So toll schmeckt Österreich

Sebastian Frank zeigt im Restaurant Horváth in Berlin, wie großartig und Avantgarde-like österreichische Küche sein kann.

Text von Christian Grünwald

Das Restaurant Horváth in Berlin-Kreuzberg hat schon viel erlebt. Seit fast hundert Jahren wird hier Gastronomie gemacht, berühmt wurde die Adresse durch das 1973 vom österreichischen Philosophen und Schriftsteller Oswald Wiener gegründete Exil. Die Einrichtung erinnert heute noch an ein Wiener Beisl mit alter Schank und Holzvertäfelung, wobei das gigantisch große Wandgemälde des Berliner Street-Art-Künstlers Jim Avignon für einen prägnanten Kontrast sorgt. Tradition und Moderne oder so. So geht es auch in der Küche zu.

Küchenchef und Eigentümer Sebastian Frank bringt den Geschmack seiner in Österreich verbrachten Kindheit auf die Teller. Er tut dies in einer aufregend radikalen und abstrahierten Form, wie man es nur macht, wenn man schon lange nicht mehr daheim wohnt. Die köstliche Heimatküche mit ganzen gebratenen Fleischstücken samt Saucen voll Fett und intensivem Geschmack, kräftigen Suppen und Gemüse in der Einbrenn lässt ihn nicht los.

Dafür, dass in Österreich so viel Fleisch gekocht wurde und wird, gibt es davon im Horváth bemerkenswert wenig. Im Zweifelsfall spielt Frank lieber mit Gemüse, verweigert sich aber jeder Kategorisierung, will um keinen Preis ins vegetarische Fach gesteckt werden. Vielmehr geht es um eine Gleichstellung der Produktgruppen, was immer dann auch auf die Tageskarte kommt. Sebastian Frank kocht, was ihm sein Bauchgefühl so vorgibt, er ist ein durch und durch intuitiv handelnder Mann. Die damit verbundene Emotion lässt ziemlich einzigartige Gerichte entstehen. Mal kommt er ganz direkt und ohne große Technik und viel Zeitaufwand zum Ziel, mal braucht es von all dem enorm viel.

Absolutes Signature Dish ist der Sellerie im Salzteig, für dessen Entwicklung zur Perfektion Frank etwa drei Jahre gebraucht hat. Die ganze Knolle wird im Salzteig gebacken, danach zwei Monate bei Zimmertemperatur gelagert und jeden zweiten Tag gewendet, damit die noch enthaltene Feuchtigkeit nach und nach verschwindet. Wenn alles gut geht, kann man nach einem Jahr die Kruste aufbrechen und die schrumplige Knolle, die in ihrer Viskosität an Pecorino erinnert, als geriebene Würze verwenden. So werden im Horváth zum Beispiel dünne Scheiben vom gekochten jungen Sellerie serviert – als Hauptgang.

Wie selbstsicher Sebastian Frank unterwegs ist, davon zeugt die Würze jedes hier servierten Tellers. Stets hart an der Grenze des Gewürzpegels, ist dann doch jeder Bissen immer am Punkt. Frank dekonstruiert Gerichte, indem er Geschmack und Textur mit ungewöhnlichen Mitteln erarbeitet. Mit Molekularküche hat das nichts zu tun. Die Wirkung ist in jedem Fall verblüffend. Etwa wenn ein ge­garter Austernpilz zum Fleischersatz für einen Schweinsbraten gerät.

Da kommt als Amuse-Gueule ein Mini-Langos – einfach, perfekt und so gut, dass gedanklich die kindlich verklärten Wiener Pratererinnerungen wieder lebendig werden. Da kommt neben Brot und Butter aber auch noch eine kleine Tasse Erdäpfelschmarren, großzügigst ist braune Butter untergehoben, zudem wurde mit Salz-Röstzwiebel-Pulver gewürzt. So schmeckt Österreich. Da ist eine verblüffend original schmeckende Leberpastete, die aber aus Pilzen hergestellt wird, auch optisch enorm viel hermacht und mit Butterstriezel zu Tisch kommt.

Eine Art von Hauptgang ist die sogenannte Création populaire, wo es um die Sauce aus Zwiebeln und Schweineschmalz geht, die Textur kommt von gedörrten Zucchinis, darauf Essig-Butter-Gelee, Krenblätter, Knoblauchöl und dazu ein frischer Gurkensalat. Was will man mehr? Vielleicht einen „Gang durch den Garten“. Das Gemüse kommt aus dem eigenen Garten, ist roh beziehungsweise punktgenau gegart und wird mit einer Marinade aus rohem Ei, flüssiger Butter und Salz finalisiert.

Da ist der Suppentopf nach Art von Louise Seleskowitz, einer Kochbuchautorin aus dem 19. Jahrhundert, der einerseits an die Sonntagssuppe der Großmutter erinnert, wobei aber im Horváth das lang gekochte Suppengemüse am Teller die Hauptsache darstellt, und dabei durch Fleischaspik eine neue geschmackliche Dimension erhält. Auch das Dessert verblüfft. Ein Stück Pfirsich nimmt im Ofen bei 300 °C die Form eines Kaisergranatenschwänzchens an, dazu kommen eine karamellisierte Krebssauce und Sauerrahmeis.

Atmosphärisch mäandert das Horváth irgendwo zwischen elegantem Restaurant und lässigem Wirtshaus. Hier wird gelacht, gescherzt und das vielfältige Weinangebot genossen. Wenn jedes einzelne Gericht schon so viele Geschichten erzählt, dann hat natürlich auch die Servicetruppe noch einiges dazu beizutragen.

Toll auch, dass das Horváth mit diesem Konzept nach Meinung aller Guides eines der besten Restaurants in Deutschland ist. Einen idealeren kulinarischen Botschafter für die österreichische Küche kann man sich also gar nicht vorstellen.

restaurant-horvath.de

Der ein Jahr lang in der gebackenen Salzkruste getrocknete Sellerie ist das perfekte Würzmittel und die ideale Basis für Sebastian Franks Signature Dish.
© René Riis / Horvath
Mehrheitlich serviert Sebastian Frank Vegetarisches wie etwa eine aus ­Pilzen hergestellte Leberpastete.
© René Riis / Horvath