Vom guten Klima

Jetzt reden ja alle übers Klima. Bei uns war das immer schon so. Kaum ein Meeting unter Köchenm und Köchinnen, ohne dass darüber seit jeher gesprochen wurde. Ein „gutes Klima“ ist eben Voraussetzung für vieles. Für Jobs, die man mag, zum Beispiel, für fröhliche Mitarbeiterinnen und, ich bin davon überzeugt, auch für gute Küche.

Text von Eva Rossmann · Illustration von Eva Vasari

Wenn sich etwas „aufheizt“, dann reden wir weit seltener von einer Gemüsesuppe als von einer Gemütslage, gegen die das Ansteigen von CO2-Partikeln so harmlos wie Seifenblasen erscheint. Die Luft kann dick und dicker werden, beinahe zum Schneiden, und bisweilen sollen auch schon Messer geflogen sein. Das zumindest erzählen Köche mit viel Erfahrung. Früher, so prahlen sie in ihren Klima-Meetings am Würstelstand ebenso wie am Rande der Trophée Gourmet, hätte der Souschef den Patis­sier mit der Fleischgabel beinahe an die Wand genagelt, nur durch den mutigen Einsatz einer Bratpfanne sei der Wurf abgelenkt und schließlich in der Wade von Susi am Gardemanger (man nannte ihre Funktion damals noch „Salaterin“, und was man sonst über sie gesagt hat, kann ich hier nicht wiedergeben) steckengeblieben.

Natürlich, wenn jetzt vom Klima geredet wird, dann geht es um die Erderhitzung. Sozusagen dicke Luft ­global. Ich habe für meinen neuen Kriminalroman viel zum Thema recherchiert. Und ich bin immer wieder in der Küche der Alten Schule gestanden, habe geschwitzt und gekocht. Irgendwie glaube ich, dass unsere Klima-Phänomene gar nicht so unterschiedlich sind. Vom Menschen Verursachtes kann die Atmosphäre ver­giften. Und da wie dort gibt es welche, die behaupten, das sei alles ganz natürlich und unvermeidbar. Weil der gottgegebene Testosteronpegel des Souschefs eben ­höher sei als sein Vermögen, sich in einer vernünftigen Diskussion zu behaupten. Was kann er dafür, dass er das tut, was er besser kann? Also Gabeln und Messer werfen statt argumentieren? Und, auf der anderen Seite, was könnten wir daran ändern, dass es CO2 gibt? Hat es immer schon gegeben und ist eigentlich sogar lebensnotwendig. Außerdem: Kühe rülpsen eben Methan. Man kenne Menschen, die nach dem dritten Bier akut Klimaschädlicheres rülpsen.

Nur: Wenn man überleben oder gar gut leben will, dann ist „das Klima“ entscheidend. Trifft übrigens auch auf die aufgeheizte Stimmung in ­unseren sogenannten sozialen Medien zu. Was wird da nicht alles wütend und in ebensolchem Tempo kommentiert, über das man früher nicht einmal eine Meinung gehabt hätte. Weil das Wenigste dieses Spontansondermülls längere Transportwege überlebt hätte. Die große kollektive Empörung via Brief? Nicht vorstellbar. Selbst E-Mails sind dafür zu langsam. Schnell und immer schneller, auch das kennen wir aus der Küche, aber bei uns geht es darum, dass Menschen nicht mit Müll, sondern mit möglichst wohlschmeckender Nahrung versorgt werden. Und: Heiße Luft und Dampf verwenden wir dazu, um Erdäpfel zu garen. Zumindest auch.

Aber zurück zu unser aller Klima, dem der Welt. Da toben momentan regelrechte Glaubenskriege. Klar, es lässt sich auch behaupten, dass die Erde eine Scheibe ist. Warum nicht verkünden, dass die Sonnenwinde an den immer heißeren Sommern schuld sind? Oder irgendwelche verschworenen Verschwörer, die nur so tun, als würde es immer heißer, weil sie damit … was immer sie angeblich damit wollen. Sich verschwören eben. Fakt ist freilich: Der spätere schwedische Nobelpreisträger Svante Arrhenius hat bereits im Jahr 1896 ausgerechnet, dass eine Verdoppelung des CO2-Gehalts in der Atmosphäre zu einer Temperaturerhöhung um vier bis sechs Grad führen würde. Und schon in den Dreißigerjahren des vergangenen Jahrhunderts hat man in der Fach­literatur den Zusammenhang zwischen beobachteter Erderwärmung und CO2-Anstieg durch die Industrialisierung diskutiert. In den Fünfziger­jahren ist dann der Nachweis gelungen, dass die CO2-Konzentration in der Atmosphäre tatsächlich ansteigt und dass sie durch den Menschen verursacht wird. Es gibt eben die Isotopenanalyse. Und die hat gezeigt, dass sehr viele der Kohlenstoffteilchen von fossilen Brennstoffen stammen. In den Siebzigerjahren hat selbst die ­National Academy of Sciences in den USA vor der menschengemachten globalen Erwärmung gewarnt. Es gibt sie eben, die Fakten. Tja. Und jetzt gibt’s ausgerechnet in den USA einen Präsidenten, der glaubt, die Chi­nesen stecken hinter der Klimakrise.

Ich stelle mir vor, wie er gemeinsam mit artverwandten Dumpfbacken à la Bolsonaro und Salvini bis ans ­gedachte Weltscheibenende marschiert und dann runterfällt. Aber leider, nicht alles, was man sich wünscht, geht in Erfüllung. Manchmal steht die Realität dagegen.

Was aber tun? Wenn überhaupt etwas? Es gibt ja Zeitgenossen, die finden, die Erde wäre menschenfrei ohnehin viel netter. Quasi der alte Georg-Kreisler-Song „Wie schön wäre Wien ohne Wiener“ globalisiert … Sie werden den Beweis freilich nicht erleben. Meiner eins findet unsere Rasse trotz seltsamster Erscheinungsformen doch erhaltenswert. Gottes Tierreich ist eben bekanntlich groß, und so soll es auch bleiben. Wir haben es – noch – in der Hand.

Klar gibt’s da jetzt auch die Heilsmissionen, quasi die andere Seite des Glaubenskriegs, Gurus, die ganz genau wissen, was wir zu tun und was wir zu lassen haben. Vegan sollen wir uns in Hinkunft ernähren, sagen … Veganer. Nur das rette die Welt. Weil Kühe und Schafe das Klimagas Methan produzieren und uns unser eigentliches Futter wegessen. Grünzeug eben. Und der ökologische Fußabdruck eines Schweines sei auch viel größer als der einer Sojabohne. Eh klar, die kann nicht davonrennen. Nicht einmal vor einer Klimaretterin. Wobei: Wenn die Sojabohne am amerikanischen Kontinent steht, bewässert, dann industriell geerntet, aufbereitet, verpackt und Tausende Kilometer transportiert wird, dann kann es schon sein, dass sie gegen ein freilebendes Weinviertler Mangaliza-Schwein verliert. Vorausgesetzt, man isst es auch hier. Wirft nichts weg. Und lässt aus dem vielen Fett wunderbaren Lardo reifen.

Apropos regional: Schon länger wird damit geworben, dass bei Gewissen nur auf den (Wirtshaus-)Tisch kommt, was von der nächsten Kirchturmspitze aus gesehen werden kann. Ich glaube ihnen, zumindest bei uns in der Gegend und wenn die nächste Kirche auf einem Hügel liegt. Weil von dort kann man bei gutem Wetter über ganz Wien und sein Umland schauen. Vielleicht ist ja auch das mitgemeint, was in den diversen Großmärkten dieser Region „wächst“. Weil mit dem Salz ist es sonst schwierig. Mit einigem anderen, das unsere arbeitsteilige Gesellschaft hervorgebracht hat, auch. Oder sollte in Hinkunft überhaupt jeder neben dem Lokal seinen eigenen Garten, seinen ­eigenen Bauernhof haben? Ich kenne freilich hervorragende Köche, deren grüner Daumen so unterentwickelt ist, dass bei ihnen selbst Plastikpflanzen welken. Und nicht jeder hat den Elan, die öffentliche Präsenz und die entsprechenden Freunde einer Sarah Wiener, um neben den Restaurants auch noch einen Bio-Vorzeigehof zu betreiben.

Allerdings haben die Missionarinnen und Kirchturmspitzengucker ­natürlich auch recht: Es macht schon etwas aus, ob wir uns kümmern oder mit den Dumpfbacken Richtung Ende der Welt marschieren. Industriefleisch ist schädlich. Fürs Klima, für unsere Gesundheit, für unsere Bauern rundum, die zu solchen Preisen nie produzieren können. Wenn mehr Bewusstsein dafür entsteht, dann wird wohl auch immer mehr Leuten klar, dass gutes regionales Fleisch nicht nur im Luxuslokal (wobei … gerade dort liebt man allzu häufig das Fleisch von weit her, in diesem Fall eben das der Nobelkategorie), sondern auch im Wirtshaus etwas kosten muss. Dafür schmeckt es aber auch nicht wie die Leichen aus dem Tiefkühlschlaf, die schon über den halben Erdball gekarrt wurden. Und auch mehr vom Gemüse und Obst zu verwenden, das gerade nebenan wächst, ist nicht bloß gut fürs Erdklima. Am Land haben wir es da ein wenig leichter – ist ja auch nur gerecht, bei vielem anderen haben wir es ohnehin komplizierter. Zu uns kommt in der Zucchinisaison die Christa Krexner und bringt, was ihre Schwiegermutter und sie gerade geerntet haben. Und wenn ein Jäger ein Reh schießt, und ein zweiter auch, dann gibt es in der nächsten Zeit eben viel Reh auf der Karte. Und Meister Buchinger, den ich hin und wieder für solche Spontanüberschüsse dorthin schießen könnte, wo es kein CO2 mehr gibt, ist eben gefordert, neue Rezepte, neue Kombinationen zu erfinden. So kommt es, dass Zucchini unsere geistige Beweglichkeit fördern. Man könnte natürlich auch daraus einen Glaubenssatz machen. Zucchini erhöhen die Kreativität! Nichts ist eben so schön wie Verallgemeinerungen.

Aber es geht, das Klischee von den korrekten Deutschen erspare ich mir, auch viel genauer als mit unserer Zucchiniphilosophie. Inzwischen gibt es eine App, die, so habe ich in unser aller Internet gelesen, „Gastronomen helfen soll, nachhaltige Menüs zu kochen“. Immerhin entstünden „etwa 15 bis 20 Prozent aller Treibhausgasemissionen in Deutschland bei der Produktion, beim Transport und bei der Verarbeitung von Lebensmitteln“. Mit diesem Programm könnten „Köche den CO2-Wert der Gerichte grammgenau“ bestimmen und ihre Speisekarte klimafreundlich gestalten. Kann es sein, dass mit dem Klimaschutz auch – gute – Geschäfte gemacht werden? Um freilich nicht nur die Kirchturmspitze, sondern die ganze Kirche im Dorf zu lassen: Mir ist das immer noch hundertmal lieber als alle, die mit Umweltzerstörung und Tierfabriken weitaus mehr Kohle machen.

Wobei ich glaube, dass man die gemeinsame Klimarettung auch anders angehen darf. Zum Glück gibt’s in unserer Weltgegend Alternativen. Also sollten wir öfter etwas aus der Umgebung als etwas von weit weg verwenden. Eher weniger Fleisch und mehr Kreatives aus Gemüse, ­Nudeln, Erdäpfeln kochen. Viel öfter Frisches als Tiefgefrorenes nutzen. LED-Lampen werden wir freilich immer noch brauchen, weil Heiligenschein gibt’s keinen dafür. Nur vielfältigere Küche. Und nette Lieferanten. Jäger, die auf ein Bier vorbeikommen. Rinderbarone von nebenan. Und vielleicht einen allgemeinen Beitrag zur dringend notwendigen Entspannung. Fürs „gute Klima“ eben.

Eva Rossmann war Journalistin, ehe sie mit den Mira-Valensky-Krimis zur Bestseller­autorin wurde. Daneben arbeitet sie als Köchin in Manfred Buchingers Gasthaus „Zur Alten Schule“.