Unter Strom

Als Gast in einem Restaurant macht man sich über Energiekosten keine Gedanken. Für Gastronomen und Lebensmittelproduzenten sind sie aber derzeit ein brennendes Thema. Über Ruderleiberl in der Küche, heiße Stromfresser und Teigregie. 

Text von Anna Burghardt

Zugegeben, der Ratschlag „Beim Kochen den Deckel auf den Topf geben“ wird im Falle einer ernsten Strom- und Gasversorgungskrise in Europa lächerlich anmuten angesichts der Dimensionen von Faktoren wie ausfallenden französischen Atomkraftwerken, Trockenheit oder Ukraine-Krieg. Dennoch sollten wir, so meinen einige Köche und Bäcker, deren Einstellung zu Energieverbrauch A la Carte beleuchtet, die derzeitige Situation zum Anlass nehmen, unser Verhältnis zu Gas und Strom als selbstverständlichem und leistbarem Gut zu überdenken, und dabei auch Details nicht außer Acht lassen. Gastronomen und Lebensmittelproduzenten sehen sich genauso gezwungen, sich intensiver mit Begriffen wie Kilowattstunde und LED-Wirkungsgrad zu beschäftigen, wie Leute, die nur den Verbrauch eines Singlehaushalts im Überblick behalten müssen. 

Mach das Kühlhaus zu
„Energie hatte ihren Wert komplett verloren“, sagt Heinz Reitbauer vom Steirereck. „Wie Lebensmittel. Diesen Wert müssen wir zurückgewinnen. Und da muss man ganz klar sagen: Der Preis wird uns dabei helfen. Wir werden es schmerzhaft lernen müssen. Energieverschwendung ist heute kein Kavaliersdelikt mehr, wir sind alle extrem abhängig, das muss jedem in der Gesellschaft bewusst sein.“ Als nur ein Beispiel fürs Lernen-Müssen führt er die Kühlhäuser im Steirereck an. „Ich habe meinem Team schon tausend Mal gesagt: Ins Kühlhaus hineingehen und die Kühlhaustür nicht zumachen, weil man eh in dreißig Sekunden wieder draußen ist, ist ein Wahnsinn. Natürlich ist es verständlich, wir laufen ja gefühlt 500 Mal am Tag in die verschiedenen Kühlhäuser.“ Da wartet man eben nicht jedes Mal, bis es eine Sammelbestellung gibt. Das seien aber Dinge, die bei allen Mitarbeitern viel stärker ins Bewusstsein rücken müssen – und nicht nur bei dem, der für den Strom zahlt. 

Auf die hohen Energiepreise reagiert man bisher im Steirereck damit, dass man die Effizienz von Geräten noch mehr als bisher in den Fokus rückt, etwa überlegt, was braucht man wirklich, wo kann man womöglich die Nutzungsdauer verringern, und dass man Gewohnheiten ändert. „Aber eine kochtechnische Umstellung, dass man zum Beispiel sagt, man kocht ab sofort alle Fonds deutlich kürzer – diesen Schritt haben wir, ganz ehrlich, noch nicht behirnt. Wir stellen uns natürlich die Frage, ist es geschmacklich notwendig, etwas so und so lang zu garen? Wir garen in Summe ohnehin eher bei niedrigen Temperaturen, zum Beispiel in Fett, und finalisieren dann auf dem Holzkohlegrill.“ 

Sparen mit Teamgeist
Heinz Reitbauer hat sich schon in den vergangenen Jahren viel mit Energieverbrauch auseinandergesetzt, nicht zuletzt im Zuge des Umbaus des Steirerecks am Pogusch in der Obersteiermark, wo heute unter anderem ein Glashaus mit Kabanen auf mitarbeitswillige Gäste wartet; zudem eine „Schankkuchl“, die auf Dampf als Hitzequelle setzt, und Baumhäuser zum Übernachten in den Wipfeln. Dank baustrategischer Maßnahmen können die Reitbauers auf Energie-kosten verweisen, die bei der dreifachen Fläche gerade einmal etwas mehr als die Hälfte des Restaurants im Stadtpark ausmachen. „Nur dadurch, dass alles neu ist und wir uns mehr damit auseinandergesetzt haben.“ Am Pogusch setzt man zusätzlich auf ein Energiekostenoptimierungssystem namens Sicotronic, das Einsparungsschritte setzt, die für den Benutzer jedoch kaum spürbar sind – oder erst dann, wenn es um die Energierechnung geht: „Das ist ein hochintelligentes System, es taktet Geräte und analysiert, wo man etwas vielleicht statt einer Minute nur 30 Sekunden laufen lassen kann – bei derselben Wärmeleistung.“ In Wien ist es die Küchenmannschaft, die schon länger das Spiel „Wer denkt gegen 21 Uhr als Erster daran, das Tellerrechaud abzudrehen?“ spielt. Solche Dinge als „lustigen Mannschaftsspaß“ zu inszenieren, auf spielerische Art für Energieverbrauchs­bewusstsein zu sorgen, gehört für Heinz Reitbauer genauso dazu wie sich auszurechnen, was die Wärmebrücke in der Küche – „in Summe 15 Laufmeter, alle paar Zentimeter ein Wärmestrahler, jeder mit 250 Watt“ – schon bei den bisherigen Preissteigerungen kostet: 30.000 Euro pro Jahr, „nur dafür, dass die Teller warm rausgehen, mehr ist es ja nicht. Und diese Summe auf zehn Jahre gerechnet? Damit könnte man schon was anfangen …“

Eine solche Wärmebrücke, die fast durchgehend in Betrieb ist, hat eine gleichsam unsichtbare, aber erhebliche Nebenwirkung: Sie heizt nicht nur Teller, sondern auch den Raum auf, was wiederum nach kühlenden Gegenmaßnahmen ruft. „Wir haben in einer Küche eh schon keine Büroatmosphäre, aber ich kann meinem Team wohl schwer sagen: ,Haben wir halt 40 Grad im Sommer.‘“ (auch wenn der Steirereck-Chef alle schön genug für Ruderleiberln hält, wie er mit einem Lachen einräumt). Die Raumklimatisierung kann man in einer Küche also nicht weglassen, aber man kann den Umweg über das Vermeiden unnötiger wärmeerzeugender Energie fahren. Weniger Wärmelampen oder ein zeitlich eingeschränkter Betrieb reduzieren Stromkosten, die für die Klimaanlage anfallen. „Oder auch, ganz simpel: Deckel drauf.“ Da ist sie also doch, die Mikromaßnahme Deckel auf den Topf. 

„Energie hatte ihren Wert komplett verloren.
Diesen Wert müssen wir zurückgewinnen.“ Heinz Reitbauer, Steirereck

Hirn einschalten
Auch in Toni Mörwalds Augen können solche Details durchaus eine Bedeutung haben. In seinen Kochkursen ist (Rest-) Wärmenutzung genauso „ein Riesenthema“ wie für die Küchenteams seiner Lokale in Niederösterreich, wie etwa des Toni M. in Feuersbrunn am Wagram. „Ich steh’ auf schweres Geschirr“, sagt er, auf Gusseisen oder Kupfer, das Wärme lange speichert. Energie nicht den ganzen Tag zu verschleißen, war Mörwald immer schon wichtig, „ich brauche nicht erst eine Energiekrise, damit ich zum Denken anfange“. Seit über dreißig Jahren kocht er nicht mehr auf Gas und setzt Geräte ein, die in der Küche möglichst wenig Raumhitze erzeugen, statt etwa Großfeldkochplatten, „die, wenn man sie abschaltet, noch eine Stunde länger heiß sind – für nichts“. 

Beim Gebrauch von Backrohren und Dampfgeräten reduziert man in den Mörwald-Lokalen bewusst die Garzeiten, um Restwärme zu nutzen, auf dem Herd wird so viel wie möglich mit Deckel gekocht. „Ich sage immer, Kochen mit Deckel spart ein Drittel der Zeit und ein Drittel der Energie.“ Toni Mörwald setzt außerdem auf Induktionsherde, die Hitze nur dann erzeugen, wenn diese gebraucht wird, und das auch räumlich nur punktuell. „Ich bin keiner dieser Phantasten, die den ganzen Tag einen Zehnerkombidämpfer eingeschaltet haben, um darin ab und zu ein Steak zu garen.“ Er schätzt das Einsparungspotenzial in allen Küchen, egal wie groß oder klein, auf mindestens fünfzig Prozent.

Auch für Toni Mörwald ist Umdenken in ­küchenstilistischer Hinsicht, zum Beispiel mehr kalte Speisen auf die Karte zu setzen oder Fonds weniger lang zu garen, bisher kein Thema: „Das ist, glaube ich, kein brauchbarer ­Ansatz.“ In Restaurants sei es aber eine gute (Energie-) Sparstrategie, die Speisekarte zu reduzieren: „Ich möchte nicht von einer kleinen, sondern von einer überschaubaren, attraktiven Karte sprechen.“ Mörwald nennt drei Gründe: Erstens bedeute eine reduzierte Karte weniger Ware, die weggeworfen werden müsse. Zweitens: Je weniger Vorratshaltung notwendig sei, desto weniger energieintensiven Kühlraum brauche es. Drittens: Je weniger Handgriffe insgesamt notwendig seien, desto mehr Energie spare man. „Ich muss ja jedes einzelne Lebensmittel in die Hand nehmen, garen, kochen, pürieren, aufschlagen, sonstwas damit tun. Dafür steht schließlich unsere Branche – Lebensmittel zu veredeln.“ 

„Ich brauche nicht erst eine Energiekrise,
damit ich zum Denken anfange.“ Toni Mörwald

Kochen unplugged
Dass dieses Veredeln von Lebensmitteln für gewisse Anlässe auch ohne Strom und Gas auf hohem Niveau machbar ist, zeigt eine Veranstaltungsreihe von Hannes Müller am Kärntner Weissensee, die ihr Debüt bereits im Jahr 2014 hatte, heute aber aktueller denn je wirkt. Für die erste Ausgabe von Kochen unplugged reisten als Mitstreiter Josef Floh aus dem niederösterreichischen Langenlebarn und Andreas Döllerer aus Golling bei Salzburg an, um mit dem Hausherrn, Chef des Hotels Die Forelle, auf einer Alm hoch über dem See vier Gänge für 60 Gäste zu kochen, ohne dafür eine Strom- oder Gasquelle zu verwenden. Vier Gänge, die freilich nicht banaler sein sollten, als es auch die Gäste ihrer hochdekorierten Restaurants gewohnt waren. „Was ist möglich, wenn wir uns so einschränken?“, hatte Hannes Müller seinen zwei Kollegen als Vorbereitungshausübung aufgegeben. In der Praxis bedeutete das unter anderem, im Licht von über dreißig Stumpenkerzen zu arbeiten, statt des Pürierstabs die Flotte Lotte zur Hand zu nehmen, auf Kohlen zu grillen statt im Backrohr und statt des Handmixers den Schneebesen in Eiweiß zu versenken. 

Ursprünglich war Kochen unplugged eine Charity-Veranstaltung mit Symbolcharakter, sagt Hannes Müller. Er wollte damit unter anderem zeigen, dass der Verzicht, das sich Einschränken zu unserer Zukunft gehört. „Immer wieder auf etwas zu verzichten, bringt uns auf Dauer weiter. Und jetzt sind wir genau da. Jetzt ist das Thema hochaktuell. Wir als Endverbraucher müssen umdenken.“ Um seine Gäste dazu anzuregen, zieht Müller im direkt am Weissensee gelegenen Hotel Die Forelle alle zwei Monate die Stecker in der Küche – anders als auf der Alm bleibt das Licht eingeschaltet. Neben dem alten Holzherd kommen dann außerdem der Holzofen und die „Kistensau“ zum Einsatz, eine isolierte Box, die von oben mit Holz beheizt wird.

Hannes Müller fällt auf, dass jetzt schon ein anderes Bewusstsein für das Thema herrscht als vor dem Beginn des Ukraine-Kriegs und den Atomkraftwirren des heurigen Jahres, „jeder weiß um die Problematik Bescheid“. In Zukunft sollen die stromlosen Abende noch öfter stattfinden, alle zwei Wochen vielleicht. Der Schneebesen gehört mittlerweile zum ständigen Inventar der Veranstaltungsreihe: „Beim stark geheizten Holzherd, wo dir nur so der Schweiß auf der Stirn steht, eine halbe Stunde Schneeschlagen, das hat schon Tradition. Es muss immer irgendwo kleppern.“ 

Die Forelle ist in Sachen Energieversorgung ein Vorbild: In den Sommermonaten bzw. an sehr sonnigen Tagen klappt die Stromversorgung dank der Photovoltaikanlage autark, erst wenn die Sonne weg ist, muss man auf das Netz zurückgreifen – die Speichermodelle auf Basis von Wasserstoff oder Batterien sind derzeit noch immens teuer, sagt Hannes Müller. Geheizt wird mittels Hackschnitzelheizung und Holz aus dem eigenen Wald. Die Heizung ließ sein Vater schon vor dreißig Jahren installieren, „da war er sehr weitsichtig, zu unserem großen Glück“. Diese Kombination aus ­Sonnen- und Holzenergie wird dem Betrieb ­zugutekommen, wenn „mit 1. 1. 2023 das Vierfache des reinen Energiepreises“ auf die Familie Müller zukommt, „noch ohne die ganzen Zusätze wie Ökostromabgabe oder Netzgebühr“. Die größten Stromfresser seien die Waschmaschinen, die Saunen – hier wird man wohl wie in vielen anderen Hotels die Einschaltzeiten reduzieren –, die Lüftungsanlage, die Öfen und der Induktionsherd. Früher habe man fast alles auf dem holzbefeuerten Ofen gekocht. „Den müssen wir wieder viel mehr integrieren, vor allem für Langzeitgargeschichten wie Fonds und Jus. Bei uns ist ja, das mag jetzt komisch klingen, der Stromverbrauch in der Küche durch den Umbau gestiegen.“ 

„Immer wieder auf etwas zu verzichten, bringt uns auf Dauer weiter.
Und jetzt sind wir genau da.“ 
Hannes Müller, Die Forelle

Energieeffizienz beim Bäcker
Für Josef Weghaupt war das Einsparungspotenzial – oder die „Energieeffizienz, das ist mein Schlüsselwort“ – maßgeblich bei der Errichtung der Joseph Brot-Produktionsräume in Burgschleinitz im Waldviertel. Weghaupt führt insgesamt acht Filialen in Wien und Salzburg, einige sind nur Verkaufslokale für Brot und Patisserie, andere haben ein ­angeschlossenes Bistro. Zudem beliefert Joseph Brot Gastronomiebetriebe. 2015 baute Josef Weghaupt die neue Brotmanufaktur, 2016 wurde sie in Betrieb genommen. Sein mit Thermoöl betriebenes Dampfofensystem spart, sagt er, rund 40 Prozent Energie im Vergleich zu Rauchgas- oder Elektroöfen (es war dafür fast doppelt so teuer in der Anschaffung), seine Kühlräume mit ­frequenzgesteuertem Verbundsystem – „klingt kompliziert, ist es aber gar nicht“ – sparen 60 Prozent, „das ist richtig heavy“. Den Anteil der Energiekosten in der Produktion am Bäckereiumsatz beziffert er mit sechs Prozent (Gerhard Ströck nennt für seinen Betrieb drei Prozent). Beide Summen mögen für Nichteingeweihte niedrig klingen, man führe sich ­jedoch vor Augen, was es bedeutet, wenn die Kosten für Energie sich etwa vervierfachen, aber gleichzeitig nicht weniger Personal oder Rohstoffe benötigt werden.

Das Ofensystem von Joseph Brot mit seinen per Thermoöl betriebenen Heizkreisen erfordert, so formuliert es Josef Weghaupt, „sinnvolle Teigregie“, „intelligentes Handwerk“: „Wir backen, wie man es auch früher gemacht hat, immer nur fallend, also mit sinkenden Temperaturen, und ich kann keine Etage einzeln betreuen.“ Ganz oben hat der Ofen höchstens 270 Grad, das passt für das „Joseph Brot“, in den Etagen darunter hat es jeweils 20 Grad weniger, „dort backen wir etwa das ,Altwiener Hausbrot‘ oder das ,Roggen-Honig-Lavendel‘“. Zuletzt ist die Patisserie dran, bei Temperaturen um 170 Grad. 

Dieses energieeffiziente System ohne stromfressende Heizspitzen erfordert einen genauen Plan, wann was und wie viel davon hineinkommt. „Ich kann nicht sagen, oh, jetzt haben wir ein paar Laibe ,Joseph Brot‘ vergessen, die machen wir nachher.“ Bei der Planung hilft das Energieeffizienzzentrum der Manufaktur. „Ich sag dem Ofen, wir backen heute x-mal ,Joseph Brot‘, x-mal ,Altwiener‘ etc. Und das Energieeffizienzzentrum ist so intelligent, das weiß dann, aha, jetzt habe ich ,Joseph‘ abgearbeitet, brauche also heute keine 270 Grad mehr.“ 

Weghaupts schon erwähntes frequenzgesteuertes Verbundkältesystem wiederum erfasst, wenn im Kühlhaus einmal nur acht Kisten Teig zum Fermentieren stehen statt etwa zwölf. „Der Raum wird permanent vermessen, und das ­System sagt dann, ich brauche heute nicht dieselbe Energie, Zieltemperatur erreicht, Hakerl, ich halte nur mehr“, erläutert der Joseph Brot-Chef. Ein anderes Kühlsystem würde „einfach immer volle Wäsch’ reinblasen“. 

Wenn es in Sachen Energieverbrauch um Förderpolitik und Finanzierungsgewohnheiten geht, kann sich Josef Weghaupt richtiggehend in Rage reden. „Die Banken erwarten, dass sich alles in sieben bis zehn Jahren Laufzeit rechnet. Ich brauche aber 21 bis 22 Jahre. Wie soll ich bitte alles richtig machen, die teureren energieeffizienten Systeme kaufen, den Mitarbeitern faire Löhne zahlen und den Lebensmittellieferanten faire Preise – und dann soll es sich aber zur normalen Laufzeit rechnen?“ Vor sieben Jahren, als es um den Bau seiner Produktionshalle ging, sei Energieeffizienz politisch überhaupt kein Thema gewesen. „Aber jetzt haben wir die Krise.“ —

„Wir backen, wie man es auch früher gemacht hat,
immer nur fallend, also mit sinkenden Temperaturen.“ Josef Weghaupt, Joseph Brot