Wiener Wunder

Wiener Wunder

Reinhard Gerer präsentiert in seinem umgebauten Korso "The Return of Luxusgastronomie".
Text von Alexander Rabl Fotos: Luzia Ellert
Aus der zarten Brise vom Westwind, der zwischen Bristolbar und Mahlerstraße schon seit einiger Zeit weht und nach Kuttelkraut und Innovationsdrang schmeckt, ist ein kleiner Wirbelsturm geworden. Er wirbelte Paolo Piva herbei, mitsamt einem Onyxblock, der das "Korso" durchschneidet wie ein riesenhaftes Perlmuttmesser. Den Flügel samt Pianisten blies der Orkan hinaus. Man darf hoffen, beide sind weich gelandet. Ein Küchentisch, wie er genannt wird, ward aufgestellt, eine praktische Einrichtung, wenn man nicht zu lange Beine hat, weil er erstens nicht wirklich in der Küche steht und zweitens, durch die Onyxwand abgeschirmt, denen, die ihn besitzen, erlaubt, zwischen den Gängen mal kurz die Krawatte zu lockern, ohne dass dem älteren "Korso"-Publikum deswegen das Goldbesteck aus der Hand fällt. Bald schreitet man tatkräftig zur zweiten Ausbaustufe des Faceliftings. Die Decke samt adäquater Beleuchtung ist bald einmal dran. Die Statiker rechnen noch. Gerer plant außerdem einen Wintergarten in der Balustrade, der die Gäste mittags mit mehr Tageslicht versorgen soll. Wenig hat er nicht vor.
Und da wäre noch der Umbau in der Küche, der sich bereits im vergangenen Frühjahr zaghaft und dann immer kräftiger ankündigte. Sein Voranschreiten lässt sich weniger exakt anhand eines vorher festgelegten Planes überprüfen als das Aufstellen einer Wand. Doch wie sich der Gast das Neue am "Korso" vorstellen darf, merkt er schon, wenn ihm eine Speisenkarte in die Hand gedrückt wird. Was wollen die von mir?, mag er sich beim ersten Mal fragen, wo er dies liest: Saibling, Steinbutt, Lammrücken, Ente, Tafelspitz, Kaviar, Hummer, eine Aufzählung von großbürgerlichen und adligen Hauptdarstellern, keine Angabe, wie und womit etwas gekocht, gebraten oder geschmort würde. Auch kein Hinweis, ob es jetzt überhaupt gebraten, gekocht oder geschmort würde. Die Auflösung des Rätsels, welches die Lektüre der Speisenkarte, auf der sonst nur ein viergängiges Menü vermerkt ist, dem Gast aufgibt: Jeder mag sich auswählen, was er wann, wie zubereitet haben will. Patchwork-Küche.
Man könnte jetzt einwenden, dass ein Konzept wie dieses in der Hochgastronomie ein Risiko mit vielen Unbekannten bedeutet. Man könnte diesen Einwand noch ergänzen mit der Feststellung, dass nicht umsonst in den ganz, ganz großen Häusern der Welt der Gast meistens vergeblich auf eine Tageskarte oder Tagesempfehlung wartet, weil die Architektur der Speisenzubereitung sich auf einem Niveau angesiedelt hat, das jedes spontane Abweichen vom Plan verbietet. Gerer schert sich einen Dreck um solche Einwände. Er sagt, dass es ist, "wie es sein soll. In dieser Küche soll Spontanität das oberste Prinzip sein, ohne dass von weither angereiste ,Korso‘-Gäste auf das verzichten müssen, was die Wiener Küche berühmt gemacht hat." Denn in der neuen "Korso"-Küche, so Gerer, soll man Wien und die Region um Wien erkennen. Statt sich weiterhin in Deutungen zu verlieren, wie es sich genau mit der Region um Wien verhalten soll, ob diese jetzt durch ein paar Autostunden oder doch durch ein paar Flugstunden definiert ist, serviert Gerer die delikate gebratene Gänseleber auf Erdäpfelsalat, ergänzt durch ein pikantes Essig-Ei-Gemüse und wir haben verstanden. Und dann spricht Gerer noch von Wien als kulinarischer Reisedestination, deren Restaurants den mindestens ebenso hohen Unterhaltungs- und Weiterbildungswert aufweisen sollten wie ihre Museen, Theater und Konzertsäle. Ein Luxusrestaurant, ein echtes Luxusrestaurant, so Gerer, müsste so eine Stadt schon aufweisen, und wenn nicht das Restaurant eines der ersten Hotels der Stadt Luxus vertreten soll, wer dann?
Luxus. Ein Wort, das man in Wien lange nicht laut aussprechen durfte. Überhaupt nicht im Zusammenhang mit dem menschlichen Stoffwechsel. Doch leider: Die Demokratisierungsversuche der erlesenen Nahrungsaufnahme sind allesamt fehlgeschlagen, schon allein deshalb, weil sich Herr Steinbutt und Frau Seezunge einer Massenproduktion verweigern und ohne Spitzenprodukte nun mal keine Spitzenküche zu machen ist. In Wien zeugen inzwischen nicht nur die Schwerbewaffneten hinter den Portalen der Juweliere in der Inneren Stadt von der Häutung der Wienerstadt, die ihr altes Kleid abstreift und als glänzende Metropole auf den Laufsteg zurückkehrt. Dazu gehört, dass die Lücke zwischen Arm und Reich, man muss das bedauern, nicht kleiner wird und der Mittelstand in die Bedeutungslosigkeit abrückt. Auch in der Gastronomie.
Während immer mehr Neighbourhoodrestaurants mit ihrem preiswerten und bunten Angebot Erfolg haben, häuft der "Chef", wie ihn seine Fans nennen, einen Esslöffel und nicht bloß einen Kaffeelöffel Kaviar auf eine fast vier Zentimeter dicke Rindermarkscheibe, bestreut das Ganze mit Schnittlauch und nichts sonst und hat damit den Nerv der großen Kocherei von morgen freigelegt. Das große Restaurant als Kathedrale hat ausgedient. So hat auch im Bristol der Schmäh kein Hausverbot mehr. Die Herren im Frack zeigen sich so entspannt und locker bei der Arbeit wie früher nie erlebt. Und wenn die Küche unter Hochspannung arbeitet, merkt man das höchstens daran, dass der "Chef" persönlich den Tisch aufsucht und den Gästen den Korb mit den Miniweckerln, Broten und Salzstangerln entwindet. Weil: "Esst kein Brot. Es kommt noch soviel Gutes!"
Restaurant Korso im Hotel Bristol
Mahlerstraße 2, 1010 Wien
Tel.: 01/515 16-546
Küchenzeiten: So.–Fr. 12–14, 18–23, Sa. 18–23 Uhr