Vom schönen Schein der Sterne und Mützen

Warum es vom Kritikerlob bis zum Konkurs manchmal nicht weit sein kann. Und warum sich Topgastronomie und Spitzenfußball in vielerlei Hinsicht so ähnlich sind.

Vom schönen Schein der Sterne und Mützen

Text von Eva Rossmann Illustration: Peter Zolly
Einfach großartig, dieses Lokal: Der Koch, ein Könner, Handwerker und Künstler in einem, dabei immer fleißig, von früh bis spät am Herd. Die Gerichte, da könnte sich so mancher Franzose etwas abschauen bei der Demiglace, vom Mittelstück vom Steinbutt mit sautierten heimischen Morcheln oder dem Türmchen von Rehfilet und Gänseleber gar nicht zu reden. Der Service: immer freundlich, nie muss man länger als zwei Minuten warten, bevor einem die zehn offenen Top-Weißweine erklärt und eingeschenkt werden, auf Wunsch auch bloß sechzehntelliterweise. Und die Preise: wirklich moderat, muss man schon sagen, kaum teurer als beim Wirt ums Eck, aber kein Vergleich. Und wie sorgsam alles angerichtet ist. Die schönen Teller, das schwere Silberbesteck. Das große Menü um 39,–, also wirklich, dort muss man einfach hin. Der Koch soll demnächst in allen Guides aufgewertet werden? Was? Wann ich zum letzten Mal dort war? Man hat ja so viel zu tun. Ein Jahr wird es schon her sein. Und es liegt ja ein wenig außerhalb, wenngleich nicht weit entfernt. Übrigens: Trüffel, sie haben eine wunderbare Quelle für Trüffel, das darf man einfach nicht versäumen … ein Traum!
Ein Traum, hat der Koch gesagt, als er die ersten Auszeichnungen bekommen hat, damals, im ersten, eigenen Gasthaus. Jetzt fragt er sich, ob er ausgeträumt hat. Seine Frau hat vom 14-Stunden-Tag als Sommelière eine Art Permanent-Migräne, seine Tochter studiert lieber Psychologie als zu kellnerieren oder gar daran zu denken, den Laden zu übernehmen. Dem Oberkellner ist es gelungen, dank Fersensporn und der ewig entzündeten Schulter in Frühpension zu gehen, der Patissier, den er eingestellt hat, um bei den Desserts mithalten zu können, spinnt, weil er eine neue Freundin hat, sein Souschef hat ein Angebot von einem Gastronomiekleinkaiser mit zu vielen Lokalen. Der Arbeitsinspektor ist mit den Arbeitszeitaufzeichnungen nicht zufrieden. Alles das und auch das dauernde Magenweh könnte man ja noch wegstecken, aber da ist das bedauernde Lächeln der an sich so netten Steuerberaterin, man habe es ihm doch immer wieder gesagt, es gehe sich einfach nicht mehr aus: die Lohnkosten und die Warenkosten und die Kreditkosten und von Sternen und Hauben könne man sich nichts runterbeißen.
Der Koch überlegt: Er macht weiter, vertraut darauf, dass jetzt endlich all die kommen, die schon immer kommen wollten, die ihm zugeflüstert haben, dass er einfach zu günstig sei, bei seinen Qualitäten doch die Preise anheben könne, ja müsse – um dann ins nächste Dorf auf ein extragroßes, extrabilliges Schnitzel zu fahren. Hofft er, dass aus begeisterten Einmalgästen Stammgäste werden, dass er auch in diesem Jahr wieder bei allen aufgewertet wird, dass er wieder einmal eine Woche im Fernsehen kochen darf? Außerdem sollte er in bessere Tischwäsche investieren, die weißen Leinentischtücher wirken nicht mehr ganz sauber, sie müssen strahlen, Damast, das ist er seinem Ruf schuldig. Und in eine Silberputzmaschine. Das Besteck hat er sich nach den ersten tollen Zeitungsberichten gekauft, aber damals war die Oma noch aktiv und hatte Freude daran, mitzuhelfen. Einen Wintergarten bräuchte er, mehr Plätze, natürlich ist es unter der Woche nicht immer voll, das hat mit der Lage zu tun, aber am Wochenende …
Oder aufhören. Sich geschlagen geben. Kein Konkurs, gerade noch nicht. Was bleibt, sind Auszeichnungen, viel mehr, als er sich je erträumt hätte, auch wenn er schon damals als Lehrling so seine Träume gehabt hat. Aber was dann? Er hat ja nichts anderes gelernt. Als Koch für einen Konzern arbeiten? Oder gar für irgendeinen Menschen mit Geld, der ihm dann erzählen darf, wie die Gastronomie funktioniert? Abhängig sein? Da schon lieber abhauen, ein Jahr auf ein Schiff gehen – aber hoppla, die nehmen keinen über 35.
Vom Dorfwirtshaus zum renommierten Restaurant hat er es gebracht. Mit Fleiß und Einsatz und dem Wohlwollen der Kritiker. Vom gebackenen Kotelett hin zum hausgemachten Trüffellardo.
Es gibt schon welche unter seinen Kollegen, die den Hals nicht voll kriegen können, die ein größeres Auto als ihre Gäste fahren wollen. Der Typ, der sein breites Gesicht in jede Seitenblicke-Seite hält, ist tatsächlich in Konkurs gegangen, kein Wunder. Promis und Medienleute hat er gratis durchgefüttert, Porsche, Rolex, angeblich auch eine junge Freundin. Er kocht immer noch. Sein sauteuer umgebautes Lokal gehört der Bank, vielleicht auch mehreren, aber ein Verkauf brächte den Banken so wenig, dass man ihn weitermachen lässt. Und schließlich essen ja auch Bankdirektoren gerne gut, vor allem, wenn es gratis ist, weil das Restaurant faktisch ihnen – oder zumindest der Firma – gehört. Er will sogar ausbauen. Die Banken sollen es zahlen, geht das Gerücht.
Muss alles wachsen, um gut, um besser zu werden?
Der Koch mit dem traumhaften Lokal samt Trüffellardo und moderaten Preisen ist natürlich ebenso meiner Fantasie entsprungen wie der statusbewusste Pleitier mit Bankverbindung. Oder gibt es ähnlich gelagerte Fälle doch auch in der Realität? Da war doch der, der … und die, die … Der schöne Schein und was dahinter lauert. Darum geht es nicht nur in meinen Kriminalromanen. In meinem zweiten Leben als Köchin habe ich mitbekommen, dass vom Glanz der Sterne und Hauben spät in der Nacht, wenn abgerechnet wird, oft wenig bleibt. Selbst schuld, könnte man sagen, und es besteht ja auch kein Grund zum allgemeinen Gejammer. Aber vielleicht zum Nachdenken darüber, warum – nicht nur in Österreich – gerade hochgelobte und -dekorierte Lokale immer häufiger an den Finanzen scheitern.
Da gibt es diese Restaurant-Shopper, jene, die sich selbst für die Crème de la Crème halten, weil sie sofort in jedem gut besprochenen Lokal sind – und dann weiterziehen mit der Karawane derer, bei denen es eigentlich egal ist, was sie gegessen haben. Hauptsache, sie waren früher dort. Vorsicht ist besonders dann geboten, wenn sie überschwängliches Lob mit Tadel für andere Restaurants verbinden – und wenn sie mit Ratschlägen kommen: Man kenne sich eben aus, Silberbestecke müsse spätestens sein, wenn es um einen Stern gehe und Tierschutz hin oder her, ab einem gewissen Niveau müsse eben Gänseleber auf die Karte. Schon mal ein berühmtes französisches Lokal ohne Gänselebergericht gesehen? Na also. Und die hungrigen Wirte, gierig nach noch mehr Auszeichnungen und fiebrig danach, gewürdigt, gelobt, geliebt zu werden, investieren. Das bessere Besteck, das bessere Geschirr, die besseren Gläser, eine Kraft mehr im Service, ein Koch mehr in der Küche, Luxusprodukte, man will nach oben, man schwitzt und bringt Opfer … und wer nicht ganz so bieder denkt, leistet sich schnell auch noch selbst etwas Luxus, endlich ein Top-Auto, endlich ein Haus, man will mithalten können mit den Gästen und außerdem, auf Leasing geht viel, wann, wenn nicht jetzt in der aufstrebenden Phase. Bei einem 16-Stunden-Tag will man ja auch selbst noch was vom Leben haben …
Also wird eingekauft, je nach Persönlichkeitsprofil mehr für sich oder mehr für das Unternehmen, bloß dass ein Mittelstück vom Steinbutt, wenn keiner kommt, der es essen will, mehr Verlust bedeutet als wenn eine Packung Würstel abgelaufen ist. Vor kurzem erst hat ein Gourmet über die Qualitäten österreichischer Restaurants geschwärmt und gemeint, die meisten seien viel zu billig. Sie sollten ihr Menü um 100,– Euro anbieten, für einen Hauptgang mit einem qualitativ hochwertigen Produkt dürfe schon auch einmal 40,– Euro oder mehr verlangt werden. Sehr lieb. Und sicher gut gemeint. Bloß weit an der Realität vorbei: Gut essen ist zwar in Mode (zum Glück), aber selbst bei der kleinen Schicht, die gar nicht aufs Geld schauen müsste, hat es sich noch nicht durchgesetzt, dass gutes Essen eben auch etwas kostet.
Mit Selbstausbeutung, mit der Ausbeutung von Familienmitgliedern (es wäre sehr interessant zu erheben, wie wenige Top-Lokale ohne Familienbande groß geworden sind), mit Vertrauen auf die Zukunft und noch mehr Lob und Sterne geht viel – aber ob alles geht?
Eigentlich sind Auszeichnungen ja nichts anderes als Anerkennung und Dankeschön für das, was schon da ist, für das, was schon genossen wurde. Wer sagt, dass ein Restaurant mehr wert ist, wenn es Silberbesteck und Gänseleber hat?
Ich gebe ja zu, gerade in meinen Anfangsjahren beim Buchinger habe ich ihn sekkiert und genau nach solchen Dingen wie Silberbesteck (nicht nach Gänsestopfleber, für Folter hab ich auch bei Tieren nichts übrig) gejammert. Es war weniger seine Erklärung, dass er schon genug Silberbesteck für sein Leben gesehen hätte, als ein realer Vorfall, der mich zum Überlegen gebracht hat: Sommer, unser Garten ist gesteckt voll. An Tagen wie solchen braucht man auch die Reservebestecklade. Gut so. Das E-Mail kam einige Tage später. Ein Gast beschwerte sich bitterlich darüber, dass er im Garten eines (!) "Haubenlokals" mit Ikeabesteck habe essen müssen. Das Essen sei zwar ausgezeichnet gewesen, aber man solle es ihm doch nicht durch einen derartigen Affront vermiesen. Worum geht es hier eigentlich? Ist ordentliches Industriedesign (ohnehin nur ausnahmsweise eingesetzt) nicht gut genug? Wäre der gekränkte Gast bereit, entsprechend mehr für ein edles Gedeck zu zahlen? Und: Ist das eigentlich so wichtig? Für wen?
Buchingers Fußballvergleiche in der Küche sind legendär. Mag sein, dass es den einen oder anderen Lehrling schon genervt hat, wenn er (ob Fußballer oder nicht) mit der Bemerkung angetrieben wird, dass man im Strafraum des Gegners auch nicht lange schauen, sondern handeln, schnell sein, schießen müsse. Aber was er vor kurzem gesagt hat, habe ich mir gemerkt: "Die Fußballer benehmen sich schon so, als ob es um die Schlacht bei Troja ginge. Bei uns ist es wie beim Fußball – gerade Spitzenköche nehmen sich einfach schon zu ernst." Kann sein, dass er sich leichter redet als andere. Er hat die Auszeichnungen schon gehabt, braucht sie nicht mehr in diesem Maß. Und lieber als ein Porsche ist ihm sein alter Landrover, da kann auch Hund Herkules ohne Probleme mitfahren.
Und noch eine Parallele zum Fußball fällt mir ein: Fußballklubs kommen dem Aufstieg, dem Meistertitel nahe, glauben, noch bessere Spieler, Trainer, Trainingsbedingungen einkaufen zu müssen, träumen davon, in die internationalen Bewerbe zu kommen, rechnen schon jetzt mit dem Geld, das sich dann dort verdienen lässt, investieren, die Mannschaft schafft es dennoch nicht in die Champions-League, also muss noch mehr investiert werden. Steht kein großzügiger Sponsor dahinter (interessant, dass einer sowohl eine Fußballmannschaft wie auch ein Lokal finanziert), steht am Ende der Konkurs. Ausgespielt. Ausgekocht. Oder zumindest zurück zum Start.
Ein bisschen weniger Kampf und Krampf, ein bisschen mehr Freude am Spiel würden einiges leichter machen. Selbst den Umgang mit Erfolg. Aber das trifft wohl auf das Leben insgesamt zu.