Vorübergehend geöffnet

Die Zeiten sind längst vorbei, als Pop-up-Restaurants einer alternativen 
Hipster-Szene überlassen wurden. Heute bedienen sich Spitzenköche des 
Konzepts, um ihren Starruhm zu verbreiten, und sogar ganze Regionen 
und Länder, um sich als Gastro-Destinationen zu promoten. 
Nur in Österreich ist man noch etwas hintennach.

Text von Georges Desrues · Illustration Myriam Heinzel

Glaubt man René Redzepi, dann gibt es mit einem Pop-up-Restaurant in Sydney kein Geld zu verdienen. Und zwar trotz zahlreicher Sponsoren und eines Menüpreises von 480 australischen Dollar exklusive Getränken. „Der Wareneinsatz pro Menü belief sich auf circa drei Viertel seines Preises, der Rest ging allein für die Unterbringung der Mannschaft drauf“, beteuert der Koch. Nach dem für vier Wochen 
geöffneten Pop-up-Restaurant in Tokio im Vorjahr hatten der Däne und sein Team vom Kopenhagener Restaurant Noma nun also in Sydney 
zugeschlagen. Und zwar auch hier unter beeindruckendem Aufwand.

Inklusive Lebenspartnern und Kindern waren es hundert Personen, die nach Australien geflogen und untergebracht werden mussten. Und dazu tonnenweise Material und Ausrüstung. Geschirr ließ man vor Ort anfertigen, die Küche musste in einem funkelnagelneuen Rohbau neu eingerichtet werden. Dafür zuständig war einer von Redzepis Sous-Chefs, der Deutsche Thomas Frebel, ohne den, wie sein Chef betont, die Realisierung des Projekts kaum möglich gewesen wäre. „Während wir in Japan ein fertiges Set-up vorfanden, in das wir uns haben einpassen können, mussten wir hier alles völlig neu und von null weg aufbauen“, erzählt Frebel – also abgesehen von der Küche auch den Gastraum gestalten und neue Lieferanten finden. Erschwerend hinzu kam, dass das gesamte Viertel rund um den Neubau, in dem das Noma untergebracht war, mitten im Entstehen ist, es also beispielsweise gar keine genaue Adresse gab, zu der man anliefern lassen konnte. „Das Allerschwierigste war aber wohl die Versorgung der Mannschaft“, fährt Frebel fort, „immerhin mussten wir diese hundert Personen irgendwo einquartieren, die Kinder in die Schule schicken und Unmengen an Papierkram erledigen.“

Kein Wunder also, dass der Menüpreis über jenem in der Heimat lag. Und selbst wenn kein Geld übrig geblieben ist: Ausgezahlt habe sich die Übersiedlung ans 
andere Ende der Welt dennoch, beteuert Redzepi. Und zwar aus gleich mehreren Gründen. Da wäre zum einen der Teambildungscharakter eines solchen Pop-up-Restaurants in der Ferne. „Viele junge Mitarbeiter, die bei uns beginnen, sind gewissermaßen erstarrt in Ehrfurcht vor dem Ruf des Noma, vor den arrivierteren Köchen und vor mir selbst. Durch die gemeinsame Anstrengung im Ausland können Barrieren und Berührungsängste abgebaut und die Leute zusammengeschweißt werden“, so Redzepi.

Und dann ist da freilich auch noch die mediale Aufmerksamkeit. Denn berichtet wurde über das sogenannte Nordic Cooking, als dessen Galionsfigur Redzepi selbst gilt, seit Ende des vorigen Jahrzehnts so häufig und intensiv, dass inzwischen kaum noch wer interessiert ist an Artikeln und Reportagen über skandinavische Köche und Restaurants. Auch liegt es wohl im Wesen der Sache selbst, dass die nordländische Umwelt für die typisch naturbezogene Küche der Stars um Redzepi irgendwann an ihre Grenzen gelangt. Nach einem bestimmten Zeitpunkt und einem gewissen Grad der Wiederholung ist es eben einfach nicht mehr originell, mit Birkenrinde, Baumflechte, Moos und Schlehdorn zu kochen oder zu dekorieren. Geschweige denn, journalistisch darüber zu berichten.

Nur allzu verständlich also, dass ein internationaler Star-Koch, sofern ihm die Möglichkeit dazu geboten wird, sein Konzept ins Ausland trägt und dann eben dort die lokalen und ungenutzten Lebensmittel verarbeitet. Noch dazu, wenn diese so exotisch und unentdeckt sind, wie das in Australien mit seiner einzigartigen Fauna und Flora und der Aborigines-Kultur der Fall ist.

Das Konzept des Pop-up-Lokals ist also längst nicht mehr eines, das man ein paar langbärtigen Underground-Köchen überlässt. Und Redzepi ist bei Weitem nicht der Einzige 
unter den international gefeierten Celebrity-Chefs, der sich auf ein derartiges Abenteuer einlässt und es mit höchstmöglicher Professionalität durchzieht. Immerhin steht ja der Ruf des Stammhauses auf dem Spiel. So hat etwa auch Heston Blumenthal bereits im Januar 2015 sein Londoner Fat Duck vorübergehend ins australische Melbourne verlegt. Oder der Amerikaner Grant Achatz sein Chicagoer Alinea Anfang dieses Jahres zuerst in Madrid und später in Miami betrieben, der Spanier Albert Adrià indessen ein Gastspiel in London gerade erst beendet. Und die gleichfalls aus Spanien stammenden Brüder Roca, Betreiber des zum aktuell besten Restaurant der Welt gekürten Celler de Can Roca im 
katalanischen Gerona, haben in den Jahren 2014 und 2015 eine Koch-Tour durch gleich fünf verschiedene Städte absolviert.

Dass die Aufmerksamkeit der Medien zumindest eine der Triebfedern ist, welche die Küchenchefs veranlasst, ein Pop-up-Lokal zu betreiben, ist kein Geheimnis. „Natürlich gehört es inzwischen zum Beruf, dass man den Medien Stoff gibt, über den sie berichten können“, sagt deswegen Redzepi auch ganz offen, „die Journalisten brauchen eben immer neues Material. Zurzeit suchen und warten alle auf das nächste große Ding, das kommende Land oder die nächste Region, die im Zentrum der Aufmerksamkeit stehen wird.“ Hinzu komme, dass ein Restaurantbesuch heutzutage nicht mehr so verstanden wird, wie das in früheren Zeiten der Fall war, fährt der Koch fort. „Vor allem junge Leute sitzen inzwischen bei Tisch und sind zugleich Teil einer vernetzten Community, einer Cloud, der sie live Bericht erstatten und die so auf virtuelle Weise auch teilnimmt an der Mahlzeit. Uns als Köchen und Restaurant-betreibern bleibt gar nichts anderes übrig, als das zu berücksichtigen.“

Vermuten kann man zudem, dass die Übersiedlung und kurzweilige Präsenz in anderen Teilen der Welt auch dienlich ist, wenn es darum geht, Votings für die Reihung in der einflussreichen Liste der 50 besten Restaurants zu gewinnen. Verlangt diese doch von ihren inzwischen 1000 Juroren, in den Lokalen, für die sie stimmen, in den vergangenen 18 Monaten gegessen zu haben. Durch die Übersiedlung steigert ein Restaurant folglich auch die Zahl der Juroren, die es erreicht.

Das Pop-up-Restaurant dient aber ganz offensichtlich nicht einzig und allein dazu, den Nimbus und die Berühmtheit des Kochs in die Welt hinauszutragen, sondern erlaubt es auch dem Gastland, sich im Glanz des Gast-Küchenchefs zu präsentieren. So initiierte etwa das nationale australische Fremdenverkehrsbüro bereits Monate vor der Noma-Eröffnung eine ehrgeizige Promotionskampagne für das Land als Gastro- und Wein-Tourismusdestination. Ähnliches war auch bei der letzten „Madrid Fusion“ zu beobachten, eines alljährlich stattfindenden Kochtreffens in der spanischen Hauptstadt. Dort eröffneten die Roca-Brüder ihren Vortrag mit einem Video, in dem sie selbst bei einer gastronomischen Reise durch Istanbul zu sehen waren. Da die Türkei zudem zu den Sponsoren der Veranstaltung zählte, liegt der Schluss nahe, dass auch dieses Land drauf und dran ist, seinen Fremdenverkehr in naher Zukunft durch Einladungen an Starköche, Journalisten und Blogger zu boosten und seine Kulinarik in den Fokus der internationalen Food-Szene zu rücken.

In Österreich sind die Dinge in diesem Bereich indessen noch weniger fortgeschritten. Weder hat man das Gefühl, dass die heimischen Tourismusbehörden die wirtschaftliche Bedeutung des Gastro-Tourismus in ihrem vollem Ausmaß erkannt haben, noch scheinen die Spitzenköche selbst an dem Wagnis eines Pop-up-Lokals allzu interessiert zu sein. Aber es gibt freilich Ausnahmen. Wie etwa das Gastronomen-Paar Alain Weissgerber und Barbara Eselböck, das vergangenen Herbst ein solches zeitweiliges Lokal im 2. Wiener Bezirk unter dem Titel Zum Tauben Dogen betrieben hat. Verdient wurde allerdings auch dort nichts. „Wir haben gerade einmal die Kosten hereingebracht“, versichert Barbara Eselböck. Dennoch spricht auch die Wirtin von einem Erfolg. „Das Lokal war über sechs Wochen im Winter geöffnet, während einer Zeit also, in der in unserem Stammhaus im Burgenland sowieso eher wenig Betrieb herrscht.“ Zudem bestätigt sie Redzepis Aussagen, dass ein derartiges gemeinsames Unternehmen sehr dienlich ist, was die Bildung von Teamgeist in der Mannschaft betrifft. „Man muss gemeinsam etliche Hindernisse überwinden und Probleme lösen, was den Zusammenhalt mit Sicherheit verstärkt.“ Und natürlich sei die mit einem Pop-up erzielte Aufmerksamkeit auch dem Stammhaus zuträglich.

Und selbst wenn der Weg von Schützen am Gebirge nach Wien ein weit kürzerer ist als von Kopenhagen nach Sydney, so will so ein Umzug dennoch rechtzeitig vorbereitet sein, was in erster Linie an den in Österreich bekanntlich besonders strengen Behörden liegt. „Wir haben gut ein Jahr gebraucht, um die notwendigen Auflagen zu erfüllen und behördlichen Genehmigungen einzuholen, dabei hatten wir es vergleichsweise einfach, weil eine Betriebsanlagengenehmigung für die Location bereits vorhanden war“, sagt Eselböck. Und sie fügt an, dass sie im kommenden Winter gerne wieder ein Pop-up-Lokal eröffnen würde, nicht unbedingt in Wien, sondern eventuell in einer anderen österreichischen Stadt oder vielleicht sogar im Ausland.

Weniger erfolgreich mit der Bewältigung der Hürde von Auf-lagen und Genehmigungen war indessen Harald Irka von der steirischen Saziani Stub’n. „Die Betreiber eines Wiener Austellungsraums sind auf uns zugekommen, um uns zu fragen, ob wir Inte-resse hätten, eine großflächige und vorwiegend leerstehende Räumlichkeit im ersten Bezirk zu bespielen. Die Idee gefiel uns auf Anhieb“, erzählt der Jungstar. Und zwar nicht zuletzt deswegen, weil das Stammhaus über die Wintermonate sowieso geschlossen hat und es immer wieder ein Problem sei, den Mitarbeitern zu erklären, dass sie nur neun und nicht zwölf Monate angestellt würden. Doch angesichts der offenbar nicht zu bewältigenden behördlichen Hürden ließ die Steirer das Projekt alsbald wieder fallen. „Vermutlich wäre ein Pop-up-Lokal in Wien unter diesen Umständen nur für ein paar Tage möglich, nicht aber für drei Monate, wie wir das ins Auge gefasst hatten“, so Irka.

Auch Stefan Brandtner, seines Zeichens Spezialist und, zumindest hierzulande, Pionier für die Stilübung des Pop-up-Lokals, beklagt ein allzu rigides Verhalten der Behörden in den meisten Fällen. „Wir haben uns immer bemüht, Locations zu finden, die sich leichter als andere adaptieren lassen, um die nötigen Genehmigungen zu erhalten“, sagt der Salzburger, der seit seinem ersten Projekt im Jahr 2011 bereits drei weitere Pop-up-Restaurants aus dem Boden stampfte. Doch gerade solche leicht zu 
adaptierenden Lokale seien in der Regel auch die weniger aufregenden. „Wirklich passend für das Pop-up-Konzept wären ja eigentlich Örtlichkeiten wie etwa alte Tischlereien oder Büchereien oder sogar abbruch-reife Häuser. Aber so etwas ist in Österreich so gut wie unmöglich“, so Brandtner. Ganz anders verhielte es sich beispielsweise im Baskenland, wo er vor wenigen Wochen war und ein Pop-up-Lokal in einer aufgelassenen Tankstelle besuchte. „Aber im Baskenland gehört die Gastronomie zur kulturellen Identität“, sagt Brandtner, „und ist außerdem eine wirtschaftlich bedeutende Attraktion, die Touristen aus aller Welt anzieht. Und dieses Bewusstsein fehlt bei uns in Österreich halt leider noch.“