Russlands neuer Gourmet-Boom

Moskau mausert sich zunehmend als die neue Gourmet-Metropole im Osten. Im Trend ist vor allem asiatische Küche sowie Fisch und Meeresfrüchte in ungeahnter Top-Qualität.

Russlands neuer Gourmet-Boom

Text von Hans Mahr Fotos: beigestellt
Der berüchtigte russische Mayonnaise-Salat, Bortsch und Kaviar mit einem Schluck Wodka zum Drüberstreuen – das war vor zehn Jahren das höchste der Gefühle im post-kommunistischen Russland. Wer heute gen Osten fährt, der findet mit Moskau und St. Petersburg zwei kulinarische Hochburgen vor, die sich hinter den großen westlichen Metropolen nicht zu verstecken brauchen.
Sie halten das für zu euphorisch? Probieren Sie es doch selbst einmal. Durch die neue russische Oberschicht, wo immer auch deren Reichtum herkommen mag, sind Restaurants zum "Big Business" geworden. Zwei Moskowiter, Andrej Dellos und Arkady Novikov, sind die Beherrscher der Szene. Ein paar Dutzend Restaurants gehören zu ihrem Imperium – und zwar die besten.
Ob russische Küche, ob italienisch, französisch oder asiatisch: Weltweit werden von den beiden die besten Köche "eingekauft" und auf zumindest ein Jahr in die russische Hauptstadt verpflichtet. Das zahlt sich für alle Beteiligten aus. Die Starköche bekommen Stargagen, die Gourmets sensationelles Essen und die Gastronomen ordentliche Renditen. Bevor ich es vergesse: Stellen Sie sich darauf ein, üppige westliche Preise zu zahlen. Denn unter 80 Euro pro Nase für Essen und Wein läuft nicht viel …
Beginnen wir mit der traditionellen, tatsächlich russischen Küche in Russland. Wer einen ordentlichen Rote-Rüben-Bortsch, Pelmenis (russische Ravioli, gefüllt mit Fisch, Fleisch oder Pilzen) und das beste Beef Stroganoff in der Stadt genießen will, geht ins "Cafe Pushkin". Kein Kaffeehaus, sondern ein zaristischer "Ess-Palast", bei dem auf drei Ebenen serviert wird. Ein Bistro im Erdgeschoß, 24 Stunden geöffnet, im ersten und im zweiten Stock das Restaurant. Vom kunstschmiedenen Aufzug bis zu den alt-russischen Lampen und der Uniform der Kellner wirkt alles wie aus längst vergangenen Tagen – und ist doch nur "Fake". Nichts im "Cafe Pushkin" ist nämlich echt, alles den alten Zeiten nachempfunden, aber trotzdem stimmig.
Allerdings ist die Küche authentisch, und darauf kommt es ja letztlich an.
Wenn Sie es etwas rustikaler lieben, dann kann man das "Godunow" am Theaterplatz empfehlen. In einem Gewölbekeller werden russische Köstlichkeiten inklusive Kaviar serviert (der rote ist wirklich günstig!) und bei Bedarf musizieren auch einige verkleidete Kosaken. Wirklich originell geht’s allerdings 9 km außerhalb von Moskau in einer umgebauten Datscha zu. Im "Tsarskaya Okhota" (was auf Deutsch so viel heißt wie "Zarenjagd") wird zwischen Bären- und Wolffellen vor allem Wild serviert. Bärensteaks, Wildenten, Hirsch und Reh. Zugegeben, das Ganze ist vom Kitsch her etwas gewöhnungsbedürftig. Aber wer mit Freunden einmal so richtig russisch feiern will, findet keinen besseren Platz in und um Moskau.
Um beim "Originellen" zu bleiben: Das beste georgische Wirtshaus ist das "Genatsvale", wo Knödel, Huhn in Walnuss-Sauce und ein georgischer Rindfleischeintopf serviert werden. Auch das "Uzbekistan" bringt etwas fernöstliche Stimmung, auf riesigen Divans und wunderschönen Teppichen kann man bei Pilaw-Reis und Lammcurry sogar Bauchtänzerinnen bewundern.
Für mich die Nummer 1 im Gourmet-Fach ist das "Vogue Café", eine gemeinsame Kreation des Condé-Nast-Verlags und des vorher erwähnten Restaurateurs Novikov. Hier können Sie die schönsten Menschen von Moskau treffen. Models und solche, die es noch werden wollen, Medienleute und Wirtschaftskapitäne nippen im vorderen Café-artigen Teil an Champagner und lassen sich im stylishen Restaurant mit Tuna-Salat, Lachsmedaillons mit Teriyaki-Sauce, Babylammstelze in Rosmarin und Passionfruit-Crème brûlée verwöhnen. Ähnliche Qualität gibt’s im "Carré Blanc", auch in der City, das mit Lobster-Ravioli, Jakobsmuscheln auf Foie gras und Ente in Orangensauce protzt. Die Sommerterrasse im Garten ist ein Traum und hat sogar Giorgio Armani bei seinem letzten Besuch gefallen.
Wer auch in Moskau nicht auf italienische Küche verzichten will, kann in Präsident Putins Lieblingslokal "Mario’s" mit dem Besitzer sogar deutsch sprechen. Schließlich hat der jahrelang in Stuttgart gelebt und serviert Italo-Küche wie bei Mama. Vor allem bei den Risotti und bei Fisch spielt Mario sein Können aus.
Denn, man kann es gar nicht fassen: In Moskau sind die besten Meerestiere frisch und immer vorrätig. Eingeflogen wird aus Paris oder aus Tokio, und die knackigen Garnelen kommen von der fernöstlichen Halbinsel Kamtschatka. Wer Fisch in Reinkultur will, der sollte übrigens das "Market" aufsuchen. Wie auf einem Marktstand werden dort auf der einen Seite Fisch (vom Petersfisch über Steinbutt, arktischem Saibling bis hin zum "fatty tuna" als Sashimi) und Krustentiere auf Eis und auf der anderen Seite das frische Gemüse in kleinen Körbchen platziert. Einfach draufzeigen, sagen, wie das ganze zubereitet werden soll, und genießen!
Besonders liebt die neue russische Elite die asiatische Küche, und da besonders alles Japanische. Wie Schwammerln nach dem Regen schießen die Sushi-Bars aus dem Boden, und zwar in beachtlicher Qualität. Die zwei besten Japaner können es mit jeder Konkurrenz in London, Paris oder New York aufnehmen. Das "Seiji" und das "Riqui" liefern nicht nur Sushi und Sashimi, sondern Sukiyaki, Shabu-Shabu und Kobe-Beef für alle, die es sich leisten können. Und wundern Sie sich nicht, wenn vor einem der privaten Gästezimmer mehrere Herren mit einem ausgebeulten Jackett sitzen. Sicherheit wird von den Gourmet-Oligarchen groß geschrieben …
In St. Petersburg geht’s im Vergleich etwas bescheidener zu. Zwar ist auch im Norden die kulinarische Szene erwacht, aber mit der Hauptstadt Moskau kann sie sich nicht vergleichen. Das beste Restaurant in der Stadt ist sicher das "Dvorianskoe Gnezdo" (auf Deutsch: "Adels-Nest"), das in einem echten Palast untergebracht ist. Und zwar dort, wo vor vielen Jahren der wahnsinnige sibirische Mönch Rasputin ermordet worden ist. Heute geht es bei Austern, Fisch und Wild vergleichsweise zivilisiert zu. Nicht entgehen lassen sollte man sich am Schluss des Dinners den "Royal Café", der mit Bunsenbrennern in großen, antiken Gefäßen direkt am Tisch zubereitet wird.
Ein Geheimtipp für die kleinere Brieftasche: "1913", ein gemütliches kleines Restaurant hinter dem Marinsky Palast, verfügt über eine gigantische Menü-Karte und gigantische Portionen traditioneller russischer Küche zu moderaten Preisen.
Auch wenn’s ein bisschen ans Geld geht, die berühmte "Kaviar-Bar" des Grand Hotel Europe sollte man sich bei einem Besuch in St. Petersburg nicht entgehen lassen. Nirgendwo gibt’s mehr Sorten von Kaviar und mehr Auswahl beim Wodka – und nirgendwo schmeckt er auch besser.

Adressen

MOSKAU
Cafe Pushkin, Tverskoy Bulvar 26,
Tel.: 007/095/229 55 90
Seiji, Komsomolskiy prospekt 5/2,
Tel.: 007/095/246 76 24,
Vogue Café, Uliza Kusnezkij Most 7/9,
Tel.: 007/095/923 17 01
Genatsvale, Ulitsa Ostozhenka 12/1,
Tel.: 007/095/202 04 45
Godunow, Theatralnaja ploschad 5,
Tel.: 007/095/298 56 09
Tsarskaya Okhota – Royal Hunting,
Shpalernaya ul. 44b, Tel.: 007/095/273 58 13
Mario’s, Ulitsa Klimashkina 17,
Tel.: 007/095/253 63 98
Market, Ul. Sadowaja-Samoteschnaja 18,
Tel.: 007/095/209 41 31
Riqui, Prospekt Mira 26, Gebaeude 8,
Tel.: 007/095/937 88 03

ST. PETERSBURG
Dvorianskoe Gnezdo, Ulitsa Dekabristov 21,
Tel.: 007/812/312 32 05
Kaviar-Bar im Grand Hotel Europe,
Mikhailovskaja st. 1/7
1913, Voznesenskiy pr. 13/2, Tel.: 007/812/315 51 48