Berühmt, aber gefährdet

Dass einer der bekanntesten Käse der Welt jemals den Schutz von Slow Food benötigen würde, hätte wohl niemand für möglich gehalten. Und dennoch gibt es seit Kurzem ein Presidio für Camembert, das lediglich drei normannische Erzeuger auszeichnet.

Noch bis vor Kurzem packte Patrick Mercier seinen Camembert in zwei verschieden etikettierte Holzschachteln: in eine für den Export in Länder wie etwa Deutschland und Österreich, auf der groß zu lesen stand, dass es sich bei dem Käse um ein Bioprodukt handelt, und in eine andere für den heimischen französischen Markt, wo das mit dem Bio viel diskreter gehandhabt wird. „Lange Zeit war Bio in Frankreich überhaupt kein Verkaufs­argument, ganz im Gegenteil“, erzählt Mercier. „Alles, was bio war, galt als qualitativ minderwertig.“ Doch das sei ­gerade dabei, sich rasant zu verändern. Inzwischen rollt die Bio-Welle nämlich auch über Frankreich hinweg, mit einiger Verspätung zwar, dafür in geradezu schwindelerregendem Tempo. Und so kann der Käser seinen Camembert heute auch in seiner Heimat mit demselben Bio-betonenden Etikett vertreiben wie im Ausland.

Tragen darf Monsieur Merciers Käse auch noch zwei weitere Labels, die zumindest am französischen Markt bislang deutlich mehr Zugkraft hatten als das Bio-Label. Nämlich das „Camembert de Normandie AOP“ (Appelation d’origine protégée, also geschützte Herkunftsbezeichnung) sowie jenes mit dem Zusatz „fermier“ („vom Hof“). Wobei Letztgenanntes bedeutet, dass der Käse am Hof und also aus der Milch von Merciers eigener Kuh-Herde erzeugt wird. Das dürfen außer ihm nur zwei weitere echte Camemberts, also solche mit Herkunftsbezeichnung, nämlich jene von Janine Lelouvier und von Nicolas Durand.

Merciers Hofkäserei namens Le Champ Secret liegt im Departement Orne im Süden der Normandie. Die Landschaft ist bezaubernd und ländlich geprägt. Auf saftigen Weiden grasen die braun-schwarz- und weißgescheckten Rinder der lokalen Rasse Normande. Aus ihnen setzt sich auch die 100-köpfige Herde zusammen, deren Milch Mercier täglich zu 700 handgeschöpften Camemberts verarbeitet. „Neun Monate im Jahr verbringen meine Kühe auf der Weide“, erklärt der Käser bei einem Spaziergang über den Hof, „und im Winter erhalten sie ausschließlich Heu und Getreide, das wir selbst erzeugen.“

Für die Qualität des Käses sei die Produktion am Hof von großem Vorteil, wie Mercier betont. „Da die Milch nirgendwohin transportiert werden muss, ­können wir sie ungekühlt verarbeiten, was für eine größere Anzahl an Mikroorganismen und somit für eine breitere Vielfalt an Aromen sorgt“, betont er.

Dass es trotz dieses Vorteils in der gesamten Normandie nur mehr drei Käsereien gibt, die ihren Camembert am Hof erzeugen, liegt am gewaltigen Erfolg des Käses, der heute weltweit als Symbol gilt nicht nur der französischen Käsekultur, sondern ganz Frankreichs. Was ihn wiederum zum begehrten Objekt für industrielle Großproduzenten macht.

Als er den Hof im Jahr 1995 von seinen Eltern übernahm, hätten er und seine Frau ganz bewusst ein wenig provozieren wollen, erinnert sich Mercier. Was auch damit zu tun gehabt habe, dass seine Farm nur etwa zehn Kilometer entfernt liege von der Fabrik der Firma Lactalis, dem weltweit größten Produzenten von Camembert im Speziellen und von Käse im Allgemeinen.

„Wir wollten den Käse unserer Kindheit wiederer­wecken, einen Camembert, wie man ihn früher machte, also in Zeiten, bevor es chemische Pflanzenschutzmittel und ­Dünger gab, vor Auftauchen der Plastikplanen und der elektrischen Kühlung“, sagt der Käser. Wie selten und somit schützenswert ein solcher Camembert ist, hat nun auch die Slow Food-Stiftung für Biologische Vielfalt bestätigt und vor wenigen Wochen ein Presidio ins Leben gerufen, das anlässlich der Käsemesse Cheese vergangenen September in Bra vorgestellt wurde.

Tragen dürfen es bislang lediglich die Camemberts der drei genannten Käsemacher, die ausschließlich mit der nicht pasteurisierten Milch ihrer eigenen Herden arbeiten. „In den letzten Jahren haben sich die verschiedenen Käsesorten mit einer präzisen Strategie zunehmend vereinheitlicht, indem sie immer öfter auf selektierte und industriell erzeugte Fermente zurückgreifen, um die pasteurisierte und somit tote Milch, aus der sie ­gemacht werden, wieder zum Leben zu erwecken“, sagt Piero Sardo, Präsident der Stiftung. „Schon klar, dass das für weniger Defekte und Probleme sorgt und somit das Leben der Käser erleichtert, aber es sorgt auch für immer ähn­lichere und charakterlose Käse.“

Umso dringlicher ist das Problem, als die industriellen Erzeuger vor wenigen Monaten durchsetzten, dass die geschützte Herkunftsbezeichnung „­Camembert de Normandie“ ab 2020 auch von Käse aus pasteurisierter Milch getragen werden darf (slow berichtete in Heft 4/2018). Eine Entscheidung, die viele handwerkliche Käser heftig be­anstanden.

Hoffnung bestehe trotz allem. Und zwar nicht zuletzt dank dem Presidio, wie der Käsemacher Mercier betont. „Es ist noch einer langer Weg, aber wir sind uns sicher, dass es der richtige ist. Durch unsere Arbeit mit einer lokalen Rasse und durch den Einsatz von Rohmilch tragen wir ­unseren Teil bei, um unsere Landschaft, die Umwelt und die biologische Vielfalt zu verteidigen.“ Was ihm allerdings am meisten Hoffnung verschaffe, so Mercier weiter, sei schlicht und einfach die geschmackliche Qualität und Vielfalt, für die sein Rohmilchkäse stehe. Denn wer einmal echten ­Camembert gekostet habe, so betont der Käser, der würde wohl kaum mehr zurückkehren zu etwas anderem.