Radikalregional

Flandern gilt als angesagte Genussdestination. Was die neue flämische Küche ausmacht? „Dass es keine gibt!“, postuliert Kobe Desramaults, der radikalste unter den jungen Chefs. Dafür Diversität und großartige lokale Produkte. Wir haben Gent, die Wiege der Flemish Foodies, besucht. Ein Lokalaugenschein inklusive Landpartie.

Texte von Nina Kaltenbrunner & Anna Burghardt Foto PietDe Kersgieter

Kleine Region ganz groß. Für alle, die es noch nicht wissen: Flandern ist ein Paradies für Foodies. Das Klischee vom Duft frischer Waffeln in der Luft wird in allen flämischen Städten hinreichend erfüllt. Gerechter wird man der Region allerdings, wenn man neben Waffeln, Schokolade und Bier auch an Austern, die kleinen grauen Nordseegarnelen, Wellhornschnecken, Rinder, Schweine, Hopfensprossen, Chicorée oder Spargel denkt. Die Auslagen und Vitrinen der unzähligen Delikatessenläden spiegeln diesen regionalen Produktreichtum anschaulich wider. In den lebendigen ­Lokalszenen von Brüssel, Antwerpen, Brügge oder Gent scheint man von einem einladenden Restaurant gleich ins nächste zu stolpern. Nicht gut zu essen, ist in Flandern gar nicht so einfach. Genuss gehört hier einfach zum guten Leben, Restaurantbesuche zum Daily Business. „Frei nach dem Motto ,Man gönnt sich ja sonst nichts‘ fahren die Flamen lieber ein günstigeres Auto, statt auf gutes Essen zu verzichten“, verrät ein Insider die Einstellung seiner Landsleute. Kein Zufall, dass der Champagnerverbrauch hier unverhältnismäßig hoch ist (Platz 1 in Europa) und dass Flandern mit 96 Michelin-Sternen auf gerade einmal 13.520 m2 Fläche die höchste Dichte an Spitzenrestaurants in Europa aufweist, Tendenz steigend.

Warum? Konkurrenz belebt. Die Dichte an Spitzenlokalen wiederum fordert die Chefs, ihre persönliche Handschrift zu verfeinern, Alleinstellungsmerkmale herauszuarbeiten und dabei gleichzeitig Verbindendes herauszukehren. In Flandern arbeitet man nicht gegeneinander, die Eigenbrötler stellen sich als „Flanders Kitchen Rebells“ gemeinsam dem Rest der Welt. „Wir servieren, was die Franzosen versprechen“, wird selbstbewusst postuliert. Die flämischen Köche eint ihre gemeinsame Tradition, die auf reichlich Innovationsgeist stößt, Sturheit die auf Genuss-Leidenschaft trifft sowie ihr unaufhaltsamer Ehrgeiz. Was in den späten 80er Jahren in der Mode mit unaussprechlichen Namen wie Dries van Noten oder Ann Demeulemeester auf internationalen Laufstegen für große Aufregung und Aufsehen sorgte, scheint sich heute auf die Teller verlagert zu haben. Ein verhältnismäßig einfach auszusprechender Name wird in diesem Zusammenhang oft genannt: Sergio Herman. Er gilt als „Erlöser der belgischen Küche“ aus ihrer traditionellen Deftigkeit (Kobe Desramaults), und als Begründer der sogenannten „Nova Regio“. Was damals für die Mode galt, lässt sich heute auf die kulinarischen Kreationen der Flamen anwenden: extravagant, provokant, niemals protzig, puristisch und hart an der Schmerz­gren­ze.

Wo das stattfindet? Überall. In Flandern verhält es sich wie in den Metropolen London, Paris oder New York. Um von A nach B zu kommen, braucht man durchschnittlich etwa eine Stunde; sei es von Brüssel nach Gent oder von dort zu einem Sterne-Restaurant ins ländliche Hügelland. Mobilität ist gefragt, aber hier ist man gerne mobil. Man würde sich um vieles bringen, denn Vielfalt ist ein weiteres Merkmal dieser Region. Wir bleiben in Gent. Eine Stadt geschichtsträchtig wie ein Museum, gespickt mit unzähligen Architektur-Juwelen vom Mittelalter bis heute, zugleich lebendige Universitätsstadt – ein Kontrast, der an jeder Ecke spürbar ist. Hier die traditionelle Senfmanufaktur Tierenteyn, da handgeschöpfte Schokolade und Pralinen von Shootingstar Joost Arijs, dort die junge Stadt-Brauerei, in der nicht mit Hopfen, sondern einer alten Kräutermischung gebraut wird, und dann noch das „Max“, Geburtshaus der belgischen Waffel, mit seinen Jugendstil-Versatzstücken. Im Original 50er-Jahre-Espresso bekommt man zeitgeistigen Kaffee serviert, die flämische Spezialität Ganda-Schinken hängt im Groot Vleeshuis, einer mittelalterlichen Markthalle, von der Decke und ist zur Verkostung bereit. Alles scheint sich in der kompakten Stadt um Genuss zu drehen. Und alles lässt sich zu Fuß erreichen, vorbei an den unzähligen stark frequentierten Cafés und den romantischen Kanälen. Sehr idyllisch.

Flemish Foodies. Hinter den altertümlichen Fassaden Gents aber brodelt eine sehr dynamische Gastroszene. Die britische Tageszeitung The Guardian hat die Stadt kürzlich erst als beste Foodie-Destination Belgiens ­bezeichnet. Kein Zufall, dass hier auch die „Flemish Foodies“ zuhause sind. Kobe Desramaults (Restaurant In De Wulf), Jason Blanckaert (Restaurant J.E.F.) und Olly Ceulenaere (Restaurant Publiek) sind alte Schulfreunde, in internationalen Sterneschmieden geschult, die sich 2013 zusammengetan haben, um die Produkte der flämischen Provinz und der Nordsee in den Mittelpunkt ihrer Kochkünste zu rücken und mit einem lockeren Ansatz und moderaten Preisen die Topgastronomie Gents einem breiteren Publikum zugänglich zu machen. Der gemeinsame Nenner des Trios könnte lauten: ultralässig, radikal regional, ultimativ ehrlich.

Am radikalsten geht dabei bestimmt der In De Wulf-Chef vor, der neben seinem legendären Spitzenrestaurant in Heuvelland (siehe Porträt) auch zwei Lokale in Gent betreibt. Bei seinem Bistro De Vitrine, einer ehemaligen Fleischerei aus den 50er Jahren mitten im Rotlichtviertel, die er behutsam renovieren ließ, „war es Liebe auf den ersten Blick“, erzählt er. Im ultracoolen Original-Interieur inklusive Fleischerhaken, kruden Kachelböden und massiver Marmortheke wird an derben Holztischen und blutroten Kunstlederbänken die Philosophie des Stammhauses auf die Teller gebracht: frische landwirtschaftliche Produkte aus der Region, mit viel Feingefühl zubereitet und mit einer auf den ersten Blick beinahe provokanten Einfachheit serviert.

Das zweite Lokal des sanften Rebellen steht ganz im Zeichen von Brot – für Desramaults Herz und Seele eines Lokals. „Wir wollten eine einfache Holzofenbäckerei gründen, letztlich wurde daraus ein Ort, an dem unsere wildesten Träume kollidieren, Rock ’n’ Roll!“, schwärmt der Spitzenkoch. De Superette heißt das Baby, Industrial-Shabby-Chic definiert das lässige Ambiente der ehemaligen Supermarktfiliale, der Andrang ist groß, besonders am Wochenende. Es steht aber auch für Frauen-Power: Vor dem monumentalen Holzofen im Zentrum des Lokals steht die amerikanische Brotexpertin Sarah Lemke und hievt Sauerteig für Sauerteig in sein riesiges „Maul“, um danach einen duftenden Laib Brot nach dem anderen wieder herauszuziehen. Man spürt das Handwerk förmlich, kann es riechen und schmecken, hier wird der vielstrapazierte Begriff „echtes Essen“ tatsächlich erlebbar. Sehr viel mehr braucht es dann auch nicht. Vielleicht noch die nach traditioneller Methode im Holzfass gereifte Sauerrahmbutter, auf die Kobe Desramaults so stolz ist. Und natürlich die von In-De-Wulf-Kreativ-Chefin Rose Green entwickelten herrlich rustikalen Gerichte wie Lammeintopf mit Wurzelgemüse, der in der gusseisernen Pfanne auf den Tisch kommt.

Rustikal sind bei Jason Blanckaert im J.E.F. nur die Grundzutaten, die er meisterhaft verfeinert und als extrem ansprechende Gerichte serviert; immer gleich in mehreren größeren Portionen zum Probieren und Teilen auf den Tisch gestellt, reichlich Brot darf dazu auch hier nicht fehlen. Knusprige Kohlblätter, hausgemachte Würste, eine Creme aus gereiftem Ziegenkäse, Schnecken, Markknochen, Makrele oder Sot-l’y-laisse, das vermutlich feinste Stück vom Huhn – ein Wegwerfprodukt –, kombiniert der Chef mit einer Vielfalt an Wildkräutern und Salaten, macht eine Karotte zum Hauptdarsteller, Fleisch und Fisch lässt er hingegen in tragenden Nebenrollen brillieren. Das Ambiente des kleinen schlauchartigen Restaurants ist puristisch, weiß mit derbem Holz, das wie die eine oder andere Speise auch das kohlschwarze „J.E.F.-Branding“ trägt.

Diversität auf Flämisch. Nicht weniger außergewöhnlich, nur etwas weniger „shabby“ ist das Volta, Flemish Foodie Olly Ceulenaeres Start-Lokal in einem ehemaligen Elektrizitätswerk. Er selbst ist mittlerweile weitergezogen, das Restaurant steht nach wie vor für das ursprüngliche Konzept des Trios. Die Nachfolge hat Ceulenaeres junger Ex-Souschef Davy De Pourcq angetreten. Der junge Wilde steht während der Arbeit unter Hochspannung, entspannt sich aber schnell, wenn er über seine Vorliebe, selbst gezogene Kräuter und Gemüsesorten zu erfrischend leichten Gerichten zu verarbeiten, spricht. Sehr genau weiß er auch, wie er sich stilistisch von seinen Kollegen abheben kann. Seine kunstvollen, bunten Tellerlandschaften sind präzise aufgebaut, verspielt, mit Blüten, Pulvern und Schäumen angerichtet, und genau das Gegenteil der radikal-reduzierten Regionalküche eines In De Wulf. Bei aller Offenheit für Einflüsse aus anderen Ländern, verliert aber auch Davy De Pourcq nie die Region und ihre Produkte aus den Augen.

Eine neue Flandern-Cuisine lasse sich aus dem Radikal-Regional-Modell aber nicht ableiten, so Kobe Desramaults, „die Vielfalt macht es aus – jeder macht hier sein eigenes Ding“. — (NK)

Kobe Desramaults zeigt mit Taube, Lauch und Meerfenchel vor, wie eine ultrapuristische Regionalküche aussehen kann – aber nur mehr ein Jahr. Dann schließt er sein In De Wulf.

Ein bisschen genervt sieht Kobe Desramaults drein. Schon wieder soll er vor den aufgereihten weißen Schafsschädeln posieren. Als ob es keine anderen Motive in seiner Küche gäbe! Nein, nicht nur seine feingliedrigen Tattoos. Sondern Motive wie den einsichtigen Kühlschrank mit den mächtigen Ziegelsteinen gelber Butter, die er selbst herstellt, aus Milch, die ihm ein naher französischer Bauer liefert. Oder die Einmachgläser hoch auf dem Regal, gefüllt mit fermentiertem Meerfenchel, Rosenblättern in Essig, schwarzen Johannisbeeren in Sirup oder Kirschkernen in Alkohol, die er wie Bittermandeln zum Aromatisieren verwendet, weil in Flandern nun einmal keine Mandelbäume wachsen. Oder das per Kurbeln höhenverstellbare Grillsystem, das sich die ganze Breitseite der Küche entlang zieht. Erinnert das nicht frappant an die Roste im Etxebarri, jenem Lokal in den baskischen Bergen, das seinen bescheidenen Weltruhm der Tatsache verdankt, allesallesalles über Holzkohle zu garen, selbst Kaviar? „Stimmt“, sagt Kobe Desramaults leise lächelnd. „Ich war ein paar Mal dort und war so begeistert. Hab mich entschieden, das hier einzuführen. Aber ich hab’s ihm gesagt!“, entschuldigt er das kopierte System mit kokett-schüchternem Grinsen im dunkelrotblonden Bart. Die Kohle für den Grill macht er selbst, „im Josper“, auch aus verschiedensten Hölzern, wie es Etxebarri-Chef Victor Arguinzoniz vorzeigt. Kobe Desramaults gart auf dem In-De-Wulf-Grill unter anderem Gurken oder Lauch, den er mit Kamillenstängeln im Sieb über die Glut hält und der später ziemlich pur mit weißen Johannisbeeren serviert werden wird. Vom Grill kommen auch Miesmuscheln, die er aufrecht und dicht gedrängt in flache Schalen schlichtet und unter brennendem Heu gart. Oder die sagenumwobene Taube aus dem hofeigenen Kobel, die nicht auf der Karte steht, aber mit einigem Glück serviert wird, wenn man danach fragt. Zwei Wochen hängt die Taube ab, „mit allem noch drin“, dann wird sie sanft geräuchert und hängt weitere vier Wochen ab, diesmal mit Heu gefüllt, auf dass alle Feuchtigkeit entschwinde und der Geschmack des Fleisches zu fast exzentrischer Dichte heranreift. Auf den Teller kommen dann schlicht ein paar kaum gegarte Scheiben von der Brust, von glatter, trockener Weichlederartigkeit, und – natürlich – eine verkrümmte Kralle. Denn ein bisschen extrem muss es hier einfach zugehen, dafür ist das in the middle of nowhere gelegene In De Wulf schließlich bekannt. Ein an irgendeiner ins ­Irgendwo führende Straße gelegenes flaches, altes Bauernhaus, das Kobe Desramaults 23-jährig im Jahr 2003 von seiner Mutter übernahm, die es zuvor als Brasserie geführt hatte. Fast zehnmal hatte er die Schule gewechselt, hatte trotz elterlicher Vorbelastung als Jugendlicher lange kein Interesse am Kochen gezeigt. Das änderte sich bald, Desramaults sollte unter anderem bei Sergio Herman im Oud Sluis und im von Ferran Adrià beeinflussten Comerc 24 in Barcelona lernen.

In seinen ersten Jahren waren die Gerichte im In De Wulf noch deutlich verspielter, mit weitaus mehr Elementen auf dem Teller wie hauchdünnen Crackern oder Cremetupfern. Heute ist das, was im ziegelrohen, weißbalkigen Gastraum serviert wird, extrem reduziert. Zwar erlaubt sich Kobe Desramaults durchaus Spielereien wie das Servieren eines gepressten Stücks klebriger Schweinsextremitäten auf einem der schon erwähnten Schafschädel. Aber die Zutaten pro Gang lassen sich oft an einer Hand abzählen. Und zwar nicht nur pro forma, wie anderswo bei vorgeblich schlichten Kompositionen wie „Kürbis – Maroni – Ente“, die dann freilich aus zig heimlichen Zutaten bestehen, sondern tatsächlich.

Dafür ist eine enorm hohe Qualität der Grundelemente natürlich unerlässlich. Und dafür investiert Kobe Desramaults auch viel Energie und Zeit. Der Gemüse­bauer Dries Delanote, der unweit des In De Wulf seine wilde, nichtbiozertifizierte Biofarm betreibt (siehe auch S. 79), ist einer seiner essenziellen Partner: Von ihm bekommt Desramaults täglich nicht nur sämtliches noch so ungewöhnliches Gemüse, sondern auch Dinge wie Tagetesblüten, Gurkentriebe oder Johannisbeerblätter. Fleisch bezieht er zu einem großen Teil aus dem nahen Frankreich, etwa Duroc-Schweine aus dem nahen Borre, die er lange reifen lässt. Eine Schweinsschulter wird dann in der Küche etwa in einen Salz-Algen-Teig gepackt, das graue, hart gebackene Trumm am Tisch präsentiert – übrigens dramaturgisch durchaus wertvoll von einer ­Köchin mit Schweinstattoo auf dem Unterarm –, bevor die Hülle wiederum in der Küche aufgeschlagen und, von hauchdünnen Radieschenscheiben bedeckt, als gallertig-klebriger und gleichsam nasenscharfer Genuss zu Tisch kommt.

Wer sich diese radikal zurückgefahrene Küche in natura ansehen will, hat freilich nur mehr ein Jahr Zeit: Kobe Desramaults hat Ende Oktober bekannt gegeben, sein In De Wulf mit Ende 2016 zu schließen. Er führe das Lokal nun, seit er 23 sei, habe alle Energie investiert. Eine Auszeit sei angebracht. (AB)

Tobsuchtsgemüse und Vielfaltsvisionen
Er ordnet Kresseblätter nach Größe und probiert im Auftrag von Köchen aus, was in Westflandern alles wächst: Dries Delanote und seine Raritätenfarm „Le Monde des Mille Couleurs“.

„Ein bisschen Killikilli, und schon platzen sie vor Lachen“, sagt Dries Delanote, beugt sich hinunter und kitzelt eine Gurke am Kinn. Mit einem unvorhersehbar lauten Kracher platzt das stachelige ovale Ding auf und schleudert mit enormer Aggression sein Inneres auf ­Delanotes Gesicht, Arme, T-Shirt. Er nimmt es geduldig hin, wie ein Malheur von einem noch nicht stubenreinen Welpen, wischt sich nur grinsend ob der gelungenen Vorführung die schleimigen Samen weg. „Diese Gurke kann man nicht essen, sie ist zu bitter.“ Das konnte der Bauer aber nicht wissen, als er das sich am Boden entlangschlingende Gewächs ­probehalber pflanzte. Nun ist das grüne Tobsuchtsgemüse eben trotz seiner aromatischen Untauglichkeit Bewohner seiner Farm. „Vielleicht höre ich in zehn Jahren mit dem Bauernleben auf und eröffne einen Vergnügungspark rund um die wilde Gurke, amüsant genug wäre sie.“

„Le Monde des Mille Couleurs“ – „Die Welt der tausend Farben“, so hat der westflämische Bauer seine Raritätenfarm genannt. Dries Delanote beliefert mit seinem biologischen, aber nicht als solches zertifizierten Gemüse, mit Beeren und Kräutern ausschließlich Köche, zehn sind es derzeit. Er verkauft weder ab Hof an private Kunden noch unterhält er einen dieser schicken Marktstände, an dem sich trendbeflissene Stadtmenschen für eine Handvoll Knollenziest zehn Meter anstellen. Köche wie Kobe Desramaults vom nahen In De Wulf, einige französische Kollegen und ein großes Cateringunternehmen in Brüssel sind Delanotes Abnehmer. „Es ist schön zu sehen, dass auch ein Catering schon interessiert ist an meinen Produkten“, sagt der Bauer, der so aussieht, wie man sich einen visionären Bauern mit philosophischen Ambitionen so vorstellt: ein drahtiger Naturbursche mit ungekämmten Locken, erdigen Jersey-Bermudas, weißem Feinripphemd, Siebentagebart.

Vier Hektar hat er derzeit. „Ich würde gern auf zehn Hektar erweitern, aber es ist so schwierig, Land zu kaufen. Das wird alles von der Industrie verschlungen, die Konzerne überbieten sich gegenseitig“, sagt er mit einiger Wut in der Stimme. Auf seinem Grund pflanzt der Bauer etwa violetten, tausendfach verzweigten Brokkoli, entenschnäbelförmige Gurken oder schwarze Beeren, die aussehen wie Tollkirschen, aber wie Physalis schmecken. Zum Teil in Glashäusern, zum Teil als Freilandkultur, zum Teil in Reih und Glied, zum Teil als unübersichtliche Wildwuchskultur, wo Vogelmiere neben Taubnessel und Senf neben Kamille wuchert. Die Stängel der Kamille verwendet etwa Kobe Desramaults, um damit Lauch über offenem Feuer zu garen. Die Zusammenarbeit mit Köchen wie dem In-De-Wulf-Chef ist für beide essenziell. Ohne Dries Delanote könnte der Avantgardekoch nicht so naturpuristisch kochen, wie er nun einmal kocht, und ohne die flämischen und französischen Köche, die ihm selbst die ungewöhnlichsten Feldfrüchte dankbar abnehmen, müsste der Bauer wohl etwas konventioneller arbeiten. Dass Kobe Desramaults kürzlich verlautbarte, sein ­Restaurant mit Ende 2016 schließen zu ­wollen, wird also auch für Dries Delanote eine ­einschneidende Entscheidung sein.

Delanote ist zwar ein Bauernsohn, ihm war aber lange nicht bewusst, dass man eine solche Vielfalt aus dem Boden herausholen kann. „Wir Menschen stülpen den Pflanzen unsere Normen über. Und so vieles ist durch den Einsatz von Pestiziden verloren gegangen. Aber die Natur ist stark. Sie kommt zurück, wenn man sie lässt.“ Delanote, der mit Dutzenden Arten von Kürbissen begonnen hat, wollte ­immer mehr, wollte auch immer mehr ausprobieren, welche Pflanzen sich hier ansiedeln würden, wenn man sie ließe. Er bat Freunde, ihm von Reisen Samen mitzubringen. Wie ­viele verschiedene Pflanzen derzeit auf seinem Grund wachsen, kann er beim besten Willen nicht sagen. Und jeden Tag, meint er, entdeckt er etwas Neues, Pflanzen wie Insekten.

Es ist dreiviertel zwölf, als ein militärgrüner ­Geländewagen um die Ecke biegt und vor den großen Scheunentoren stehen bleibt. Der Mann, der herausspringt und dem Bauern freundschaftlich, aber zurückhaltend mit tätowiertem Arm auf die Schulter klopft, ist Kobe Desramaults persönlich, der kurz vor dem ­Mittagsgeschäft im nahen In De Wulf noch schnell zwei vorbereitete Kisten abholt. In der einen liegt violetter Brokkoli, von dem der Bauer ­zuvor wortreich sämtliche Reifestadien und Pflanzenteile in Sachen Geschmack und Textur analysiert hat, die andere enthält folierte Styroportassen mit Kapuzinerkresseblättern – nach Größe geordnet. Mehr war es auch nicht, Desramaults ist schon wieder weg. „Auch als Bauer kann man viele Leute treffen“, sagt Dries Delanote, als er dem Auto nachblickt. „Das ist schon wichtig.“ Und er reicht einen kleinen gelben Paradeiser weiter. „Damit startet später euer Menü im In De Wulf.“ (AB)

De Vitrine
Brabantdam 134 B, 9000 Gent
Tel.: +32/(0)9/336 28 08
www.de-vitrine.be

De Superette
Guldenspoorstraat 29, 9000 Gent
Tel.: +32/(0)9/278 08 08
www.de-superette.be

J.E.F.
Lange Steenstraat 10, 9000 Gent
Tel.: +32/(0)9/336 80 58
www.j-e-f.be

Volta
Nieuwe Wandeling 2b, 9000 Gent
Tel.: +32/(0)9/324 05 00
www.voltagent.be

In De Wulf
Wulvestraat 1, 8950, Heuvelland (Dranouter)
Tel.: +32/57 44 55 67
www.indewulf.be

Gent
Die besten Adressen für Waffeln, Schoko, Bier und Senf

Tierenteyn-Senf
Frisch gemachter, aus dem Holzfass geschöpfter Senf nach Familientradition seit 1790.
Groentenmarkt 3, 9000 Gent
Tel.: +32/(0)9/225 83 36
www.tierenteyn-verlent.be

Brauerei Gruut
In der moderne Stadtbrauerei werden fünf verschiedene Biersorten gebraut. Das Besondere: Inhaberin und Braumeisterin Annick De Splenter setzt dabei auf eine streng geheime mittelalterliche Kräutermischung statt auf Hopfen.
Grote Huidevettershoek 10, 9000 Gent
Tel.: +32/(0)9/269 02 69
www.gruut.be

Etablissement Max
1839 wurden hier die Brüsseler Waffeln erfunden. In wunderschönem Jugendstilambiente isst man immer noch die besten Waffeln, mit dem schönsten Blick auf das Genter Wahrzeichen Belfried.
Goudenleeuwplein 3, 9000 Gent
Tel.: +32/(0)9/223 97 31
www.etablissementmax.be

Joost Arijs
Feinste Schokolade und kunstvolle Patisserie von Spitzen-Chocolatier Joost Arijs, der zuvor Chef-Patissier bei 3-Sterne-Koch Peter Goossens im ­Restaurant Hof van Cleve war.
Vlaanderenstraat 24, 9000 Gent
Tel.: +32/(0)9/336 23 10
www.joostarijs.be

Restaurant Vrijmoed
Sehr empfehlenswert: Gleich neben Joost Arijs hat sein Freund (und ehemaliger ­Souschef bei Peter Goossens) Michaël Vrijmoed in einem ­kleinen Art-dé­co-Lokal sein ­Restaurant eröffnet. Auch er setzt auf lokale Topprodukte, pure Aromen und ausdrucksstarke Präsentation.
Vlaanderenstraat 22, 9000 Gent
Tel.: +32/(0)9/279 99 77
www.vrijmoed.be