frühstück umstellen. Und: „Die kleinen Gourmettempel mit drei Tischen in den 300-Betten-Hotels, für die eine extra abgestellte Mannschaft arbeitet und die während einer Saison nur ein einziges Menü anbieten, wird es nicht mehr geben.“


Weniger Mitarbeiter = weniger Gäste

Johannes Pfefferkorn führt die Krone in Lech und den Tannbergerhof. Sein Ausblick auf den kommenden Winter: „Weniger Angebot, weniger Plätze, auch die Qualität wird da und dort leiden. Wir müssen im Hotel Krone weniger Gäste aufnehmen.“ In Lech fehlen Anfang November noch 40 % der Mitarbeiter. „Ich bin einen Monat vorm Aufsperren. Ich muss schauen, wie ich die Mitarbeiter kriege.“ Dann kommt Pfefferkorn auf die Fehler der Politik zu sprechen: „Man hat Köchen Umschulungsangebote gemacht, obwohl Koch an sich ein Mangelberuf ist. Viele Mitarbeiter kriegten solche Angebote.“ Pfefferkorn zum Thema Löhne: „Ein Chef de Rang, ausgelernt, beginnt bei mir mit 2.050 Brutto für 48 Stunden. Das bedeutet netto 1.800 Euro, und dann geht es nach oben. Voller Lohn für zwölf Monate, dabei vier Monate frei im Jahr, und alles – Unterkunft , Verpflegung – wird von uns gestellt.“ Danach gehe es mit dem Einkommen ohnehin stark aufwärts.

Das Problem mit der Work-Life-Balance
Oliver Fritz beschäftigt sich im Wirtschaftsforschungsinstitut mit volkswirtschaftlichen Entwicklungen in der Tourismuswirtschaft. Seine Wahrnehmung der Krise am Personalmarkt, die nach den Lockdowns besonders fordernd ist: „Es stimmt natürlich, dass die lange Arbeitslosigkeit zum Jobwechsel animierte. Das war auch bei ausländischen Arbeitskräften so, die sich etwas anderes gesucht haben. Einige haben auch gemerkt, dass es mit den Arbeitszeiten doch nicht so toll ist, und diese psychologischen Effekte spielen eine Rolle. Prinzipiell haben Branchen wie die Gastronomie ein Problem mit der Work-Life-Balance.“ Das aber sei ein langfristiges Problem, das mit Corona nur am Rande zu tun habe. Man habe es ja mit einem demografischen Phänomen zu tun. Statistik Austria pro­gnostiziert: Das Angebot an Arbeitskräften und Erwerbspersonen geht bis 2080 stark zurück. In Wien wird es mehr, in Kärnten beispielsweise weniger. Fritz sagt, dass es hier nicht nur ums Geld gehe: „Es geht beim Arbeiten im Tourismus um alles, die Wohnsituation, allfällige Kinderbetreuung. Gerade in den Tourismusgebieten kann ein Mitarbeiter schwer wohnen, da kann sich ja keiner mehr das Wohnen leisten, auch wenn die Gemeinden versuchen, gegenzusteuern.“ Es geht also doch ums Geld. „Die Löhne sind immer noch viel niedriger als in der Gesamtwirtschaft.“ Der Wirtschaftsforscher diagnostiziert kühl: „Auf der einen Seite sind es die Kunden, die nicht mehr zahlen wollen, auf der anderen Seite Mitarbeiter, die um dieses Geld nicht arbeiten wollen.“

„Es stimmt natürlich, dass die lange Arbeitslosigkeit zum Jobwechsel animierte.“ Oliver Fritz, Wirtschaftsforschungsinstitut


Wo die Löhne höher sind

Schweiz, du hast es besser. Das hört man oft. Die Löhne sind höher, die Steuern niedriger (laut OECD bekommt ein Arbeitnehmer in Österreich 36.000 Euro und ein Schweizer 57.000 Euro bei identen Kosten für den Arbeitgeber von 72.000 Euro). Viele Österreicher und Deutsche emigrieren auch wegen des Einkommens in die Schweiz, nur wenige Schweizer kommen hingegen nach Österreich. Geld ist bekanntlich nicht alles. An­dreas Caminada im Schloss Schauenstein macht sich um die Karrieren seiner Mitarbeiter auch darüber hinaus Gedanken. Seine Fundaziun Uccelin begleitet junge Menschen als Stipendiaten in den besten Betrieben, Ausbildung wie an einer Universität, aber ohne akademischen Betrieb. Durch Corona geriet allerdings auch dieses Projekt ein wenig ins Stottern, weil ja das Reisen weitgehend unmöglich war. Caminada hat seine Mitarbeiter viele Jahre im Haus. Er lebe seine Werte so, sagt er, dass sich die Leute bei ihm wohlfühlten: „Die Mitarbeiter sind wichtiger als die Immobilie.“ Caminadas Leute werden verwöhnt, mittwochs etwa gibt es Yoga für alle. Auch in der Schweiz hätten allerdings viele die Branche gewechselt. Ob sie jemals wieder zurückfinden werden? Andreas Caminada sieht das eher optimistisch: „Sie werden merken, dass das ein schöner und spannender Beruf ist.“


"Ich lebe meine Werte so, dass sich die Leute bei mir wohlfühlen." Andreas Caminada, Schloss Schauenstein
„Ich lebe meine Werte so, dass sich die Leute bei mir wohlfühlen.“. Andreas Caminada, Schloss Schauenstein

Man wird mit mehr Ruhetagen rechnen müssen
Sepp Schellhorn in Goldegg am See sieht das mit dem schönen Beruf auch so. Nach seiner Karriere als Abgeordneter kümmert er sich vermehrt um seine Hotels und Restaurants und steht selbst am Herd des Bierführers in Goldegg, einem Parade-Dorfwirtshaus. Fast möchte man von einem Kulturauftrag sprechen. Denn das Konzept Wirtshaus kommt durch das Weniger am Markt der Mitarbeiter immer mehr unter Druck. „Uns bricht der Mittelbau weg“, sagt Schellhorn. Wahrscheinlich wird es in Zukunft noch mehr Einsatzbereitschaft und Idealismus benötigen, ein solches zu führen. Schellhorn sagt, was es sonst noch braucht: „Das Schnitzel wird teurer werden müssen, damit Bauer und Wirt davon leben können.“ Er gehört zu den lautesten Kritikern der hohen Lohnnebenkosten, die in einer arbeitsintensiven Branche, die nicht auf Rationalisierung durch ­Maschinen umstellen kann, existenz­gefährdend sind. Die österreichische Schnäppchenmentalität mache die Sache nicht einfacher, so Sepp Schellhorn: „Der Preis eines Goldegger Wiener Schnitzels vom Kalb wird mit dem Preis eines XXXL-Schnitzels verglichen.“ Mehr Mitarbeiter können aber auch höhere Löhne in nächster Zeit nicht herbei zaubern. Schellhorns Prognose: Man wird mit Ruhetagen rechnen müssen, wo diese bisher undenkbar waren.

Schluss mit lustig
In der deutschen Die Zeit gab es im September ein zweiseitiges Dossier (es war der Aufmacher) über die Arbeitsbedingungen in deutschen Sternerestaurants. Kritisiert wurden Umgangston und Stress in den Küchen von Tohru Nakamura in München, Christian Jürgens (Überfahrt) und der für seinen rauen Ton bekannte Christian Lohse (aus dem geschlossenen Fischers Fritz in Berlin). Sie hatten auch Gelegenheit zur Widerrede. Sarkastischer Kommentar Berthold Obauer: „Der Beitrag hat der Branche wieder sehr gutgetan.“ Obauer hat, bevor er in die Geschäftsleitung des Restaurants seines Onkels einstieg, selbst an einer der besten Stationen des Landes gearbeitet, dem Wiener Steirereck, so wie Heinz Reitbauer einst seine berufliche Laufbahn in der Küche der Obauers begann.

Rudi Obauer erlitt 2015 einen Herzinfarkt, der Druck in der luftigen Höhe der Spitzengastronomie hatte sich bemerkbar gemacht. Seither sieht er manches anders, aber eines ist klar: „Spitzengastronomie ist wie Spitzensport. Da geht es eben auch um Leistung.“ Die Situation in der Gastronomie sei eine besondere, wie es Obauer beschreibt: „Gastronomie ist Verkauf und Erzeugung gleichzeitig. Da kann man Dienstzeit nicht so stur einhalten. Wenn hier einer auf zwölf Uhr reserviert und wegen eines Unfalls eineinhalb Stunden auf der Autobahn hängt, was soll ich dem dann sagen? Ich muss ja als Unternehmer ein Geschäft machen, auch wenn das oft hart ist.“ Das Restaurant war immer schon rigide bei den Annahmezeiten. Ein großes Menü, mittags nach 13 Uhr bestellt, ist wirklich die große Ausnahme. Ab drei Uhr nachmittags und abends um zehn ist die Küche leer. Und die Gäste auf dem Weg nach Hause oder ins Hotelzimmer. Gastronomie mit mehr Planbarkeit und Disziplin, aber weniger Lais­ser-faire. Zumindest damit müssen Gäste in den kommenden Jahren rechnen, und wer in Frankreich, England oder der Schweiz unterwegs ist, wird sich nicht wirklich umgewöhnen müssen.