Robo-Susie

In naher Zukunft werden Roboter viele unserer Jobs übernehmen, darunter auch Kochen und Service, heißt es. Und was kommt danach?
Das Raucherlokal neu? Wirte als wahre Helden?

Text von Eva Rossmann · Illustration von André Sanchez

Die Wut der Wirte. Von ihr war in letzter Zeit viel zu lesen. Da geht es nicht um die alten Gerüchte, dass es in manchen Küchen wild zugehen soll, fliegende Pfannen und nachgeworfene Fleischgabeln inklusive. Auch nicht um die in Food-Magazinen bisweilen erstaunlich finster dreinblickenden neuen Kochstars. Es geht um … ja. Wir haben es oft genug gehört und auch besprochen. Registrierkassenpflicht samt Generalverdacht der Steuerhinterziehung. (Wie war das? Wer ohne Schuld ist, der werfe … nein, auch da nicht die Pfanne.) Bürokratische Vorschriften und Kontrollen, dass die Ohren rauchen, während immer mehr Herde zu rauchen aufhören. Und apropos: Dazu kommen dann noch die Nichtraucher-Bestimmungen, unser aller Allergene, und, und, und.

Viele würden aufhören, wird orakelt. Tatsächlich kenne auch ich einige, die das überlegen. Verkannt, belastet, geknechtet, sagen sie … vor allem aber wohl ohne Nachfolger. Diese Koch-Service-Samariter-Rettungs­­hund(manchmal samt Schnaps)-Freak-Einheiten, die Billigst-Menüs ebenso liefern sollen wie gesund und frisch Gekochtes aus der Region, wobei alles mindestens so schön aussehen muss wie das Essen im Fernsehen, die werden zunehmend seltener. Ich glaube nicht, dass die nächste Generation bequemer ist, aber sie hat (noch) mehr Möglichkeiten. Arbeitsmäßig. Aber auch freizeitmäßig. Leistung wird anders definiert als in den Jahrzehnten nach dem Krieg.

Wo entwickelt sie sich hin, unsere Gastronomie? Gemeinsam mit der Hotellerie ist sie immerhin einer der wichtigsten Wirtschaftszweige des Landes.

Natürlich gibt es sie noch, die alteingesessenen Betriebe, die auch heute in Generationen denken. Im Enzian in Zürs wurde heuer neunzigjähriges Jubiläum gefeiert. So lange ist das Hotel am Sonnenhang auch im Besitz nur einer Familie. Umgebaut und modernisiert wird, wie bei den anderen Hotels in ihrer Gegend, ständig. Im Sommer ist so mancher Wintertourismus­ort menschenleer und voll mit Kränen. Da geht’s nicht darum, was man mit dem Gewinn der Saison (so es einen gegeben hat) anstellt: Sportwagen, Weltreise, teure Freundin. Da geht’s darum, dran zu bleiben, den Bestand zu sichern. Auf dass die Kinder weitertun und weitertun können. Die Oma wurde fünfundneunzig und bis vor einem Jahr stand sie in ihrer weißen Kleiderschürze in der Küche und hat noch immer mitgearbeitet. Einfach, weil es so ist. Und weil sie es wollte.

Jede Menge Familie ist auch bei einem mit im Spiel, der den Spagat zwischen Tradition und Innovation besonders elegant geschafft hat: Andreas Döllerer, mit Sternen und Hauben und anderen Insignien der Kochkunst ausgestattet, herausgewachsen aus einem traditionell guten Gasthof. Alpin-kreativ-eigenständige Küche, daneben weiterentwickelte Gasthausküche, dazu eine Vinothek mit köstlichen Kleinigkeiten zum Dazuessen, natürlich Übernachtungsmöglichkeiten aufs Angenehmste, eine Greißlerei und, und, und … so geht es auch. So geht es aber nur, wenn man persönlich Vollgas gibt und Glück hat und eben Familie und dann noch großes Talent. „Genusswelten“ nennt er das Gesamtkonzept. Na gut, er ist noch recht jung. Wann, wenn nicht jetzt, sollte er „Welten“ stürmen wollen? Noch dazu, wo im nahe gelegenen Salzburg das Sternbräu, in dem angeblich schon Mozart gerne gesessen ist, seinen Mega-Relaunch als „Gastro-Kosmos“ bezeichnet. Groß ist das Areal jedenfalls. Mozart hätte sich verirrt. Oder er wäre in der „SternLounge“ hängen geblieben, in der man wirklich nette kleine Gerichte bekommt, ohne dass sie dankenswerterweise als „Salzburg-Tapas“ (oder gar „Mozart-Tapas“) bezeichnet werden. Der Wirt des Unternehmens wird als „Geschäftsführer“ bezeichnet. Wessen Geschäfte er führt, habe ich nicht herausgefunden. Jedenfalls hat er einen Magister-Titel. Was soll’s. Ich stehe bisweilen beim Buchinger am Herd und hab einen Doktortitel.

Was kommt, wenn Kleine ohne den großen Traditionshintergrund und persönliches Supertalent wegbrechen? Mein Verdacht ist, dass jene profitieren, auf die die Verordnungen und Vorschriften schon jetzt zugeschnitten sind: eben Business-Leute, die mit einem Wirt oder einer Köchin so viel zu tun haben wie ein Kampfhund mit Buchingers trüffelsuchenden Labrador-Mischlingen. Gastro-Unternehmer. Für mich klingt schon das Wort nach Magenproblemen. Aber die können am ehesten schlucken, was sich Bürokraten und Lobbyisten aller Richtungen ausdenken. Ein lückenloses Kassensystem muss da schon deswegen sein, weil einen die Mitarbeiter sonst betrügen könnten. Und statt selbst zu kontrollieren, ob alles mit der Hygiene gut läuft, ist es da richtig praktisch, einen staatlichen Lebensmittelinspektor zu haben. Buchungsvorschriften, die Mitzi am Herd nicht begreift? Dafür hält man sich einen Buchhalter. Und Steuer­beratungskanzleien braucht man heutzutage ohnehin, egal, ob der Betrieb drei Mitarbeiterinnen hat oder hundertfünfzig. Das Essen … das wird dann schön regelmäßig. Alles immer gleich und vorhersehbar. Je nach Betrieb eben besser oder schlechter. Geschmäcker sind ja auch verschieden. Die einen lieben Matschweckerln, die anderen legen Wert darauf, dass ein Fernsehgesicht von der Speisekarte lacht. Egal, wo der Typ gerade ist. In all seinen Lokalen kann er jedenfalls nicht gleichzeitig kochen. Vielleicht ohnehin eher ein Glück.

Auf der anderen Seite florieren die „Pop-Ups“. Samt coolen Lokalbetreibern, die schon beim Aufsperren wissen, dass sie wieder zusperren. Nix ist mit Aufbau und Dauer. Sternschnuppe statt „Kosmos“-Dimension. Es geht darum, hier zu sein und schnell wieder weg. Vielleicht ein intelligentes Modell, um sich die einen oder anderen Schwierigkeiten zu ersparen. Finanzamtsprüfung? Sorry. Da ist keiner mehr. Arbeitsinspektorat? Die Kellnerin ist längst in Australien und schert Schafe. Was, hier hat jemand vorschriftswidrig geraucht? Wo? Wann? Der Ort des Verbrechens ist längst wieder eine Garage. Und die drei Geländewagen, die stinken, zählen nicht. Niemand braucht sich einbilden, zum Stammgast werden zu können. Nehmt, was ihr jetzt kriegt.

Andererseits: Es muss ja wirklich nicht alles so festgefügt sein. Es darf auch ausprobiert und wieder aufgegeben werden. Und manchmal ist Pop-Up richtig gut. Nein, ich rede nicht von der hundertsten Idee, mit Burger (Hatte jemand schon Känguru-Burger???) Kohle zu machen. Es gibt auch so etwas wie Die Liebe in der Marktwirtschaft, ein ohnehin schon anderes (auf Dauer angelegtes) Restaurant-Konzept, in dem Anfang des Jahres syrische Köche pop-up-mäßig beweisen konnten, was sie draufhaben. Da habe ich nicht bloß gut gegessen (die Küche rund um Syrien und den Libanon ist aber auch richtig spannend), sondern da war es plötzlich ganz selbstverständlich, mit Leuten, die der Krieg zu uns getrieben hat, ins Gespräch zu kommen. Gleichauf. Weil da und dort professionell gekocht wird. Weil die Biographien oft gar nicht so unterschiedlich sind. Weil Gasthäuser eben immer schon Begegnungsorte waren, ganz ohne aufgesetztes Getue.

Aber vielleicht kommt alles ohnehin ganz anders. Denken wir einfach noch weiter in die Zukunft. Die Unternehmensberatung A.T. Kearney untersuchte vor Kurzem, welchen Einfluss Digitalisierung und Automatisierung auf die Zukunft unserer Arbeitswelt haben werden. Viele Jobs, so prophezeit sie, werden 2030 durch Roboter erledigt werden. Unter den „Top 10 der gefährdetsten Berufe“ findet sich auf Platz 3 „Gastronomieservice“. Und auf Platz 6 „Köche/Köchinnen“. Was das für ein Fortschritt wäre! Niemand braucht sich mehr zu überlegen, ob man die weibliche Servierkraft heutzutage noch mit einem gestrigen „Hallo Fräulein!“ anlocken kann. So ein Roboter hat weder Geschlecht noch Gefühle. Wahrscheinlich reicht ein kurzer Pfiff, der nicht einmal übel genommen würde. Und schon spricht man eine Zahl in den humanoid gestalteten Befehlsempfangsteil und wenn man deutlich genug war, dann bringt einem das High-Tech-Wunder auch das Gericht, das man auf der digitalen Speisekarte mit 3-D-Fotos bestellt hat. Und was, wenn der Zukunftsgast an einer Sellerieallergie leidet? Oder schlicht und einfach Reis hasst, obwohl er als Beilage vorgesehen wäre? Robo-Susi bringt dann einfach ein Gericht, bei dem kein Zeller oder kein Reis einprogrammiert ist. Pech, wenn man auch das nicht mag. Aber wahrscheinlich kann man es zurückschicken und derdiedas Roboter hat je nach Bedarf heiße oder kühle Hände. Nur wenn zu viel herumbestellt wird, und mehrere neue Serviereinheiten unterwegs sind, könnten beim Programmieren vergessene gastronomische Chaossituationen Irritation, Durcheinander, ziellos herumrollende Robos, sogar durchgeknallte Schaltkreise auslösen. Eigentlich ohnehin so wie jetzt hin und wieder auch. Nur eben ohne Menschliches.

Und dann erst die Roboter-Köche … Manchen baut man den Gefrierschrank wahrscheinlich gleich ein, samt dazugehöriger Scherenhand zum Aufschneiden der Packungen. Nichts wird mehr zu dunkel, jedes Schnitzel ist exakt gleich groß und wird exakt fünf Minuten im exakt immer gleich heißen Fett gebraten. Kein Koch beschwert sich, weil die letzte komplizierte Bestellung erst zehn Minuten nach Küchenschluss kommt. Weil es ohnehin keine komplizierten Bestellungen mehr gibt. Und weil Robo-Andi nicht darauf programmiert wurde, sich zu beschweren.

Aber Ähnliches hat sich ja auch schon Woody Allen ausgedacht. In „Der Schläfer“ wacht Miles Monroe, Jazz-Musiker und Besitzer des vegetarischen Restaurants Zur glücklichen Karotte, zweihundert Jahre später aus einem künstlichen Tiefschlaf auf. Und ist in einer sehr veränderten Welt. Für perfekten und sauberen Sex gibt es einen Apparat. Der Instant-Pudding wächst zu ungeheurer Größe und breitet sich renitent über die ganze Zukunftsküche aus. Und dann erfährt Miles auch noch, dass gesättigte tierische Fette inzwischen als überaus gesund erkannt worden sind. Auf diesen Schock hin bietet man ihm eine Zigarette an.

„Ich bin Nichtraucher!“, ruft er erschrocken und bekommt zur Antwort: „Es ist Tabak. Mit das Gesündeste für den Körper, das es gibt!“

Vielleicht werden spätestens dann Raucherlokale wieder obligatorisch. Und kurz danach Wirte endlich zu anerkannten Helden.

Eben erschienen:
Eva Rossmann
Fadenkreuz
Gebunden, 271 S.
€ 19,90
ISBN 978-3-85256-668-9
Eva Rossmann war Journalistin, ehe sie mit den Mira-Valensky-Krimis zur Bestsellerautorin wurde. Daneben arbeitet sie als Köchin in Manfred Buchingers Gasthaus Zur Alten Schule.