Reif für die Insel

Testen Sie es vielleicht demnächst selbst: Seit Marco Pierre White, Gordon Ramsay & Co in London die britische Feinschmeckerei revolutioniert haben, ist London eine der Gourmet-Hochburgen der Welt. Und bei der Gelegenheit: Jamie Oliver stammt ja auch von der Insel.

Reif für die Insel

Text von Hans Mahr Fotos: beigestellt
Im Zentrum des gastronomischen Wunders liegt ein kleines Dorf im Nordwesten der Hauptstadt: Bray – eine halbe Stunde vom Flughafen Heathrow und etwa 40 Minuten von London entfernt. Dort kocht Heston Blumenthal auf, ein Autodidakt, der von der Financial Times zum besten Koch Englands ernannt worden ist. Fat Duck heißt das auffrisierte Dorfwirtshaus mit drei Michelin-Sternen, dessen Beliebtheit langfristige Reservierung verlangt.
Heston Blumenthal experimentiert mit Geschmäckern und Aromen und provoziert gerne auch seine Gäste. Senf-Eis und Rotkohl-Carpaccio kommen als Gruß aus der Küche, Schneckenporridge und Sardinen-Sorbet auf Toast folgen. Und das Ganze schmeckt eindeutig besser, als es klingt! Ungewohnt, aber am Gaumen durchaus ansprechend. Ein Kabeljau mit gebratenen Hahnenkämmen, Langustinos mit Schweinsfuß, Kalbsleber mit Chips und Ketchup kommen als Hauptspeise in Frage. Verrückt und "tasty" gleichzeitig die Nachspeise "Smoked bacon and egg ice cream", die wirklich genauso schmeckt!
Wer all dies genießen will, muss allerdings auch tief in die Tasche greifen. 90 Pfund kostet das "Tasting Menu", und die Weinpreise sind auf ähnlich hohem Niveau. Kleiner Tipp: Ein 3-Gang-Menü zum Lunch gibt’s schon zu wohlfeilen 35 Pfund, leider nicht am Sonntag, da gilt nur die normale Speisekarte.
Bei so viel Kreativität verblassen die englischen Kochklassiker Gordon Ramsay (seine französisch-britische Küche verkostet man am besten in seinem Chelsea-Ableger "68 Royal Hospital") und Marco Pierre White (ihm sollte man eine kleine Pause gönnen). Neuer Liebling der Feinschmecker in der Hauptstadt ist Tom Aikens, der als Privatkoch beim Musical-Papst Andrew Lloyd Webber gejobbt hat. Das nach ihm benannte Lokal liegt in einer ruhigen Seitenstraße im Londoner Westen. Mit seinem modisch schwarz-weiß gestylten Design und einem zur Hochnäsigkeit neigenden – manchmal auch überforderten – Service ist das Tom Aikens nicht unbedingt jedermanns Sache.
Optisch ist alles wunderbar anzusehen und im Vorspeisenbereich auch wirklich schmackhaft, von den gerösteten Scallops mit eingelegter Endivie und Karotten-Orangen-Püree bis zur Schweinefleisch-Trilogie aus Rillette, Schweinswürstchen und Blunze. Beim Hauptgang schlägt allerdings die französische Ausbildung, offensichtlich aus der Zeit vor der "Nouvelle Cuisine", durch. Ob Seeteufel in der Kapernsauce, Kabeljau mit Schweinebauch, Taube mit Foie gras oder Spanferkel mit frischen Mandeln – an Butter, Öl und anderen Fetten wird bei Gott nicht gespart. Das Völlegefühl stellt sich relativ bald ein und ist nur durch einen abschließenden doppelten Scotch einigermaßen zu bekämpfen. Und das bei 60 Pfund für ein 3-Gang-Menü …
Lustiger und origineller isst man im Sketch, einer Co-Produktion des französischen Sternekochs Pierre Gagnaire mit einem arabischen Restaurant-Investor gleich bei der Regent Street im Herzen der Hauptstadt. Im Erdgeschoß des zweistöckigen Stadtpalasts aus dem 18. Jahrhundert gibt’s gute Bistroküche, im ersten Stock im "Lecture Room" die große Küche: Foie gras mit Sake, Muscheln mit Knoblauch, Ingwer und Parmesan, drei Arten von Lamm (einmal Lammsattel in Oregano, Lammknödel mit getrockneten Marillen, Lammkotelett in Knoblauchbröseln) und eine Dessertpalette, die in London ihresgleichen sucht.
Doch genug der großen Sternenküche – wenden wir uns dem zu, was London wirklich einzigartig macht: der asiatischen Küche, vor allem indisch, japanisch, pazifisch. Nirgendwo in Europa und nicht einmal in New York ist die Auswahl größer.
Beginnen wir mit dem indischen Subkontinent: Nummer eins ist derzeit das Benares am Berkeley Square, in dem Chef Atul Kochhar eine traumhafte Auswahl von "Best of India" serviert. Kebabs vom Lamm mit Minze und Ingwer, Chicken Tikka in Tomatensauce, Tiger Prawns mit Koriander und – nicht nur für den Vegetarier – scharfe Okra mit Zwiebeln, Karfiol mit Ingwer und Spinat mit indischem Käse.
Wer es mehr "Nouvelle Inde" haben möchte, geht ins Zaika (ein bisschen französisch inspiriert) nach Kensington oder ins Vama (Punjab-Küche aus dem Nordosten) an der Kings Road: Und noch ein Tipp für ein spätes Dinner nach dem Theater: Das St. Martin’s Spice im Theater-District serviert sehr ordentliche indische Küche bis ein Uhr Früh.
Appetit auf japanische Häppchen? Das Nobu im Metropolitan Hotel (jenes, wo Boris Becker, Sie wissen schon …) ist qualitativ besser als das originale in New York, und wer frühzeitig, bis halb sieben, einen Platz an der Sushi-Bar reklamiert, muss nicht einmal reservieren. Für ein kurzes Mittagessen mit Schwerpunkt Nudeln bietet sich die Wagamama-Kette an, 11-mal in London und unter 20 Pfund pro Person.
Fast unglaublich: Ausgerechnet ein Deutscher führt die besten Japaner zum Gourmet-Erfolg. Im hochgehypten Zuma in Knightsbridge und im neuen Roka in Bloomsbury präsentiert Rainer Becker japanische Hochküche, wie man sie selbst in Tokio nur ganz selten konsumieren kann. Sushi- und Sashimi-Kreationen mit Seegras und Kaviar (aber ohne Soja), wunderbar gewürzte Spießchen, auf den Punkt gegarter Fisch in exotischen Saucen, Kobe-Beef vom Feinsten. Im vergangenen November kochte der Deutsch-Japaner übrigens im Salzburger Ikarus auf, die Lobeshymnen der örtlichen Klientel ziehen heute noch Kreise in Österreich.
Dass Australien und die pazifische Küche auch in London immer mehr heimisch werden, dafür hat vor allem der legendäre Sugar Club gesorgt, der aus einer kleinen Quetsche am Nott Hill nunmehr zum Piccadilly Circus umgezogen ist. Samt pan-pazifischer Fusionsküche mit dem Schwerpunkt Fisch und dazu jeder Menge hervorragender australischer Weine zu kulanten Preisen, so dass man so richtig Appetit auf eine Reise ins richtige Australien bekommt.
So dynamisch hat sich das Londoner Küchenwunder entwickelt, dass es selbst vor den legendären Pubs mit dem legendären Lunch-"Fraß" nicht Halt gemacht hat. Der neueste Trend heißt "Gastro-Pub", nichts anderes als Pubs für Feinschmecker, die Atmosphäre genießen und trotzdem nicht verhungern wollen. Die beiden Besten: Anchor & Hope nahe der Waterloo Station (Spezialitäten: Spanferkel und gebratenes Lamm) und The Cow mit herrlich frischen Felsenaustern aus Irland, ordentlicher Mittelmeerküche und so richtig englischen Apple und Blueberry Pies.
Übrigens, das Rindvieh-Pub liegt auf dem halben Weg nach Heathrow und eignet sich vorzüglich für einen sonntäglichen Brunch vor dem Abflug in die Heimat. Um dann zuhause zu berichten, was es in London alles so zu genießen gibt, abseits von Tower Bridge und Westminster Abbey.
Hans Mahr lebt in Köln und Wien. Er arbeitet im Management des TV-Senders RTL. Für A la Carte verfasst er regelmässig die Kolumne "Hot Spots".

Adressen

The Fat Duck, High Street, Bray, Berkshire SL6 2AQ,
Tel.: +44 (0) 1628 580 333 www.fatduck.co.uk

Tom Aikens, 43, Elystan Street, London SW3 3NT,
Tel.: +44 (0) 20 7584 2003 www.tomaikens.co.uk

Sketch, 9 Conduit Street, Mayfair, London, W1S 2XG,
Tel.: +44 (0) 870 777 4488

Benares, 12 Berkeley Square, London W1J 6BS, Tel.: +44 (0) 20 7629 8886

Zaika, No1 Kensington High Street, London W8 5SF,
Tel.: +44 (0) 20 7795 6533 www.zaika-restaurant.co.uk

VAMA, 438 Kings Road, Chelsea, London SW 10 0LJ,
Tel.: +44 (0) 7351 4118

St. Martin’s Spice, 92–93 St Martin’s Lane, London, WC2N 4AA, Tel.: +44 (0) 20 7379 9355

Nobu im Metropolitan Hotel, 19 Old Park Lane, Mayfair, London, W1K 1LB, Tel.: +44 (0) 7447 4747

Wagamama-Kette www.wagamama.com

Zuma, 5 Raphael Street, Knightsbridge, London SW7 1DL, Tel.: +44 (0) 20 7584 1010 www.zumarestaurant.com

Roka, 37 Charlotte Street, London W1T 1RR, Tel.: +44 (0) 20 7580 6464

The Sugar Club, 21 Warwick Street, Soho, London W1B 5NE, Tel.: +44 (0) 20 7437 7776

Anchor & Hope, 36 The Cut, London SE1 8LP, Tel.: +44 (0) 20 7928 9898

The Cow, 89 Westbourne Park Road, Notting Hill W2 5QH, Tel.: +44 (0) 20 7221 5400