So schmeckt das „neue“ Brasilien

Brasilianer waren schon immer stolz auf ihren Fußball, Samba und Karneval. Seit kurzem sind sie es auch auf ihre neue „Bossa Nova“.

Text von Manuel Meyer Foto: Sergio Coimbra

Hätte die Fußball-Weltmeisterschaft nicht in diesem Sommer, sondern vor zehn Jahren in Brasilien stattgefunden, das Panorama für fußballbegeisterte Gourmets wäre trist gewesen. Pizzerias, Churrascarias mit dicken Steaks und Kilo-Restaurants dominieren zwar auch heute noch die Restaurantszene. Doch begrenzen sich in Brasilien Gaumenfreuden heuer nicht mehr auf die italienische und französische Küche einiger Luxusrestaurants, die damit werben, die verwendeten Produkte aus Europa importiert zu haben.

Heute verzaubert im Land des WM-Gastgebers eine neue Generation junger Küchenchefs mit exotischen Aromen und modern interpretierten traditionellen Gerichten aus heimischen Zutaten. „Die Zeiten, in denen sich unsere Küche auf den Bohneneintopf Feijoada und Grillfleisch beschränkte, sind endgültig vorbei“, versichert auch Felipe Schaedler. Der 25-jährige Küchenchef stellt das in seinem Restaurant Banzeiro in Manaus mit seiner indianisch geprägten Regenwaldküche auf hohem Niveau eindrucksvoll unter Beweis.

„Gerade hier am Amazonas haben wir eine Vielfalt von exotischen Produkten, mit denen wir Besucher wie Einheimische kulinarisch überraschen können“, sagt Felipe, während er Carpaccio aus grünem Kakao, Pupunha-Palmherzen und geröstetem Pirarucu, einem schmackhaften Amazonasfisch von bis zu zwei Metern Länge und 80 kg Gewicht, zubereitet.

Regelmäßig zieht Felipe mit Brasiliens international bekanntestem Starkoch Alex Atala in den Regenwald bei São Gabriel de Cachoeira. Sie sind bei den hier im Grenzgebiet zu Kolumbien lebenden Indianerstämmen ständig auf der Suche nach neuen Produkten, Zutaten, Rezepten und Zubereitungstechniken, die ihrer Regenwaldküche einen einzigartigen Geschmack geben können.

„Hier gibt es beispielsweise an die 40 Chili- und Pfeffersorten, von denen noch nicht einmal die Leute aus Manaus gehört haben“, meint Felipe. Erst vor wenigen Monaten haben Indianer ihm eine in der Zivilisation bisher vollkommen unbekannte, essbare Pilzsorte gezeigt, die er seit kurzem mit exotischen Amazonasblüten in seinem angesagten Spitzenrestaurant serviert. „Ich verstehe gar nicht, warum wir Köche so lange die Möglichkeiten ignorierten, die der Amazonasurwald uns bietet“, sagt Felipe, der auch gerne mit kakaohaltigen Cupuaçus, tropisch-süßsauren Bacuris und herben Camu-Camu-Früchten kocht. Derzeit werden lediglich 15 der rund 120 Regenwaldfrüchte überhaupt industriell angebaut und verkauft.

In unseren Gefilden kennen die meisten Menschen an Amazonasfrüchten gerade einmal Ananas, Mangos, Papayas und Maracujas. Felipe Schaedler und Alex Atala verwenden jedoch bereits seit Jahren auch Pitanga, Taperebá, Açaí-Beeren und das nach Gummibärchen schmeckende Guaraná in ihrer Küche.

Auch exotisches Amazonasgemüse wie Arakacha oder Magarito kommen bei Alex Atala auf den Teller. „Ich verwende gerne Priprioca in meinen Gerichten. Es handelt sich um eine sehr aromatische Amazonaswurzel, die bisher nur in der Parfüm- und Pharmaindustrie benutzt wurde“, erklärt Alex Atala, der sich mit seiner Amazonasküche, ungewöhnlichen Produkten und einem Mix aus europäischen und indianischen Zubereitungstechniken auf den siebten Platz im Ranking des „San Pellegrino World’s 50 Best Restaurants“ gekocht hat.

In seinem Spitzenrestaurant D.O.M. in São Paulo, das in diesem Jahr erneut zum fünften Mal in Folge zum besten Restaurant Südamerikas gewählt wurde, kann man den ehemaligen DJ-Punk in der offenen Küche über die Schulter schauen, wie er Amazonasblumen-Ceviche mit indianischen Honigsorten oder Wildschwein mit Maniok, Chili und Kochbananenpüree zaubert. Er benutzt „geschwärzte Kräuter“ und wendet Nixtamalisations-Verfahren zur Verarbeitung seiner seltenen Mais- und Maniokarten an.

Das exotische Amazonas-Degustationsmenü im D.O.M. wird zur Abwechslung immer wieder mit Gerichten wie Palmherzen und Jakobsmuscheln in Korallensauce oder Austern mit karamellisierten Cupuaçusstreifen in einer Whiskey-Mango-Sauce mit Kaviar durchmischt.

Amazonas-Ameisen auf Ananas
Die Stars im edlen, aber leger gehaltenen D.O.M. sind allerdings die Saúva-Ameisen. Es handelt sich um große, bräunliche Amazonasameisen, die einen natürlichen Geschmack nach Zitronengras und Ingwer haben. Es dürfte sich dabei um einen für Menschen vollkommen unschädlichen Abwehrstoff gegen natürliche Feinde wie Vögel oder Ameisenbären handeln, meint Atala, der sie auf frischer Amazonasananas serviert. Brasiliens Dschungelkoch, den René Redzepi vom Noma, als einen „Giganten unter den Spitzenköchen“ bezeichnete, lernte die schmackhaften Ameisen beim Volk der Baré-Indianer kennen.

Es war Ferran Adrià, der ihm riet, sich seinen brasilianischen Wurzeln zuzuwenden und regionale Gerichte zu verfeinern, anstatt europäische Küche nachzuahmen. Atala, der bereits mit 18 Jahren nach Europa kam, als Tellerwäscher in Restaurants anfing und schließlich von Spitzenköchen wie Jean-Pierre Bruneau und Bernard Loiseau die hohe Kunst des Kochens erlernte, wurde nach seiner Rückkehr nach Brasilien mit dieser Strategie zum Vater einer neuen zeitgenössischen südamerikanischen Küche.

„Wir haben Alex viel zu verdanken. Er hat es geschafft, mit seiner Küche nicht nur eine weltweite Aufmerksamkeit auf die kulinarische Szene unseres Landes zu lenken, sondern auch uns junge Köche zu motivieren, die Stärke der kulinarischen Wurzeln Brasiliens zu sehen, wenn man sie modern interpretiert“, meint Alberto Landgraf.

Wie Rio de Janeiros junger Starkoch Felipe Bronze, der in seinem Restaurante Oro eine sehr avantgardistische Carioca-Regionalküche kreiert, gehört auch Landgraf jener Generation junger brasilianischer Köche an, die von vielen bekannten Küchenchefs und Gastronomiekritikern wie Alexandra Forbes bereits als Brasiliens „kulinarische Bossa Nova 2.0“ bezeichnet werden. Bei der „Bossa Nova“ handelte es sich um eine Bewegung von Musikern und Filmemachern, die während der starken gesellschaftlichen Umwälzungen im Brasilien der 50er und 60er Jahre neue Formen und Ausdrucksweisen auf ihrem Gebiet suchten. Mit neuen Ausdrucksweisen kocht auch Alberto Landgraf heute in seinem Spitzenrestaurant Epice im Zentrum São Paulos Pupunha-Palmen mit gegärter Birne und Jataí-Honig oder brät blumenübersäte Sardinen mit Zitronenpüree.

Atala gab der brasilianischen Küche international ein Gesicht, war in Brasilien aber keineswegs der erste Koch, der sich regionaler Wurzeln besann. Der vor kurzem verstorbene Chefkoch Paulo Martins aus Belém beglückte seine Gäste schon vor Jahren mit amazonischen Tambaquifischen, Enten in Bittermanioksaft, Shrimps auf süß-sauren Bacuri-Früchten und zarten Wasserbüffelfilets mit Jambú-Gemüse. Tochter Daniela führt als neue Chefköchin die Tradition des Vaters seit heuer exzellent fort.

Zu den Pionieren modern umgesetzter Regionalküche zählt auch César Santos in Olinda bei Recife. Sein fröhliches, kunterbuntes Restaurant Oficina do Sabor gehört zu den besten Brasiliens und hat viele junge Küchenchefs von heute animiert, ihre regionale Küche auf hohem Niveau zu verfeinern. „Es kann gut sein, dass ich eine Teilschuld daran habe, dass regionale Gerichte in Brasilien den Weg aus den Privatküchen in die Spitzenrestaurants gefunden haben“, gesteht Santos mit einem Lachen ein, während er seine Spezialität serviert: köstliche Krabben in frischer Mango-Maracuja-Creme, gekocht in Kokosmilch und im Kürbis serviert. Auch sein Lammkarree in Tamarindensauce mit Bananenpüree und Caju-Kastanien-Reis ist eine köstliche Hommage an die pernambucanische Regionalküche.

„Noch vor wenigen Jahren gingen Brasilianer ins Restaurant, um französisch oder italienisch zu essen. Heute suchen sie gute, zeitgenössisch verfeinerte Regionalküche“, meint Santos. Ein gutes Beispiel dafür ist das trotz seiner Lage angesagte Restaurant Mocotó in São Paulo, in dem sich der 30-jährige Spitzenkoch Rodrigo Oliveira ebenfalls der nordöstlichen Regionalküche aus Pernambuco widmet. Obwohl sich sein eher rustikales Restaurant weitab vom Zentrum befindet, setzten sich bereits sogar berühmte Chefkochs wie Ferran Adrià oder Joan Roca eine Stunde ins Taxi, um Oliveiras luftgetrocknetes Rindfleisch zu kosten, das der junge Koch 24 Stunden lang Sous-vide gart.

Tereza Paim und Beto Pimentel aus Salvador de Bahia haben ebenfalls maßgeblich zur ansteigenden Popularität der brasilianischen Regionalküche auf hohem Niveau beigetragen. Sie sind der Beweis, dass in Salvador, dem ehemaligen Hauptumschlagplatz afrikanischer Sklaven, das „schwarze Herz“ Brasiliens auch in der Küche schlägt. Wie süß, scharf, farbig und bunt Salvadors afrikanisch geprägte Regionalküche ist, zeigt Tereza Paim in ihrem Sterne-Restaurante Casa de Tereza. Ihre Spezialität: „Moquecas“, ein Fisch- oder Meeresfrüchteeintopf mit Tomaten, Paprika und Koriander, der in Kokosmilch und Palmöl gekocht wird.

Auch die junge Küchenchefin Ana Luiza Trajano sucht unermüdlich nach unbekannten Wurzeln, Früchten und Gemüsesorten, um sie mit alten regionalen Rezepten modernisiert zu verfeinern. Dabei konzentriert sie sich jedoch keineswegs auf eine Region. „Die Stärke und Kraft der brasilianischen Küche liegt in ihrer immensen Vielfalt“, erklärt die sympathische Spitzenköchin, während sie einen Kraken-Tintenfisch-Salat mit frischen Caju-Nüssen zaubert. In ihrem Restaurant Brasil a Gosto in São Paulo widmet sie sich alle paar Monate den Spezialitäten einer anderen brasilianischen Region. Die Auswahl ist groß: Während Gerichte aus dem Norden des Landes meist starke tropisch-indianische Einflüsse haben, stehen an der 7.000 km langen Küste Brasiliens hingegen Fisch- und Meeresfrüchte im Mittelpunkt, die auf süßer Kokosnuss-Basis oder im Nordosten in der Tradition scharfer afrikanischer Zubereitungsarten serviert werden. Die deftige portugiesische Kolonialküche hat unterdessen besonders die Regionalküche im Landesinneren geprägt. Von den Portugiesen stammen neben zahlreichen Schweinefleischgerichten auch viele Dessertrezepte und Zubereitungsarten von Stockfisch.

Die Regionalküche im Süden Brasiliens wird von der Grill-Tradition der Gaucho-Viehtreiber geprägt, die an der Grenze zu Uruguay und Argentinien in den Pampas Fleisch auf offenem Feuer garen. „Das einzige Produkt, das vielleicht alle brasilianischen Regionalküchen verbindet, ist die Maniokwurzel, die allerdings über 200 Unterarten besitzt“, erklärt Küchenchefin Ana Luiza Trajano.

Durch ihre Experimentierfreude und jugendliche Ausstrahlung wurde Ana Luiza in den vergangenen Jahren zur landesweit bekanntesten TV-Köchin. Diese Position nutzt sie, um die selbst für viele Brasilianer noch unbekannte Vielfalt der brasilianischen Regionalküchen populärer zu machen. „Wir haben wunderbare Produkte und Köche. Doch in Brasilien erkennt man erst jetzt nach dem großen internationalen Erfolg in Peru, dass die Küche eines Landes auch ein touristischer Magnet sein kann“, versichert ebenfalls Spitzenköchin Helena Rizzo. Sie spricht von der Aufbruchsstimmung, die trotz vieler sozialer Probleme in ihrem südamerikanischen Boomland herrscht, und die sich auch in der Küche widerspiegelt.

Beste Köchin der Welt
Dabei ist das 35-jährige Ex-Model selber der Grund dafür, dass die internationalen Lobeshymnen auf Brasiliens Kochkunst immer lauter werden. Mit ihren Arakacha-Nhoques, Kraken-Fideuás und Ceviche aus Caju-Kastanien kochte sie sich wortwörtlich an die Spitze unter den Frauen ihrer Zunft. Ende April wurde sie in London im Rahmen der Preisverleihung der „World’s 50 Best Restaurants“ zur besten Köchin der Welt gekürt. „Natürlich bin ich stolz auf diese Auszeichnung, auch wenn sie sehr subjektiv ist. Aber den Preis haben wir als Team gewonnen, nicht ich alleine.“
Mit „Team“ meint sie vor allem auch ihren Ehemann, den spanischen Chefkoch Daniel Redondo, mit dem sie 2006 ihr Restaurant Maní eröffnete, das sich binnen kürzester Zeit zu einem der beliebtesten Restaurants São Paulos mauserte und in diesem Jahr auf Platz 36 im Ranking des „San Pellegrino World’s 50 Best Restaurants“ aufrückte.

Beide lernten sich in der Küche des El Celler de Can Roca im spanischen Girona kennen, das 2013 zum besten Restaurant der Welt gekürt wurde, in diesem Jahr aber erneut vom dänischen Gourmettempel Noma an der Spitze abgelöst wurde. „Dani und ich ergänzen uns wunderbar in der Küche. Er ist sehr technisch und traditionell und spielt den Bass in unserer Küche. Ich bin eher wechselhaft, probiere aus und gebe die hohen Töne an“, sagt Helena.

Mit modernsten europäischen Haute Cuisine-Kochtechniken verschmelzen sie im Maní brasilianische mit internationalen Gerichten. Vor allem die spanisch-mediterranen Einflüsse sind dominierend, aber auch immer häufiger japanische Elemente. Ohne Angst kombiniert Helena in ihrem Degustationsmenü brasilianische Küche mit Wasabi-Kartoffelpüree oder Roastbeef mit exotischer Lapsang-Souchong-Tee-Kruste. Foie gras kommen bei ihr als Pralinen mit frischer Guave und einer feinen Haube aus Portwein auf den Teller. Es ist aber vor allem ihre anscheinend grenzenlose Lebensfreude und ihre Leidenschaft fürs Kochen, die ihren Gerichten einen ganz speziellen Geschmack geben. Ihre Kochkünste können sich problemlos mit den Ballkünsten des brasilianischen Fußballstars Neymar messen. Und wer weiß – vielleicht wird die Fußballweltmeisterschaft in Brasilien ja sogar zeigen, dass die Brasilianer mittlerweile besser am Herd sind als am Ball.

Belém

Lá em casa
Av. Boulevard Castilho França
Estação das Docas, Galpão 2
Loja 4 Campina
Tel.: +55/91/32 12 55 88
www.laemcasa.com

Remanso do Bosque
Travessa Perebebui 2350
Tel.: +55/91/33 47 28 29
www.restauranteremanso.com.br

Brasília

Restaurante Oliver
Clube de Golfe
SCES Trecho 2 – Lote 2
Tel.: +55/61/33 23 59 61
www.restauranteoliver.com.br

Manaus

Banzeiro
Rua Libertador 102
Tel.: +55/92/32 34 16 21
www.restaurantebanzeiro.com.br

Recife/Olinda

Oficina do Sabor
Rua Amparo 335
Tel.: +55/81/34 29 33 31
www.oficinadosabor.com

Pontenova
Rua do Cupim 172
Tel.: +55/81/33 27 72 26
www.restaurantepontenova.com.br

Rio de Janeiro

Roberta Sudbrack
Avenida Lineu de Paula Machado 916
Tel.: +55/21/38 74 01 39
www.robertasudbrack.com.br

Oro Restaurante
Rua Frei Leandro 20
Tel.: +55/21/78 64 96 22
www.ororestaurante.com

Salvador de Bahia

Casa de Tereza
Rua Dr. Odilon Santos 45
Tel.: +55/71/33 29-3016
www.terezapaim.com.br

Paraíso Tropical
Rua Edgar Loureiro 98-B
Tel.: +55/71/33 84 74 64
www.restauranteparaisotropical.com.br

São Paulo

D.O.M.
Rua Barão de Capanema 549
Tel.: +55/11/30 88 07 61
www.domrestaurante.com.br

Maní
Rua Joaquim Antunes 210
Tel.: +55/11/30 85 41 48
www.manimanioca.com.br

Epice
Rua Haddock Lobo 1002
Tel.: +55/11/30 62 08 66
www.epicerestaurante.com.br

Mocotó
Avenida Nossa Senhora do Loreto 1100
Tel.: +55/11/29 51 30 56
www.mocoto.com.br

Brasil a Gosto
Rua Professor Azevedo Amaral 70
Tel.: +55/11/30 86 35 65
www.brasilagosto.com.br