Anti-Mafia-Torte
Im krisengeschüttelten Italien ist der Staat oft nicht zur Stelle, wenn man ihn braucht. Dafür gibt es im Ursprungsland der Slow Food-Bewegung etliche engagierte Organisationen, die für ihn einspringen. In Bologna versuchen zwei Pizzabäcker nun, so viele wie möglich von ihnen unter einen Hut zu bringen.
Text und Fotos von Georges Desrues
Auf den ersten Blick unterscheidet sich die Pizzeria Masaniello von keinem anderen neapolitanisch geführten Pizza-Take-away-Lokal in Italien. An den Wänden ein Bild vom Vesuv, eines des in Neapel verehrten Protestsängers Pino Daniele, ein Schal des Fußballclubs SSC Napoli und ein Bild von Bud Spencer. Bis vor Kurzem gab es auch eine Pizza, die dem ebenfalls aus Neapel stammenden Schauspieler gewidmet war.
„Seit Bud im letzten Jahr verstarb, habe ich aber keine Lust mehr, die Pizza zu backen“, sagt der Besitzer und Pizzaiolo Luca Caiazza und blickt dabei etwas wehmütig. Das Besondere an der dem Star aus dem Film Auch die Engel essen Bohnen gewidmeten Pizza waren die Bohnen, mit der sie belegt war. Und zwar nicht nur, weil die als Pizzabelag ungewöhnlich sind, sondern vor allem, weil sie von einer Initiative namens Nuova Cooperativa Organizzata (NCO) stammen.
Diese baut ihr Gemüse auf Böden an, die man von der Mafia konfisziert hat, und setzt dabei vornehmlich Menschen mit diversen Integrationsbedürfnissen ein, darunter unter anderen ehemalige Drogenabhängige, geistig und körperlich Behinderte oder Obdachlose.
Die Bohnen sind jedoch bei Weitem nicht das einzige Produkt mit sozialem Hintergrund, das Caiazza in seiner sogenannten Pizzeria etica („ethisch“) verarbeitet. So stammen etwa auch die Tomaten von NCO, der Mozzarella indessen von einer Kooperative namens Le terre di Don Peppe Diana, die ebenfalls auf konfisziertem Besitz errichtet wurde und nach dem Pfarrer benannt ist, der von der Camorra ermordet wurde.
Der Kaffee und die dazugehörigen Tassen stammen von der Kooperative Lazzarello und werden in einem Frauengefängnis geröstet und erzeugt; das Bier nennt sich Cella (Zelle) Zero und wird von reuigen Häftlingen im berüchtigten Neapler Knast Poggioreale gebraut. Ja, sogar die biologischen Putzmittel stammen von einer Firma namens Cleprin nahe Neapel, die als Symbol des Widerstands gegen Camorra-Schutzgeldzahlungen gilt und deswegen bereits mehrmals niedergebrannt wurde.
„Mein Bruder und ich sind in Neapel aufgewachsen und haben die Gewalt täglich mitbekommen. Wir haben Freunde gehabt, die zur Camorra gingen, und andere, die verprügelt wurden, weil sie das nicht taten“, erinnert sich Caiazza, „deswegen dachten wir, man sollte doch mehr mit Zutaten von Anti-Mafia-Organisationen arbeiten.“
Das war zuerst der Mozzarella, es folgten die Tomaten und die Putzmittel, und schließlich kamen die Brüder auf den Geschmack und beschlossen, so viel wie möglich von sozial engagierten Erzeugern zu beziehen.
Das war vor zwei Jahren. Inzwischen ist auch die Organisation Arci (Associazione Ricreativa e Culturale Italiana), die größte Non-Profit-Organisation des Landes, aus der einst auch Slow Food hervorging, auf die beiden aufmerksam geworden und bot ihnen an, ein Lokal am Stadtrand von Bologna zu betreiben, das im Besitz der Organisation ist.
Dort, inmitten eines Erholungsgebiets mit angeschlossenem Sportareal, bäckt nun seit vergangenem Februar Lucas’ Bruder Marco die Pizzen aus den sozial „engagierten“ Zutaten. Und weil es hier nicht nur Pizzen gibt, stammt auch die Pasta von Le terre di Don Peppe Diana; der Wein von der Kooperative (R)esistenza, die zur Ernte auf ihrem Neapolitaner Weinberg Jugendliche einsetzt, die auf die schiefe Bahn geraten sind; und das Fleisch fürs Pasta-Ragout zum Teil wiederum von NCO. Erzeugt wird es aus männlichen Büffeln, die in konventionellen Betrieben oft schon nach der Geburt entsorgt werden, weil sie keine Milch geben und deswegen als wertlos gelten.
„An den Wänden haben wir Poster aufgehängt, die von der Geschichte und dem Engagement unserer Lieferanten erzählen“, sagt Marco Caiazza, „damit die Gäste auch wissen, was dahintersteht.“
Bei den Bolognesen kommt das Projekt ganz offensichtlich gut an. Das Lokal ist ständig gut besucht, man kommt, wie üblich in Italien, in großen Gruppen, zumeist mit Familie und lauten Kindern. Und das, obwohl das Restaurant rechtlich als Vereinslokal gilt und man Mitglied bei ARCI sein muss, um hier essen zu dürfen. „Der Mitgliedschaftsbeitrag beträgt allerdings nur zehn Euro im Jahr“, betont der Wirt. Der gute Geschäftsgang hat die Brüder zu einer weiteren Initiative inspiriert, die ihre Wurzeln ebenfalls in ihrer Heimatstadt hat. So gibt es in Neapel die Tradition des „caffè sospeso“, wörtlich übersetzt des „schwebenden Kaffees“, der von einem Gast bezahlt wurde und den ein unbekannter weiterer Gast, der sich selbst keinen Kaffee leisten kann, bestellen kann.
„Wir haben das Prinzip auf die Pizza angewandt“, erzählt Caiazza und präsentiert stolz eine Wandtafel, auf der etliche Kassazettel hängen. „All diese Zettel stehen für Pizzen, die wir immer montags, also an unserem Ruhetag, für Bedürftige backen.“
Mittlerweile stammt auch der Großteil der Textilien von einem Sozialverein im Ort Castel Voltura bei Neapel. Der nennt sich Altri Orizzonti und betreibt eine Schneiderei in einem Gebäude, das einst dem weiblichen Mafiaboss Pupetta Maresca gehörte. Sie wurde italienweit berühmt, als sie, im sechsten Monat schwanger, den Killer ihres Mannes eigenhändig richtete und dafür ein ganzes Pistolen-Magazin entleerte.
„In Italien steht der Name Castel Voltura üblicherweise für das Massaker im Jahr 2008, als ein neapolitanischer Mafiaclan sechs Einwanderer aus Afrika erschoss, die man per Zufallsprinzip aussuchte, um die rivalisierenden afrikanischen Drogendealer einzuschüchtern“, erzählt Caiazza. Heute erzeugen dort alteingesessene Neapolitanerinnen gemeinsam mit Afrikanerinnen Textilien, die unter dem Label Made in Castel Voltura verkauft werden.
„Wir haben ja erst seit Februar geöffnet und hoffen, dass wir noch weitere sozial engagierte Erzeuger finden werden“, sagt der Wirt. Die Chancen dafür stehen jedenfalls gut. Doch einen Schönheitsfehler habe das Ganze schon, wie er betont. Denn leider habe man bisher noch kein Mehl gefunden, das einerseits „ethisch“ wäre und andererseits genau über die Backeigenschaften verfüge, die es für eine echte, luftig-weiche neapolitanische Pizza brauche. Aber die Suche gehe selbstverständlich weiter, versichert Caiazza.
Pizzeria Masaniello (Take-away)
Via San Donato 3/C, Bologna
Tel.: +39/051/095 40 69
Fattoria di Masaniello (Restaurant)
Via Pirandello 6, Bologna
Tel.: +39/051/412 88 85
www.masaniellopizzeriaetica.it
NCO Nuova Cooperativa Organizzata
www.ncocooperazione.com
Cooperativa Lazzarelle
www.caffelazzarelle.jimdo.com
Cleprin, Reinigungsmittel
www.cleprin.it
Organisation (R)esistenza
www.scampiaresiste.it
Libera Terra
www.liberaterra.it