Wasabi-Terror und andere Gefahren

Wie sozial sind „soziale Medien“, ist ein Mehr an Wasabi ein rassistischer Übergriff und können Chilis den Weltfrieden gefährden? Oder soll man das alles etwas lockerer nehmen?

Text von Eva Rossmann · Illustration von Andre Sanchez

Vor einiger Zeit hat sich eine japanische Sushi-Kette höflichst entschuldigt. In den „sozialen Medien“ (Warum heißen die bloß so? Weil man annimmt, dass eine unbestimmte Anzahl an anonymen Besserwissern „sozial“ sei? Oder sie unser soziales Gefüge abbilden?) war ein Sturm der Entrüstung losgebrochen. In einer Filiale in Osaka sei plötzlich mehr Wasabi auf die Sushis gekommen. Manchmal nahezu doppelt  (!) so viel wie „normal“. Jetzt konnte ich trotz intensiver Recherchen nicht herausfinden, ob es inzwischen schon eine japanische, asiatische oder gar auf internationale Handelsabkommen gestützte weltweite Wasabi-Norm gibt, aber so was! Wie konnten die dort nur! Noch dazu, wo vor allem Südkoreaner umgehend behaupteten, es handle sich bei diesem „Wasabi-Terror“ nicht nur um einen solchen, sondern zudem um „Rassismus“ gegen Ausländer. „What they did was a hate crime“, postete zum Beispiel @sakeuchi317. The Japan Times berichtete. Die japanische Nachrichtenagentur Kyodo auch. Das Unternehmen Fujii Shokuhin erklärte zutiefst betroffen, dass leider Köche in einem Restaurant der Kette ohne zu fragen die Menge an Wasabi erhöht hätten, nachdem ausländische Gäste immer wieder um mehr Wasabi gebeten hätten. Man beteuerte, es handle sich keinesfalls um Diskriminierung. Man sei untröstlich, Gästen, „die keinen Wasabi mögen“, solche Unannehmlichkeiten bereitet zu haben.

Die Empörung freilich ging weiter. „Rassistische Übergriffe“ wurden angeprangert. Hm. Wir reden immer noch von einem Koch, der in Osaka manchmal mehr Wasabi auf die Sushis gegeben hat. Aber natürlich haben solche Debatten auch etwas Lehrreiches: Jetzt weiß ich, die nie in Japan war, dass dort Wasabi nicht neben die ­Sushi gelegt wird, sondern zwischen Reis und rohen Fisch. Und dass vorsichtige Japaner gepostet haben, viel Wasabi sei zwar gesund, aber andererseits auch gefährlich – dann nämlich, wenn damit alter, stinkender Fisch überdeckt werden soll. Kulturschock. Alte, stinkende Meerestiere in Japan? Dem Heiligen Land der rohen Fische? Aber auch praktische Tipps wurden gegeben: Wer nicht so viel Wasabi möge, solle eben unter den Fisch schauen und etwas von dem (für mich) köstlichen grünen Kren wegnehmen. Man mache das immer so, wenn man mit den Kindern unterwegs sei. Und schon wäre der Terror abgewendet. Wenn das bloß immer so leicht ginge. Wobei: Auch bei anderen „Terror“-Behauptungen und -Ängsten soll der gesunde Menschenverstand (den wir hoffentlich doch nicht zur Gänze an eine Supermarktkette verkauft haben) helfen.

In Österreich griff unter anderem Der Standard das wahrlich brisante Thema auf. Am besten hat mir dieses darauf hin abgesonderte Posting gefallen: „Eine der größten Gefahren für die Welt ist der Wasabismus.

Der Koch scheint ein wasabitischer Prediger zu sein.“

Wenigstens auf den Schmäh ist noch Verlass. Hie und da. Natürlich war auch die Frage, ob es denn an diesem Tag weder ein Fahrrad in China noch einen Reissack in Japan – oder, um nicht schon wieder zu diskriminieren, in Südkorea – gegeben habe, der umgefallen sei, eine nicht von der Hand zu weisende.

Aber – ohne da noch eins draufzusetzen – die „sozialen Medien“ und die Gastronomie sind tatsächlich eine scharfe Sache. Der von mir persönlich und auch fachlich schmerzhaft vermisste Christoph Wagner hat einmal gesagt, er schreibe seine Gastronomieführer in erster Linie als erweitertes Telefon- und Servicebuch. Ob es den Leuten dort schmecke, müssten sie schon selbst rausfinden. Deswegen waren ihm auch belehrende oder gar herabwürdigende Beschreibungen fremd. Was würde er wohl zu den einschlägigen Foren im Internet sagen, in dem jeder, der Zähne und einen Magen besitzt (das mit dem Geschmackssinn halte ich nicht für erwiesen und vom Herz wollen wir gar nicht reden), posten kann, was er aufgenommen und wohl auch verdaut hat.
Ein Umweg in mein geliebtes Sardinien. Im kleinen Ort Torre delle Stelle gibt’s drei Lokale. Das am besten bewertete hat meist gar nicht geöffnet, es gibt in erster Linie Pizza. Das dahinter gereihte Lokal hat sehr gute Pizza und auch eine kleine, feine Karte, die auch frisch gebackene Seeanemonen anbietet. Ein Gedicht! Das am schlechtesten bewertete Lokal hat einen neapolitanischen Chef, der auch anderswo Karriere hätte machen können. Selbst marinierter Fisch, zartester Oktopus, Gamberetti aus der Gegend in knusprige Mandelsplitter gehüllt, Impepata von frischen Muscheln werden gereicht … man zahlt zu zweit tatsächlich mehr als für zwei Pizze (die es in einem Bereich des Restaurants auch gibt, und das in Perfektion). Für drei Gänge mit einer Flasche Wein sechzig bis achtzig Euro. Also wirklich. Und im Internet steht, das Essen sei schlecht, die Portionen seien klein und überhaupt sei alles viel zu teuer. Ist man nicht trotzdem neugierig darauf, dann hat man keine Chance, eines viel Besseren belehrt zu werden.

Mein Küchenmeister Buchinger jammert schon seit geraumer Zeit über die angeblich gar nicht freundlichen Einträge in Foren wie Tripadvisor. Jetzt weiß ich, dass ihn auch die kleinste Kritik ewig lang beschäftigen kann. Wie einem chronisch Magenkranken stößt es ihm immer wieder auf, wenn jemandem etwas nicht gefallen, gepasst, geschmeckt hat. Dagegen sind sogar wir berühmt sensiblen Autorinnen und Schriftsteller unseren Kritikern ­gegenüber indolent. Ich tröste ihn bei derartigen Reminiszenz-Attacken („Kannst du dich nicht erinnern? Die Partie, wo er das Rotkraut zum Gansl extra wollte, und es war so viel los, dass er es dann doch am Teller gehabt hat und er wollte dann für nichts zahlen, weil eh alles scheußlich gewesen sei, obwohl sie alles ge­gessen die am Nachbartisch gesagt haben, die ­haben schon gestritten, als sie hereingekommen sind?“ Es ist gute zehn Jahre her. Übrigens: Ich kann mich daran erinnern. Sie saßen auf Tisch Nr. zwölf.), ich tröste ihn also damit, dass den meisten unser Essen eh schmeckt, dass wir supernette Stammgäste haben, dass uns viele mögen. Ich habe bis jetzt trotzdem nie nachgeschaut, was die im Netz schreiben. Beziehungsweise, was die schreiben, die dann eben schreiben. Die Zufriedenen verdauen lieber und tun damit das Naheliegende.

Nun aber, nach dem Wasabi-Terroranschlag, muss ich es wissen: Wer sagt was über uns im „sozialen Netz“? Es fängt allerdings wunderbar an. Wir sind Restaurant Nummer 1!! Na bitte!! Kleiner Wermutstropfen: in Riedenthal. Da gibt es bloß ein Lokal. Aber derartige Rankings sind in der Schriftstellerei ja auch relativ. Jubel über den ersten Platz auf irgendeiner Bestsellerliste! Aber wir sind Österreich. Ein kleines Land. In Deutschland kann es sein, dass sie fragen: Wer? Nie gehört. Nie gesehen. Warum sollten wir das lesen? Gibt Bücher genug.

Aber weiter. Dann folgt in Netz Lob auf Kritik auf Lob auf Unverständnis. Am meisten treibt unsere geschätzten Schreiber momentan nicht unser Essen oder das Service dazu, sozial zu posten, sondern die Form der Speisekarte. „Ein Zettel!“, wird empört ausgerufen. Wie könne ein Haubenlokal nicht über eine schöne, gebundene Speisenzusammenstellung verfügen? Ein Affront! Wir schreiben den geschmähten Zettel jeden Tag neu, manchmal auch jeden Halbtag. Weil wir nur ­kochen, was frisch da ist. Aber natürlich: Was ist ein ledriges Schnitzel schon gegen eine ebenso gebundene Speisekarte mit tiefkühlfrischer Sortenvielfalt? Interessant fand ich auch die ­Begründung der miesen Bewertung eines weiblichen Gastes. Sie hat zwar zugegeben, dass sie mit Essen und Service zufrieden war, aber: Der Wickeltisch sei defekt gewesen und niemand hätte sofort etwas dagegen getan. Und ihre diesbezügliche Mail habe man nicht einmal beantwortet. Nie werde man wiederkommen, nicht mit und nicht ohne Kind. Besorgten Müttern und Vätern sei versichert, dass uns bisher keine wie immer gearteten Verletzungen von Kleinkindern in unserem Lokal bekannt geworden sind.

Auf der anderen Seite. Lob ist schon schön, auch im Netz. Ich kann einfach nicht anders als diese Bewertung auch noch kurz zu erwähnen. Die Rede ist vom Buchinger und auch von mir (leider oder zum Glück komme ich sonst in den Restaurantbewertungen nicht vor, ich habe danach gesucht …): „Wenn die beiden in der Küche stehen, das ist, als ob Placido und Netrebko im Sommer in Schönbrunn ein Duett singen würden.“ So mag ich sie, die sozialen Medien. Gleich fange ich an zu singen (was allerdings zu weniger freundlichen Reaktionen führen könnte – und ich fürchte, ich müsste sie sogar verstehen).

Trotzdem: Eine Warnung: Es kann bei uns tatsächlich passieren, dass zum Beispiel die Kutteln echt scharf sind. Da steht dann auf diesem Schmierzettel, der unsere Speisekarte ersetzen soll, auch „echt scharf“ dabei. Aber es könnte natürlich Leute geben, die unter „echt scharf“ etwas anderes verstehen als wir. Und die könnten den Verdacht hegen, dass wir das nicht einfach so machen oder auch deswegen, weil der Buchinger zufällig diese teuflisch scharfen frischen Chilis hatte, sondern weil wir uns lustig machen wollen über den Herrn Doktor, der schon bei der Erwähnung des Wortes „pikant“ einen Schweißausbruch bekommt. Es könnte sich sogar um eine allgemeine Diskriminierung der Weinviertler Bevölkerung handeln, die nachweislich weniger scharf isst als Südinder und Thailänderinnen. Also quasi Anti-Heimat-Terror! Und das in Zeiten wie diesen, wo es doch so sehr darum zu gehen scheint, das „Eigene“ zu bewahren und vor dem bösen „Fremden“ abzugrenzen. Scharfe Kutteln? Nein! Ein politisches Attentat! So schaut es aus.

Wir sollten uns absichern. Alles muss sicherer werden, nur kein Risiko … Achtung! Chilis können den Weltfrieden gefährden … und außerdem zweimal brennen …

Oder wir nehmen endlich das eine oder andere gar nicht so Gefährliche und Andere und Neue locker. Und nehmen Miesmacher einfach nicht ernst. Es gibt sie, die positiven Überraschungen …